Tiger JK: Reggae, Rap und K-Pop
Heute kommt kaum ein K-Pop-Hit mehr ohne einen Rap-Part aus, traditionell nach dem ersten Chorus. Dabei kam Hip-Hop in Korea nicht immer so gut an: 1995 veröffentlichte der koreanisch-amerikanische Rapper Tiger JK, frisch aus L.A. zurückgekehrt, sein Debüt Enter the Tiger. Die Reaktionen der Mainstreammedien reichten von „Irgendwas stimmt mit der Aufnahme nicht” bis hin zu „Das ist doch keine Musik.” Heute gehört Hip-Hop, auch dank der beliebten Rap-Talentshow Show Me The Money, zu den beliebtesten Musikgenres in Südkorea.
Seit den 90ern veröffentlichte Tiger JK kontinuierlich neue Musik, am prominentesten mit der extrem erfolgreichen Kombo Drunken Tiger. Seinen Wurzeln im Rap blieb der Künstler treu, entwickelte sich dabei jedoch stetig weiter: 1995 begnügte er sich in seinen Tracks noch mit relativ einfachem Koreanisch, heute sind seine Flows überaus poetisch, seine Sprache nuanciert, er selbst gilt als der größte koreanische Rapper aller Zeiten. Als Gründer und CEO des Labels und der Agentur Feel Ghood Music veröffentlicht er außerdem Musik von Künstler:innen wie BIBI oder seiner Ehefrau Yoon Mi-rae.
Weniger bekannt ist, dass Tiger JK außerdem Beats produziert: Seit den frühesten Drunken-Tiger-Tracks war er häufig direkt an der Produktion seiner Musik beteiligt. Wie uns der Musiker im Interview erzählt, waren das Zerschneiden von Samples, das Sampeln von Drums und das Bauen von Beats von Beginn an ein Teil seines musikalischen Repertoires – und gehören heute zu den Bereichen, an denen er am liebsten arbeitet.
Die meisten Menschen wissen gar nicht, dass Drunken Tiger auch Beats baut.
Die Leute behandeln mich wie ein Aushängeschild, und wissen gar nicht, welche Songs ich gemacht habe. Heute fragt man: „Wer ist im Studio, mit dem wir einen coolen Song aufnehmen können?” Anfangs hatte ich aber keine Kohle um einen Song zu kaufen. Wir brauchten einen guten Loop für einen Rap, also haben wir uns eine AKAI MPC geholt. Ich fand einen guten Break von einer Platte, habe Samples draufgespielt und habe mit dem Time-Stretching gearbeitet. Das war jetzt nicht super toll, aber ich habe trotzdem weiter Beats gebaut.
Das ist die Geschichte der Hip-Hop-Produktion der 90er!
Dank Swing und Quantisierung auf der MPC hatten wir am Ende einzigartige Musik, sogar wenn wir Fehler gemacht haben. Das war dann kein Loop, wie ich ihn mir vorgestellt hatte, aber ich wollte einfach den Beat fertig kriegen um zu rappen.
Ich erinnere mich an eine ganze Reihe an Samples von koreanischer Musik, so wie „Why" von Seong Jaehees und „What is Love?" von Cho Young Nam.
Ich habe ungefähr 10.000 Platten, dazu gehören die von meinem Vater und die, die ich selbst gekauft habe. So richtig inspiriert hat mich aber MC SOLAAR, der war in L.A. sowas wie ein Gott. Er hat auf französisch gerappt, was überhaupt kein Problem war – im Gegenteil, das war cool. Daher hatte ich auch die Idee, dass es cool wäre, koreanische Sounds zu sampeln. Auf der anderen Seite wussten die Leute nicht, wie man Samples freigibt. Labels haben mir gesagt, dass sie das mit der Music Copyright Association klären wollen, mir wurde gesagt, ich soll mich nicht stressen – nur damit ich dann später rausfinde, dass das Sample gar nicht freigegeben war. Als ich das irgendwann kapiert habe, habe ich all die Samples freigeben lassen, das ging so weit, dass ich die Familie eines Artists gesucht habe. Und trotzdem haben die Leute das alles nicht verstanden. Sie haben dazu einfach Soyabohnenpasten-Hip-Hop gesagt, oder Bbong-Hip-Hop [eine abwertende Bezeichnung für koreanisierten Hip-Hop, Anm.].
Also hast du den Loop gebaut und ein paar Zeilen geschrieben, bevor du dann mit einem:einer Produzent:in gearbeitet hast?
Viele wissen das nicht, aber meine Ehefrau Yoon Mi-rae macht auch Musik. Sie hat „I Got You", „Drunken Rapping" und „One is Not a Lonely Word" von Drunken Tiger gemacht. Die Leute in meiner Firma machen alle Musik. Zum Beispiel spielt ein Manager Gitarre und ein A&R spielt Klavier. Wir machen immer sowas wie ein Song-Camp zusammen: Wenn ich einen Loop fertig habe, fügen andere was hinzu und führen den Produktionsprozess weiter.
Was ist so deine Standard-Herangehensweise, wenn’s darum geht, andere Produzent:innen zu finden?
Wir schauen uns nach externen Produzent:innen um, wenn wir uns von unserem eigenen Style freimachen wollen. Es ist aber nicht immer notwendig, jemanden von außen reinzuholen. Seit den Zeiten von Movement [der erweiterten Crew rund um Drunken Tiger, Anm.] machen wir Musik mit unseren Freund:innen. Zum Beispiel hat jedes Mitglied von Movement sowohl gerappt als auch produziert. Wir hatten gar keine andere Wahl, weil die Leute damals Hip-Hop nicht verstanden haben. Wenn The Quiett meinte, „Bro, hier ist ein Loop von mir”, habe ich die Bassline geändert, oder Mi-rae hat noch was auf dem Klavier dazu eingespielt. Niemand hat daran gedacht, mit Beats Geld zu verdienen. Zwischen uns gab es auch nie irgendwelche finanziellen Transaktionen.
Bist du zerrissen zwischen den Dingen, mit denen du erfolgreich warst, so wie zwischen „Boom Bap fühlt sich für mich natürlich an” und „Ich will nicht den Anschluss an die neuesten Trends verlieren”?
Ich bin einfach ein riesen Hip-Hop-Fan. Von Bossa Nova bis hin zu alternativer Musik gefallen mir echt viele verschiedene Sachen, am liebsten mochte ich aber Untergrund-Hip-Hop aus L.A., sowas wie Freestyle Fellowship. Ich mochte deren verspielte Lyrics, einfach nur mit Beats und Wörtern. Ich war nie auf Boom Bap fixiert – Leute denken das nur, weil ich damit berühmt geworden bin. Ich habe unterschiedliche Styles gemacht, wie „Freaky Deaky Superstar”, „Convenience Store” und „이놈의 (God Damn) Shake it”. Ich habe auf Trap-Beats oder komplexe Beats gerappt, und kann jetzt auf jeden Beat rappen. Als ich bei Woo Woo-Jaes Track „Again" mitgemacht habe, meinte jemand in einem Onlinekommentar, „Ein einziger Style reicht JK nicht. Er probiert was neues aus, das bewundere ich.” Da war ich dankbar. Ich lege Wert darauf, immer wieder was Neues auszuprobieren.
Andererseits hast du auch durchgehend Interesse an Reggae und Dancehall.
Bevor ich dem Hip-Hop verfallen bin, war Reggae mein Lieblingsgenre. Ich liebte Eek-a-mouse, Reggae-Styles und -Beats waren eine große Inspiration für mich. Ich konnte das auch nicht verbergen, als ich schon angefangen hatte, Hip-Hop zu produzieren. Früher fragten die Leute noch, „warum quetscht der seine Stimme so?” Heute ist der Einfluss von Reggae gängiger, wie man zum Beispiel an Chance the Rapper sehen kann.
Hip-Hop hat heute in Korea einen ganz anderen Status als damals, als du dein Debüt veröffentlicht hast.
Es hat echt lang gedauert, aber heute genieße ich Legendenstatus. Bis zu meinem 2009 veröffentlichten, achten Album war es aber quasi unmöglich, Sendezeit zu bekommen. Ich habe lange mit einem Gefühl der Unterlegenheit und Befremdung gekämpft, bis ich – wenn auch nur kurz – neben Stars wie Seo Taiji, BTS oder Blackpink stehen konnte. Aber meine Alben haben sich immer gut verkauft, bei jedem Release 200.000 bis 300.000. Ich glaube, es gab viele Hip-Hop-Fans, Hip-Hop war nur einfach nicht Mainstream. Man bekam damit keine mediale Aufmerksamkeit, weil Hip-Hop eben nicht K-Pop war.
Wann hast du angefangen, mit Ableton Live zu arbeiten?
So beim siebten oder achten Album, also vielleicht so um 2009? Ich bin nicht so gut mit Technik, also war alles, was ich mit einem Laptop anstellen konnte, die Lyrics einzutippen. Der Producer The Loptimist, den ich wirklich bewundere, hatte einen großen Einfluss auf mich. Ich schätze den Groove von The Loptimist sehr, für mich ist er ein koreanischer DJ Premier oder J Dilla. Also dachte ich immer, er arbeitet bestimmt mit Samplern, und er ist der „Real Deal”. Eines Tages habe ich ihn aber am Laptop arbeiten gesehen. Er hat sein Sample in 15 Sekunden geschnitten, dafür hätte ich eine Woche gebraucht. Er sagte zu mir, „konzentrier dich auf deinen Rap. Wenn du ein gutes Sample hast, gib es mir. Ich schneide dir das in 10 Minuten.”
Und so kamst du zu Ableton Live?
Nope, ich habe mich taub gestellt, haha! Damals haben sogar die technikaffinen Leute Ableton Live gemieden, als Angst vor dessen anderem Style. Eines Tages hatte ich aber genug. The Loptimist hat Ableton Live 9 auf meinem Laptop installiert. Es klingt sehr rudimentär, aber ich werde nie den Schockmoment vergessen, als ich sah, wie die BPM-Zahl eines Samples in der Session-Ansicht eingestellt wurde.
Das muss eine ganz neue Welt gewesen sein.
Ich habe all die Songs genutzt, die ich gern als Samples gehabt hätte, aber von denen ich davor dachte, mit denen zu arbeiten wird zu kompliziert. Ich fand das echt krass. The Lobtimist hat mir dann mit einem Grinsen was gezeigt, was mich noch mehr geschockt hat: Chord Generator und Beat Generator. Die sind kürzlich erst rausgekommen, aber vor sieben oder acht Jahren hat The Lobtimist die mit Max for Live gemacht. Das war dope.
Welche Hardware nutzt du mit Ableton Live?
Push, Novation Launchkey, MPD, Korg Nanokey, und noch viel mehr Hardware. Aber ich glaube, es spielt keine Rolle, was ich habe. Wichtiger ist dabei, dass ich durch Ableton Live jetzt mit Sachen arbeite, von denen ich mal dachte, die sind nutzlos, und die ich früher noch loswerden wollte – wie die Novation Zero SL Mk2. Ich sehne mich immer nach dem späten Abend. Das ist die einzige Zeit des Tages, zu der ich frei bin. Ich geh ins Internet, auf YouTube, und suche nach Tipps und schaue mir Presets an. Vor allem gebe ich mein ganzes Taschengeld dafür aus [lacht]. Es ist nicht so, als hätte Ableton Live meine Musik völlig aus dem Blauen heraus besser gemacht. Aber es macht jetzt definitiv mehr Spaß, Musik zu machen. [Live] hat alles, was ich mir auf der MPC gewünscht hätte, als ich jünger war.
Was hat sich an deiner Art der Musikproduktion am meisten geändert, nachdem du angefangen hast, mit Ableton Live zu arbeiten?
Bis gerade eben habe ich nur angegeben [lacht]. Das Beste daran ist, dass ich Sachen direkt entstehen lassen kann, die ich mir vorstelle. Mi-rae findet es irre, mir dabei zuzusehen, wie ich Dinge einfach so mache – als jemand, der eigentlich Probleme im Umgang mit Computern hat. Deshalb bewege ich meine Finger manchmal schneller wenn sie mich anschaut, als würde ich gerade etwas total großartiges anstellen, obwohl ich einfach nur irgendwas ganz Einfaches in Ableton Live mache.
Vor kurzem ist in deiner Karriere etwas Großes passiert: Nachdem du zehn Alben unter dem Namen Drunken Tiger veröffentlicht hattest, hast du verkündet, dass Drunken Tiger jetzt vorbei ist. Wie kam es zu der Entscheidung?
Ich bin eine nachlässige Legende. Es ist jetzt nicht so, dass ich über Nacht groß geworden wäre und massenhaft Geld verdient hätte. Die Medien gehen nicht gut genug mit mir um, als dass man mich „etwas Besonderes” nennen könnte. Für die bin ich nur relevant, wenn sie jemanden brauchen, den sie den „Godfather des Hip-Hop” oder eine “Legende” nennen können. Ich will einfach was neues ausprobieren und das machen, worauf ich Lust habe. In letzter Zeit kamen aber immer mehr Kommentare wie „das passt nicht zu Drunken Tiger” oder „der bemüht sich zu stark, jung rüberzukommen”. Das „Drunken Tiger”-Alias fühlte sich eher an wie eine Fessel. Ich wollte den Namen und dessen Aura in einer Zeitkapsel konservieren, und danach fühlte ich mich erleichtert. Ich habe vor kurzem mit BIBI einen Jingle produziert, der über eine Million Views generiert hat. Jemand hat kommentiert: „Mir war gar nicht klar, dass Tiger JK zum melodischen Geschmack von Millennials und Gen Z rappen kann”. Die Perspektive ist echt entmutigend, ich habe einfach gemacht, was ich immer gemacht habe. Sobald ich aber meinen Namen losgeworden bin, wusste man: das war jetzt was neues. Wenn ich dasselbe auf einem Album von Drunken Tiger gemacht hätte, hätten die Leute es gehasst.
Ich habe gehört, dass du das erste Album unter dem Namen Tiger JK veröffentlichen wirst. Was würdest du sagen, wie läuft das?
Die Songs, an denen ich arbeite, sind alle sehr unterschiedlich. Ich will damit etwas schaffen, das nicht der aktuellen Mode, Trends, Charts oder der öffentlichen Meinung hinterherrennt. Davon abgesehen ist mein Ziel dieses Jahr, ein Mixtape mit all den Beats zu veröffentlichen, die ich mit Ableton Live skizziert habe.
Das muss sich anfühlen wie eine Zeitreise in die Ära, als Musik noch ein Spiel war.
Genau. Zurück zum Anfang. Es fühlt sich an wie der Beginn von etwas Neuem.
Text und Interview von Jung Wooyoung
Fotos von Abi Raymaker
Mehr von Tiger JK gibt es auf Instagram und auf Feel Ghood Music