Yuri Suzuki: Interaktion durch Klang und Design
Von Soundinstallationen für die renommiertesten Museen der Welt bis hin zu DIY-Musical-Instrumenten: In den Kreationen von Yuri Suzuki trifft komplexes Design auf größtmögliche Zugänglichkeit. „Meine Praxis schafft soziale Interaktion durch Klang”, erklärt Suzuki. „Mein Fokus liegt auf dem Experimentellen.” Das kann die Form einer Horn-Skulptur annehmen, die mithilfe von künstlicher Intelligenz von Singalongs der Museumsbesucher:innen lernt, einer gebrauchsfertigen Vinylschneidemaschine, mit der jede:r eigene Platten herstellen kann, eines Audio-Crowdsourcings für einen weltumspannenden Sequencer, oder eines Globus, der – in eine sphärische Schallplatte verwandelt – die Klänge der Erde abspielt.
Suzuki studierte Industriedesign in Japan, ein Einfluss, der über sein Gesamtwerk hinweg spürbar ist. In den Jahren nach seinem Master-Studium am Londoner Royal College of Art etablierte er sich als einer der weltweit führenden Visionäre im Feld zwischen Design, Technologie und Klang. „Anfangs wollte ich Musiker werden, dann musste ich aber feststellen, dass ich dyslexisch bin”, erzählt er. „2002 zog ich nach Berlin, um DJ zu werden. Das hat aber auch nicht funktioniert. Der Vibe da war mit Minimal Techno und Tech-House ein ganz anderer.”
Die Rückkehr nach London wurde schließlich zu einem Wendepunkt für den Künstler, mit dem Royal College of Art hatte er den perfekten Ort für Experimente gefunden. „Das war ein guter Spielplatz, ich habe da viele interaktive Projekte gemacht”, erzählt Suzuki. Er erforschte neue Wege, digitale und analoge Welten zu verbinden und lernte, geschickt zwischen künstlerischen und kommerziellen Produkten zu navigieren. Neben Ausstellungen in Museen wie der Tate Modern, MoMa, Barbican und dem Museum of Modern Art in Tokio entwickelte er in Zusammenarbeit mit Google, Korg, Teenage Engineering und Moog innovative Audiokonzepte. Bei aller Vielfalt einte seine Projekte jedoch immer eins: die Suche nach neuen Möglichkeiten, die Klänge um uns herum zu interpretieren und zu vermitteln.
„Es gibt heute so viele Möglichkeiten, Sound zu gestalten, weil viele Objekte ihre physische Qualität verlieren”, erklärt Suzuki. Dabei bezieht sich der Künstler auf die taktilen und direkten Interaktionen, die seine Werke – im Kontrast zur rapide fortschreitenden Digitalisierung vieler Bereiche modernen Lebens – ermöglichen. „Als schöpfender Mensch glaube ich daran, dass uns Kombinationen auf eine bestimmte Art immer die intensivere Erfahrung ermöglichen. Gewaltige Erfahrungen kann uns zum Beispiel die Kombination aus dem Visuellen und dem Klanglichen liefern.” Auf der zugrundeliegenden Idee der sozialen Interaktion aufbauend, die sowohl sein künstlerisches als auch sein gestalterisches Werk durchzieht, fügt Suzuki hinzu: „Das hat auch was mit Kommunikation zu tun. Ich persönlich habe ein Dyslexie-Problem. Im Museum muss ich aber die Beschreibungen der Arbeiten lesen, um sie wirklich zu verstehen, und für mich ist das schwierig. Also muss ich eben in der Lage sein, Dinge ohne eine Beschreibung wirklich zu erfahren. Ich muss das Konzept natürlicherweise begreifen – und das ist etwas, worum es mir geht.”
Musik und Musiktechnologie werden wohl immer im Fokus der Arbeit Suzukis stehen. Der Hardware kommt dabei eine besondere Rolle zu – was einleuchtet, wenn man bedenkt, wie bedeutend die Interaktion zwischen Mensch und Klang für den Künstler ist. Wir haben mit Suzuki über zwei seiner Projekte gesprochen. Beide Projekte verwandeln semi-legendäres Equipment in etwas Neues und geben dem Künstler die Möglichkeit, seine Interessen für Musik, Design und Kommunikation zu verknüpfen.
Für „The Visitor” hast du mit dem Detroit-Techno-Pionier Jeff Mills seine TR-909-Drummachine von Roland neu designt. Was war der Hintergrund dieses Projekts, welches Ziel hattet ihr dabei?
Ich glaube, das Projekt mit Jeff Mills hatte tatsächlich einen ziemlich einzigartigen Ausgangspunkt, weil sich das alles eigentlich aus einer Diskussion über Narrative entwickelte, und ein wenig philosophischer Konversation. Jeff ist auf eine Art echt ein Mönch. Wenn man mit ihm redet, dann geht das tief, man bleibt dabei nicht an der Oberfläche, sondern wird irgendwie recht philosophisch. Er sprach über ein Skulpturenprojekt, das er damals machen wollte, und das grob auf einer Geschichte basierte, die ihn sehr inspiriert: „Die Schlacht um Los Angeles”, ein historisches Ereignis während des zweiten Weltkriegs. So eine Art urbaner Mythos: die US Army hat irgendwas im Himmel angegriffen, obwohl da gar nichts war. Manche Leute glauben, das war ein UFO, da waren Aliens im Himmel über Los Angeles – ein ziemlich spannender Mythos aus dieser Zeit. Jeff interessiert sich sehr für solche Narrative oder Geschichten. Und auch die Fotos aus der Zeit sind absolut toll.
Also nahmen wir das zum Ausgangspunkt für unser Gespräch, und fragten uns, wir diese Geschichte oder dieses Narrativ in eine physische Form übersetzen können. Anfangs dachten wir uns: Was, wenn dieses Objekt als Form repräsentiert werden könnte, ein Objekt, das für dieses Bild und diese Zeit steht und gleichzeitig ein funktionales Instrument für die Bühne ist? Und so kamen wir auf die Idee, seine bereits vorhandene TR-909 mit einer aktualisierten, für ihn maßgeschneiderten Version zu kombinieren. Der Auftrag entstand also aus dieser Art des Narrativs und der Orientierung an der Praktikabilität. Ich habe dann erstmal angefangen, das Panel der Benutzeroberfläche neu zu designen, weil die TR-909 tatsächlich eher fürs Studio und zum Programmieren gedacht ist und weniger für den Live-Einsatz. Also habe ich sie erstmal erweitert, weil Jeff ja bekanntlich so feine, schöne Finger hat und er sich immer noch nicht ganz wohl damit fühlt, mit den alten Parametern der 909 zu arbeiten – die ist zu klein. Also haben wir sie erweitert.
Also stammt das Arrangement der Tasten und Regler vom Original?
Ja, genau.
Ich kann mir aber vorstellen, dass Jeff Mills nach Jahrzehnten mit dem originalen 909-Layout ein ziemlich gefestigtes Muskelgedächtnis hatte.
Ja, definitiv. Er kann die 909 wahrscheinlich intuitiv spielen, ohne hinzuschauen. Aber ich glaube, er wollte etwas haben, was ihm mehr bringt. Also haben wir die Regler und Tasten vergrößert. Außerdem haben wir ein paar Funktionen limitiert, weil man manche für Live-Performances nicht braucht. Und dann haben wir das Layout enorm verändert; eigentlich funktioniert die 909 ja linear, oder? Die hat einfach diese eine Linie fürs Programmieren aller 16 Steps. Wir haben aber versucht, eher für eine Kreisbewegung als eine gerade Linie zu entwickeln, denn jedes mal, wenn man hierhin zurückkommt [Yuri zeigt auf den Startpunkt der 16 Step-Sequencer auf der Original-909], schafft das eine Unterbrechung. Wir wollten, dass sie durchläuft. Und deshalb hat das Interface nun diese Kreisform, an der Stelle haben wir sie umgebaut.
Ein schwieriger Teil der Arbeit war, Dinge wie die Tasten auszuwählen: sie sollten funktional sein, aber auch schön. Anfangs hatte ich Metall ausgesucht, mit dem sie nach Industrie-Bedienelementen aussahen, aber Jeff meinte, dass das für Live-Auftritte nicht wirklich sinnvoll ist, weil er dann wie verrückt draufhämmert. Also haben wir am Ende einfach sowas wie Spielautomaten-Tasten genommen, bloß dass sie besser aussehen als diese Spielhallen-Ästhetik. Wir haben uns gegen die kitschigen gelben und roten Tasten entschieden und sowas wie ein subtiles Blau gefunden, das wir gut fanden. Es ist spannend, dass wir auch im Kopf behalten mussten, dass das Ganze einerseits auf einem von ihm entwickelten Narrativ aufbaute, andererseits aber auch funktional sein musste – es gab schon viel Hin und Her in diesem langen Prozess des gemeinsamen Entwickelns.
Ich kann mir vorstellen, dass das Electronium-Projekt ziemlich anders abgelaufen ist, da Raymond Scott, der das Instrument erfunden und gestaltet hat, nie wirklich aufgehört hat daran zu bauen. Das Instrument war als Analog-Synthesizer und algorithmische Kompositions-Maschine gedacht, Scott hat seit den 1950er-Jahren bis in die 70er-Jahre kontinuierlich daran gebaut. Was war bei diesem Projekt das Ziel?
Beim Raymond-Scott-Projekt wollte ich versuchen, etwas Echtes herzustellen. Also tatsächlich das zu tun, was er sich vorgenommen hatte, das war anfangs meine Intention. Das Problem dabei waren aber die Kosten, weil ich das Projekt persönlich finanziert habe, und wenn all diese Leiterplatten hätten funktionieren sollen, hätte das enorm viel Geld gekostet, und auch Zeit. Also war die schnelle Lösung, erstmal mit einer Computer-Simulation anzufangen. Gleichzeitig wollte ich aber den physischen Aspekt nicht verlieren. Also haben wir einen Touch-Panel-Screen gebaut, um alles genau kontrollieren zu können, so wie er das eigentlich mal wollte. Genau diese Art der Orientierung an Praktikabilität war es also, die dann zu einem tatsächlichen Upgrade führte.
Wem gehört das Electronium gerade?
Mark Mothersbaugh von DEVO. Ich war in seiner Lagerhalle in Los Angeles, wo er mir die komplette Struktur und alle Details gezeigt hat. Außerdem noch sowas wie geheime Dokumente von Raymond Scott: Dokumentationen darüber, wie er die Leiterplatten und sowas aufgebaut hat. Ich habe mich durch all diese Dinge durchgewühlt. Anfangs ging’s mir dabei erstmal darum, zu sehen, wie das alles funktioniert, dann wurde uns aber so langsam klar, dass alles ein bisschen einfacher war als gedacht, und dass manche Teile logische Fehler hatten. Es war spannend, ins Innere des Denkens von Raymond Scott vorzudringen. Bei uns lief das wesentlich über das Lesen, und auch durch die Artefakte, die er in den Dokumenten hinterlassen hat. Und ein Dokument war besonders hilfreich, weil das Electronium durch Motown Records [gegründet 1959 in Detroit] in Auftrag gegeben wurde.
Ja, das ist eine spannende Parallele zwischen dem Jeff-Mills-Projekt und dem Electronium!
Absolut! Berry Gordy [der Gründer Motowns] ist ebenfalls ein wichtiger Pionier, und er hat viel Hoffnung darauf gesetzt, dass Raymond Scott sowas wie eine brandneue Technologie zum Musikmachen entwickelt. Raymond Scott hat da wohl auch sein Bestes gegeben, aber es war ihm einfach nicht möglich, alles zu Ende zu bringen. Zu dieser Zeit, in den 70er-Jahren, haben die Technologie und das elektronische Equipment einfach noch nicht ausgereicht, um alles selber zu machen. Und wenn man mal in das Electronium reinschaut, dann findet man da das reinste Chaos, es ist wirklich irre. Ich bin auf handgelötete RAMs gestoßen, im Grunde Read-Only-Memory, die er sich zusammenlöten wollte. Das ist völlig wahnsinnig!
Er hat dann tatsächlich ein Dokument hinterlassen, weil Berry Gordy ihn auch nie irgendwie gezwungen oder unter Druck gesetzt hat und einfach großzügig Millionen und Abermillionen Dollars für dieses Projekt zur Verfügung gestellt hat. Am Ende bat Gerry Gordy ihn darum, ihm zu erklären, wie das alles funktioniert – also hat Raymond Scott eben ein Dokument erstellt, das erklärt, wie das Electronium funktioniert. Das war also dann [unser] Ausgangspunkt, und er hatte auch riesige Zukunftsvisionen über das, was er da versucht hat auf die Beine zu stellen. Wir haben dann also im Grunde erstmal die Benutzungsoberfläche analysiert und mit den relevanten Personen geredet, die mit ihm gearbeitet haben, und uns dann Schritt für Schritt die Funktionen erschlossen. Ich habe nicht wirklich neue Funktionen entwickelt, sondern bin erstmal von der Lektüre und dem Verstehen des Electroniums ausgegangen. Dementsprechend entspricht es jetzt vielleicht nicht ganz dem Original, aber bisher denke ich, ich hab’s geschafft, mir das Projekt zu erschließen.
Und wo ist es nun?
Zur Zeit gibt es nur eine Software-Simulation, und wir haben eine Installation mit dem Namen „More than Human” entwickelt, die im Barbican in London ausgestellt wird. So präsentieren wir es, und nun reist es um die Welt. Im Moment gibt es nur eins davon. Ich möchte aber wirklich gerne eine Online- oder Software-Version davon bauen, die jede:r spielen kann, das wäre wirklich hilfreich!
Text: Marc Young / Shure
Interview: APE / Ableton
Bilder: Yuri Suzuki
In seinem Beitrag zu Shure24.com hat Yuri Suzuki einige gegenwärtige Inspirationen aus den Bereichen Sound, Musik und Design zusammengestellt. Mehr zu den Themen Audio und Musikproduktion finden Sie im LOUDER magazine, einem Projekt von Shure.
Mehr Infos zu Yuri Suzuki gibt es auf seiner Website, Instagram & Twitter