Water from Your Eyes: Mikrotonaler Indie-Pop
„Das Leben ist gerade fürchterlich dunkel. Und trotzdem nicht ganz unlustig.” Die Fusion aus Fatalismus und Humor ist bestimmend für den Ethos der Offbeat-Indie-Popband Water from Your Eyes. Das aus Rachel Brown und Nate Amos bestehende Duo begann seine Kollaboration 2016 aufbauend auf einer geteilten Leidenschaft für die melancholisch-frohen Klänge von Scott Walker und New Order. Das aus experimentellen Impulsen entstandene Debütalbum Long Days, No Dreams von 2017 kombiniert disharmonische, pulsierende Rhythmen mit absurden, ins Komische driftenden Texten, die sich den Ungerechtigkeiten des Kapitalismus und ganz persönlichen Themen widmen.
Im Versuch einer Entzerrung des kreativen Prozesses arbeitet Amos heute immer öfter mit Ableton, das ihm erlaubt, den Überblick über seinen eigenwilligen Produktionsansatz zu behalten. Everyone's Crushed, das fünfte Album von Water from Your Eyes, ist noch profunder als seine Vorgänger und vertieft weiter die Kluft, aus der sich die einzigartigen Klangchemie der Band speist. Amos verfeinert darin frühere mikrotonale und serielle Kompositionstechniken. An der Schaffung des geometrischen Kollisionskurses eigentümlicher Klänge, der die Band von ihren Indie-Pop-Kolleg:innen unterscheidet, sind auch Abletons Stretch- und Sampling-Tools beteiligt.
Euer letztes Album Everyone’s Crushed geht nach euren Aussagen der “Albernheit im Fatalismus”nach. Über was seid ihr fatalistisch, und ist Satire für Water from Your Eyes ein Coping-Mechanismus?
Es geht weniger um Satire als darum, Humor in Situationen zu finden, die an sich erstmal humorlos sind. Ein großer Teil des Albums entstand während einer Zeit, zu der ich mit gesundheitlichen Problemen kämpfte und nicht wirklich das Gefühl hatte, besonders viel zu lachen zu haben – dementsprechend sind Musik und Texte emotional sehr ehrlich. Der Prozess hat so funktioniert, dass die Musik als erstes entstand und Rachel dann auf eine einzelne Textzeile reagierte, die quasi als eine Art Stichwort oder Ausgangspunkt fungierte. Früher waren die Lyrics immer ein Gemeinschaftswerk, bei dem ich gar nicht so sehr involviert war, sondern Rachel Stichworte gab. Sie hatte eher die Rolle der Autorin, während ich eher eine Art Redakteur war. Bei Everyone’s Crushed hat Rachel den lyrischen Ton viel stärker vorgegeben, was so weit ging, dass die meisten meiner Stichworte für die jeweiligen Songs gar nicht mehr so bestimmend waren.
Der Track 14 ist ein gutes Beispiel für die Dichotomien in eurem Sound. Erst klingt er wie ein Liebeslied, aber dieses Gefühl dreht die Musik um. Man könnte ihn ‘schön hässlich’ nennen.
Schön hässlich fand ich den Song auch, weil er eben erstmal sehr hübsch daherkommt. Der Großteil der Musik wurde unter Einsatz einer Reihe an Zufallsgeneratoren für Zahlen komponiert, deshalb haben die darin verborgenen, verdrehten Elemente an der Oberfläche eine gewisse Schönheit. Das überlässt die Stimmung der Interpretation der Hörenden, die ihn vielleicht auch ein bisschen gruselig finden. Jede Zeile in 14 lässt Raum für verschiedene Interpretationen, und wie er aufgenommen wird, hängt sehr davon ab, wo die hörende Person im Moment des Hörens mit ihren eigenen Erfahrungen steht.
Man hört das ja heute nicht mehr immer unbedingt: Kamen auf dem Track echte Streichinstrumente zum Einsatz?
Ich finde, mittlerweile klingen viele computergenerierte Sample-Packs technisch gesehen wirklich gut – was ihnen aber fehlt, sind die unperfekten Elemente, die Live-Streichinstrumente so interessant machen. 14 ist deshalb eine Kombination aus drei verschiedenen gesampelten Elementen – eine riesige, chaotische Zip-Datei voller öffentlich zugänglicher Samples von Kompositionen, die sehr hastig von echten Orchestern aufgenommen wurden, von einer alten, billigen Lowry-Orgel und von einem bisschen Gitarrenfeedback. Ich nehme nicht direkt in einen Sampler auf. Ich baue lieber Sound-Libraries, Kombinationen aus Lo-Fi-Handyaufnahmen und Hi-Fidelity-Sachen.
Die Vocals auf 14 wurden sehr zurückhaltend bearbeitet, wodurch eine rohe Ehrlichkeit entsteht, die auch dem Rest des Albums entspricht…
Das ist der eine große Unterschied zwischen diesem Album und dem Rest unseres Katalogs. Früher haben wir viel Vocal-Layering gemacht, um alles smoother zu gestalten – das galt auch für die instrumentalen Parts, wo wir noch viele Doppel- und Dreifachspuren hatten und die Produktion einfach viel glatter war. Dieses Album ist mit Absicht sehr zerklüftet und roh. Und sobald die Tracks standen, war es für uns total natürlich, die Vocalbearbeitung ebenfalls in diesem Sinne anzugehen, mit relativ unbearbeiteten, geradlinigen Aufnahmen. Von True Life abgesehen basiert fast das ganze Album auf einzelnen Vocalspuren.
Wie wichtig ist die Philosophie der seriellen Musik für euren musikalischen Prozess, und war das etwas, womit ihr euch eher akademisch oder durch Beobachtung anderer beschäftigt habt?
Mein Interesse an serieller Musik und Mikrotonalität wurde mir augenfällig, als ich mich im Übergang vom letzten Album von Water From Your Eyes befand, Structure. Das war nichts, womit ich mich jemals in einem akademischen Umfeld beschäftigt habe, ich habe aber viel geforscht und habe mir selbst beigebracht, wie man mit Ton-Matrizen arbeitet. Dadurch habe ich zumindest genug gelernt, um meine eigenen seriellen Methoden zu entwickeln und sie auf eine Art einzusetzen, die kreativ inspirierend war.
Ist serielle Musik für dich ein Weg, kreative Blockaden zu überwinden?
Es geht mehr darum, den Schreibprozess in den Hintergrund zu drängen, um ihn eher in etwas Unterbewusstes zu verwandeln als in bewusstes Handeln. Am Anfang von Structure stand die Idee, nicht-kreative Arten des Generierens von Musik zu entdecken. Wenn man Chaos erzeugt und da dann eher in der Rolle eines Redakteurs als eines Musikers versucht, Ordnung reinzubringen, hat man am Ende diese ganzen Einzelbausteine, die man sonst niemals entdeckt hätte. Für Everyone’s Crushed wurden die Samples in Abletons Sampler erstellt, oft getrennt und dann auf zwei Spuren gesplittet, um einen Viertelton-Prozess zu bekommen.
Hat dieser Prozess auch ein mathematisches Element, hinsichtlich darauf, dass man sich der seriellen Musik normalerweise über eine chromatische 12-Ton-Leiter nähert?
Kommt drauf an, was du mit „mathematisch” meinst. Das Konzept der chromatischen seriellen Musik, wie ich es verstehe, ist, dass man 12 Noten in einer Reihenfolge hat, in der keine davon wiederholt werden kann, bevor alle Noten gespielt wurden. Wenn wir hier über darüber sprechen, dass in Bezug auf diese Reihenfolge ein Ungleichgewicht in den Pattern besteht, dann nein, ich erstelle in der Regel einfach nur eine große Menge an randomisierten Pattern und warte, dass eines davon spannend klingt. Wenn ich an einer seriellen Komposition arbeite, wird die Serie selbst meistens auf random.org erzeugt, und dieser Teil ist immer zufallsbestimmt. Was nicht dem Zufall obliegt, ist die gewählte Tonart.
Kannst du ein Beispiel für einen seriellen Ansatz auf speziellen Tracks des Albums geben?
Der Track 14 basiert komplett auf einer zufällig generierten Serie von Noten, aber statt auf eine chromatische Tonart habe ich sie auf eine Dur-Tonart angewendet, bevor ich diese ganzen weirden und verstimmten mikrotonalen Skalen im Hintergrund erzeugt habe. Im Fall des Tracks Barley sind die Notenserien, auf denen die meisten Sounds aufbauen, eine komplett atonale Serie aus 24 Noten, die auf eine Viertelton-Tonleiter im Umfang einer Oktave angewendet wurden. Auch hier ist die Serie selbst wieder zufallsbasiert – die Entscheidung, wie man damit weitermacht, ist jedoch eine instinktive Reaktion auf das Gefühl, das die Musik auslösen soll. Das ist aber keine serielle Musik – der ganze Punkt bei der seriellen Musik ist ja, Struktur in Kompositionen ohne Tonart zu bringen. Ich breche hier also die Regeln, auch wenn es sich hierbei immer noch um einen Prozess für das Generieren von Inhalten handelt.
Du hast den Track Barley als gutes Beispiel dafür genannt, wie du deine eigenen mikrotonalen Skalen erstellt hast. Sind diese mit den zufallsbasierten Noten verbunden, die du schon erzeugt hast?
Das war etwas, was ich lieber unabhängig voneinander machen wollte. Ich habe mir viel mikrotonale Musik angehört, aber es gibt keine einfache Art, solche Sachen zu programmieren – man muss sie hacken. In neuerer Software gibt es vielleicht Mittel und Wege dafür, aber in Sachen Viertelton-Programmierung habe ich noch keinen Weg gefunden, eine Oktave an MIDI-Noten aus 24 statt 12 Noten zu erzeugen. Stattdessen habe ich verschiedene Spuren erstellt, eine um einen Vierteltonschritt verstimmt und zwischen den beiden übersetzt. Dafür habe ich viel auf Papier herumgekritzelt, um Möglichkeiten zu finden, wie ich die programmieren kann. Das war auf jeden Fall etwas, was gut durchdacht und konzeptualisiert werden musste.
Auf welche Art Sound hast du diesen Prozess angewandt?
Barley enthält dieselbe Notenreihe in verschiedenen Geschwindigkeiten, die jeweils mit einer Kombination aus beschleunigten Geigensamples, selbst aufgenommenen Gitarrentönen, Harfenzupfern und Handyaufnahmen einzelner Klaviertöne programmiert wurden. Hauptsächlich programmiere und sample ich also, vor allem weil ich nicht in der Lage bin, Vierteltöne natürlich auf einer mikrotonalen Gitarre zu spielen.
Viele Noten werden offenbar auch verstimmt…
Das Konzept der Pitch-Manipulation ist irgendwie sowas wie eine auditive optische Täuschung. Ich habe so einen kleinen Trick, wo eine Serie von Noten als etwas Zufallsbasiertes beginnt, was ich so modifiziert habe, dass es klingt, als würde die Tonhöhe des Sounds ständig abfallen. Die Tonhöhe ändert sich nicht wirklich von Wiederholung zu Wiederholung, es hört sich nur so an. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich viel Zeit damit verbracht, rumzuhängen und mein Zimmer aufzuräumen, während im Hintergrund ein Sheppard-Ton lief [Klang, der aus einer Gegenüberstellung von Sinuswellen besteht, geteilt durch Oktaven, Anm.].
Du meintest, dass deine Art des Musikmachens auch von einem visuellen Prozess bestimmt wird. Nutzt du visuelle Tools, um für mehr tonale Präzision zu sorgen?
Zum Thema des visuellen Aspekts von Sounddesign muss ich sagen, ich schaue nicht so oft auf Analysetools oder visuelle Darstellungen von Tonleitern. Ich versuche vielmehr, die emotionale Wirkung von Visuellem in den Audiobereich zu kommunizieren oder zu übersetzen und schaue mir dafür eher Maler:innen als Musiker:innen an. Wenn man Inspiration aus einem anderen Medium zieht, zwingt einen das zu einem bestimmten Grad an Übersetzung ins Unbewusste, die bei jedem einzelnen ganz unterschiedlich aussieht. Wenn zum Beispiel zwei Menschen sagen, dass sie etwas machen wollen, was von einem bestimmten Flaming-Lips-Song inspiriert wurde, haben sie am Ende vermutlich beide etwas, das irgendwie so ähnlich klingt. Wenn aber beide sagen, okay, wir setzen uns hin und machen einen Song, der von einem Gemälde inspiriert ist, dann haben beide am Ende wahrscheinlich sehr unterschiedliche Interpretationen und Kreationen.
Water from Your Eyes ging nie konform mit traditionellen Strukturen aus dem Pop oder Rock. Wolltest du immer ein Statement setzen, wie Musik deiner Meinung nach gemacht werden sollte?
Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem bewussten Versuch, etwas anders zu machen und dem Zelebrieren des Anderen, das einfach passiert. Ein großer Teil der Musik, die ich ganz am Anfang gemacht habe, entsprang dem Versuch, konventionell zu sein, mittlerweile ist sie aber das Ergebnis einer natürlicheren Entwicklung. Am Ende sollten wir uns einfach über alles freuen, was passiert, egal ob es konventionell klingt oder, in Ermangelung eines besseren Ausdrucks, “anders”.
Mehr zu Water from Your Eyes gibt es auf Bandcamp und ihrer Webseite
Text und Interview: Danny Turner
Übersetzung: Julia Pustet
Band photo: Eleanor Petry