Arbour: Lo-Fi, Beats und Klangerkundungen
Die chilligen Lo-Fi-Beats von Hans Watkins alias Arbour aus Seattle sind in vielen YouTube- und Spotify-Playlists zu finden. Wie bei anderen Elektronikmusiker:innen begann seine Karriere mit relativ überschaubarem Equipment: Ableton Live, einfache Logitech-Monitore, MIDI-Keyboard, Mikro und eine Plastik-Ukulele – mehr brauchte der 18-jährige Erstsemester an der Western Washington University erstmal nicht, um mit seiner Musik loszulegen.
„Als ich Beats in Ableton machte, beschloss ich, mich umzubenennen – von Hans Audio zu Arbour“, erinnert sich Watkins. „Damals hatte ich noch gar kein Audio-Interface, nur meinen Laptop – die Beats habe ich auf der Tastatur eingespielt.“
Anfangs nahm Watkins mit seiner Ukulele Noten und Akkorde auf, transponierte sie runter und badete sie in einem Meer aus Hall. Etwas später kamen die Gitarre und kleine Clicks hinzu, die er auf der Tischplatte und anderen Oberflächen erzeugte. Ungefähr ein Jahr später zog Watkins in eine andere Wohnung und baute seine Hardware-Sammlung aus, unter anderem mit dem Sampler Roland SP-404.
„Dafür habe ich mein komplettes Monatsbudget ausgegeben – und mich vier Wochen lang auf Erdnussbutter beschränkt“, sagt Watkins. „Das Gerät hat vieles verändert“. Der 404 und Ableton dienten ihm als Sketchpad und Aufnahmemedium – im 404 produzierte Sounds wurden in Ableton weiter bearbeitet.
„Seit ich den 404 hatte – das war vor sechs Jahren – habe ich mich damit beschäftigt, wie ich Hardware und Software gleichzeitig nutzen kann. Mit dem Cinch-Eingang des 404 war es ganz einfach, das 99-Cent-Vinyl zu sampeln, das ich mir regelmäßig im Plattenladen besorgt habe.“
Da Watkins Musik auf Spotify veröffentlichen wollte, ohne sich mit Copyright-Problemen befassen zu müssen, verzichtete er zumindest bei seiner eigenen Musik auf das Sampling. Zu dieser Zeit belegte Watkins auch Uni-Kurse über Audioproduktion und nutzte das dortige Studioequipment und sein Casio-Keyboard, um externe Instrumente mit dem 404 aufzunehmen und dann in neue Klänge zu verwandeln. Anschließend wurden die Sounds in Ableton weiter bearbeitet.
Eine frühe Arbour-Produktion
Auch wenn in Arbour-Tracks keine Samples anderer Künstler:innen mehr auftauchen, sampelt er weiterhin – zu Übungszwecken. Und genau wie Animal Collective oder Boards of Canada sampelt er auch gerne seine eigene Musik.
„Für mich ist das Sampling ein integraler Bestandteil des Beatmaking und ich will es nicht aus den Augen verlieren. Deswegen zerschneide ich auch weiterhin meine Sachen“, sagt Watkins. „Wenn ich einen richtig coolen Piano-Loop habe, weiß ich, was zu tun ist – und wie das geht. Einfach weil ich das schon oft mit der Musik von Anderen gemacht habe. Ich finde das einfach wichtig.“
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Die 404-Beats-Szene
Der SP-404 kam schon bei vielen renommierten Künstler:innen zum Einsatz, zum Beispiel beim Sampling-Großmeister J Dilla, der mit dem 404-Vorgänger Boss SP-303 eine ganze HipHop- und Indie-Generation inspiriert hat. Animal Collective, Grimes, Toro y Moi, James Blake und Thom Yorke von Radiohead haben ihre Musik damit produziert. Arbour entdeckte den Sampler über die 404-Beat-Szene auf Soundcloud.
„Das ging 2012 auf Soundcloud los“, erzählt Watkins, „und war eine Subkultur, der ich angehören wollte. Ich hörte die Musik von Leuten wie [ bsd.u ], j^p^n und Trash McGoony (heute [trash.goon) und fand sie einfach super. McGoony machte diese total simplen aber finsteren HipHop-Beats mit dem 404.“
Ab diesem Punkt befasste sich Watkins auch mit den Einflüssen dieser Musik und entdeckte Dilla, Madlib, Flying Lotus, Burial und Four Tet. Wenn er die Tracks von Nujabes und J Dilla hört, bringen sie ihn auch heute noch zuverlässig auf den Kurs, den er mit seinen eigenen Beats einschlagen will.
„Neben J Dilla und Nujabes muss ich auch James Blake nennen: Diese drei höre ich mir an, wenn es darum geht, meine eigene Musik zu erden“, sagt Watkins. „J Dilla gibt mir das Gespür für die Drums, James Blake für das Experimentieren. Und Nujabes die Emotionen, um die es mir geht.“
Für Arbour war es auch der 404, der ihn dazu brachte, verstärkt akustische Elemente in seine Musik zu bringen: Sounds, mit denen er im 404 und in Ableton spielen konnte.
Als Watkins von seinen frühen Hans Audio-Aufnahmen zum neuen Alter Ego Arbour wechselte, wurde ihm auch klar, in welche Richtung seine Musik gehen sollte: „von düsterer Dance Music zu lebendigeren Klängen“.
Richtige Instrumente und entspannte Vibes, ohne auf die Balance zwischen Licht und Schatten zu verzichten – oft sucht Watkins nach Wegen, seinen Sounds eine gewisse Patina zu geben, die wir Hörer:innen dann als lo-fi interpretieren.
Beat-Handwerk
Arbour ist für Beats bekannt, aber überraschenderweise beginnt er seine Tracks nicht mit perkussiven Elementen, sondern mit Melodien und Harmonien. Akkorde und Sound Design gehen Hand in Hand – und decken sozusagen den Tisch für die Beats. „Ich starte zum Beispiel mit einem E-Piano, das ich dann runterpitche“, erklärt er. „Anschließend kommen die Drums hinzu, und wenn es zusammen funktioniert, weiß ich, dass der Swing passt und ein Song daraus werden kann. Und falls nicht, fange ich einfach nochmal von vorne an.“
In den seltenen Fällen, in denen Watkins mit den Drums startet, wendet er sich anschließend den Basslines zu und sorgt für ein gutes Zusammenspiel von Kick-Drum und Bässen. Dann sind die Melodien und Sound-Design-Elemente an der Reihe.
Wenn es um das Runterpitchen von Sounds geht, nimmt Watkins gerne zuerst externe Instrumente als Audio auf – oder wandelt MIDI-Instrumente in Audio um. Für das Runterpitchen verwendet er Abletons Warp-Funktion: „Im Prinzip versuche ich immer, den ursprünglichen Sound zu verfremden und dann wiederherzustellen“, so Watkins.
Bei dieser Herangehensweise wird Burials großer Einfluss auf Arbours Tracks deutlich. Die Markenzeichen des geheimnisvollen Londoner Produzenten sind gepitchte Vocals – oft von YouTube und Videospielen wie Metal Gear Solid gesampelt – und sein komplexes Sound Design.
„Ich würde meine Musik gerne auf die gleiche seltsame Weise machen wie Burial“, sagt Watkins. „Soweit ich das sagen kann, gehe ich viel methodischer vor. Aber ich orientiere mich an seinem Ansatz. Es wirkt so musikalisch, wie er alles zusammenfügt – bis hin zu der Tatsache, dass er die Software Sound Forge nutzt.“
„Ich habe viel über ihn gelesen, zum Beispiel, dass er ohne Raster arbeitet und seine Grooves nur nach Gehör komponiert“, fährt Watkins fort. „Deswegen schalte ich das Raster manchmal aus, um in diese Denkweise zu kommen. Am meisten inspiriert mich sein Klanguniversum – das hohle Reverb, die R&B-Vocals und undeutlichen Basslines, so cool. Ich versuche auf jeden Fall, ähnliche Sounds zu erzeugen. Einfach weil sie so interessant sind.“
Klangerkundungen
Burials Musik ist einzigartig, und genau das will Watkins ebenfalls erreichen – durch subtile und drastische Brüche im Chill-Lo-Fi-Gefüge.
„Es scheint, als ob ich in die Lo-Fi-Schublade gesteckt werde, und damit habe ich kein Problem“, sagt er. „Mir sind die Ähnlichkeiten bewusst, aber ich will gar nicht viel darüber nachdenken. Eine Weile lang habe ich ja tatsächlich gedacht: 'Oh, ich mache Lo-Fi-HipHop.' Das hat wahrscheinlich mit dem Sampling zu tun – und damit, wen man sampelt. Und mit der Auswahl der Drums.“
„Manchmal denke ich aber, dass meine Musik nicht sehr lo-fi ist – und auch nicht wirklich HipHop“, fährt Watkins fort. „'Einfach Beats' ist die Beschreibung, die für mich am besten passt. Das sind einfach Beats, und sie gehen in viele verschiedene Richtungen. Manchmal sind sie relaxt, manchmal aber auch richtig böse. Ich denke, sie wählen viele verschiedene Wege.“
Watkins achtet darauf, seine Musik nicht zu stark zu kategorisieren. Denn das würde schnell zu kreativem Stillstand führen. Stattdessen strebt er danach, sein Handwerk in technischer Hinsicht zu verbessern – zum Beispiel durch Jazz-Klavierunterricht.
„Was viele Hörer:innen verbindet – egal ob sie sich bei Lo-Fi-HipHop oder Beats einordnen – ist die Wertschätzung des Jazz“, sagt Watkins.
Was Watkins zum Jazz zurückbrachte, war das Unerwartete in seiner eigenen Musik, zum Beispiel interessante Wendungen in eher einfachen Akkordfolgen. Watkins wollte herausfinden, warum sie gut klangen – und fand die Quelle dieser glücklichen Zufälle, wie Bob Ross in Joy of Painting zu sagen pflegte, im Jazz.
Die Wiederentdeckung des Jazz brachte Watkins auch dazu, über die Aufnahmetechniken und musikalischen Arrangements der 1960er und 1970er nachzudenken – und darüber, wie er diese Elemente in Arbour-Kompositionen bringen könnte. „Ich fand es immer cool, wenn Dinge alt klingen“, sagt Watkins. „Man hört sich eine sehr staubige Platte an, die viel Charakter hat. Und die Musik wurde damals auch ganz anders arrangiert. Etwas über diese verschiedenen Arten von Arrangement zu lernen und zu wissen, wie man seine Musik ähnlich aufnimmt – das finde ich spannend.“
„Ich denke, der Jazz hat zwei Seiten: das musikalische Arrangement und die technischen Aspekte. Und dann gibt es noch die damaligen Produktions- und Aufnahmetechniken“, erklärt er. „Ich finde es spannend, all das aufzugreifen, mit der neuen Technologie zu verknüllen und zu sehen, was dabei herauskommt.“
Watkins ist sich nicht sicher, wohin ihn das alles musikalisch führen wird. Trotzdem möchte er die Ansätze in seinen musikalischen Workflow einbeziehen. „Ich möchte ein besserer Jazzmusiker werden, damit mein Beatmaking musikalischer und auch ein bisschen gehaltvoller wird“, sagt er.
Die Szene ist online
Watkins ist Teil eines wachsenden Online-Musikphänomens: der Chill-Beats-Szene. Und es ist ihm bewusst, dass diese Szene nur virtuell existiert – selbst wenn er schon mit einigen Musikern aus Seattle zusammengearbeitet hat.
„Seit Covid-19 ist das wirklich seltsam: Früher habe ich gesagt, dass ich Teil einer lokalen Szene bin. Und momentan ist niemand Teil einer lokalen Szene“, sagt Watkins. „Ich fühle mich einer Gruppe von Musikern aus New York näher. Und ich denke, dass Covid die Entfernungen zwischen den Leuten auch verkleinert hat.“
„Sie kommen mir nicht so weit weg vor“, fügt er hinzu. „Das klingt vielleicht ein wenig poetisch, aber die lokale Szene findet jetzt online statt. Wir sind einander gleich nah, was irgendwie cool ist. Trotzdem vermisse ich richtige Musiksessions.“
Angesichts der gewachsenen Popularität der Chill-Beats-Szene würde sich Watkins Konzerte wünschen, sobald die Pandemie unter Kontrolle ist. Kurz vor Covid waren einige Beat-Produzenten auch live zu sehen.
„Es hatte gerade erst begonnen“, sagt Watkins. „Viele der Leute, mit denen ich musikalisch aufgewachsen bin, haben angefangen, live zu spielen und viele Menschen zu erreichen – und dann kam COVID dazwischen. Ich freue mich wirklich auf die Rückkehr der Live-Shows und bereite mich innerlich auch schon darauf vor.”
In der Zwischenzeit begnügt sich Watkins mit dem Aufbau einer Sammlung von Visuals für seine Liveshows – und dem Ausbau seiner YouTube-Reihe Beats With Arbour. In diesen Videos erklärt er seine Arbeitsweise beim Produzieren, um das „passive Hörpublikum des Genres“ anzusprechen. „Damit meine ich jene Leute, die das auf eine Playlist packen und als Hintergrundmusik hören. Ich respektiere das, weil ich selbst ein passiver Zuhörer bin“, erklärt Watkins. „Manchmal denke ich, dass es viele Leute gibt, die diese synthetische Musik hören und auch mögen. Aber sie denken nicht viel darüber nach. Doch es steckt eine Menge dahinter und es ist wirklich interessant.“
Für Watkins ist Beats With Arbour eine gute Möglichkeit, seine einzigartigen Sounds und ihre Entstehungsweise zu präsentieren. Gleichzeitig versteht er die Reihe auch als Ersatz für die fehlende Live-Musik im letzten Jahr. „Ich finde es manchmal schwierig, Beat-Sets live zu spielen. Man hat Dinge aufgenommen und manches so viel mit Effekten bearbeitet, dass es sich live kaum so präsentieren lässt, wie man sich das vorstellt. In gewisser Weise wird die Produktion dieser Beats zur Liveshow. Vielleicht geht es mir auch darum, die Leute zu einem aktiveren Hören zu bewegen.“
„Ich spreche da aus Erfahrung, weil ich ein großer Fan von der Musik anderer Leute bin“, fügt Watkins hinzu. „Wenn ich das Studio von Burial, Flying Lotus oder James Blake besuchen könnte – das wäre so cool. Und dieses Gefühl will ich Leuten geben, die meine Musik hören.“
Parallel zu Beats With Arbour hat Watkins zwei Sammlungen von Songs aufgenommen, die in Kürze erscheinen werden: Ein Album, das im Januar veröffentlicht werden soll und weitere Tracks, aus denen entweder eine Reihe von EPs oder ein weiteres Album werden könnte – in dieser Hinsicht hat Watkins noch keine Entscheidung getroffen.
Zusätzlich zu diesen Neuerscheinungen will Watkins demnächst ein Gigabyte an „musikalischen Überbleibseln“ durchforsten – Songfragmente, für die er einen Platz finden will. Manche der so entstandenen Tracks plant er selbst zu veröffentlichen, andere sind für ein Label-Release in 2021 vorgesehen.
„Ich habe so viele Projekte, die es gar nicht in meinen Ordner mit neuen Songs geschafft haben – er ist randvoll mit exportierten .WAV-Dateien und es ist schwierig, sie zu ordnen. Wir haben einfach zuviel Zeit!”
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Text und Interview: DJ Pangburn