Zusammen allein: Online-Jamsessions mit Speedy J
Im Zeitalter der Hyperkonnektivität haben sich bestimmt schon viele gefragt, ob es technisch möglich wäre, mit befreundeten Musiker:innen an weit entfernten Orten in Echtzeit zu jammen. Die Lockdowns der COVID-Pandemie machten diese Idee noch attraktiver, weil der Aktionsradius auf das eigene Zuhause und den virtuellen Bereich beschränkt war: Keine Chance, sich persönlich zu treffen. In dem Vakuum, das die geschlossenen Clubs verursacht hatten, nutzte die Dance-Community vermehrt das Live-Streaming. Und so waren unsere Social-Media-Timelines schon bald voller DJs, die ihre Musik aus leeren Räumen sendeten.
„Es fühlte sich so an, als ob diese Streams die traurige Situation noch betont hätten“, sagt der niederländische Techno-Pionier Jochem Paap alias Speedy J. „Ein:e Solokünstler:in in einem Club, der normalerweise voller Leute ist, und dann sind sie da völlig allein, ohne Publikum, und versuchen angestrengt, etwas auf die Beine zu stellen – ohne jegliches Feedback oder Zusammengehörigkeitsgefühl.“
Dieser Zustand motivierte Paap dazu, etwas Neues auszuprobieren. „Ich dachte, dass es bestimmt interessanter wäre, bei einer Studiosession Mäuschen zu spielen, als diesen traurigen DJ-Auftritten in leeren Clubs beizuwohnen.“
Das Stay Home Soundsystem war zuerst ein Hybrid aus DJ-Set und improvisierter Hardware-Performance – gesendet aus Paaps Rotterdamer Musikstudio STOOR. Paaps umfangreiche Hardware-Sammlung trug viel dazu bei, dass inspirierende Kollaborationen zwischen ihm und seinen musikalischen Gästen zustandekamen, und es gab sogar eine Pressmaschine, mit der die Studio-Sessions in limitierter Auflage auf Vinyl gebracht werden konnten. Sobald die niederländischen Lockdown-Beschränkungen den Aufenthalt einiger weniger Personen im selben Raum erlaubten, konnte Paap ausgewählte Freund:innen zu live gestreamten Jamsessions mit eigenem Equipment einladen. Colin Benders, Conforce und Jeroen Search kamen dieser Einladung gerne nach, aber wegen der damaligen Reisebeschränkungen war die Anzahl der möglichen Teilnehmer:innen nicht besonders groß.
„Die'First Season', wie wir das Ganze schließlich nannten, basierte auf Leuten, die nach Rotterdam in mein Studio kamen”, erzählt Paap, „im Grunde waren wir aber auf die Niederlande und Belgien beschränkt. Der Pool an Leuten, die live improvisieren wollten und konnten, ging allmählich zur Neige und wir wollten einfach weitermachen, weil das Projekt inzwischen Fahrt aufgenommen hatte.“
Server-Einrichtung
Das Stay Home Soundsystem über das Internet weiterzuführen war „eher eine Schnapsidee“, nichtsdestotrotz machte sich Paap auf die Suche nach einer praktikablen Lösung. Eine beliebte Wahl für die Online-Zusammenarbeit in Live ist ein gemeinsam genutzter Cloud-Speicher, auf den zwei oder mehr Personen zugreifen können, um Sounds hinzuzufügen. Allerdings kann dieses System kein unmittelbares Feedback und die Reaktionen eines Live-Jams bieten – geschweige denn ein gutes Livestream-Erlebnis. Nachdem sich Paap andere Start-up-Projekte angeschaut hatte, entschied er sich schließlich für Ninjam als die praktikabelste Option.
Ninjam ist eine Open-Source-Software, die von der New Yorker Firma Cockos Inc. entwickelt wurde und musikalische Zusammenarbeit über das Internet in Echtzeit ermöglicht. Wer schon mal eine Videokonferenz-Anwendung genutzt hat, nimmt die Störungen und Verzögerungen als gegeben hin. Wenn allerdings zwei oder mehr Personen versuchen, mit ihren Instrumenten synchron zu spielen, stehen sie schnell vor einem Problem. Ninjam sammelt die verschiedenen Audiosignale, die an einen seiner offenen Server gestreamt werden, und sendet die Gesamtsumme an die Teilnehmer zurück, sodass diese nahezu in Echtzeit hören und darauf reagieren können. Der Trick ist das „nahezu“, denn Ninjam löst das Problem, indem es die Latenz absichtlich um ein musikalisches Maß (z. B. vier Takte) verlängert, bevor das Audiosignal an die Teilnehmer:innen zurückgesendet wird. So entsteht ein Puffer, der etwaige Zeitverzögerungen auffängt und sicherstellt, dass alle Beteiligten ein kontinuierliches Audiosignal bekommen. Diese Technologie ist nicht neu, sondern wurde bereits 2005 entwickelt und kann kostenlos als Standalone-Client heruntergeladen werden. Da Ninjam Open Source ist, wurden dafür bereits spezielle Plug-ins wie JamTaba für die Integration mit Live und anderen DAWs entwickelt. Trotzdem galt es noch ein letztes Problem zu lösen, bevor das Stay Home Soundsystem wie geplant präsentiert werden konnte.
„Anfangs nutzte ich die offenen Ninjam-Server“, erzählt Paap. „Aber wenn ich einen freien Server gefunden hatte und wir zusammen loslegten, dauerte es meist nicht lange, bis irgendein Typ in Brasilien mit seiner Gitarre oder einem anderen Instrument in die Session einstieg. Anfangs fanden wir das ganz lustig, mussten aber trotzdem einen Weg finden, den Zugang auf uns zu beschränken, um gute Bedingungen für unsere Arbeit zu haben.“
Ab diesem Punkt ging es für das „Stay Home Soundsystem“ vor allem um technische Fragen: Paap musste der Ninjam-Software einen privaten Server zuweisen, um nicht durch motivierte, aber ungebetene Mitstreiter:innen gestört zu werden. Fachkundige Hilfe kam dann von Michiel Gardner von Streamnerd, einem erfahrenen Livestream-Experten. Er konnte dem Stay Home Soundsystem einen sicheren und stabilen Server bereitstellen. Laut Gardner gibt es auf der Cockos-Website eine gute Anleitung zur Einrichtung eines eigenen Servers, wenngleich gewisse Vorkenntnisse über die Konfiguration eines Servers notwendig sind.
„Die Jams über das The Stay Home Soundsystem wurden mit einem Server durchgeführt, den ich selbst mithilfe der Ninjam-Anleitung installiert habe, weil ich den Server rund um die Uhr laufen lassen wollte. Aber man kann einen Jam auch direkt von JamTaba hosten. Das ist am einfachsten. Man muss nur bestimmte Bandbreiten-Anforderungen erfüllen, insbesondere die ausgehende Bandbreite von etwa 768 Kbit/s für einen vierköpfigen Jam.“
Fehlerbehebungen
Nachdem die Verbindung hergestellt war, galt es noch einige andere Probleme zu lösen, bevor die neue Version des Stay Home Soundsystems mit der zweiten Staffel live gehen konnte. An der Fehlerbehebung war der niederländische Techno-Künstler Robin Kampschoer beteiligt – Paaps guter Freund und Technikexperte.
„Als wir uns erfolgreich über den privaten Server auf Ninjam miteinander verbunden hatten, schauten wir uns genau an, was ging und was nicht ging“, erklärt Kampschoer. „Ich stellte beispielsweise fest, dass mein WLAN nicht stabil genug war, also sagte ich zu Jochem: „Ich besorge mir ein Ethernet-Kabel – bin in 20 Minuten wieder da.“
Bei der Kommunikation über einen Videoanruf während der Testphase entdeckten Paap und Kampschoer noch eine weitere Besonderheit, die sich auf die Wiedergabe der audiovisuellen Live-Streams für das Online-Publikum auswirken würde.
„Wir hatten beide Hardware, die mit einer DAW verbunden war. Diese sendeten die Audiosignale an unseren Ninjam-Server, wo der Ton auf beiden Seiten um vier Takte verzögert wurde“, erinnert sich Paap. „Doch bei unserem Video-Call konnte ich zum Beispiel sehen, dass Robin irgendwann eine Bassline hinzufügte, die dann erst vier Takte später zu hören war. Wir fanden das zuerst sehr verwirrend, dachten aber schon nach 10 Minuten nicht mehr daran.“
„Für das Live-Stream-Video bedeutete das allerdings, dass eine der Personen im Bild immer vier Takte später zu sehen sein würde. Wir konnten zwar festlegen, ob es das STOOR-Studio oder der zugeschaltete Gast sein würde, mussten trotzdem aber dafür sorgen, dass die Verzögerung glaubwürdig aussieht – denn wenn sie komplett unsynchron zur Musik war, merkten das die Leute und kommentierten dementsprechend: 'Ich sehe, dass Rødhåd einen Filtersweep macht, den ich aber erst vier Takte später höre: Also ist das nicht live, sondern vorab aufgenommen.' Sie versuchten, das Ganze zu entlarven.“
„Viele Zuschauer:innen hielten es für Hokuspokus“, erinnert sich Anthony Child alias Surgeon, der mehrmals am Stay Home Soundsystem teilgenommen hat. „Sie dachten, das wäre so etwas wie eine gefakte Mondlandung.“
Wenn die User:innen sich über Ninjam verbinden, gibt es seitens der Software eine zentrale Uhr, die den gemeinsamen Zeitpuffer steuert und allen beteiligten DAWs den Takt für die Synchronisierung vorgibt. Beim Testen stellte Paap jedoch fest, dass der Impuls nicht zuverlässig genug war, um die für einen erstklassigen Live-Stream erforderliche Präzision zu gewährleisten. Wer sich schon mal mit der Synchonisierung hybrider Hardware- und Software-Setups beschäftigt hat, wird bestimmt darin zustimmen, dass dies ganz schön kompliziert sein kann.
„Ich habe mich dann für eine manuelle Synchronisierung entschieden“, sagt Paap, „mein [Elektron] Octatrack war die Master-Clock. Wir einigten uns auf eine BPM-Zahl, ich stellte die Uhr ein, lauschte der Videoübertragung und startete den Octatrack genau im Takt. Er bietet eine Nudge-Funktion, die ich nutzen kann, sobald er ein wenig zu driften beginnt. Bei manchen Jams kann man hören, wie es langsam in die Reibungszone geht, aber ich würde sagen, dass ich den Takt in 99 % der Fälle halten konnte. Es waren also die guten alten DJ-Skills gefragt.“
Dies ist übrigens auch mit Live als Master-Clock möglich – über die Phase-Nudge-Regler neben dem Tempo-Regler oben links auf dem Interface. Damit es bei dieser manuellen Synchronisierung keine Probleme gibt, sollte die zu Beginn der Session vereinbarte BPM-Zahl nicht verändert werden.
Die Phase der Fehlerbehebungen in Zusammenarbeit mit Kampschoer brachte ein Manual hervor, das alle Teilnehmer:innen des Stay Home Soundsystems von Paap bekamen. Darin erklärt er, dass er Cockos eigene DAW – Reaper – als direkten Host für das Audiosignal seines Hardware-Setup nutzt, da sie zusammen mit dem ReaNINJAM-Plug-in geliefert wird – und mit der Option, von Live aus via Rewire ein Audiosignal in die Software einzuspeisen. Andere Teilnehmer:innen nutzten lieber JamTaba, um direkt von Live eine Verbindung zum Server herzustellen. Eine weitere Empfehlung besteht darin, die Pegel für die Master- und Remote-Kanäle und den Monitor-Mix auf 0 dB einzustellen, damit das summierte Audiosignal bei allen den gleichen Pegel hat.
„Sowas war auch nur zu COVID-Zeiten möglich“, sagt Paap lachend. „Es war ganz schön viel verlangt, den kompletten Sonntag mit dem Einrichten, Testen und schließlich Jammen zu verbringen.“
Kick out the jams
Der Verbindungsaufbau zu Beginn einer Jamsession war für Paap jedes Mal ein magisches Erlebnis: „Mein:e Mitspieler:in meldete sich und sagte: 'Bin bereit', dann verbanden wir uns mit dem Ninjam-Server und ich konnte ihre Musik hören – von irgendwo auf der Welt über die Lautsprecher in mein Studio gesendet. Ich dachte jedesmal: „Wie verrückt. Ich habe eine Verbindung zu Stanislav [Tolkachev] in Kiew oder Deru in L.A. Dann habe ich versucht, synchron mit ihnen zusammenzuspielen, was wiederum bei ihnen ankam. Eigentlich unglaublich, dass das funktionieren kann.“
Meist lief parallel zur Session auch ein Video-Call, damit sich die beiden Teilnehmer:innen beim Performen sehen konnten. Anfangs diente das als Trostpflaster beim ungewohnten Jammen ohne verbale Kommunikation oder die visuellen Signale der Körpersprache. Doch sobald die Session erstmal lief, brach der Video-Call oft ab oder verstummte, ohne dass dies von einer der beiden Parteien bemerkt wurde.
„Beim ersten Mal kam mir das Ganze schon etwas komisch vor“, sagt Kampschoer, „einfach weil du in deinem eigenen Studio bist und mit jemand anderem jammst. Aber ich gewöhnte mich schnell daran und konzentrierte mich einfach darauf, was auf der anderen Seite passierte.“
„Zuerst erwartete ich, dass sich das Zusammenspiel trotz allem getrennt anfühlen würde“, sagt Child. „Aber obwohl alles um vier Takte verzögert war, gewöhnte ich mich schnell an diese Latenz. Ich war wirklich überrascht, wie sehr ich mich musikalisch mit der anderen Person verbunden fühlte. Das war auf emotionaler und spiritueller Ebene damals einfach so wichtig.“
Herangehensweisen
Die technischen Aspekte des Stay Home Soundsystem brachten Paap und seine Mitstreiter:innen dazu, sich auch über die musikalische Realisierung Gedanken zu machen. Wegen der mit Ninjam implementierten Zeitverzögerung von vier Takten waren drastische Wechsel im Jam-Arrangement von vornherein ausgeschlossen – und wären angesichts der begrenzten Kommunikationsmöglichkeiten ohnehin ein großes Wagnis gewesen. Stattdessen machte Paap in seinem Manual folgenden Vorschlag zum musikalischen Gesamtplan:
„Musikalisch funktioniert es wahrscheinlich am besten, wenn beide Seiten langsame Veränderungen vornehmen und die Musik in längeren Bögen entwickeln. So wird das Ergebnis am stimmigsten sein. Es dauert ein paar Minuten, sich daran zu gewöhnen, aber man fühlt sich dann umso schneller wie im selben Raum.“
Dieser kontinuierliche Klangstrom aus den verschiedenen Studios war mit einer Einschränkung für wichtige Aspekte der elektronischen Dance Music verbunden: die Build-ups und Breakdowns. Um dieses Problem zu lösen, fügte Paap der Signalkette einen zusätzlichen Schritt hinzu – kurz vor dem endgültigen summierten Audiosignal für das Streaming-Publikum. Das kombinierte Signal, das von Ninjam zurück zum STOOR-Studio gesendet wurde, ging an einen zusätzlichen Mixer, der mit einigen einfachen Effekten und einem EQ ausgestattet war. So konnten bei Bedarf die Bässe kurz ausgeschaltet oder kleine Delay- und Reverb-Effekte eingebaut werden – genau wie bei einem DJ-Set.
„Das habe ich eigentlich nur selten gemacht“, erklärt Paap. „Nur wenn der Sound zu eintönig wurde, griff ich ein, um für mehr Dynamik und Spannung zu sorgen – was auf der anderen Seite nicht zu hören war. Technisch gesehen ist es unmöglich, dies erneut zur anderen Person zu senden. Denn dann würde ein zweiter Stream erzeugt werden, was schrecklich wäre.“
Über die Verbindung zwischen den Studios konnten die Teilnehmer:innen des Stay Home Soundsystem ihr komplettes Equipment einsetzen. In dieser Situation wäre die größte Gefahr gewesen, dass zu viele musikalische Informationen aus zwei oder mehr Quellen eingeflossen wären, ohne diese effektiv mixen zu können: „Ich könnte buchstäblich aus allem auswählen, was ich um mich herum habe“, sagt Kampschoer. „Dein eigenes Studio ist normalerweise der bequemste Ort: Dort kannst du einfach Musik machen.“
„Es braucht nur wenig Vorbereitung für einen Jam, weil man sich frei fühlen will“, erklärt Dasha Rush, die in Folge 37 von Stay Home Soundsystem in ihrem Studio in Berlin mitwirkte. „Die einzige Vorbereitung wäre vielleicht die Auswahl einiger weniger Tools. Vor dem Jam hatte ich mit Jochem einen kleinen Chat über die angepeilte musikalische Richtung und die Gesamtstimmung.”
Angesichts der großen Equipment-Auswahl in seinem Studio erkundigte sich Paap im Vorfeld einer Jam-Session nach dem geplanten Equipment auf der anderen Seite, um seine Auswahl darauf abzustimmen. „Ich wählte einfach die Elemente aus, an die sie nicht gedacht hatten. Wenn sie nur Mono-Equipment einsetzen wollten, steuerte ich etwas Polyphones bei – oder einfach eine andere Drum-Machine.“
Ging auch was schief?
In den 13 Stay Home Soundsystem-Episoden gab es überraschenderweise nur selten eine technische Panne. In diesem Zusammenhang weist Paap darauf hin, dass es sich um kein Unternehmen mit großem Budget handelte, sondern eher um ein leidenschaftliches Experiment als Reaktion auf die ungewöhnlichen Umstände der Pandemie. Auch die schicke Körnigkeit des Videostreams, die perfekt zur Fülle an analogen Klängen passt, war einfach das Ergebnis der Verwendung günstiger PTZ-Überwachungskameras anstelle von High-End-Kameraequipment. Das MacBook Pro, das den audiovisuellen Feed von STOOR an das weltweite Publikum weiterleitete, war eigentlich zu langsam für diese Aufgabe und lief manchmal heiß. Dann musste das Team auf Discord gehen, um herauszufinden, ob der Stream noch beim Publikum ankam. Das größte Missgeschick im Verlauf des Projekts war allerdings nicht technischer Natur.
Paap hatte die Idee, den in L.A. lebenden Live-Coding-Künstler Deru zu einer Jamsession einzuladen, obwohl die beiden in der Vergangenheit nur wenig miteinander zu tun hatten. Während der Vorbereitungen bat Deru darum, seine Seite des Jams über den eigenständigen Ninjam-Client laufen zu lassen. Allerdings war das Signal-Routing auf Seiten Paaps nicht korrekt konfiguriert, was dazu führte, dass die komplexen Deru-Grooves zwar im STOOR-Studio zu hören waren, aber nicht beim Publikum ankamen.
„Wir spielten das komplette Set, aber es klang wohl ganz anders als erwartet“, erinnert sich Paap. „Es gab dann Kommentare wie: 'Oh, das ist sehr chillig – viel minimaler als gedacht.' Später hörten wir uns die Session nochmal an und Deru sagte: 'Jochem, meine Freund:innen meinten, dass sie mich gar nicht gehört haben.' Unser Set war wirklich gut, also sagten wir: 'Scheiß drauf, lass es uns einfach wiederholen'. Wir jammten dann eine weitere ganze Stunde und es war wilder als die ursprüngliche Session – wegen der ganzen Situation hatten wir einfach Wut im Bauch.“
Die Compilation
Beide Staffeln von Stay Home Soundsystem stehen auf dem YouTube-Kanal STOOR in kompletter Länge bereit – aus Paaps Sicht sind sie allerdings fast zuviel des Guten. Aus diesem Grund hat er die Stay Home Soundsystem-Compilation zusammengestellt – mit den Highlights dieser komplett improvisierten Sessions. Die digitale Version ist mit insgesamt 89 Tracks zwar immer noch eine Mammutveröffentlichung, die eine riesige Bandbreite an Techno von mehr als 30 Mitwirkenden abdeckt. Aber im Vergleich zum YouTube-Format ist es besser überschaubar: ein tolles Dokument dieses ehrgeizigen Kollabo-Experiments im Bereich der modernen elektronischen Musik.
„Das Stay Home Soundsystem] hat einige wirklich schöne Momente hervorgebracht“, sagt Paap. „Die wollte ich nicht einfach als wochenlange YouTube-Reihe stehenlassen.
„Für die Leute, die das Ganze live miterlebt und mitgemacht haben, war es definitiv ein besonderes Erlebnis. Wir saßen ja alle zu Hause und wollten unbedingt etwas mit anderen Menschen unternehmen. Es war eine große Herausforderung für alle Beteiligten, aber durch die Gemeinschaft, die sich um das Projekt versammelte, wurde es zu einer befreienden Angelegenheit.“
Während die Lockdown-Beschränkungen gelockert wurden und eine Wiederöffnung der Clubs wieder möglich schien, nahm die zweite Staffel des Stay Home Soundsystem ihren Lauf und gipfelte im September 2021 in einem neunstündigen Session-Marathon mit Colin Benders, Megan Leber, Kampschoer, The Lady Machine und weiteren Künstler:innen: Ein Fest, dass den schönen Ergebnissen des Projekts wirklich angemessen war. Doch inzwischen hatte sich der Fokus auf die Rückkehr in die reale Welt verlagert und das Projekt wurde als Phänomen des Lockdown-Lebens abgespeichert. Die technologischen Durchbrüche waren allerdings nicht völlig umsonst. Manche Teilnehmer:innen sind seitdem wieder für Live-Jams auf den Server zurückgekehrt, undAll Skies Have Sounded von Child und Dan Bean’s The Transcendence Orchestra beinhaltet die Aufnahmen ihrer gemeinsamen Jamsession.
Die Musik, die aus dem Stay Home Soundsystem hervorging, war zweifellos von der Situation geprägt und zeigte allen Teilnehmer:innen eine neue Arbeitsweise. Laut Paap waren alle Teilnehmer davon überzeugt, dass eine zweite Jamsession noch besser geworden wäre: „Aber darin liegt für mich auch der Reiz des Projekts.“
Text und Interviews: Oli Warwick
Mehr von Speedy J und STOOR findest du auf Instagram und Bandcamp