Sounds in Context: Neue Instrumente aus Ostafrika
Im folgenden Artikel berichteten wir darüber, wie Emile Hoogenhout traditionelle afrikanische Instrumente aufgenommen hat, um sie für elektronische Musiker weltweit verfügbar und spielbar zu machen.
Im Rahmen von Loop 2016 wird sich Hoogenhout in einem Workshop mit den Techniken und den ethischen Aspekten des Sampelns indigener Instrumente befassen.
Vor ungefähr einem Jahr berichteten wir über eine musikalische Bewegung in Ostafrika, die über die Schnittstelle von Tradition und Elektronik eine neue Art von Aufbruchstimmung erfasst. In der Zwischenzeit haben sich die Dinge rasant weiterentwickelt. Neue Festivals, Parties und Events sind entstanden, die den Wunsch nach einer „afro-futuristischen“ oder „World Music 2.0“-Attitüde konkretisieren – in Form neuer Stilrichtungen, spannender Kooperationen und frischer Herangehensweisen an die Live Performance.
Künstlerkollektive wie Santuri East Africa sind die treibenden Kräfte dieser Entwicklung. Technologie als Plattform für traditionelle Musik und das kulturelle Erbe: Mit diesem Ansatz weisen sie der Diskussion neue Wege. Die Entwicklung einer ostafrikanischen Sample-Library ist eine weitere fördernde Maßnahme – sie umfasst neue digitale Instrumente, die auf traditionellen Klangerzeugern aus den vielfältigen Kulturen der Region basieren und von ihnen inspiriert sind. Vier solche Instrumente wurden von Emile Hoogenhout (alias Behr) aus Johannesburg in einzigartige Ableton-Live-Racks verwandelt, die als kostenloser Download erhältlich sind.
Gregg Tendwa, der kulturelle Aktivist aus Kenia und Mitgründer von Santuri East Africa, erklärt uns, wie es zu dieser innovativen Library kam: „Viele ostafrikanische Musiker und Produzenten sind auf die Standard-Sample-Libraries ihrer DAWs angewiesen. Die damit produzierte Musik kann durchaus gut sein, doch ihr fehlt eine kontextgebundene Authentizität, wie sie durch eine zusätzliche Textur des kulturellen Erbes zustandekommt. Mit Sounds, die in ganz Ostafrika gesammelt wurden, entsteht viel mehr Spielraum für die Entwicklung von einzigartiger Musik, die die tiefgründigen Vibes der Region reflektiert.“
Die Entwicklung einer ostafrikanischen Soundbank
Im Einklang mit dem globalen Trend findet ein großer Teil der Musikproduktion und -aufnahme in Kenia, Tansania und Uganda nicht mehr in traditionellen Studios statt. Die meisten regionalen Produzenten haben keinen Zugang zu Aufnahmestudios, hochwertigen Recording-Equipment oder zu Musikern, die sie aufnehmen könnten. Santuri hat sich über dieses Problem schon länger Gedanken gemacht und Ideen zur Entwicklung einer ostafrikanischen Sound-Library gesammelt – einer Klangressource, die Produzenten, DJs und Musikern Zugang zu Sounds und Instrumenten ihrer eigenen Region gibt und es möglich macht, die Klänge mit Produzenten aus aller Welt zu teilen. Zu diesem Zweck brachten Santuri ein Line-Up von „Roots“-Musikern wie Olith Ratego, Abakasimba Troupe, Msafiri Zawose und Giovanni Kremer Kiyingi mit Behr (der auch als Ableton Certified Trainer tätig ist) zusammen – im Rahmen eines Workshops, der sich mit dem Entwickeln von Instrument-Racks in Live befasste.
Behrs großes Interesse an afrikanischen Instrumenten hatte ihn bereits dazu bewogen, ein Mbira-Rack zu entwickeln. In Nairobi hatte er dann fünf Tage lang die Gelegenheit, vier weitere traditionelle Instrumente aufzunehmen, die es nur in Ostafrika gibt. Die Aufnahmen fanden unter eher ungünstigen Bedingungen statt – mangelnde Schalldämmung, und die Samples mussten in den Pausen anderer Workshops aufgenommen wurden. Trotzdem ist es Emile gelungen, Instrumente mit ungewöhnlichen und einzigartigen Eigenschaften aufzunehmen und in spielbare Live-Racks zu übersetzen – möglicherweise erklingen die Instrumente hier zum ersten Mal in einem nicht-traditionellen Kontext.
„Ich wollte dieses Projekt mit dem größtmöglichen Respekt gegenüber der Kultur und Geschichte der Instrumente und Musiker angehen, gleichzeitig aber auch mittels Ableton Live die musikalischen Grenzen verschieben. Deshalb fragte ich die Künstler nach der Geschichte ihrer Instrumente – alle waren sehr erfreut über die Idee einer Fremdbestäubung der traditionellen Elemente durch Musiktechnologie.“
Zur Realisierung dieser Vision waren hochwertige Aufnahmen erforderlich. Emile: „Ich musste akribische Methoden der Sound-Aufnahme und -Bearbeitung anwenden, um die dynamische Essenz der Instrumente im virtuellen Kontext zum Ausdruck zu bringen – schließlich sollen die organischen Klangfarben größtenteils intakt bleiben, wenn man die Instrumente auf einem beliebigen MIDI-Gerät mit unterschiedlichen Anschlagstärken spielt.“
Davon ausgehend fügte Emile jedem Instrument-Rack einige wohldurchdachte Makro-Regler hinzu, durch die sich Arpeggiator-Parameter, Reverb, Filter Delay und die Rückwärts-Wiedergabe von Samples steuern lassen. Die Racks erlauben das Morphen zwischen den puren, multi-gesampelten Aufnahmen und ihren stark verfremdeten, gefilterten und arpeggierten Entsprechungen – dies ist Emiles konkreter Beitrag zur afro-futuristischen Ästhetik, die sich in Ostafrika gerade herausbildet.
Kostenlose Sounds aus Ostafrika
Auf Emiles Website können Sie das Pack herunterladen, inklusive einer detaillierten Beschreibung des Aufnahmeprozesses. Lesen Sie weiter, um mehr über die sozialen und kulturellen Hintergründe der ursprünglichen Instrumente und ihrer Spieler zu erfahren.
Die Instrumente
Zeze – Tansania
Das Zeze ist in verschiedenen Erscheinungsformen in ganz Ostafrika und benachbarten Regionen zuhause. Es besitzt normalerweise 1-5 über einen Holzhals gespannte Saiten, die in einer offenen, resonierenden Kalebasse enden. Laut Msafiri Zawose, der zu den bekanntesten Zeze-Instrumentalisten zählt, wurde das Saiteninstrument früher „ching’wengng’we“ genannt – eine Lautmalerei des Sounds, der von den kleineren Versionen des heutigen Zeze erzeugt wurde.
Das für dieses Live-Rack gesampelte Zeze ist ein Unikat – entwickelt und modifiziert von Zawoses Familie, die in Bagamoyo lebt: einer Küstenstadt, die eine Autostunde von Tansanias Hauptstadt Dar es Salaam entfernt ist. Der Zawose-Clan repräsentiert seit Jahrzehnten die Musik des Wagogo-Stamms. Dr. Hukwe Zawose, der alles überragende Interpret, machte die Musik durch Tourneen und Aufnahmen für Peter Gabriels Real World Records in den 80er Jahren weltweit bekannt.
Zu Hause in Bagamoyo führte er den Vorsitz einer riesigen musikalischen Familie mit über 50 Mitgliedern und bahnte den Weg für einige Modifikationen und Evolutionen traditioneller Instrumente, um sie seiner künstlerischen Entwicklung anzupassen – von Kalimbas aller Größen bis zu dem einzigartigen Zeze-Modell, das heute von seinem Sohn und musikalischem Nachfolger Msafiri gespielt wird. Das besondere Merkmal des Zawose-Zeze ist sein Umfang – es besitzt 14 Stahlsaiten. Das Instrument besteht aus einer getrockneten Kalebasse, Holz und der Haut eines Warans, einer Ziege, einer Kuh oder einer Pythonschlange.
Msafiri, der das Zeze für dieses Rack aufnahm, erzählt mehr über sein Instrument: „Ich erlernte das Zeze-Spielen mit acht oder neun Jahren. Mit 16 hatte ich das Instrument komplett gemeistert und konnte es auch selbst herstellen. Zum Sound des Zeze habe ich eine besondere Zuneigung – er lässt sich in die Länge ziehen und kann eine Vielfalt von Gefühlen transportieren. Das Zeze kann relaxt und meditativ klingen, aber auch mitreißend sein. Der Sound lockt Tiere an und wird oft von Vögeln imitiert.
Mein Vater brachte mir das Zeze-Spielen bei – später entwickelte er Zezes in verschiedenen Größen und mit mehr Saiten. In der Gogo-Kultur [einem der größten Stämme Tansanias] gab es vorher keine Zezes in dieser Größe, sie wurden auch nicht gezupft. Ich fand es immer sehr spannend, Songs mit dem großen Zeze zu entwickeln – es gab nur wenige andere Leute auf der Welt, die ein ähnliches Instrument besaßen. Sie sind fast alle in Besitz meiner Familie – und selbst in meiner Familie spielt niemand so ein Zeze wie ich.“
Adungu – Uganda
Zwei der Instrumente, die in Ableton-Racks verwandelt wurden, stammen aus Uganda – Endere (eine Flöte) und Adungu (eine Bogenharfe). Beide Instrumente wurden von Giovanni Kremer Kiyingi gespielt, einem jungen Multi-Instrumentalisten aus Kampala.
Adungu ist die neunsaitige Bogenharfe des Alur-Volkes, das im Nordwesten von Uganda beheimatet ist. Sie weist große Ähnlichkeiten und möglicherweise eine direkte Verbindung zur gebogenen Harfe des alten Ägypten auf – und ähnliche Instrumente finden sich auch in West- und Nordafrika. Laut der informativen Website Singing Wells waren Bogenharfisten meist von gehobener gesellschaftlicher Stellung: „Traditionell war es nur Harfisten gestattet, im Zimmer der Hofdamen zu musizieren, und im Palast von Kabaka (des Stammeshäuptlings der Baganda in Uganda) war oft ein Harfist untergebracht. In manchen Fällen wurde er auf königlichen Befehl geblendet – um ihn gegen die Reize seines Publikums zu immunisieren oder abhängig von seinem Herrn zu machen.“
Heute kommt die Adungu hauptsächlich bei Hochzeiten und Beerdigungen zum Einsatz – sowohl solo als auch im Ensemble gespielt. Giovanni, der Instrumentalist dieses Racks, zählt zu den führenden Adungu-Vertretern. Er lernte das Instrument in seiner Schulzeit und ging später bei einem Musiker des Königspalasts in den Unterricht.
Endere – Uganda
Die Endere mag ein weniger eindrucksvolles Aussehen besitzen, hat in der musikalischen Landschaft Ugandas aber seinen festen Platz. Die Flöte des Baganda-Volkes ist je nach Region auch unter anderen Namen bekannt – beim Volk der Banyankore und der Bakiga als „Omukuri“, beim Volk der Basoga als „Akalere“ und beim Volk der Iteso als „Alamaru“. Sie wird über das leicht V-förmige Ende angeblasen und besitzt meist vier Grifflöcher. Die Endere begleitet den Tanz, ihre Melodien erklingen aber auch für die Kühe auf der Weide und in Liebesliedern. Dies wird von Giovanni bestätigt:
„Als ich mit meinem Vater in den Westen Ugandas reiste, sah ich viele Kinder, die die Flöte für die Kühe spielten, beim Grasen und Melken. In der ganzen Zeit versuchte ich, dieser Flöte Töne zu entlocken. Eines Tages hatte ich die Gelegenheit, mich mit dem inzwischen verstorbenen Prof. Ssempeke zu unterhalten – dem besten Flötenspieler des Königreichs – und entdeckte meine Liebe zu diesem Instrument. Es kann so viele Melodien produzieren, deswegen liebe ich das Instrument immer mehr und suche nach neuen Wegen, es zu spielen.“
Ohngala Drums – Kenya
Die für dieses Pack aufgenommenen Drums stammen aus der Ohangla-Kultur, die in der Ethnie der Luo im Westen von Kenia ihren Ursprung hat. „Ohangla“ bezeichnet einen Tanz und einen Musikstil, der oft bei Beerdigungen und Hochzeiten gespielt wurde und Teil von Tero Buro ist – eines Übergangsritus der Luo. Ohangla war für sehr schnelle Tempi und vulgäre Botschaften bekannt und wurde mit provokativem Tanzen und gesetzeswidrig hergestelltem Gebräu in Verbindung gebracht. Aus diesem Grund erließen die Stammesältesten der Luo irgendwann die Verordnung, dass Ohangla nur für ein erwachsenes Publikum geeignet sei. Ein berühmtes Luo-Sprichwort besagt, dass Ohangla aufgrund der ihm zugeschriebenen verführerischen Wirkung „niemals zur Unterhaltung einer Dame“ dienen dürfe. Diese Reputation hat Ohangla inzwischen größtenteils verloren – der Stil fand über Stammesgrenzen hinweg Zuhörer und ist sehr beliebt bei großen Kinderfesten. Ochieng Moses Ochieng (a.k.a Moseh Drumist), der die Aufnahmen für das Rack lieferte, weist trotzdem auf seine hypnotische Qualität hin:
„Diese Trommeln wurden bei sakralen Zeremonien gespielt – ihre Sounds sind therapeutisch und ergreifen von den Zuhörern Besitz. Wenn ich sie spiele, fallen die Leute meist in Trance… sie schicken ihre Seelen auf eine Reise.“
Africa Ni Leo (Africa is now)
Die vier Instrumente, die hier erhältlich sind, repräsentieren ein umfangreiches geographisches Terrain, das von den Küstenregionen Tansanias bis in den Westen Kenias und nach Nord- und Zentral-Uganda reicht. Im Zuge der rasanten Urbanisierung des regionalen kulturellen Lebens sind viele Musikstücke in Vergessenheit geraten, die für andere, ähnlich einzigartige Instrumente geschrieben wurden. Santuris Interaktion mit diesen musikalischen Kulturen bildet laut Behr eine Plattform, die ihre Bedeutung für die kreative Dimension reflektiert: „Die Musik hat sich durch Rituale und Erfahrungen in vielerlei Weise ausgedehnt und erweitert. Dieses Projekt unterstreicht die Empfindung, dass nichts so bleibt, wie es ist – dies war bei allen beteiligten Künstlern spürbar, als sie das Traditionelle und das Moderne mit der Klangwelt des Unbekannten kombinierten“.
„Von einer allgemeingültigen Aussage über den Sound Ostafrikas sind wir noch weit entfernt“, betont Gregg Tendwa von Santuri. „Darum ging es auch nur am Rande, als wir diese Samples sammelten und die Racks entwickelten. Es ging um die Idee, dass die Nutzung und Bewertung dieser Sounds durch ein Netzwerk von Produzenten, DJs und Musikern einen organischen Sound hervorbringen könnte. Wenn wir die Klänge einer westafrikanischen Kora hören, wissen wir, wo diese Musik zuhause ist – egal ob sie in einem HipHop- oder Folk-Track zum Einsatz kommt. Wir freuen uns auf eine wachsende Wertschätzung dieser Klänge und hoffen, dass die besondere Qualität der Sounds aus Ostafrika weltweit Anerkennung erfährt.“
Bleiben Sie bei Emile Hoogenhout und Santuri Safari auf dem Laufenden.