Abgesehen davon, dass Thomas Fehlmann einer der nettesten Menschen ist, denen man ĂŒberhaupt begegnen kann, hat der Mann seit jeher ein HĂ€ndchen dafĂŒr, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Mit seiner ersten Band 'Palais Schaumburg' bildete er in den frĂŒhen Achtzigern die Speerspitze des deutschen New Wave. SpĂ€ter war er einer der ersten FĂŒrsprecher der aufkommenden Techno-Bewegung und zementierte mit seinem aus Moritz von Oswald, Juan Atkins und ihm bestehenden Trio '3MB' die Verbindung zwischen Berlin und Detroit. In jĂŒngster Vergangenheit veröffentlichte er als SolokĂŒnstler und mit 'The Orb' regelmĂ€Ăig inspirierende elektronische Musik â vornehmlich auf dem KOMPAKT-Label.
AnlĂ€sslich des 20jĂ€hrigen JubilĂ€ums von KOMPAKT sprachen wir mit Thomas ĂŒber seine Arbeitsweise, seine Liaison mit einem Orchester, ĂŒber imaginĂ€re Keyboarder und ĂŒber â HandgepĂ€ck!
Kannst Du uns erzĂ€hlen, wie es ist, mit Alex Patterson an Material fĂŒr 'The Orb' zu arbeiten?
Die Arbeitsweise mit Alex ist ganz praktischer Natur. Er fĂŒttert mich mehr denn je mit Sounds, die ich aufnehme und dann in eine Art Track- oder Tune-Format ĂŒberfĂŒhre. Dieses Vorgehen hat viel mit den neuen Möglichkeiten zu tun, die uns Ableton bietet. Als wir noch Logic und davor gar Sampler als Schnittstelle fĂŒr seinen Input nutzten, dauerte es immer eine Weile, bis alles synchron und tonal stimmig war.
Und bis ĂŒberhaupt eine Struktur zustande kam.
Ja. FrĂŒher musste ich ihn hĂ€ufig bremsen und sagen: "Alex, warte mal kurz." Oder ich hatte erst gar keine MuĂe, ins Detail zu gehen, weil es einfach zu zeitraubend war. Heute ist es das genaue Gegenteil. Es kommt nicht oft vor, dass ich mir denke "Oh, was fĂŒr eine groĂartige Idee!" wĂ€hrend ich Etwas ein erstes Mal loope. Aber dann entdecke ich doch Sachen, die ich vorher so nicht erwartet hĂ€tte. Es ist nicht einfach nur der schnellere Zugriff. Es unterstĂŒtzt ganzheitlich die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten. Ich glaube, eine Menge unserer jĂŒngeren Tracks wĂŒrden völlig anders klingen, wenn wir sie nicht von Anfang bis Ende mit Ableton gemacht hĂ€tten.
Hören Sie âRipplesâ aus The Orbs 2005er Album Okie Dokie Itâs The Orb On Kompakt:
GrundsĂ€tzlich â und das sage ich hier nicht zum ersten Mal â hĂ€tte ich ohne Live wohl auch nicht wieder angefangen, vor Publikum zu spielen. Ich hatte mich eine Weile aus dem Live-GeschĂ€ft zurĂŒckgezogen, bis ich im Jahr 2000 tatsĂ€chlich wieder eine Möglichkeit sah, Dinge so anzugehen, dass Sie fĂŒr mich dem Medium "live" gerecht werden.
Hat sich denn die Art, wie Du live spielst ĂŒber all die Jahre, in denen Du Ableton nun schon benutzt, verĂ€ndert?
Es ist gewachsen und das tut es weiterhin. Ich habe mir vor zwei Wochen Push besorgt und obwohl ich noch nicht soweit bin, es schon mit auf die BĂŒhne zu nehmen, verspreche ich mir davon, dass es dem Begriff "live" noch mehr Bedeutung verleiht. Verstehst Du, was ich meine? Aber um ganz offen zu sein: Ich werde wohl zweimal darĂŒber nachdenken, etwas mitzunehmen, das zusĂ€tzlich ins Gewicht fĂ€llt und mein gewohntes ReisegepĂ€ck verĂ€ndert. DiesbezĂŒglich bin ich wirklich ein fauler Hund...
Nur HandgepÀck!
Das wĂŒrde auf einer Amerika-Tour natĂŒrlich nicht funktionieren. Aber in Europa bin ich tatsĂ€chlich nur mit HandgepĂ€ck unterwegs.
Du weisst schon, dass Deine "AusschlieĂlich HandgepĂ€ck"-Maxime mittlerweile als legendĂ€r gilt?
Der Ursprung dessen liegt schon eine ganze Weile zurĂŒck. Als ich 1979 Robert Fripp kennengelernt habe, tourte er gerade mit seinen Frippertronic-Konzerten durch die Gegend und er sagte mir etwas, das hĂ€ngen blieb â das war nach der ersten groĂen Phase von King Crimson und sie legten zu der Zeit gerade eine Pause ein â er sagte also: "Die Zukunft wird klein und mobil sein." Obwohl er damals noch gar nicht wissen konnte, wie Recht er damit einmal haben wĂŒrde, ist mir diese VerheiĂung seitdem sympathisch. Ganz offensichtlich erspart es einem nicht nur physische Strapazen, es verschafft Dir auch UnabhĂ€ngigkeit von der ganzen Art und Weise, wie der Tour-Betrieb normalerweise lĂ€uft. Hinsichtlich Finanzierung, Organisation, Personal, hinsichtlich der ganzen Infrastruktur. Also ja: Die HandgepĂ€ck-Maxime erscheint mir sehr nĂŒtzlich.
Sehen Sie das Video zu Palais Schaumburgs âWir Bauen Eine Neue Stadtâ von 1981 â mit Thomas Fehlmann an der Trompete:
Lass uns noch einen Moment beim Thema "Live" bleiben. Worauf blickst Du, wenn Du Deinen Laptop zu Beginn eines Sets aufklappst?
Dann befinde ich mich in der Session-View. Ich nutze das ein bisschen wie ein TonbandgerÀt. Das heisst, ich habe alle Bass Drums auf einem Kanal und die Instrumente sind ziemlich weit voneinander getrennt. In der Regel habe ich ungefÀhr 14 Tracks. Jeder dieser Tracks besitzt eine bestimmte Anzahl von Clips, vielleicht 20 Reihen. Das Arrangement ist schon soweit vordefiniert, dass ich mich nach unten bewegen und bestimmte Variationen abrufen kann.
Zwischen den Gigs nehme ich mir ein bisschen Zeit und gönne mir den Spass, noch einmal durch das Live Set zu gehen, es zu ĂŒben und mich daran zu erinnern, welche Gedanken mir beim letzten Gig durch den Kopf gingen. Manchmal probiere ich neue Samples oder neue Synthie-Lines aus und ich bringe ĂŒber das Jahr verteilt neue Ideen ein. So bleibt das Material auch fĂŒr mich lebendig und frisch.
Deine Produktionen klingen sehr opulent. Wie gehst Du grundsÀtzlich bei der Sound-Suche und Entwicklung von Melodien vor?
Ich bin oft auf der Suche nach Ideen und Parts, bei denen ich vor meinem geistigen Auge nicht zwingend einen Keyboarder die und die Note spielen sehe. Ich versuche immer von diesem linearen Melodie-GefĂŒge wegzukommen, das sich leicht auf einem Tasteninstrument reproduzieren lieĂe. Da ich kein Keyboarder im klassischen Sinne bin, langweilt es mich auch, einen Keyboarder mit vorhersehbaren Basslines, Melodien oder Akkorden im Kopf zu haben. Ich möchte, dass es natĂŒrlich und wie aus sich selbst heraus klingt. Ich wĂŒrde sagen, der hauptsĂ€chliche Teil meiner Arbeit ist, es so hinzubekommen, dass ich nicht mehr an den Synthesizer denke, der den Sound produziert. Ich mag es, wenn ich mich immer mehr von der Originalquelle entferne. Das gilt genauso fĂŒr Samples. Ich glaube, es wird in letzter Zeit immer schwieriger fĂŒr mich, rĂŒckzuverfolgen, woher etwas ursprĂŒnglich kam â dass es nicht lĂ€nger erkennbar ein Lick, ein Break oder was auch immer ist.
Was ich mit Live in letzter Zeit besonders gern mache, ist folgendes: Ich habe ein Sample, ungefĂ€hr einen Takt lang, setze die LautstĂ€rke auf Null, picke mir nur ein oder zwei kleine Elemente dieses Samples heraus und verschmelze es mit anderen Samples, die ich vorher genauso prĂ€pariert habe. Es ist eine Art Collage-Technik, bei der ich sofort vergesse, woher die Samples einmal kamen. Ich besitze dann zwar keine Erinnerungen an den Ursprung mehr, aber dafĂŒr habe ich etwas Neues zum Leben erweckt. Ich liebe das, und um noch mal auf die Arbeitsweise mit Alex zurĂŒck zu kommen â das ist etwas, das ich sehr schnell machen kann und das mit quasi einem Wimpernschlag komplett andere Ergebnisse hervorbringt.
Wenn Alex in Berlin ist, haben wir ja in der Regel drei bis vier Tage fĂŒr unsere Sachen. Und auch wenn wir mal unter Zeitdruck kommen, zwingen wir uns nicht dazu, beim nĂ€chsten Mal noch schneller zu arbeiten. Das hatten wir nie auf der Agenda. Mittlerweile sind wir von Hause aus sehr fix unterwegs und wir wundern und selbst manchmal, wie wenig es braucht, um einem Track eine bestimmte Richtung zu geben. Er ist dann zwar noch nicht fertig, aber es ist bereits klar: "Ok, das ist der Kern, an dem wir arbeiten wollen".
Wo wir ĂŒber erkennbare oder gerade eben nicht erkennbare Klangquellen und Instrumente sprechen â wie kam denn das sinfonische Titan One / DFM 12 auf KOMPAKT zustande? Und wie hast Du Dich auf die Zusammenarbeit mit einem Orchester vorbereitet?
Das war ein Vorhaben des Montreal Symphony Orchestra, mit UnterstĂŒtzung von Mutek. Die Intention lag darin, klassische und elektronische Musik einem unterschiedlichen Publikum vorzustellen. DafĂŒr nutzten sie eine andere RĂ€umlichkeit als ihre vertraute Symphony Hall in Montreal und fĂŒhrten dort mit groĂem Orchester Mahlers 1. Sinfonie auf. Allein das hat mich schon beeindruckt. Ăberhaupt war es das erste Mal, dass ich ein 100-köpfiges Orchester solch ein StĂŒck habe spielen sehen. Ich hatte die Aufgabe, ein Intermezzo aufzufĂŒhren und anschlieĂend mein regulĂ€res Set zu spielen. Ich sollte also eine BrĂŒcke schaffen.
Ich habe dafĂŒr etliche Elemente und Aufnahmen der ersten Mahler-Sinfonie gesampelt und daraus einen Tune entwickelt. Dabei habe ich mich weniger an die Reihenfolge im Sinne des ersten und des zweiten Satzes gehalten, sondern circa zwei Dutzend VersatzstĂŒcke aus den unterschiedlichen Teilen der gesamten Sinfonie extrahiert und von dort aus ging es dann los. SpĂ€ter saĂ ich mit Ari Benjamin Meyers zusammen, wir ersetzten einige der Samples und er machte daraus Notationen fĂŒr ausgewĂ€hlte Musiker, die mich dann begleiteten. Es gab also eine Sektion mit klassischer Instrumentierung und eine Sektion mit Electronics, die ich ausfĂŒllte. HauptsĂ€chlich waren es Elemente, die sich nicht ohne Weiteres in einen angemessenen Score transferieren lieĂen.
Hören Sie "Titan One":
Also hast Du im Grunde eine Orchesteraufnahme gesampelt, daraus eine sample-basierte Komposition gemacht, einige der Samples in Noten umwandeln und es dann von Orchesterinstrumenten spielen lassen.
Ganz genau. Es war das erste StĂŒck, "Titan One". Ich habe es Titan genannt, weil der Beiname Titan oft fĂŒr Mahlers 1. Sinfonie verwendet wird. Beim zweiten Track "DFM", was fĂŒr "Du Fehlst Mir" â einem alten Track von meinem ersten KOMPAKT-Album â steht, sind wir Ă€hnlich vorgegangen. Ich lieferte davon eine neue Version und mit Ari Meyers unterteilten wir es in eine klassische und eine elektronische Sektion.
Es ist wirklich interessant, wie sich durch die Ănderung der Instrumentierung ein moderner elektronischer Track dem GefĂŒhl des 1970er Minimalismus nĂ€hert. Ganz speziell bei "DFM".
Das liegt vielleicht auch daran, dass sich das Original schon ein bisschen in diese Richtung bewegte. Und vielleicht auch, weil ich einen Perkussionisten Marimbas und Vibraphons spielen lieĂ. Ich weiss noch, als die Idee aufkam, dass ich mich davor ein bisschen gefĂŒrchtet habe, weil ich kein groĂer Freund dieser Fusion-Sachen bin. Oder sagen wir so: Die Ergebnisse solcher Fusion-Konzepte haben mich nie wirklich ĂŒberzeugt.
Doch nach meinen anfĂ€nglichen Zweifeln sagte ich mir: "Das hast Du eben bis heute darĂŒber gedacht. Aber jetzt hast Du die Chance es so zu machen, wie Du es in Deinem Kopf hörst!" Das ist immer ein Ansporn. Aber egal, ich lasse mich auch ĂŒberreden.
WÀhrend wir miteinander sprechen, bereitet die KOMPAKT-Crew gerade den Pop-Up-Store hier im Ableton Hauptquartier vor. Du selbst wirst mit dem Label seit vielen Jahren assoziiert. Was sind Deine Gedanken zum 20jÀhrigen JubilÀum von KOMPAKT?
Nun, zuerst einmal finde ich es wichtig zu erwĂ€hnen, dass 'The Orb' ein Album auf KOMPAKT veröffentlicht haben (Okie Dokie Itâs The Orb On Kompakt), was auch ein wenig zu Spannungen in meiner Beziehung zu Alex fĂŒhrte. Aber seitdem gestatten wir uns selbst mehr Freiheiten darin, wo es uns mit 'The Orb' fernab aller Strukturen auch hinfĂŒhren kann. Ich bin KOMPAKT sehr dankbar, dass sie uns das ermöglichten. Und zum Schluss möchte ich darauf hinweisen, dass ich mit der Veröffentlichung meiner neuen 12-Inch Eye/Tree, die im Oktober auf KOMPAKT erscheint, auch aktiv etwas zum 20jĂ€hrigen JubilĂ€um beitrage.
Sehen Sie Thomas Fehlmanns Live-Auftritt beim diesjÀhrigen Decibel Festival..
Eye/Tree ist gerade auf Kompakt erschienen.