Tuamie: Zeit zum Musikmachen
Lange bevor er beim Label Street Corner Music zwei instrumentale Releases herausbrachte, ein Live Set im Boiler Room performte, die gefeierte Emergency Raps Series in ihrer Gänze produzierte und mit Freddie Gibbs einen offiziellen Remix für Fly Anakin und Koncept Jackson ablieferte, machte der Produzent und Mutant-Academy-Mitglied Tuamie seine ersten Schritte in der Musikproduktion.
Alles begann 2007, als ein 13jähriger Tuamie vor seinem Computer in Fredericksburg, Virginia, saß und YouTube-Videos ansah. Ohne bestimmte Absichten oder Suchschwerpunkt stolperte er über ein Video des Grammy-Gewinners und Besitzers von Jamla Records, 9th Wonder, beim Beatmaking mit FL Studio. Zu sehen, wie jemand so effektiv und mühelos professionelle Beats auf einem Computer produzieren konnte, entmysifizierte plötzlich den Produktionsprozess für Tuamie, ließ das Ganze machbar erscheinen und inspirierte ihn, seine eigenen Mittel zum Musikmachen zu finden. Kurz darauf besorgte er sich eine eigene Version von FL Studio und verbrachte seine High-School-Jahre damit, sich das Handwerk anzueignen.
Wie viele angehende Beatmaker verbrachte Tuamie unzählige Stunden damit, berühmten Rap-Produzenten nachzueifern. Indem er die gesammelten Werke von Legenden wie DJ Premier und Pete Rock durchforstete, deckte er ihre Sample-Quellen auf und versuchte, den Zauber, den er durch die Lautsprecher hörte, nachzuahmen. “Ich habe einfach geübt,” sagt er. “Ich habe gelernt, indem ich Pete Rocks Beats nachgebaut und gesehen habe, wie er den Beat gemacht hat, und habe versucht, meinem eigenen Sound zu finden. Es hat ewig gedauert.”
Die Musik seiner kreativen Helden neu zu interpretieren mag eine zeitintensive Geduldsprobe gewesen sein, doch es stellte sich als entscheidender Prozess für Tuamie auf der Suche nach seinem eigenen charakteristischen Sound heraus. Er verinnerlichte Übungen zu Arrangement, Sample Chopping und Drum Patterns, die er dann bei jedem folgenden Remake anwenden konnte.
Als Tuamie schließlich seinen eigenen einzigartigen Stil als Produzent entwickelt hatte, legte er sich selbst ein striktes autodidaktisches Lernprogramm auf. Er wollte auch nach dem Unterricht noch alles über seine neue Leidenschaft lernen und erfahren, also verschlang er jedes Produzenten-Interview, das er online finden konnte, schaute sich eine Menge Musikdokumetationen und Videos zum Beat Making an und las Bücher über das Musikbusiness.
Tuamies Fokus und Engagement, sein Können zu erweitern, mag manchem als extrem hohe Messlatte erscheinen, aber er möchte Produzenten eine realistische Vorstellung davon vermitteln, was man braucht, um in einem überfüllten und hart umkämpften Business zu überleben. “Es erfordert eine Menge Übung. Beats machen bei der Arbeit, im Auto, Beats machen – eigentlich geht es darum, dass du dein Leben darauf auslegst, zu lernen, das zu tun was du tun willst,” sagt er.
Über das niemals endende Lernen und Üben hinaus hat auch ein gewisser Einfallsreichtum Tuamie dazu verholfen, über die Jahre seinen erwünschten Sound zu kreieren. Als er sein Debutalbum Water Loops von 2011 nach dem kultigen E-mu SP-1200 klingen lassen wollte, kaufte er einen günstigen Casio SK-1 Keyboard Sampler. Nachdem er in seinem Abschlussjahr auf der High School herausgefunden hatte, wie man das Keyboard zusammen mit seinem Computer benutzen konnte, ließ er jeden Song auf dem Album durch den Sampler laufen, um den einzelnen Tracks ein spezielles Timbre zu verleihen. Die grobkörnige Textur, die er so erzeugte, sorgten für einen unnachahmlichen Sound auf Songs wie “High Eyes”, der mit nichts in der Beatszene zu der Zeit vergleichbar war.
Dann, inmitten persönlicher Umbrüche und einem vorübergehenden Wohnortwechsel von North Carolina nach Virginia im späten 2016, produzierte Tuamie eine der emotionalsten Platten seiner Karriere und benutzte dafür ein recht unkonventionelles Aufnahme-Setup. Angesichts ungewisser Lebensumstände auf der Suche nach einem ruhigen Ort, um sich auf seine Kreativität zu konzentrieren, fand er Unterschlupf in einem Lebensmittelgeschäft, wo er an seinem zweiten Album für Street Corner Music arbeitete. “Es war ein Laden mit zwei Etagen, er hatte oben ein Café, und er war 24 Stunden geöffnet,” sagt er. “Dort habe ich Holy Ghost Spiritualsfertiggestellt und es abgeschickt.” Das Lebensmittelgeschäft diente als praktisches improvisiertes Studio, in dem Tuamie Nacht für Nacht mit seinem Laptop in Ableton Live arbeitete. Da er möglichst ungestört arbeiten wollte, kam er oft spät abends, wenn wenig Betrieb war und verlor sich im künstlerischen Prozess.
Obwohl Holy Ghost Spirituals zunächst als Bandcamp-Release mit acht Songs mit Beats aus Gospelsamples gedacht war, überzeugte der Street-Corner-Gründer, House Shoes, Tuamie, die EP zu einem ganzen Album auszuarbeiten, mit noch mehr Instrumentals aus religiöser Musik. Trotz der Unsicherheiten in seinem Privatleben und der Rückschläge in seiner Karriere, die er zu der Zeit zu bewältigen hatte, zahlte sich Tuamies Einsatz im kreativen Prozess aus: Die ursprüngliche EP hatte ihren Umfang bis Ende 2016 mehr als verdoppelt, nachdem er 20 Beats für die finale Version fertiggestellt hatte, welche seitdem eines der meist gelobten Alben aus seinem umfangreichen Werk geworden ist.
Wenn er darüber nachdenkt, warum er sich damals dazu entschlossen hatte, ein Album mit 20 Songs zu produzieren, das Songtitel wie “The Pain Is Still Here” und “Tears” enthält und ausschließlich mit Samples aus Gospelmusik arbeitet, glaubt Tuamie, dass die ursprünglichen Sample-Quellen von Holy Ghost Spirituals seine psychische Verfassung zu der Zeit widerspiegeln – ein roter Faden, der sich durch sein ganzes Werk zieht. “Ich weiß nicht, was es war, ich nehme an, es waren Depressionen,” sagt er. “Ich wollte sehen, ob ich von Bandcamp leben kann, habe es versucht, es hat nicht funktioniert. Ich war nicht da, wo ich sein wollte. All so etwas. Aber es war genug, um das, was ich gemacht habe, mit dieser Intensität zu tun.”
n einer ruhelosen Welt nehmen Hörer sich nicht immer die Zeit, anzuerkennen, wieviel Schweiß, Blut und Tränen eines Künstlers in seine Musik fließen. Und so, auch wenn die Produktion von Holy Ghost Spirituals ein läuternder und therapeutischer Prozess war, machte die Veröffentlichung seiner Musik Tuamie auch etwas verletzlich. Dass einige ihm nahe stehende Menschen den Sinn seiner Musik einfach nicht erfassen konnten, kränkte ihn. “Es entsteht nur eine Verbindung zu Menschen, die man nicht kennt,” sagt Tuamie. “Ich weiß auch nicht, wie das funktioniert. Dein Nachbar, der dich seit fünf Jahren kennt, könnte sich kaum weniger für deinen Beat interessieren.”
Und selbst wenn Fremde eine Bedeutung in seiner Musik finden, ist ihnen vielleicht nicht bewusst, welche sehr realen und schwierigen Umstände Tuamie bewältigen musste, um seinen Hörern Holy Ghost Spirituals zu präsentieren. Auch wenn das frustrierend sein kann, wirft er es den Hörern nicht vor, das persönliche Leid zu ignorieren, das Künstler ihren Fans häufig vorenthalten, um sie glücklich zu machen. “Ich nehme an, sie müssen nicht unbedingt wissen, was bei uns los ist,” sagt er. “Sie sollen die Musik einfach genießen, und ich hoffe, das hilft ih
In den beiden Jahren seit der Veröffentlichung von Holy Ghost Spirituals hat Tuamie viel Zeit damit verbracht, seinen Prozess zu Sampleauswahl und Chopping zu verfeinern und seine bearbeiteten Sounds in Ableton zu Songs zu verarbeiten. Er ist auch stolz darauf, dass es ihm oft gelingt, seine Samples unkenntlich zu machen. “Ich gehe gerade durch eine Eliminierungsphase. Ich spiele immer wieder mit einem Song und nehme die vier oder fünf Elemente, die ich haben will,” sagt er. “Dann bringe ich es bis zu dem Punkt, wo ich es dir vorspielen kann, ohne dass du erkennst, was es ist.”
Im Bemühen, seinen Workflow zu erklären, vergleicht Tuamie das Chopping und das Umgruppieren von Samples über seine Laptop-Tastatur mit einem anderen Musikinstrument. “Ich bearbeite es, bis ich einzelne Teile so benutzen kann wie eine Taste auf dem Klavier,” sagt er. “Ich habe die völlige Kontrolle darüber, was ich haben will. Es ist so ähnlich. Nicht genau dasselbe, aber sehr ähnlich.”
Trotz der vielen Arbeit, die Tuamie in den Feinschliff seiner Prozesse gesteckt hatte, geriet seine Arbeit 2018 ins Stocken. Wie viele musikalische Autodidakten, fühlte er, dass seinen Produktionen ein undefinierbares Element fehlte. Es frustrierte ihn, dass es ihm einfach nicht gelang, den Wiedererkennungswert in seinem Sound zu Stande zu bringen, den er in Songs hörte, die häufig im Radio gespielt werden. “Irgendetwas hatte ich übersehen,” sagte er. “Ich lernte Musiktheorie und dachte, ‘da ist etwas, das ich nicht verstehe’.”
Unbeirrt ging er zurück zum Anfangspunkt seiner Reise als Produzent und arbeitete sich durch YouTube-Tutorials. Nachdem er ein Tutorial über harmonisches Mixing wieder und wieder angeschaut hatte, fand er heraus, wie er die unterschiedlichen Elemente in einem seiner neuen Instrumentals besser ausbalancieren konnte. Mit Hilfe dieses neuen Wissens aus dem Tutorial konnte er den Song “Old 50 Cent” von seinem kürzlich erschienenen Album Emergency Raps Vol. 4ausarbeiten, einer Kollaboration mit dem Rapper Fly Anakin aus Richmond, Virginia. Pitchfork pries das Album für seine satten, samplelastigen Loops, “Tuamies mitreißende Drum-Kicks und seinen geschmeidigen Soul.”
Obwohl sich das Video an DJs richtet, empfiehlt Tuamie Produzenten, die Zeit zu investieren und mehr über harmonisches Mixing zu lernen, denn vieles lässt sich auf das Beatmaking übertragen. Es kann Beatmakern helfen, zu verstehen, wie sie ihre eigenen Sounds und ihre Musik in die Samples einfließen lassen können, ein Prozess, mit dem sich Tuamie gerade beschäftigt.
Heute, da Tuamie auf 12 Jahre kontinuierliches Musikmachen blickt – üben, lernen, arbeiten – hat er einen neuen Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens erreicht. “Ich bin gerade dieses Jahr an einem Punkt angekommen, wo ich sagen kann, ‘ich kann genau die Musik produzieren, die ich in meinem Kopf habe’, sagt er.
Trotz der Genugtuung, die damit einhergeht, ruht sich Tuamie nicht auf seinen Lorbeeren aus. Stattdessen freut er sich darauf, die Art Songs aufzunehmen, von der er im Alter von 13 Jahren geträumt hat. “Jetzt, wo ich da angekommen bin, wo ich sein will, kann ich die Musik machen, die ich schon immer machen wollte.”
Bonus Track
Tuamie war so großzügig, uns zwei Samples aus seiner Sample Pack 01 Collection kostenlos zur Verfügung zu stellen. Statt nur die Samples online zu stellen, hat er sie am Anfang und Ende des Beats offen gelassen, so dass jede/r ihnen seinen/ihren eigenen Dreh geben kann.