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ZULI: Ein sehr moderner Sampler
Es ist nicht möglich, die Bedeutung des Samplings für die Entwicklung der elektronischen Musik zu hoch einzuschätzen. Die Grundbausteine des Hip Hop und Jungle räumten mit den den herkömmlichen Vorstellungen darüber auf, wer mit welchen Skills und welchem Equipment Musik machen durfte, indem aufgenommenes Material als eine Soundquelle für die Manipulation und Erkundung von Musik verwendet wurde. Die Sampling-Technologie spielte dabei eine wichtige Rolle, insbesondere die MPC von AKAI und der SP1200 von EMU, allerdings wurden diese Instrumente als Reaktion auf eine Kunstform entwickelt, die auf den DJ zurückgeht. Die Architekten des Hip Hop schufen ihre neue Musik, indem sie mit Funk-, Soul- und Discoalben jonglierten und so ihre eigenen Collagen erschufen. Die neue Welle der speziell dafür gebauten Sampler der 80er-Jahre beschleunigte und erweiterte diese Praxis lediglich.
Sampling hat seitdem einen langen Weg zurückgelegt, aber einige seiner fundamentalen Prinzipien bleiben bestehen. Für das charakteristische Knirschen einer East Coast Hip Hop-Platte aus dem Studio von Marley Marl oder die rohe Qualität eines 4Hero Jungle-Workouts waren die klanglichen Qualitäten der Maschinen entscheidend, die sie dafür benutzten. In vielen Fällen ging es dabei ebenso sehr darum, die Funktionen der Maschinen absichtlich falsch zu verwenden, um kreative Anforderungen zu erfüllen. Das traf insbesondere auf Jungle zu, wo einige der markantesten Time-Stretch-Texturen in der Geschichte der Tanzmusik durch winzige Sampling-Zeiten und dem Streben nach schnelleren Tempi geschaffen wurden.
Auf diesem Track von seiner 2021 erschienenen EP All Caps biegt ZULI klassische Drum-and-Bass-Breaks in beeindruckende neue Formen
Durch die konstante Retro-Fetischisierung von Vintage-Produktionsmethoden und den dazugehörigen Sounds ist es leicht, das Potential zu übersehen, das in den moderneren Musik-Tools steckt. Der in Kairo ansässige Produzent ZULI ist jedoch niemand, der in der Vergangenheit gefangen ist, und der schillernde Futurismus seiner Musik ist Zeuge davon. Wenn Sie sich die anspruchsvollen Beats seines Debüt-Albums Terminal aus dem Jahr 2018 oder seine faszinierenden EPs auf UIQ, Haunter und zuletzt Boomkat Editions anhören, denken Sie dabei vermutlich an eine Produktion mit raffinierten Synth-Plug-Ins und komplizierten Geräteketten. Tatsächlich aber ist es die Sample-Kultur, die im Mittelpunkt der Arbeitspraxis des Künstlers steht, der auch als Ahmed El Gazoly bekannt ist.
Sound Selector
“Wenn ich versuche, etwas zu erreichen, bin ich mir auf dem Weg dahin nicht immer über alle Schritte bewusst”, erklärt uns El Ghazoly aus Cairo. “Ich probiere generell, meine Zeit in Sessions nur für Sounddesigns und Sessions für das Schreiben aufzuteilen, damit ich beim Schreiben nicht zu abgelenkt bin, wenn ich einen Sound brauche.”
Wir haben mit El Ghazoly über seinen besonderen Ansatz des Sound-Designs gesprochen, der darin besteht, mit gesampletem Material zu improvisieren und die Sessions als WAV-Dateien aufzunehmen, um sie danach zu schneiden und erneut zu samplen. El Ghazoly gibt sich keine Regeln für sein Quellenmaterial, aber vollständige Tracks sind ihm immer lieber als One-Shots und fest zugeordnete Samples.
Beat-Tape im ägyptischen Stil - ZULI mischt Loops von Funk- und Jazz-Aufnahmen, mit denen er in Kairo aufgewachsen ist
“Auch, wenn ich nur einen Kick-Sound haben möchte, nehme ich dafür lieber einen ganzen Track und filtere das denn oder benutze den Equalizer. Das klingt einfach satter.”
Bei seinem Produktionsprozess geht es ihm darum, nichts in einem erkennbaren Zustand zu lassen, egal, wovon er samplet, von traditioneller arabischer Musik bis hin zum Blues. Was El Ghazolys Ansatz besonders interessant macht, ist, dass das primäre Tool seiner Arbeit aus einem typisches DJ-Setup mit zwei Decks und einem Mixer besteht.
“Ich verwende CDJs und einen Mixer so, als ob sie ein Sampler wären”, erklärt El Ghazoly. “Ich würde sagen, es ist Old-School-Sampling mit einem modernen Twist. Ich hole mir die Sounds von Alben, aber anstatt Turntables zu benutzen, verwende ich einen CDJ, weil er fortgeschrittener ist und viel mehr Optionen hat.”
Ein Teil der Innovationskraft von Sample-orientierten Musikformen liegt in den Beschränkungen, an denen sich die Pioniere reiben mussten. Da die Sampling-Zeiten limitiert und Lo-Fi-Signalketten sowie Soundquellen weitgehend davon abhängig waren, welches physische Medium erworben werden konnte, bestand die Identität und der Charme dieser grundlegenden Genres darin, auf welche Weise technische Herausforderungen kreativ gemeistert wurden. Für El Ghazoly bietet das CDJ Set-up natürlich viel mehr Optionen als analoge, vinylorientierte DJ-Setups, aber es gibt dennoch finite Grenzen, an die seine Sample-Manipulation stößt. Im Vergleich zu den unzählbaren Möglichkeiten der Software-Samplebearbeitung, orientiert sich das moderne DJ-Setup an einigen Kernfunktionen wie Pitch-Control, Looping, Hot Cues und den vergleichsweise bescheidenen Effekten, die bei einem standardmäßigen DJ-Mixer zu erwarten sind.
Der Bereich der Tonhöhenregelung ist bei CDJs besonders breit angelegt und deshalb hervorragend dafür geeignet, aus existierenden Sounds neue zu schaffen.
“Sie können aus allem einen Bass-Sound machen, wenn sie die richtigen EQ- und Filtereinstellungen dafür verwenden”, sagt El Ghazoly über extreme Pitch-Einstellungen. “Es ist auch ganz einfach, dröhnende Sounds und interessante Texturen zu machen. Wenn Sie ‘Master Tempo’ aktiviert haben und deutlich runterpitchen, bekommen Sie ein zeitlich gestrecktes Artefakt, das ich wirklich mag. Manche Leute finden das kitschig, aber mir persönlich gefällt der Sound. Und es kann sehr interessant werden, wenn Sie das mit zeitbasierten Effekten wie einem Reverb kombinieren und drastische Slides mit dem Pitch machen. Manchmal versuche ich sogar, mit dem Pitch Melodien zu spielen.”
Auch CDJ Hot Cue-Pads sind für El Ghazolys Arbeitsprozess von zentraler Bedeutung und erfüllen dabei eine altbewährte Rolle, die sonst von MPCs oder jedem anderen Drum-Pad übernommen wird. Beim Samplen und Experimentieren benutzt er Hot Cues, wenn er seiner Session einen bestimmten Rhythmus hinzufügen möchte, egal ob es um die Drum-Sounds in einem Track geht oder andere Geräusche, die er als Percussion verwenden möchte. Natürlich gibt es viele andere Möglichkeiten, um die gleichen Ergebnisse zu erzielen, aber manchmal kann die simple Verwendung eines unterschiedlichen Interfaces einen erheblichen Einfluß auf den kreativen Prozess haben.
“Ich bin mit den CDJs einfach so gut vertraut, weil ich so viel auf ihnen gespielt habe”, sagt El Ghazoly. “Das ist für mich auch ein Grund, warum ich überhaupt versuche, mit etwas außerhalb der nativen Geräte von Live zu experimentieren. Außer der CDJs zum Samplen verwende ich gar keine Plug-ins von Drittanbietern.”
Mit seinem Two-Decks-Ansatz manipuliert El Ghazoly nicht nur Samples, um neue Sounds zu generieren, sondern er kreiert und extrahiert damit auch neue Rhythmen und Grooves. Das Quellmaterial kann von Session zu Session sehr unterschiedlich sein, aber typischerweise spielt auf Deck A ein Loop, während auf Deck B ein Track mit eingestellten Hot Cue-Points läuft, auf denen El Ghazoly seinen eigenen Rhythmus erstellen kann. Wenn dem Mix auf Deck B ein zeitbasierter Delay hinzugefügt wird, können dadurch alle möglichen ungewöhnlichen, nicht quantisierte Rhythmen erzeugt werden. Sobald er die WAV-Aufnahme seines Experiments in ein Live-Set aufgenommen hat, kann er den daraus entstandenen Groove extrahieren und seine eigenen Sounds darauf anwenden.
Flüssig in Maus
Während das ‘traditionelle’ DJ-Setup für El Gahzoly eine greifbare, ausdrucksstarke Möglichkeit des Experimentierens darstellt, um neue Sounds zu generieren, bildet er die Methodik ebenso in Live nach. Der entscheidende Unterschied ist dabei das Interface, bei dem die Fader und Pads gegen das vertraute und häufig geschmähte Trackpad ausgetauscht werden.
“Mein Gehirn verhält sich anders, wenn ich mit der Maus arbeite und nicht mit meinen Händen”, erklärt er, “und anders ist hier nicht unbedingt negativ besetzt. Seit 2002 benutze ich für meine Produktion eine Maus, einen Controller habe ich um 2010 zum ersten Mal zum Produzieren verwendet. Ich würde also sagen, ich spreche fliessend mit der Maus!”
ZULIS Anfänge als Beatmaker im Kairoer Hip-Hop sind in zahlreichen Kollaborationen mit Rapper Abyusif zu finden
Es lohnt sich an dieser Stelle zu erwähnen, dass El Ghazoly in Cairo lebt, wo der Versand eines Controllers durch einen europäischen Händler unerschwinglich teuer gewesen wäre. Er hatte auf ähnliche Weise nie Zugang zu Vinyl-Turntables oder neuen Platten – seinen Start als DJ hatte er in den späten 90er-Jahren mit einem all-in-one CD-Mixer von Denon mit Jogwheels als Pitch-Regler, manuellen Loop-Einstellungen und umständlichen Tasten, durch die Tracks vor und zurückgestellt werden konnten. Es ist also kein Wunder, dass das Handwerk des CDJing für seine Kunst so wesentlich ist.
Bei seiner Arbeit mit dem Trackpad in Live verfolgt El Ghazoly einen ähnlichen Weg wie mit den CDJs, wenn er Samples manipuliert und erneut samplet. Das allgemeine Tempo ist jedoch methodischer und bestimmte Tools werden dabei wichtiger.
“Ich habe mit den Warp-Funktionen von Ableton Live sehr viel Spaß”, verrät er. “CDJs haben nur zwei Warp-Modi, den Re-Pitch und den anderen. Aber in Live ergeben sich so viele Möglichkeiten beim Time-Stretching, besonders wenn es darum geht, etwas in etwas komplett anderes zu verwandeln, wie zum Beispiel einen Drone-Sound in einen Rhythmus oder umgekehrt.
“Ich kann stundenlang über Warp-Modi sprechen! Es ist offensichtlich, warum ich Re-Pitch liebe, aber Beats kann so interessant sein, weil Sie eingeben können, wie oft Loops vorkommen. Damit können Sie dann das Timing ordentlich durcheinander bringen und sehr interessante Grooves erzeugen. Und wenn Sie dann mit den unterschiedlichen Loop-Modi spielen und das mit der Anzahl der Beats kombinieren, dann ist das einfach unglaublich. Beats hat sehr viel Potential.”
“Mein Gehirn verhält sich anders, wenn ich mit der Maus arbeite und nicht mit meinen Händen”
Es gibt in Live natürlich Funktionen, die ähnliche Ergebnisse liefern wie die CDJs – wenn Sie beispielsweise den Simpler-Slice-Modus verwenden, um in einem Track so ähnlich wie mit den Hot Cues zu springen, oder wenn Sie Sampler für extremere Pitch-Variationen benutzen. Während El Ghazoly das Sampling und Re-Sampling in Live weiter erforscht, eröffnen sich mehr Optionen. Es ist zum Beispiel möglich, auf Samples Reverbs anzuwenden, die Enden erneut zu samplen und sie in Instrumente zu setzen. Die Frage ist, woher weiß er, wann er mit einem Sound fertig ist?
“Manchmal arbeite ich jahrelang an einem Sound”, gibt er zu. “Ich habe herausgefunden, dass es zumindest für mich gut funktioniert, wenn ich das Sample in der User Library von Sampler oder Simpler abspeichere, zusammen mit seiner Effektkette, wenn es eine gibt.”
Jenseits des Studios
El Ghazolys Re-Sampling ist allerdings mehr als nur eine Studiotechnik. Da ihr Fundament in der DJ-Technologie liegt, ist er mit ihr auch auf der Bühne flexibler. Die meisten Künstler:innen erzählen von technischen Ausfällen oder Unfällen auf Tour, bei denen kurzfristig improvisiert werden musste, um auftreten zu können.
“Ich war einmal, ich glaube im Januar 2019, unterwegs zu einer Residency mit Muqata'a aus Palestina”, erklärt Eh Ghazoly. “Meine Sachen wurden unterwegs gestohlen. Alles, was ich dabei hatte. Zum Glück war der Auftritt in Poitiers im Le Confort Moderne, wo sie einen Plattenladen haben. Sie waren so freundlich und haben mir einen Plattenspieler, Mixer und einen Laptop gegeben. Ich habe alles angeschlossen und einfach vom Plattenladen gesamplet. In meinem Set mit Muqata’a habe ich dann Drums mit Hot Cues erstellt und dabei Drum Sounds aus einzelnen Tracks verwendet, die ich gerade erst gesamplet hatte.”
In seinen Händen verwandeln sich die CDJs in ein normales traditionelles Instrument. El Ghazoly erzählt sehr gerne von Radio-Sessions, bei denen er die Tracks seiner Freunde durchstöbern konnte und einen ägyptischen Track in ein Pad verwandelte, oder davon, wie er in Ziúr eine Gleichgesinnte gefunden und mit ihr eine improvisierte CDJ-Jamming-Session aufgenommen hat. Solange es irgendein Klangmaterial gibt, um das Interface zu füttern, kann er die vorhandenen Bedienelemente manipulieren und sich damit ausdrücken, bis die gesampleten Sounds unbestritten zu seinen eigenen werden.