Überall im Raum: Das SPAT-Bundle
Kaum eine Hör-Erfahrung ist so intim wie die einer Liveperformance. Wesentlich ist dabei das immersive Gefühl, das entsteht, wenn Hörende und Klang sich im selben Raum befinden und die Musik mit Objekten, Oberflächen und Menschen interagiert. Kein Wunder also, dass so viele Musikschaffende auf der Suche nach Tools und Techniken sind, die jenes Gefühl von Unmittelbarkeit in ihren Studioproduktionen aufleben lassen.
Leider ist es alles andere als einfach, die klangliche Intimität einer Liveperformance nachzustellen, sogar mit modernster Audio-Software. So manch eine:r mag es schon versucht haben: Instrumente zu pannen, am Pegel zu spielen, ein bisschen Hall darüberzulegen, mit Ergebnissen, die nicht super gut sind und nicht total schlecht – und dennoch lebt die Musik am Ende ganz klar in einer anderen Welt als die Menschen, die sie hören.
An dieser Stelle hat das SPAT-Bundle seinen Auftritt, bestehend aus zwei leistungsstarken Packs für räumliche Klänge, gefertigt von Music Unit und in Kollaboration mit dem IRCAM-Institut produziert. Beide Packs – SPAT Stereo und SPAT Multichannel – enthalten interaktive Sound-Lokalisierungs-Tools, hochwertige, für die Imitation akustischer Raumqualitäten entwickelte Reverbs und komplexe Panning-Algorithmen, die echte akustische Szenarien detailgetreu nachbilden. Das Multichannel-Pack geht sogar noch einen Schritt weiter: Mit den Tools kann Audio an mehr als zwei Lautsprecher – 32, um genau zu sein – gesendet werden, für die Dutzende von Konfigurationen verfügbar und einstellbar sind.
Manuel Poletti ist einer der Forschenden, die an der Entwicklung der SPAT-Anwendungen beteiligt war. Die Faszination an räumlichen Klängen und Multichannel-Audio entwickelte er bereits durch frühe Begegnungen mit immersiven Performances:
„Das erste, was ich jemals gehört habe, was man als Multichannel beschreiben könnte, war eine moderne, perkussive Klassik-Performance. Ich fand das so toll, dass der Klang aus allen Richtungen kam. Diese Erinnerung treibt mich an, und ich finde die Vorstellung spannend, das in einer Konzert-Location oder im Studio nachzustellen.”
Hintergrund
Das Spatialisateur-Projekt – auch als Spat oder SPAT bekannt – begann 1991 in Form einer Kollaboration zwischen Espaces Nouveaux und IRCAM, die zum Ziel hatte, einen virtuellen Akustikprozessor zu entwickeln. Dieser sollte Komponist:innen, Performer:innen und Sound Engineers erlauben, die Streuung von Klängen in echten und virtuellen Räumen zu steuern. Das Projekt baut auf Forschungsarbeiten im Raumakustik-Labor von IRCAM, die sich der objektiven und perzeptiven Charakterisierung von Raumakustik-Qualitäten widmeten. Außerdem schöpft es aus Forschungen, die bei der Télécom Paris zu digitalen Signalverarbeitungs-Algorithmen für die räumliche Verortung und den künstlichen Hall von Klängen durchgeführt wurden.
Wie funktioniert das?
Einfach ausgedrückt: Der Spatialisateur-Prozessor empfängt Klänge, fügt diesen in Echtzeit Räumlichkeits-Effekte hinzu und produziert dann Signale für die Wiedergabe auf elektroakustischen Systemen (Lautsprechern oder Kopfhörern). Die Technologie ermöglicht Anwender:innen, den Sound aus Perspektive der Hörenden zu steuern, statt vom Standpunkt der Klangquelle aus. Praktisch meint das drei Aspekte:
Steuerung der Wahrnehmung von Klängen: Die Klangquelle, der künstliche Raum-Effekt und die Beziehung zwischen beiden können eher hinsichtlich von Wahrnehmungs-Attributen gesteuert werden als in Bezug auf ihre tatsächlichen technischen Raum-Charakteristika – wie etwa dessen Maße oder Materialien. Anwender:innen können Parameter wie Wärme, Brillanz und Raumpräsenz steuern, die das Ergebnis psychoakustischer Forschungen des IRCAM-Instituts sind. Diese bewegen den Fokus weg von der tatsächlichen Soundentstehung und hin zur Wahrnehmung von Klang.
Wandelbarkeit: Der gewünschte Effekt ist unabhängig vom Wiedergabe-Setup und wird (so weit wie technisch möglich) beim Übertragen auf eine andere Umgebung beibehalten. Sofern alles korrekt eingerichtet wurde, müssen beim Übergang von Kopfhörern auf Lautsprecher nur wenige Änderungen vorgenommen werden, um ein vergleichbares Klangergebnis zu bekommen.
Einfachheit und Präzision: Anders als Systeme, in denen die Klanglokalisierung und der Reverb-Effekt getrennt behandelt werden, kombiniert der Spatialisateur-Prozessor die direktionalen und temporalen Aspekte des Hör-Erlebnisses. Dadurch können Nähe und Distanz von Klängen präziser und intuitiver gesteuert werden.
Die Panning-Algorithmen
Standard-Panning – auch als „angulares” Panning bekannt – besteht in der Steuerung des Pegels des rechten oder linken Kanals. Der entstehende Sound ist dementsprechend lediglich auf einer Links-Rechts-Achse verortet. Das Prinzip dahinter ist einfach verständlich und gehört zum Standard für die meisten Musiker:innen. Weitaus spannender sind jedoch komplexe Panning-Methoden, die realistische Hörszenarien nachempfinden.
Die ersten drei Panning-Algorithmen in Spatial Stereo (AB, XY und MS) stellen realistische Mikrofon-Setups nach, wodurch Sounds weniger drastisch abfallen, wenn sie nach links oder rechts geschoben werden – in diesen Setups werden Sounds, die komplett auf eine Seite gepannt werden, immer noch schwach von den Mikrofonen aufgenommen, die am weitesten entfernt sind. Die Multichannel-Version von Spatial hat ihre eigenen Panning-Algorithmen: „Nearest”, für Situationen ohne besonderen „Sweet Spot”, und „Ambisonics”, mit dem die Klang-Szenerie stabiler gestaltet werden kann.
Seine volle Magie entfaltet Spatial Stereo in den „Binaural”- und „Transaural”-Modi, mit denen das Gefühl erzeugt wird, sich im selben Raum wie die Klangquelle zu befinden. Der „Binaural”-Modus wurde für Kopfhörer entwickelt und nutzt HRTF-Filter. Dabei werden die einzigartigen akustischen Effekte von Klangwellen nachgestellt, die den äußeren Teil des Ohrs erreichen, bevor sie mit dem Ohrknorpel interagieren und in den Ohrkanal weitergeleitet werden. Um klangliche Qualitäten in Form von Impulsantworten einzufangen, wird ein künstlicher Kopf verwendet, manchmal mit Torso, dessen Ohren aus hautähnlichem Material gefertigt sind und in dem Mikrofone an der Stelle der Trommelfellen verbaut werden. Klang wird dabei unter anderem von dem „Schatten” beeinflusst, der dadurch entsteht, dass der Kopf der hörenden Person dem direkten Weg zwischen dem Ohr und der Klangquelle im Wege steht, sowie durch die Vibrationen, die der Klang im künstlichen Kopf und Körper erzeugt.
Der „Transaural”-Modus indessen versucht, denselben Effekt so genau wie möglich mit Lautsprechern nachzustellen. Manuel erklärt:
„Die Idee dahinter ist, die eigene Morphologie entsprechend der Position der Lautsprecher einzufangen. Dabei kommen ein paar verstellende Faktoren zum Tragen – zum Beispiel erreicht ein Lautsprecher auf der linken Seite als erstes das linke Ohr. Für eine statische Hörposition kann man sich einen 3D-Sound aus zwei Lautsprechern vorstellen. Dabei kann man ein riesiges Panning haben, das bis zu 120, 130 Grad geht, was ein Gefühl des Eingehülltseins und der Bewegung erzeugt, wenn man die Sounds herumbewegt.”
Ergebnis ist eine Hör-Erfahrung, die das fast unheimliche Gefühl hinterlässt, sich im selben Raum zu befinden wie die Klangquellen. Bei Spatial Stereo bietet sich dabei an, Kopfhörer zu benutzen und eine der Klangquellen langsam in kreisenden Bewegungen zu verschieben.
Multichannel
Für Künstler:innen, Produzent:innen und Sound-Engineers, die mit mehr als nur zwei Lautsprechern arbeiten wollen – etwa für die Arbeit an Surround-Sound-Filmsoundtracks oder für Klanginstallationen – birgt SPAT Multichannel noch mehr Optionen. Die Funktionen und Elemente von SPAT Stereo werden dabei um Multichannel-Funktionalität ergänzt, der Lautsprecher-Editor ermöglicht das Erstellen und Bearbeiten von Konfigurationen. Delay-Kompensation sorgt für die größtmögliche Genauigkeit.
Letztlich ist das Ziel, das Manuel und sein Team mit ihrer Technologie verfolgen, ein Verwischen der Grenzen zwischen Klang und Hörenden und das Schaffen von noch körperlicheren Hör-Erfahrungen:
„Wir haben in einer Bucht in Paris einen Soundgarten mit 32 Lautsprechern und veranstalten hier auch Konzerte. […] Man hört Musik, aber man hört sich auch die Umgebung an, beides ist nicht voneinander getrennt. Das ist natürlich und entspannend. Man kann atmen. Das kann viel Kraft bergen.”