Das beste Mikrofon ist das eigene: Ein Workshop mit Liz Teutsch
Vielen Musiker:innen dürfte die Situation bekannt vorkommen: Die musikalische Idee steht, im Kopf ist der perfekte Sound schon greifbar, doch leider fehlt das hochwertige Studio-Equipment, um ihn aufzunehmen. Allzu oft lassen wir Momente der Inspiration einfach verstreichen, weil wir meinen, uns fehle das geeignete Werkzeug. Dabei muss das gar nicht so sein – schließlich haben die meisten von uns relativ hochwertige Mikrofone in ihren Smartphones.
Bei Loop 2021 gab Musikerin, Audio-Ingenieurin und Musikvermittlerin Liz Teutsch eine zweistündige Einführung in die Grundlagen der Mikrofon-Technologie. In ihrem Workshop, gestreamt aus den Jazztone-Studios im spanischen Valencia, zeigt sie, wie wir das Beste aus unseren alltäglichen Tools herausholen können. Sie erklärt gemeinsam mit Musiker und Songwriter Gÿe, wie Mikrofone funktionieren und wieso gute Musik nicht auf teures Equipment angewiesen ist. Ein Ergebnis des Workshops: Die Mikros unserer Telefone können mehr, als wir denken.
Im Original-Video von Loop vermittelt Liz technologisches Grundwissen, stellt Strategien für bestmögliche Aufnahmen unter verschiedensten Bedingungen vor und vergleicht unterschiedliche Mikrofone – mit teils überraschenden Ergebnissen.
Was ist ein Mikrofon?
Am Anfang geht’s um die Basics. Im untenstehenden Video erklärt Liz, wie Mikrofone auf die Vibrationen von Luftmolekülen im Bereich des menschlichen Hörvermögens reagieren, von 20 Hz (tiefe Frequenzen, die wir eher spüren als hören) bis 20.000 Hz (hohe Frequenzen, die nur junge Menschen hören können). Vibrationen werden von Mikrofonen in elektrische Energie umgewandelt. Dabei funktioniert jedes Mikrofon ein bisschen anders, je nach Richtcharakteristik, Frequenzgang und Mikrofontyp.
Richtcharakteristik
Die Richtcharakteristik beschreibt, wie das Mikrofon Klänge räumlich aufnimmt. Während einige Mikrofone 360 Grad aufnehmen, schneiden andere Mikrofone Sound aus gewissen Winkeln ab. Die gängigsten Richtcharakteristiken sind:
Omnidirektional: Diese Mikrofone nehmen Klänge gleichmäßig aus allen Richtungen auf.
Bidirektional/ Figure 8: Ein bidirektionales Mikrofon nimmt Klang von vor und hinter dem Mikro gleichmäßig auf, Sounds von der Seite jedoch nicht.
Mikrofone mit Nieren-Charakteristik: Diese Mikrofone nehmen Klang auf, der direkt vor ihnen stattfindet, reagieren jedoch schwächer auf Klänge auf der Seite und überhaupt nicht auf Sounds, die sich hinter ihnen befinden.
Im Video zeigen Liz und Gÿe, worin sich die Richtcharakteristiken unterscheiden, indem sich Gÿe singend um ein Mikrofon mit einstellbarer Richtcharakteristik bewegt. Dabei ist deutlich hörbar, wie sich der Klang je nach Gÿes Position zum Mikrofon ändert.
Für Aufnahmen mehrerer gleichzeitiger Klangquellen – etwa einer Gruppe an Sänger:innen – eignet sich ein omnidirektionales Mikrofon am besten, in diesem Fall mittig zwischen den Singenden positioniert. Sind klare und störungsfreie Aufnahmen das Ziel, ist der Ausschluss gewisser Soundquellen sinnvoll. Für diese Fälle eignet sich ein Richtmikrofon besser. Indem der Nullpunkt des Mikrofons in Richtung einer Klangquelle gedreht wird, die nicht aufgenommen werden soll – etwa ein anderes Instrument einer Band oder einer Klimaanlage im Raum –, werden Störgeräusche minimiert.
Frequenzgang
Jedes Mikrofon reagiert anders auf das Frequenzspektrum: Manche Mikrofontypen betonen bestimmte Frequenzbänder oder schwächen sie ab, was sich dramatisch auf den Klang der Aufnahme auswirken kann. Im Video stellt Liz die wichtigsten Unterschiede zwischen den gängigsten Mikrofontypen vor, um deren Frequenzgänge besser nachvollziehbar zu machen.
Dynamische (oder „Moving-Coil”-) Mikrofone sind sehr robust und halten einem hohen Schalldruckpegel stand, wodurch sie sich gut für den Live-Einsatz eignen. Meistens haben sie eine Nieren-Charakteristik, sind also direktional und ,schwächen Sounds ab, die sich nicht vor ihnen befinden. In der Regel steht hier der mittlere Frequenzbereich im Vordergrund, während sie auf hohe Frequenzen schwächer ansprechen und weniger vom High-End und Glanz eines Sounds aufnehmen.
Bändchenmikrofone hingegen sind extrem empfindlich und finden sich daher eher in Studios als auf Bühnen. In der Regel ist ihre Richtcharakteristik bidirektional oder Figure-8, der aufgenommene Klang wird oft als „warm” beschrieben, mit einem dominanten Low-End und schwächeren hohen Frequenzen.
Kondensatormikrofone sind robuster als Bändchenmikrofone, benötigen aber meist Phantomspeisung. Sie fangen viele Details in großer Klarheit ein, reagieren stärker auf hohe Frequenzen und neigen zu Verzerrungen und Überlastung bei zu hohem Schalldruckpegel, weshalb sie sich eher für Studios eignen.
Im nächsten Video vergleichen Liz und Gÿe in einem sogenannten Microphone Shootout vier Mikrofone miteinander: Ein dynamisches, ein Bändchen-, ein Kondensator- und ein Smartphone-Mikrofon. Mikrofon-Vergleiche dieser Art finden in der Regel in Studios statt und eignen sich besonders für Sänger:innen. Da jede menschliche Stimmen einzigartig ist, bietet sich das Testen mehrerer Optionen hier besonders an, um das optimale Mikrofon zu finden.
Wie geahnt zeichnet sich der Klang des AKG 414 (ein Kondensator-Mikrofon) durch eine helle und klare Präsenz aus, wohingegen das Coles 4038, ein Bändchenmikrofon, dunkler klingt und das dynamische Mikrofon Shure SM58 im mittleren Frequenzbereich deutlich präsenter ist. Der Klang des Iphone 7 kann sich dagegen erstaunlich gut behaupten, betont die Frequenzen zwischen 1000 und 2000 Hz (also der Sprech-Frequenz) und verstärkt das High-End. Liz zufolge deutet das starke Abfallen über 17.000 Hz außerdem darauf hin, dass die Mikrofone keinen richtigen High-End-Glanz einfangen.
Die Aufnahme-Umgebung
Ob man nun mit den teuersten Mikrofonen arbeitet oder mit dem Smartphone aufnimmt: Man sollte immer im Kopf behalten, wie sehr sich die Aufnahme-Umgebung auf den Klang auswirkt. Im nächsten Video zeigen Liz und Gÿe daher einige einfache Möglichkeiten, Einfluss auf die eigene Umgebung zu nehmen.
Im Allgemeinen entsteht in großen Räumen tendenziell mehr Hall (in einer Kathedrale etwa mehr als in einem Büro), im Einzelfall muss das aber nicht immer zutreffen. Auch die Menge an Oberflächen sowie die reflektierenden Eigenschaften deren Materials wirken sich in erheblichem Maße auf die Resonanz und den Klang eines Raums aus. So kann etwa, wie im Video gezeigt wird, ein kleines Badezimmer mit vielen reflektierenden Oberflächen einen deutlichen Reverb erzeugen. Liz schlägt vor, neue Orte durch Klatschen oder Singen zu testen, um ein Gefühl für deren klanglichen Eigenschaften zu bekommen.
Auch Umgebungslärm ist für Aufnahmen mit Mikrofonen aller Art von Bedeutung. Umgebungsgeräusche in Aufnahmen zu integrieren kann eine bewusste kreative Entscheidung sein, meistens klingen derartige Geräusche jedoch eher suboptimal. Eine laute Klimaanlage oder ein Fenster zu einer belebten Straße können jedoch intelligent und mit einfachen Mitteln ausgeblendet werden; etwa, indem bestimmte Geräusche durch den geschickten Einsatz von Richtmikrofonen ausgeschlossen werden.
Der Klang unserer Umgebungen muss uns gar nicht einmal besonders stören, um dennoch hier und da Optimierungen vornehmen zu wollen. Wie das untenstehende Video zeigt, kann in besonders reflektierenden Räumen schallabsorbierendes Material die Resonanz eindämmen. Im Video drapieren Liz und Gÿe einen Teppich und eine Decke über einen Mikrofonständer, um den Hall des Studio-Bads abzuschwächen – mit einem deutlichen Effekt. Im Anschluss stecken die beiden das Smartphone unter eine Decke, um zu zeigen, wie sie mithilfe einfachster Hilfsmittel einen fast komplett trockenen Vocal-Sound erzeugen.
Kreatives Aufnehmen
Mit dem Erlernten im Hinterkopf können wir Performances und Klänge auch mit dem einfachsten Equipment aufnehmen – Liz und Gÿe nehmen das Wissen über das Mikrofon in Lizs Smartphone und machen damit Aufnahmen in verschiedenen Räumen in der Nähe des Studios. Das Audiomaterial aus dem nächsten Video wurde komplett mit ihrem Smartphone aufgenommen – zur Zeit des Workshops mit dem Ziel, für einen Track von Gÿe verwendet zu werden. Resultat war schließlich „MUV”, seine zuletzt erschienene Single.