Eine kurze Geschichte des Studios als Instrument: Teil 1 - Frühe Reflexionen
Egal ob es sich um ein professionelles Aufnahmestudio, eine Garage voll mit Instrumenten und klingendem Spielzeug oder um einen einfachen Laptop mit der passenden Software handelt, im Jahr 2016 klingt es wie eine Selbstverständlichkeit, dass das „Studio“ für ein Musikstück genauso den Dreh- und Angelpunkt darstellt, wie es klassischerweise ein Instrument oder eine musikalische Idee tun. Gegenüber der langen Geschichte des musikalischen Ausdrucks ist es ein relativ neuer Ansatz, das Studio in seiner fundamentalen Rolle beim Erschaffen von Musik zu begreifen. Sogar das Konzept der musikalischen Aufzeichnung ist noch immer neu, wenn man die vielen Jahrtausende dagegen hält, in denen Musik nur in Echtzeit erlebt werden konnte und wo jeder Klang und jede Note von Menschenhand gespielt wurde.
Man kann gar nicht oft genug betonen, wie sehr sich unser Musikverständnis gewandelt hat, nachdem es möglich war, Ton umgehend aufzuzeichnen und später wieder abzuspielen. Die nötige Technik ließ sich erst im späten 19. Jahrhundert umfassend realisieren, als Thomas Edison den zylinderförmigen Phonographen patentieren ließ. Infolgedessen war Musik nicht mehr nur eine unmittelbare Kunstform, die im Moment erlebbar war - nun ließ sich das Erlebnis immer wieder aufs Neue wiederholen und wurde an Orten hörbar, die von den Klangquellen weit entfernt waren. In dem Maße, wie sich in den Jahrzehnten nach Edisons Patent die Abspiel- und Aufnahmetechniken weiterentwickelten, bekamen diejenigen, die aufnahmen, immer mehr kreative Möglichkeiten in ihre Hände. Der Beruf des Tontechnikers kam auf, der den Transfer einer musikalischen Darbietung auf ein Aufnahmemedium überwachte und das markierte den Anfang des Studios auf dem Weg zum Kompositionswerkzeug: Jetzt hatte jemand die Aufgabe, bestimmte Instrumente gegenüber anderen zu priorisieren und ihre Klänge auszusteuern, z.B. mit Hilfe eines Mischpultes oder schlicht durch die Platzierung der Instrumente im Raum.
Obwohl die Idee vom Studio als Kompositionswerkzeug wohl seit Beginn der Musikaufzeichnung immanent vorhanden ist, wurde sie zwischen den späten 1950ern und den 1970ern besonders greifbar, als sich die Audiotechnologie rasant weiterentwickelte und Mehrspurbandmaschinen Verbreitung fanden. Heute ist die Idee vom Studio als Instrument noch deutlicher erkennbar und hörbar, z.B. in Musikrichtungen wie Hiphop, Elektronische Musik, modernem Pop, wo das Studio mit seinem reichen digitalen Klangpotenzial die vielleicht essentiellste Komponente beim Musikmachen darstellt. Künstler können aus beliebig vielen Quellen Schnipsel zusammenfügen und sie nahezu endlos umgestalten, um ein kohärentes Musikstück zu erschaffen.
Die Vorstellung vom Studio als Instrument beinhaltet, dass zu einer gelungenen Tonaufnahme mehr gehört als das bloße Aufzeichnen einer musikalischen Aufführung, nämlich dass eine ganz andere Könnerschaft hinzu kommen muss, wenn es darum geht, mit Hilfe vorhandener Audio-Tools erfinderisch in der Klanggestaltung zu werden. Das ist einer der Grundpfeiler von Abletons Philosophie. Zwei moderne Koryphäen auf dem Gebiet stehen beim Loop 2016 auf dem Programm, nämlich Dub-Pionier Lee „Scratch“ Perry und der legendäre Techno-Architekt Moritz von Oswald, weil wir die Hintergründe des modernen Musikmachens historisch beleuchten wollen. Nicht einmal ansatzweise lassen sich alle Beiträge auf diesem Gebiet erfassen, aber wir haben versucht, die Geschichte auf einige Schlüsselfiguren und ihre Errungenschaften herunterzubrechen.
Die zwei Pierres
Wenn man die Entwicklung des Studios als Kompositionswerkzeug zum Thema hat, dann bietet die Arbeit von Pierre Schaeffer und Pierre Henry, die zugleich als Toningenieure und als Komponisten mit Klang experimentierten, einen exzellenten Ausgangspunkt. Schaeffer prägte den Begriff und zusammen mit seinem Kollegen Henry waren sie die Wegbereiter der musique concrète, einer Kompositionstechnik, bei der Ausschnitte von Aufnahmen (meist Alltagsklänge und keine synthetischen) zu neuen musikalischen Kontexten zusammengefügt werden. Für heutige Ohren klingt so ein Konzept weder besonders innovativ noch provokant, aber als Schaeffer und Henry sich in den 1940er Jahren mit den Möglichkeiten der Klangcollage auseinandersetzten, verschoben sie fest entschlossen die Grenzen der damaligen Aufnahmetechnik und zeichneten die Umrisse dessen, was überhaupt als Musik gelten konnte, ganz neu.
Schaeffer hatte keine musikalische Ausbildung, war aber jahrzehntelang als Techniker für das französische Radio tätig. In seinen frühesten konkreten Experimenten nahm Schaeffer Alltagsgeräusche auf Schallplatten auf, die er später im Studio isolierte und gestaltete. Dabei war eine von ihm angewandte Technik das Hineinätzen der isolierten Klänge in Endlosrillen, d.h. in Schallplatten, deren Rillen wieder zusammenführen, wodurch das Material in der Schleife endlos abgespielt werden konnte. „Bei uns liefen sieben oder acht Plattenspieler gleichzeitig, aber jeder spielte nur einen Klang ab“, erklärte Schaeffer 1986 in einem aufschlussreichen Interview. „Damit probierten wir verschiedene Variationen aus, Montagen bei denen z.B. Klang A zweimal wiederholt wurde, dann ein Klang B, dann wurde C wiederholt usw.“, fährt er fort. „Das kam einer Orchesterprobe gleich, wo man verschiedene Themen oder Variationen ausprobiert.“
Die Entwicklung der musique concrète war eng mit der rasanten Verbreitung der Audio- und Aufnahmetechnik nach dem Zweiten Weltkrieg verbunden, insbesondere mit der Verfeinerung der Magnettonbandmaschine.
Während ihrer Zusammenarbeit bei der Groupe de Musique Concrète (später in Groupe de Recherches Musicales - GRM - umbenannt) formulierten Schaeffer und Henry als Erste die Bausteine des modernen Sampling, indem sie Klänge auf Band aufnahmen und dann mit unterschiedlichen Manipulationstechniken experimentierten, um die Klangschnipsel zu rekontextualisieren, z.B. mit Hilfe von verschiedenen Geschwindigkeiten, durch rückwärts Abspielen oder mit selbst geklebten Tonbandschleifen. Im Grunde waren Schaeffer und Henry die ersten Komponisten, die das Tonband nicht nur als Trägermedium verwendeten, sondern als Basismaterial für eine neue Kompositionstechnik. Die Geschichte des Studios als Kreativwerkzeug hatte offiziell ihren Lauf genommen.
„Étude aux chemins de fer" (dt. Eisenbahnstudie) war 1948 das erste Stück musique concrète, das öffentlich gesendet wurde. Die kompakte Collage orchestriert Eisenbahnklänge, die Schaeffer am Pariser Gare du Nord aufgenommen hatte. Jeder einzelne Klang ist nach dem Verständnis des Komponisten ein „objet sonore“ (dt. Klangobjekt), d.h. ein Klang, der von seiner ursprünglichen Quelle getrennt wird und dadurch ein Eigenleben innerhalb einer Komposition entwickeln kann.
Als erstes Meisterwerk der musique concrète wurde „Symphonie pour un homme seul" (dt. Sinfonie für einen einzelnen Mann) 1950 uraufgeführt. Sie besteht aus 22 Sätzen und wird mit Hilfe mehrerer Plattenspieler und eines Mischpults gespielt. Für eine Radiosendung wurde es 1951 auf elf Sätze gekürzt. Maschinenrattern wurde mit Industrielärm, unverständlicher Sprache, zuckenden Rhythmen und rasenden Klavierläufen verwoben und Schaeffer selbst bezeichnete das Stück als „eine Oper für Blinde, eine Darbietung ohne Diskurs, ein Gedicht aus Geräuschen, Textsalven gesprochener und musikalischer Natur.“
Zur selben Zeit in England
Obwohl die Geschichtsschreibung sich ständig selbst korrigiert, bleibt Daphne Oram eine Pionierin der Elektronischen Musik, die häufig übersehen wird. Als viele ihrer Landsmänner im Zweiten Weltkrieg dienten, begann für Oram in den frühen 1940er Jahren ihre Rundfunkkarriere, als sie für die BBC Ton aussteuerte. Orams Interessen überstiegen jedoch bei weitem das Aussteuern von Lautstärken für Klassikkonzerte bzw. die Aufgaben, die ihr der Posten außerdem abverlangte. Begeistert von der voranschreitenden tontechnischen Entwicklung investierte Oram ihre freie Zeit in die Erforschung der neuartigen Klangerzeugung, die auf traditionelle Instrumentierung verzichtete. Zudem wollte sie die Grenzen der Kompositionstechnik erweitern, insbesondere durch den Einsatz von Elektronik.
„Das ist so etwas wie moderne Magie. Wir denken, dass dort etwas lauert. Einige Musiker glauben, es könnte zu einer eigenständigen Kunstform werden…“
Nach Feierabend bei der BBC experimentierte Oram mit den vorhandenen Geräten. Man sagt, sie habe Bandmaschinen aus mehreren ungenutzten Studios in einen Raum gewuchtet, ihre Experimente gemacht und morgens die Maschinen zurückgebracht. Auf diese Weise stellte sie eine eigenwillige Klangbibliothek zusammen und erarbeitete einige unorthodoxe Kompositionen, in denen Orchesterklänge mit Live-Elektronik und selbst gestalteten Klängen verschmolzen. In einem offiziellen Rahmen wurde das Stück jedoch nie gespielt, bis der Komponist und Turntable-Künstler Shiva Feshareki es Anfang des Jahres zusammen mit dem London Contemporary Orchestra aufführte. Eine von Orams herausragendsten frühen Kompositionen war „Still Point“ von 1949. Für das dreißigminütige Stück kombinierte sie ein „zweifaches Orchester“ mit Fragmenten von auf Schallplatten aufgezeichneten Instrumentalklängen und mit Klangbearbeitung in Echtzeit, die auf die Standardrundfunktechnik ihrer Zeit zurückgriff. Im Rückblick zählt man „Still Point“ weithin zu den ersten Stücken, die eine akustische Besetzung mit Live-Elektronik verbanden.
Ganz ähnlich wie bei Pierre Schaeffer und Pierre Henry war es die Bandmaschine, die bei Orams Klangexperimenten zum Medium wurde und ihr ganz neue Möglichkeitsräume eröffnete. „Man nimmt einen Klang, irgendeinen, zeichnet ihn auf und verändert durch eine Vielzahl von Operationen seine Natur“, erklärt Oram in einer BBC-Sendung von 1957. „Man nimmt ihn mit verschiedenen Geschwindigkeiten auf, man spielt ihn rückwärts ab, man addiert ihn immer wieder mit sich selbst. Man passt Filter, Echo, akustische Eigenschaften an… Man produziert eine gewaltige und feinsinnige Sinfonie. Das ist so etwas wie moderne Magie. Wir denken, dass dort etwas lauert. Einige Musiker glauben, es könnte zu einer eigenständigen Kunstform werden…“
Lange Zeit erregten Orams experimentelle Tonbandaufnahmen kaum das Interesse der BBC. Aber 1957 erhielt Oram den Auftrag, die Hörspielmusik für „Amphytryon 38“ zu schreiben. Unter Verwendung eines einzigen Oszillators, einer Auswahl selbstgebauter Filter und natürlich einiger Bandmaschinen schuf Oram die erste komplett synthetische Musik für die BBC. Von den Ergebnissen beeindruckt, richtete die BBC daraufhin eine Abteilung ein, die sich mit „elektrophonischen Effekten“ auseinandersetzen sollte. Infolgedessen gründete Oram im Team mit Desmond Briscoe 1958 den BBC Radiophonic Workshop, der in einem zuvor ungenutzten Raum untergebracht war, ausgestattet mit überholter Technik. Der BBC sollte das Klanglabor als Produktionsstätte für Toneffekte und Jingles dienen, aber Oram sah das anders und baute darauf, das Studio bald in eine wichtige Zentrale für Klangexperimente und gewagte elektro-akustische Projekte verwandeln zu können. Weniger als ein Jahr war vergangen, als Oram feststellte, dass ihre Vision gegenüber den Plänen der BBC keine Chance hatte, also verließ sie den Workshop und gründete in einer umgebauten Darre in Kent die „Oramics Studios for Electronic Composition", wo sie weiterhin bahnbrechende Kompositionen schuf und schließlich die Maschine „Oramics“ erbaute, die handbeschriftete 35-mm-Filmstreifen einliest und daraus Klänge hervorbringt.
Orams Tonbandexperimente und ihr Gedanke, dass elektronische Klanggestaltung essentiell für die Entwicklung neuer Klänge in der Musik ist, blieben weithin unterschätzt bzw. ungehört, haben sich aber als sehr bedeutsam für die Musik der Gegenwart erwiesen. Was für Oram noch experimentelle Techniken waren, fand in späteren Studios breite Akzeptanz und deshalb können wir Oram erst im Rückblick als die Klangvisionärin richtig würdigen, die sie war.
Ursprünglich als Teil einer Vorlesung und Demonstration beim Edinburgh Festival 1959 geschrieben, stellt „Four Aspects“ eines der frühesten Meisterwerke von Oram dar. Das acht Minuten lang Stück entstand in Zusammenarbeit mit der Komponistin Thea Musgrave und erkundet auf schaurig-schöne Weise und mit fesselndem Tonbandfeedback die elektronische Klanggestaltung.
Bill Putnam und das moderne Studio
Bill Putnam gilt als früher Architekt des modernen Tonstudios und wurde in den frühen 1920er Jahren geboren. Der unermüdliche technische und musikalische Denker Putnam wurde kurz nachdem er die technische Hochschule absolviert hatte, während des Zweiten Weltkriegs zum Militärdienst einberufen. Sein Dienst verpflichtete ihn sowohl dazu, die Technik zum Aufspüren von Minen zu verbessern als auch die Auftritte der Big Band für das Armed Forces Radio aufzuzeichnen. Er begann auch für die Zeitschrift Radio and Electronics zu schreiben, wo er das Innenleben eines Verstärkers mit 3-Band-Equalizer beschrieb, der Höhen, Mitten und Tiefen voneinander unabhängig verstärken und absenken konnte. Heutzutage gehört das Gerät zur Standardausstattung in Studios, aber durch Putnams Artikel wurde es zum ersten Mal einer größeren Leserschaft vorgestellt.
Nach Kriegsende beschloss Putnam sich selbstständig zu machen und eröffnete ein Aufnahmestudio in Chicagos Civic Opera House. Das gestattete Putnam, eigene Geräte unter dem Namen Universal Audio (ja, genau das Universal Audio) zu konstruieren, die in professionellen Tonstudios später unverzichtbar wurden. Genauso wie die Studiolegenden Les Paul und Tom Dowd führte Bill Putnam seit den 1940er vieles von dem Wissen ein, das moderne Toningenieure heute ausmacht. Unter anderem begrüßten sie den Einsatz von Tonband- bzw. Mehrspurgeräten, setzten Hall und Delay ein, entwickelten Overdubbing weiter und verwendeten als erste Schlagzeugkabinen sowie Schallisolierung, um Instrumente auf getrennten Kanälen aufzunehmen.
Putnam zählte zu den ersten Toningenieuren, die feststellten, dass Echo und Hall nicht nur natürlicherweise auftraten, wenn Instrumente in einem Raum spielen, sondern eigenständige Klangelemente waren, die synthetisch erzeugt werden konnten und die Aufnahmen künstlerisch aufwerteten. Einen beachtlichen Geniestreich bannte Putnam schon zu Beginn seiner Laufbahn auf eine Aufnahme, nämlich 1947 mit „Peg O’ My Heart“ von The Harmonicats. Durch den Einsatz von Hall verwandelte Putnam die simplen Melodien des Mundharmonikatrios in eine üppige, traumwandlerische Aufnahme. „Peg O’ My Heart“ wurde ein großer Hit und die erste populäre Aufnahme, die auf solch mutige und kunstvolle Weise mit Hall umging, der die Instrumente in einer großzügigen Wolke einhüllte. Erzeugt wurde er im Hallraum des Studios, d.h. im marmornen Abort des Opernhauses.
Wie für viele andere frühe Entwicklungsschritte des Studio hin zum Instrument, gilt auch für „Peg O’ My Heart“, dass es für zeitgenössische Ohren nicht besonders radikal klingt und gerade das ist ein Zeugnis dafür, wie sehr wir uns bereits an solche ehemals revolutionären Klänge gewöhnt haben.
Joe Meek in den Grenzbereichen des Klangs
Joe Meeks Aufstieg zur Popprominenz war rasch, endete aber abrupt durch seinen frühen Tod (Meek nahm sich 1967 das Leben, kurz nachdem er seine Vermieterin erschossen hatte). In vielen Bereichen blieb er sein Leben lang Außenseiter, insbesondere als homosexueller Mann in einer Gesellschaft, die noch stark in ihrer Heteronormativität verankert war. Meek war hartnäckig, wenn er einen Klang aus einer Aufnahme herausholen wollte, ungeachtet der Tatsache, dass er ziemlich unmusikalisch war und kaum ein Instrument beherrschte.
Meeks musikalische Laufbahn begann 1955 in Londons damals fortschrittlichstem Studio, dem IBC. Dort verschob Meek die Grenzen dessen, was innerhalb der rigiden Studiohierarchie als angemessen galt, wo Toningenieure noch weiße Laborkittel trugen. In seiner Studiotrickkiste griff er gern auf reflektierende Oberflächen zurück, um den Frequenzgang bestimmter Instrumente zu beeinflussen, oftmals ließ er Horngruppen gegen eine Betonwand spielen, um die frühen Reflexionen zu verstärken, oder er bewegte verschiedene Oberflächen durch das Studio, um Resonanzen zu beeinflussen und setzte freizügig die verfügbaren Hallräume des Studios ein. Meek machte außerdem exzessiv von Kompressoren Gebrauch, denen er oft das Pumpen und Atmen abrang. Für viele Produzenten ist es heute ein Stillmittel, doch zu Meeks Zeiten bedeutete das Überladen des Kompressors schlichtweg, dass man ihn falsch verwendete. Aber Meek hörte etwas anderes.
Auch weil er die Studiotechnik beharrlich an die Grenzen der damaligen Konventionen trieb, fühlten sich seine Arbeitgeber häufig vor den Kopf gestoßen. Aus dem Grund eröffnete Meek in einer Londoner Wohnung in der Holloway Road 304 seine eigene Produktionsfirma „RGM Sound Ltd“. Dort entstanden einige seiner berühmtesten und kommerziell erfolgreichsten Aufnahmen, während er im Grunde auch erstmals die Idee des „Home-Studios“ verwirklichte. Es wird erzählt, dass Meek beinah jeden verfügbaren Platz der Wohnung nutzte, z.B. Mikrophone mit Fahrradriemen an Geländern befestigte, die Musiker auf verschiedene Räume und Stockwerke verteilte und dass er seinen Abhörraum mit einer Fülle selbstgebauter Lautsprecher versehen hatte (als Meeks „Black Boxes“ bezeichnet).
1962 produzierte Meek in der Holloway Road 304 seine wohl berühmteste Aufnahme, „Telstar“ von The Tornados. Das Stück ist übersät mit Space-Age-Effekten, die ihrer Zeit weit voraus waren. Üppiges Feedback aus einem Bandmaschinen-Delay leitet den Song ein und Phasing, das durch das gleichzeitige Abspielen mit zwei Bandmaschinen bei unterschiedlicher Geschwindigkeit entsteht, durchzieht die gesamte Melodielinie. „Telstar“ besteht aus mehreren Schlagzeugspuren, zwei Bässen und drei Schichten Clavioline (drei Oktaven umfassend), einem auf Tonband beschleunigten Klavier, das wie harfenähnliche Arpeggios klingt und einer kristallklaren Sologitarre, die im Arrangement ein- und ausgeblendet wird. Bei dem Nummer-1-Hit in Großbritannien und den USA hoben sich die besonderen Klangcharakteristika vom Rest der Popcharts ab und hinterließen bei der nachfolgenden Produzentengeneration einen bleibenden Eindruck. Viele dieser Methoden fanden später Verwendung für ein Album, das noch viel weiter ging, aber weniger erfolgreich als „Telstar“ war, nämlich Meeks eigene musikalische Fantasie über den Weltraum „I Hear a New World“.
Meek lebte ein Leben in den Grenzbereichen des Sound und trotz seines dramatischen frühen Todes hallt sein Einfluss noch Jahrzehnte später nach. Das lässt sich auch daran belegen, dass die radikalen Methoden, die Meek damals verfolgte, heute allesamt standardmäßige Aufnahmepraxis sind. Dazu zählen das Anbringen von Mikrophonen an Instrumenten, der Einfluss der gewählten Mikrophone auf das Klangbild, Kompression als musikalischen Effekt zu nutzen und offen zu sein für das Erfinden neuer Klänge, um Kompositionen anzureichern.
Lesen Sie auch Teil 2 über das Studio als Instrument, u.a. mit George Martin, The Beatles, Delia Derbyshire, Doctor Who, Raymond Scott und Bugs Bunny.