The Climate Soundtrack: Wie klingt die Zukunft?
Lebendige Sounds sind überall um uns herum: Tiere singen, jaulen und plappern vor einer weltumspannenden Soundkulisse aus Wasser, Wind und Wetter; auch die Klänge der Städte sind, wenn man so will, Zeichen des pulsierenden Lebens auf Erden. Die Menschheit ist ein integraler Bestandteil des Ökosystems unseres Planeten, und doch hat unser Dasein das Gleichgewicht zwischen Erde und Natur nachhaltig gestört. Aus dem letzten IPCC-Bericht geht hervor, dass der durch die Menschheit angerichtete Schaden noch größer ist als erwartet, und dass wir die Zerstörung der Erde nur noch durch entschiedenes und schnelles Handeln verlangsamen können. Und je mehr die Auslöschung der Arten voranschreitet, desto mehr verschwinden auch die natürlichen Klänge der Erde.
Die Sound-Library von Greenpeace
„Musik hatte im Kontext von Protesten und sozialen Bewegungen immer die Rolle, Ideen zu reflektieren, Inspiration zu liefern und Menschen zusammenzubringen,” erklärt Robin Perkins, Leiter des Projekts, der auch als Klimaaktivist, DJ und Produzent aktiv ist. „Man fragt sich immer: Was können wir ganz praktisch machen? Ein Kunstprojekt, was kann das verändern? Tatsächlich hat Kunst einen massiven Einfluss auf Kultur und darauf, wie Menschen sich selbst und die Welt sehen.”
Alles begann damit, dass ein Greenpeace-Kollege auf Perkins zukam und ihm Zugang zu einer Sound-Library gewährte. Seit den 1970ern macht Greenpeace für wissenschaftliche Studien, Kampagnen und zu Kommunikationszwecken Tonaufnahmen; die Sammlung war jedoch bis zu diesem Punkt nie sortiert oder katalogisiert worden. Perkins erinnert sich an den Anruf: „Ich sitze hier auf zwei Wochen Audiomaterial, richtig hochqualitative Natur-Aufnahmen. Eigentlich alles von Walen über Eis bis hin zum Amazonas-Regenwald. Willst du damit was machen?”
Für sein Musikprojekt El Búho mischt Perkins lateinamerikanische Folk-Rhythmen mit organischen Sounds, Vogelgesang und Downtempo-Elektronika – beim Hören der Aufnahmen wurde ihm also schnell klar, dass er auf eine Quelle von unschätzbarem Wert gestoßen war. Perkins ist außerdem Mitglied von „DJs for Climate Action”. Das Netzwerk wurde 2011 von einer Gruppe tourender Performer:innen gegründet, die dem klimaschädlichen Aspekt ihrer Profession entgegenwirken wollten. Gemeinsam entstand schließlich die Idee, die Tonaufnahmen als Grundlage für ein Projekt zu nutzen, in dem es um die Zukunft des Planeten gehen sollte.
Als Musikschaffende – wie auch als Individuen – sind wir manchmal überfordert mit der Frage, wie wir unseren Beitrag leisten und aktiv werden können. „The Climate Soundtrack” hat einen eigenen Ansatz gefunden: Für das Musikprojekt haben sich Künstler:innen, Wissenschaftler:innen und zwei globale aktivistische Netzwerke mit dem Ziel zusammengetan, die Klänge der Erde zu feiern und zu bewahren. Ergebnisse des Projekts sind ein Sample-Pack mit Materialien aus der Sound-Library von Greenpeace, sowie eine Compilation mit 41 Tracks aus der ganzen Welt. Die Einnahmen werden an lokale Organisationen gespendet, die in Gebieten aktiv sind, in denen sich die Klimakrise bereits auswirkt.
Das Klima-Samplepack
Schnell wurde den Beteiligten klar, dass die riesige Auswahl an Sounds Musikschaffende eher überwältigen würde. Gemeinsam mit Greenpeace begannen Perkins und eine Gruppe an Freund:innen, die Sounds zu nutzbaren Samples zu verarbeiten. Sie erstellten daraus ein klassisches Sample-Pack, mit Ordnern für One-Shot-Drum-Hits, Loops, Effekten, melodischen und Bass-Sounds, und nutzten Teile des Rohmaterials für Texturen und Atmosphären. Jede:r Beitragende brachte eine ganz eigene Expertise im Bereich des Sounddesigns mit sich: Der chilenische Beatproduzent DJ Raff entwickelte charakteristische Vocal-Chops, der ecuadorianische Produzent Quixosis steuerte einen Ordner mit Tape-Delay-Experimenten bei.
Das Sounddesign brachte auch Herausforderungen mit sich: „Wenn man die Kicks oder Bass-Sounds baut, kann man nicht mit Synthesizern oder echten Kick-Drums mithalten. Wenn man sich die Kicks also anhört, sind die schön und besonders, aber eben nicht wie eine 808-Boom. Die klingen eher nach einem ‘dth’. Aber vielleicht muss man das auch nicht vergleichen – sie sind eben einfach anders.”
Die Natur mag uns nicht ohne weiteres den Punch einer 808 liefern, dennoch konnte die Sound-Library mit einigen Überraschungen aufwarten. Besonders viel Wert legte Perkins darauf, die bestehende Musikalität in den Aufnahmen von Tieren und Insekten freizulegen. Die rhythmischen Muster, auf die er dabei stieß, hätten so manche:n Musikschaffende:n mit Neid erfüllt: „Es gab so eine wirklich rhythmische Aufnahme von ein paar Grillen, da war ich einfach so: Ok, fertig. Grillen haben 113 BPM.”
Nicht in jedem Fall war nachzuvollziehen, welchem Zwecke eine Aufnahme ursprünglich einmal gedient hatte; manche Samples lieferten mehr Informationen als andere. Eine besonders faszinierende Klang-Quelle stammte von Dr. Kirsten Thompson, Biologin und Dozentin für Ökologie an der University of Exeter.
Antarktische Expeditionen
Thompson erforschte und dokumentierte auf Antarktika-Expeditionen mit Greenpeace die Auswirkungen der Klimakrise, indem sie mithilfe von akustischen Instrumenten die dortige Biodiversität untersuchte. „Sound ist für alle Wale und Delfine extrem bedeutend. Sie kommunizieren über Klänge miteinander, und Zahnwale nutzen Klang, um ihre Beute zu echolokalisieren,” erklärt sie. „Jede Spezies vokalisiert mit einer ganz bestimmten Frequenz und verschiedenen Rhythmen und Tönen. Für uns bedeutet das, dass wir mithilfe von Aufnahmen ausmachen können, auf welche Spezies wir gerade gestoßen sind – auch dann, wenn wir sie gar nicht sehen können.”
Für akustische Untersuchungen von einem Schiff aus nutzen Thompson und ihr Team ein 400 Meter langes Hydrophon-Array mit zwei Stereo-Elementen, mit dessen Hilfe hohe und mittlere Frequenzen erkannt werden können. Durch eine digitale Datenerfassungsbox gelangt das Signal schließlich in einen Laptop. Von Schlauchbooten aus kann das Team auch kürzere Aufnahmen von Tierlauten machen, die sich innerhalb des für das menschliche Ohr hörbaren Bereichs befinden. Hierfür nutzen sie kleinere Hydrophone, die direkt an einen Tascam-DR-40-Rekorder angeschlossen sind.
Unter polaren Bedingungen aufzunehmen, bringt ganz andere Herausforderungen mit sich als normale Studioaufnahmen. Nicht nur muss alles in wasserfesten Behältnissen verstaut werden; da Akkus in extrem kalter Umgebung eine weitaus geringere Laufzeit haben, ist auch ausreichend Stromzufuhr wichtig.
Thompsons Forschung ist für die Bewahrung bedrohter Spezies ohne Zweifel von Bedeutung. Sie betont jedoch auch, wie wichtig die Arbeit von Menschen mit ganz anderen Fähigkeiten ist: „Themen rund um die Erhaltung der Arten sichtbar zu machen und Menschen mit verschiedensten Hintergründen zu mobilisieren ist wichtig, wenn man etwas verändern will – sowohl im lokalen als auch im globalen Maßstab. Das hier geht uns alle etwas an. Deshalb ist es für die Lösung der großen globalen Probleme auch so wichtig, Skills und Ideen aus unterschiedlichen Disziplinen zusammenzubringen.”
Derselbe Ansatz motiviert auch Ninda Felina. Die indonesische DJ und Produzentin war 10 Tage lang mit Greenpeace unterwegs, um die Klänge des Regenwalds in West-Papua aufzunehmen.
Paradiesvögel in West-Papua
„Wir haben viele kreative Möglichkeiten, unsere Botschaften an ein Publikum zu bringen – Musik ist nur eine davon”, erzählt sie. Felina arbeitet seit 2014 ehrenamtlich mit Greenpeace zusammen. Während der indonesischen Waldbrände im Jahre 2015 wurde deutlich, dass viele junge, urbane Mittelschichts-Angehörige Schwierigkeiten zu haben schienen, Umweltthemen mit ihren alltäglichen Leben zu verbinden. Die Situation schien ohne die Unterstützung jener Bevölkerungsgruppe noch auswegsloser, und so wurde Felina gebeten, ihre Netzwerke und Fähigkeiten einzusetzen, um letztere zu erreichen. Mit einem Sound-Spezialisten des BBC besuchte sie den Regenwald in West-Papua, um die dortige Natur kennenzulernen und aufzunehmen. Später machte sie aus den Aufnahmen Musik und Visuals für die Save Our Sounds-Kampagne.
Ihr Lieblingspart: Die Aufnahme der Rufe von Paradiesvögeln. Durch die Zerstörung ihrer natürlichen Lebensräume sind viele dieser Spezies vom Aussterben bedroht, was es erschwert, sie ausfindig zu machen. „Ich hoffe, dass uns dieses Projekt alle daran erinnern wird, dass wir in der Natur geboren sind und in ihr leben, und sie wertschätzen sollten.”
„The Climate Soundtrack”
Von Beginn des Projekts an war es Perkins und DJs for Climate Action ein Anliegen, so viele Menschen wie möglich an Bord zu bekommen, um Musik aus den Aufnahmen und Samples zu machen und zu veröffentlichen. „Wir wollten etwas Schönes und Kreatives rund um die Botschaft bauen, dass das Klima und der Planet gerettet werden müssen,” erklärt Perkins. Das fertige Samplepack schickten sie an Künstler:innen in ihrem Netzwerk. Die Aufgabe bestand darin, ein Stück Musik rund um die Frage zu produzieren: „Wie klingt die Zukunft?”
Perkins und sein Team hatten vielleicht 30 bis 40 Einsendungen durch Freunde erwartet, am Ende wurden es über 300. Nicola Cruz, BLOND:ISH, Cosmo Baker und Matt Black halfen, daraus die Tracks für den Release zusammenzustellen. Auf einer digitalen Compilation und einer Doppel-LP auf Vinyl erschienen schließlich 41 Tracks. Da auch die Emissionen der Vinyl-Industrie eine Rolle spielten, wurde die Platte von „Green Vinyl Records” gepresst. Das niederländische Presswerk nutzt ein spezielles Spritzgießverfahren, das Emissionen reduziert und ohne giftiges PVC und Phthalate auskommt.
DJs for Climate Action ist ein reines Non-Profit-Projekt. Alle Einnahmen werden an Organisationen aus den Gegenden der Erde gespendet, in denen die Samples aufgenommen wurden. So entmutigend die täglichen Nachrichten über den Zustand unserer Welt auch sein mögen: Wenn es nach Perkins geht, gibt es noch Hoffnung. Und kreative Projekte wie dieses können Menschen dazu bringen, ihre eigene Rolle zu finden, wenn es darum geht, Lösungen zu entwickeln.
„Wir wollten, dass Produzent:innen ihre Kreativität nutzen, um sich eine Zukunft fernab von Untergangsstimmung und dem Ende der Welt vorzustellen. Diese Zukunft kann es geben, und viele Leute haben das auch getan, doch am Ende haben wir vor allem viel schöne Musik darüber bekommen, warum wir uns endlich zusammenreißen sollten, damit all diese magischen Orte nicht weiter verschwinden.”
DJs for Climate Action ist auf Instagram, Soundcloud und Discord.