Sote: Radikaler Elektro aus dem Iran
Iran ist vermutlich nicht der erste Ort, an dem man bei moderner elektronischer Musik denkt. Nach der Revolution von 1979 wurde das Land zur islamischen Republik, in der politische Spannungen, ökonomische Sanktionen und kulturelle Isolation dazu führten, dass die Musikkultur des Landes abgekapselt blieb. Seit den 1980ern waren klassische und Volksmusik die einzigen offiziell genehmigten Musikrichtungen; Pop- und Rock-Musiker mussten aus dem Untergrund agieren, gezwungen, nur außerhalb der Reichweite der Zensur zu performen. Musik aus dem Ausland zu besitzen oder anzuhören war schwierig und teils gefährlich, und erst in den letzten ca. 10 Jahren konnten Iraner – hauptsächlich dank des breiten Internetzugriffs – den weltweiten Entwicklungen in der Musik folgen und daran teilhaben.
Einige Einschränkungen gelten noch immer, doch da elektronische Musik weitestgehend instrumental ist, wird es nicht so sehr als schädlicher Einfluss auf die iranische Jugend eingestuft. So wird elektronischen Musikern eine gewisse Freiheit zugestanden, zu performen, Festivals zu organisieren und sogar außerhalb des Landes zu touren. In dieser sich rapide entwickelnden Szene hat Ata Etbekar aka Sote eine eher ungewöhnliche Position; da er den Großteil seines Lebens in Deutschland und den USA verbracht hat und von Labels wie Warp, Sub Rosa, und Morphine veröffentlicht wurde, kennt sich der heute in Teheran lebende Künstler sowohl mit dem Umstand aus, Musik im Iran zu machen als auch außerhalb davon. Sein neuestes und viel gelobtes Album Sacred Horror In Design bringt diese Doppelperspektive zum Ausdruck, indem es Sotes ausgefeilte Synthesetechniken in einen Dialog mit traditionellen persischen Instrumenten bringt. Die daraus entstehenden gebrochenen Rhythmen, radikalen Soundtransformationen und extremen Klangfarben sorgen für ein teils recht anspruchsvolles Hörerlebnis. Aber zugleich haben Sotes musikalische Betrachtungen über Widerstand und Versöhnung etwas unmittelbar Bereicherndes, Fragiles und Wunderschönes.
In unserem Interview gibt uns Ata Einblick in den Aufnahmeprozess und die Live-Performances seines Albums; er erzählt von seiner musikalischen Prägung und skizziert die aktuelle Situation für Musikschaffende im Iran. Außerdem stellt er Samples aus dem Track “Holy Error” zur Verfügung, die Sie kostenlos herunterladen können, um Ihre eigene Version davon zu erstellen.
Deine neueste Platte Sacred Horror of Design ist nicht das erste Mal, dass du Elemente persischer Musik in deine Tracks eingebaut hast. Wie kam es dazu? Welche Instrumente hören wir auf der Platte? Woher kommen die Aufnahmen?
Tatsächlich begann ich meine Experimente mit persischer elektronischer Musik vor etwa 14 Jahren. Meine Alben Destgaah und Persian Electronic Music - Yesterday and Today waren meine Vision von traditioneller persischer und Volksmusik in einem rein elektronischen Gefüge.
Das Album Ornamental(ism) war eine elektronisch-akustische Kollaboration zwischen mir, Alireza Mahayekhi und seinem Iranischen Orchester für Neue Musik. Ich bekam Studioaufnahmen des Orchesters und machte zusätzlich Aufnahmen von den Musikern während ihrer Konzerte und Proben, um sie als Quellmaterial zu benutzen, das ich bearbeitete, dekonstruierte und zu neuen Elementen rekonstruierte.
Für ‘Sacred Horror In Design’ (Opal Tapes 2017) wollte ich mich nicht in irgendeiner Form wiederholen. Für dieses Projekt wurden die Stimmung der klassischen persischen Musik und die Färbung der Instrumente nicht verändert. Nur für einige Stücke habe ich die Instrumente in dem Prozess bearbeitet, um eine künstliche Version der akustischen Instrumente zu schaffen, damit sie uneingeschränkt neben ihren trockenen akustischen Gegenstücken stehen können.
Die akustischen Elemente in völlige Harmonie mit ihren elektronischen Gegenparts zu bringen, ohne dass ein Element das andere überlagert, war eine Herausforderung. Aber das Schöne an elektronischer Musik ist die Freiheit, die man hat, mit Frequenzmodulation, spektralen, granularen und Waveshaping-Techniken wunderbare mikrotonale Melodien und Harmonien zu erzeugen, was letztendlich eine herrliche Palette an akustischen Qualitäten bietet, um sie mit den persischen Instrumenten und Tonleitern übereinander zu schichten.
Die Instrumente, die für dieses Projekt benutzt wurden, sind die Santour (persisches Hackbrett, das mit Schlägeln gespielt wird), die Setar (persische Laute – nicht zu verwechseln mit der indischen Sitar) und die Kamancheh (persisches Streichinstrument). Alle Aufnahmen dieser Instrumente wurden zu Hause mit minimaler Ausrüstung gemacht.
Um das Material von Sacred Horror in Design zu performen hattest zwei zusätzliche Musiker dabei. Wer sind sie und wie sind sie in deine Performance integriert?
Arash Bolouri spielt die Santour, Behrouz Pashaei ist an der Setar und Tarik Barri macht Live Visuals. Ich arbeite mit Ableton Live und spiele für die elektronischen Parts Clips in der Session View. An die akustischen Instrumente sind Pick-Ups angeschlossen, die direkt an mein Audio-Interface ausgeben, so dass der Sound in Ableton mit verschiedenen Effect Racks bearbeitet wird. Gleichzeitig bespielen Mikrofone das Vorderhaus separat ganz ohne Effekte. Tarik Barri hat ein Max-Plug-In für Live geschrieben, um meine Szenen mit seinem System zu synchronisieren.
Die Musiker und ihre filigranen Akustikinstrumente sind für dieses Projekt von höchster Wichtigkeit für mich, da sie den gleichen Stellenwert haben wie das laute elektronische Chaos, das gleichzeitig abläuft. Immer wenn wir performen, muss ich sichergehen, dass der Live-Tontechniker dieses Konzept versteht und sich um das Thema Feedback kümmert, das immer ein Problem darstellt.
Bei einigen Stücken, die Raum für Improvisation bieten, versuche ich über digitales Signal-Processing in einen direkten Dialog mit den Musikern zu treten, und für den Rest bearbeite ich entweder die Akustikinstrumente oder spiele bestimmte elektronische Elemente, um die reine Klanglandschaft der iranischen Instrumente zu begleiten.
Meine Racks enthalten alle Live-eigene Effekte, wie Granular-Processing, Frequenzsplitting, Verzerrung, Ringmodulation, eine Kombination von Bandpassfiltern und Delays für Resonanzen, Waveshaping sowie Convolution Reverbs auf Aux Tracks – mit zugewiesenen Makro-Parametern für schnellen Zugriff.
Du hast freundlicherweise Samples von den Instrumenten Santour und Setar sowie die analogen Serge-Synth-Parts, die im Track “Holy Error” verwendet wurden, zur Verfügung gestellt. Wie und wo hast du diese Sound aufgenommen?
Die Serge-Samples stammen von meiner Residenzzeit am EMS in Stockholm und sind dieselben, die ich für das Stück ‘Holy Error’ auf dem Album verwendet habe. Die Samples der Santour und Setar, die sowohl mit traditionellen als auch mit erweiterten Techniken performt wurden, wurden mit einem Rode NT2-A Mikrofon in Kombination mit den Pick-Ups an den Instrumenten neu aufgenommen. Die Phrasen sind exakt dieselben wie in der Album-Version, aber wir haben beschlossen, einige zusätzliche Phrasen für die Ableton Community aufzunehmen.
Teilen Sie Ihre Neu-Interpretation des Tracks “Holy Error” mit Sote auf SoundCloud, indem Sie die Sounds im Dowload benutzen. Seine drei Favoriten erhalten das Album Sacred Horrors of Design als CD und ein Ableton Pack* ihrer Wahl.
Die meisten Leute im Westen wissen nicht viel über den Iran; kannst du daher beschreiben, welche Rolle Musik dort im täglichen Leben spielt? Und wie passt die Musik, die du machst, da rein? Gibt es eine Szene für elektronische Musik im Iran?
Musik und Poesie waren schon immer ein wesentlicher Bestandteil im täglichen Leben iranischer Menschen mit den verschiedensten sozialen Hintergründen. Das ist auch heutzutage so, auch wenn es Sittenwächter gegeben hat, die Musik mit Misstrauen beäugt und verdächtigt haben, sie könnte sie soziale und schließlich sogar politische Kontrolle kosten.
Ironischerweise wurden bestimmte Musikrichtungen während der heftigsten Propagandaphase eingesetzt, um die Massen zu beeinflussen, und auf der anderen Seite wurden manche musikalischen Werke aus unverständlichen Gründen verboten.
Da aber alle Kunstformen tief in der persischen Kultur verwurzelt sind, konnte nichts das Schaffen von einer Kunst wie Musik verhindern. Vor allem, weil musikalische Information und Tradition von Generation zu Generation weitergegeben wurde, uns zwar von den einfachen Leuten und nicht durch eine organisierte Akademia – zumindest bis vor Kurzem.
Improvisation ist ein elementares Merkmal traditioneller persischer Musik, und ich glaube, dass das iranischen Künstlern geholfen hat, sich instinktiv ihrer aktuellen politischen und sozialen Umgebung anzupassen und mit ihrer Kunstform weiterzumachen, wie sie nur können.
Heute können und werden alle Formen von Musik natürlich über das Internet und Satellitensysteme gehört, auf die vor allem die jüngeren Generationen zugreifen. Dennoch ist der Großteil öffentlich ausgestrahlter Musik entweder traditionelle iranische Musik und/oder iranischer Pop, der vom Ministerium für Kultur und islamische Führung genehmigt ist.
Ich hätte gerne eine wöchentliche Sendung im iranischen Radio, um dem ganzen Land die wunderbaren internationalen Erscheinungen von experimenteller elektronischer Musik vorzustellen, aber das ist nahezu unmöglich, wenn alle Radio- und TV-Sender in Regierungsbesitz sind und auf einen bestimmten Geschmack zugeschnitten werden. Fürs Erste müssen wir also auf das Internet zurückgreifen, um gehört zu werden.
Die experimentelle elektronische Musikszene im im Iran ist ziemlich klein, aber es gibt definitiv jede Menge Aktivitäten von zahlreichen Crews und Organisationen in diesem Bereich. Bisher waren die Reaktionen und der Zuspruch wunderbar positiv. Ich bin optimistisch, dass die ganze elektronische Sound- und Kunstbewegung über Performances, Präsentationen, Lesungen und Workshops in kleinem Rahmen relativ schnell wachsen kann. Und hoffentlich werden die verantwortlichen Menschen an der Macht dies in der nahen Zukunft auch unterstützen.
Wie bist du ursprünglich zur Musik gekommen? Bist du Autodidakt oder hattest du eine formale Musikerziehung in persischer und/oder westlicher Musik? Falls ja, wie wendest du diese Ausbildung in der Musik an, die du heute machst?
Ich bin in Deutschland geboren, habe aber im Iran gelebt, bis ich 11 Jahre alt war. Dann zog ich nach Oldenburg und später mit 17 Jahren nach Nordkalifornien, wo ich 25 Jahre lang lebte. Vor etwa fünf Jahren bin ich wieder dauerhaft in den Iran zurückgekehrt.
Ich erinnere mich, dass ich mir kurz nach der iranischen Revolution, als ich etwa 7 oder 8 Jahre alt war, gerne westliche Popmusik auf illegal eingeschmuggelten Mixtapes anhörte, die meine Cousins mir überspielt hatten, und dass ich mich stark zu den seltsamen Sounds hingezogen fühlte, die ich später als Synthesizer-Sounds erkannte. Ich spulte ständig zurück zu diesem Piepsen, Rauschen und den Hits. Diese Elemente würden für mich immer Priorität vor Melodien und Lyrics haben.
Während meiner Teenagerzeit in Deutschland gründete ich mit zwei Freunden eine Band für rein elektronische Musik, mit der wir Songs von den frühen Depeche Mode, Front 242 und Nitzer Ebb coverten. Schließlich begannen wir, eigene Songs zu schreiben und auf Schulveranstaltungen zu spielen. Einige Jahre nachdem ich in die Staaten gezogen war, begann ich, mir selbst mehr Synthesesprachen beizubringen und meine Techniken, elektronische Musik zu machen, zu erweitern.
In den frühen 90ern war elektronische Musik in ihrem Kern sehr experimentell, und mir gefiel der Umstand, dass Formeln keine Rolle spielten und das Entwickeln neuer Techniken und Tricks sehr begrüßt wurde. Ich sollte eigentlich Zahnarzt werden, doch dann entschied ich mich, die Richtung zu wechseln und begann Sound Arts in Nordkalifornien zu studieren. Musiktheorie war Teil des Lehrplans, aber ich hatte nie eine formale Ausbildung in persischer Musik.
Ich interessiere mich für instinktive Harmonien und Melodien und kümmere mich nicht um Regeln, die andere Leute aufgestellt haben. Meine Kompositionen beginnen mit einer reinen Soundsynthese in meinem Kopf. Beim Sound Design stelle ich mir vor, dass die verschiedenen Frequenzbänder die Musiker in einem großen Ensemble sind. Ein anderer wichtiger Bestandteil meiner Komposition ist das Programmieren von Patterns. Ich programmiere leidenschaftlich gerne polyrhythmische Schemata aus Mikrostrukturen, die sich dann zu Makro-Netzwerken in einem Megasystem herausbilden.
Welche Tools benutzt du hauptsächlich zur Komposition? Wie sieht dein aktuelles Studio Set-Up aus? Und dein Performance-Set-Up?
Als meine Frau und ich uns dazu entschlossen haben, für immer in den Iran zu ziehen, musste ich all meine Hardware verkaufen, weil jeder nur zwei Koffer mitnehmen durfte. Aufgrund der Sanktionen gegen den Iran war es nicht möglich, unsere Habe dorthin verfrachten zu lassen. Alles musste verkauft werden. Daher war mein Set-Up in den darauf folgenden Jahren ein Apple Laptop, zwei kleine Korg Nano MIDI Controller, ein Focusrite Saffire Pro 24 Audio Interface und ein Paar Beyerdynamic DT 770 Kopfhörer.
Seit den späten 80ern habe ich jede erdenkliche Hardware benutzt und später auch in Verbindung mit vielen verschiedenen Programmen. Wie auch immer, heute besteht mein Set-Up sowohl für Komposition als auch für Performances hauptsächlich aus Ableton Live (seit Version 2), in Verbindung mit Instrumenten und Effekten von Native Instruments.
Neben deiner eigenen Musik, die du produzierst und performst, unterrichtest du auch in Teheran. Kannst du etwas über diese Arbeit erzählen?
Ich habe früher Computermusik und zahlreiche andere Kurse an einem Sound Arts College in den USA unterrichtet, wo alle möglichen Studios und Tonnen von Ausrüstung zum Unterrichten zur Verfügung standen. Im Iran dagegen gibt es kein Sound Arts College und nicht einmal ein Sound Arts Programm. Also fragen mich viele interessierte, junge Iraner bei meinen Performances in Teheran nach Privatstunden.
Zuerst wusste ich nicht, welche Tools ich zur Wissensvermittlung anwenden sollte, besonders da man im Iran nur bedingt Equipment kaufen kann. Dennoch besitzt nahezu jeder, der sich für elektronische Musik interessiert, eine gecrackte Version von Ableton Live. Dieser Umstand in Kombination mit meiner Passion für Sound haben dazu geführt, dass ich mich entschied, nur Ableton Live für meine Privatstunden in Synthese und Sound Design zu verwenden. Dieser Unterricht besteht aus Einzelstunden, bei denen Ableton mit einigen Monitoren auf meinem Laptop läuft.
Meine Schüler haben die unterschiedlichsten Hintergründe, zum Beispiel Theaterleute, Hochschulstudenten der Komposition, Linguisten, Ärzte, Elektro-Musiker und Laien, und alle verbindet ein Interesse für Sounds. Sie reisen von weit her aus dem ganzen Iran an, und ganz gleich, welche Musikrichtung sie bevorzugen, sie alle wollen lernen, wie man elektronische Musik von Grund auf macht.
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*Ausgeschlossen sind Pack Bundles