Steve Nalepa: Handwerker mit Hingabe
Steve Nalepa ist innerhalb der Musikindustrie eine Ausnahmeerscheinung. Sein Erfolg basiert darauf, andere Künstler in selbstloser Manier dahin gehend zu unterstützen, das Beste aus sich herausholen zu können. Tausende nützlicher Tipps hat er der musizierenden Heerschar mit seinen Dubspot Tutorials bereits zur Verfügung gestellt. Seine Kurse am prestigeträchtigen Chapman Conservatory of Music sind mittlerweile so etwas wie eine Talentschmiede der West Coast, mit deren Förderung Künstler wie Nosaj Thing und Djemba Djemba zu internationaler Beachtung kamen. Steve avancierte aber auch bei der Arbeit im Hintergrund zur echten Geheimwaffe – einige der größten Künstler weltweit vertrauen ihm die Kontrolle ihrer komplexen Back-End-Systeme an, mit denen sie rund um den Globus gigantische Liveshows bewältigen.
Fern alldem hat Steve jedoch nie aufgehört, seine eigene Musik zu produzieren. Diese Tatsache förderte jüngst wieder Ergebnisse in Form vonThe Acid zutage, eine Zusammenarbeit mit dem alteingesessenen englischen Produzenten Adam Freeland und dem australischen Sänger Ry X. Mit The Acid tritt Steve nun erstmals selbst ins Rampenlicht und kann dabei auf all die Fähigkeiten zurückgreifen, die er sonst anderen im Rahmen seines Unterrichts vermittelt. Wir sprachen mit Steve über das Zustandekommen seiner vielschichtigen Karriere, das Meistern von Herausforderungen als junger Produzent und darüber, wie man Musik durch die Verknüpfung mit dem eigenen Weltbild emotional zum Schwingen bringt
Geht man durch die Liste deiner Interessen und Aktivitäten, fällt auf, dass du ziemlich breitgefächerte Projekte verfolgst, die nichts mit dem Musikmachen als Künstler zu tun haben. Eine dauerhafte Karriere als Produzent aufzubauen, ist schon eine Sache an sich. Aber du bist anscheinend in der Lage, deine Fähigkeiten auch auf andere Bereiche übertragen zu können.
Ich war ursprünglich in Yale, um dort Mathe und Ökonomie zu studieren. An irgendeiner Stelle auf dem Weg zum Abschluss merkte ich, dass ich null Interesse daran hatte, Investmentbanker zu werden. Mein Vater sagte damals zu mir: „Was tust du nur? Du bezahlst so viel Geld und willst keinen dieser gut dotierten Jobs haben, die auf dich warten und von denen ich nur träumen konnte?” Und ich antwortete: „Papa, ich habe gemerkt, dass ich das nicht bin, ich würde damit einfach nicht glücklich werden.”
Ich ging dann nach LA und wurde Lehrer an der High School für Mathematik und Naturwissenschaften. Ich recherchierte paranormale Phänomene, veranstaltete Faschingsfeste für Kinder, tat dies und jenes, um mich über Wasser zu halten. Doch die ganze Zeit gab es Leute um mich herum, die sich nur auf die Musik konzentrierten. Ich frage mich gelegentlich, ob ich das auch gekonnt hätte, anstatt auf all diesen verschiedenen Pfaden zu wandeln. Aber die Wahrheit ist, dass es mich ungemein bereichert hat.
Wenn ich jemanden treffe, der wirklich inspirierende Arbeit abliefert, dann gehe ich auch auf ihn zu und sage: „Hey, ich bin wirklich beeindruckt von dem, was du tust.” Und schon ist man im Gespräch. Die meisten meiner heutigen Freunde habe ich auf diese Art kennen gelernt. Ich war von ihrer Arbeit begeistert und war mir nicht zu schade, sie das auch wissen zu lassen. Alles addiert sich letztlich auf. Als der Musikmarkt Anfang 2000 richtig ins Schlingern kam, ging es mir selbst ziemlich gut, da ich ein Konstrukt erschaffen hatte, in dem ich als Freiberufler mit all diesen unterschiedlichen Jobs jonglieren konnte. Durch die vielen Fähigkeiten konnte ich dies und das tun, um mein Geld zu verdienen; wohingegen Leute, die auf eine Sache festgelegt waren, wirklich Schwierigkeiten hatten, einen neuen Job zu finden.
Letztlich führte mich mein Weg bis zu Drake, mit dem ich einen Monat lang an der Vorproduktion für seine Tour im letzten Herbst arbeitete. Einen ganzen Monat nur dafür. Im Grunde ging es um 55 Tracks, die sie potenziell für die Shows nutzen wollten. Die mussten so vorbereitet werden, dass die Mixverhältnisse für die Band, die Monitore und die Mischpulte stimmten. Dabei musst du wirklich schnell sein, denn es kann jederzeit passieren, dass sie vorbeischneien und Sachen sagen wie „diesen Part wollen wir rausschneiden”. Du kommst dir dabei vor wie ein unter Druck stehender Ninja. Es war eine tolle Erfahrung, aber der Vibe hat letztlich nicht gestimmt und so ich bin nicht mit auf Tour gegangen.
Aber dadurch konntest du dich wieder voll und ganz der Fertigstellung des 'Acid'-Albums widmen...
Ja, im selben Monat kam Adam in die Staaten rübergeflogen. Der Termin für den ersten Drake-Gig wurde aber gerade geändert. Adam hatte extra einige Shows abgesagt und sich die Zeit freigeschaufelt, um die Aufnahmen für The Acid zu Ende zu bringen. Und ich stelle fest, dass es auf einmal nur noch fünf Tage bis zum Start der Drake-Tour sind. Adam fand das nicht so toll und sagte mir: „Junge, ich verstehe das, aber ich habe einige Sachen ausgeschlagen, um jetzt hier zu sein.” Ich sagte ihm: „Mach dir keinen Kopf. Wir kriegen das hin.” Im Prinzip haben wir dann fünf Songs in fünf Tagen gemacht. Zu der Zeit sah die Tageseinteilung so aus, dass ich von 14:00 bis 17:00 Uhr für Drake gebucht war. Also haben Adam, Ry und ich jeden Morgen von 9:00 Uhr bis mittags um 13:30 Uhr an den 'Acid'-Sachen gearbeitet. Nachmittags ging es ins Probenstudio zu Drake. Und dann erfahre ich plötzlich an ein und dem selben Tag, dass ich nicht mit auf Tour gehen würde und The Acid einen Vertrag bei Infectious in der Tasche haben. Es war wie eine Botschaft des Himmels, wofür ich von nun an meine Energie aufzubringen habe. Das ist also das, was ich tun sollte.
Gibt es einige Kernaussagen, die du im Unterricht vermittelst? Irgendwelche universellen Gesetze der Produktion?
Weniger ist mehr. Das ist die Kernaussage. Ich finde, damit tun sich angehende Produzenten besonders schwer. Sie sind der Meinung, dass der Track noch nicht fertig ist und fangen deshalb an, immer mehr drauf zu packen. Es ist Teil des Prozesses, mit dem man ja zu guten Ergebnissen gelangen kann; du setzt dich hin, beschreibst ein leeres Blatt, fügst ein paar Sachen hinzu und schon funktioniert es. Dann machst du einen neuen Part, um einen Kontrast zu dem zu schaffen, was schon da ist. Aber ab einem bestimmten Punkt musst du es wieder zurückdrehen.
DJ Nobody, einer der Gründer von Low End Theory, hat dazu etwas Tolles gesagt: „Ab und an, wenn man einen Track vor sich hat, sollte man, anstatt noch etwas reinzudrücken, lieber wieder etwas wegnehmen.” Ich finde wirklich, das Auffälligste an den neuen Produzenten ist, dass sie zu viele Sachen in ihre Songs stopfen.
Wenn wir erstmal etwas haben, dass uns begeistert, neigen wir dazu, immer mehr zu wollen. Wir verbringen eine Menge Zeit damit, weitere Bestandteile zu addieren – bis die ursprüngliche Idee verwässert ist. Irgendwann passt es gar nicht mehr, und was immer du auch dazu nehmen willst, es funktioniert ohne dem besser. Aber genau das ist eben so schwer, weil wir unterbewusst an diese ursprüngliche Idee bereits unser sentimentales Gefühl anhängen wollen. Schalte es stumm. Versuch' es. Das ist das Geheimnis.
Bevor du anfängst, als Produzent zu arbeiten, musst du dir erst einmal diese ganzen technischen Fertigkeiten aneignen. Erst wenn das geschehen ist, kannst du deiner Kreativität wirklich freien Lauf lassen. Aber es gibt eine Zeit dazwischen, in der du immer noch lernst, dich aber schon ausleben möchtest. Wie balanciert man das am besten aus?
Ich finde, wir haben es derzeit damit zu tun, dass die Jugendlichen Leute wie Porter Robinson sehen, der selbst erst 17 Jahre alt ist, aber voll durch die Decke geht und die großen Festivals spielt. Einige dieser Kids entwickeln wohl eine gewisse Erwartungshaltung und wundern sich, warum ihnen das nicht vergönnt ist, wo sie doch auch schon sechs Monate dabei sind und längst auf dem Coachella spielen müssten.
Ich denke, das Wichtigste beim Produzieren ist, an den Punkt zu gelangen, ab dem man souverän abwägen kann. Zu lernen, wie man eine Entscheidung trifft, wie man mit ihr umgeht und mit ihr weiter verfährt. Wie man sich nicht zu lange daran aufhält, damit man auch voran kommt. Es kommt so oft vor, dass Leute Ewigkeiten damit verbringen, irgendeinen Synthie-Sound zu polieren oder diese eine perfekte Bass-Drum zu finden. Und alles, was sich dazu sagen lässt, ist: „Hör' mal! Das Einzige, was du erreicht hast, ist, deine Inspiration abzuwürgen.”
Richtig mit den Tools umgehen zu können erfordert Zeit. Aber wenn Du es dann drauf hast und mit dem Produzieren am Ball bleibst, heißt es irgendwann 'raus damit'. Selbst wenn du jeden Tag Müll verzapfst, wirst du trotzdem besser und besser. Daddy Kev (der auch das 'Low End Theory' betreibt) war einmal zu Besuch in meiner Klasse und brachte seine Mutter mit, weil sie es alleine nicht zum 'Low End' geschafft hätte, obwohl sie unverblümt mit jedem auf dem Schulhof rauchte, der ihr über den Weg lief. Und Kev sagte: „Seht mal, wenn Ihr Dope-Beats machen wollt, dann macht jeden Tag eine Stunde Dope-Beats. In einem Jahr seid ihr soweit und macht Dope-Stuff. Meine Mutter zum Beispiel...”, und man konnte sehen, wie sie im Hintergrund zusammenzuckt, „... wenn sie ein Jahr lang jeden Tag einen Beat macht, wird sogar sie in einem Jahr Dope-Beats machen.” Ich denke, da ist wirklich etwas dran.
Wie ist es mit den geübteren Produzenten? Sie stehen wieder anderen Herausforderungen gegenüber.
Ich habe ab und an mit Leuten zu tun, die mir von ihrer Schreibblockade berichten. Das kommt vor. Manchmal wiederum ist man inspirierter als andere. Wenn das der Fall ist, ergreife unbedingt die Gelegenheit und lass sie nicht verstreichen. Es gibt Momente, da setzt du dich hin, versuchst Musik zu machen, aber es will einfach nichts klappen. Als ich meine erste Platte geschrieben habe, wendete ich folgende Technik an: Ich setzte mich hin, schloss meine Augen und suchte mir einen Ausgangspunkt. Ich dachte an jemanden, den ich aus meinem Leben kannte und schickte ihm im Geiste einen Dank für all die Dinge, die wir durch unsere Begegnungen voneinander lernen konnten. Danach ging ich meine gesamten Bekanntschaften durch, dachte an jeden, der mir einfiel und versuchte alles zu erinnern, was ich je gemacht habe. Sämtliche Leute, die mir wohlwollend in den Sinn kamen, bedachte ich mit einem Dank. Ich folgte meinen Gedanken, wo auch immer sie mich hintrugen.
Letztlich hilft es einem, sich seiner selbst bewusst zu werden und seine ganz eigene Sicht auf die Welt zu erkennen. Jeder von uns trägt eine Sichtweise in sich, die völlig einzigartig ist und mit niemandem zu hundert Prozent geteilt werden kann, da wir alle von unterschiedlichsten Erfahrungen geprägt sind. Und wenn du mit dem Schreiben an einem Punkt beginnst, in dem du vollkommen bei dir bist, selbst wenn deine Sachen von etwas schon Existierendem abgeleitet klingen, dann tragen sie doch eine emotionale Wahrheit in sich. Das ist für mich das Wichtigste überhaupt. Gut, es gibt Dance-Floor-Banger, aber wenn Leute beim Hören emotional in der Musik aufgehen, ist es das Größte. Diese Einstellung, zu akzeptieren, wer man ist, sich selbst zu respektieren, selbstbewusst zu sein und dankbar dafür, das tun zu können, was man liebt, die ist sehr sehr wichtig. Du könntest Ebola haben oder in der West Bank leben. Die Welt ist ständig voll von fürchterlichen Dingen. Mit deiner Kreativität kannst du dem aber tatsächlich etwas Wundervolles entgegensetzen, Dankbarkeit ausdrücken und etwas zurückgeben.