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Soso Tharpa: Klänge recyclen
Der Stil von Soso Tharpa ist unverwechselbar eigensinnig. Die Tracks des Produzenten aus Washington D.C. haben so viel Energie und Nachdruck, dass man an meterweise Synths, hochwertige Signalketten und blinkende rote Lichter denkt, in Schach gehalten von High-End-Mischpulten. Dabei führt mehr Hardware laut Soso Tharpa nicht unbedingt zu besserer Musik. Seit er einst ein MIDI-Keyboard gekauft, die mitgelieferte Live-Lizenz entdeckt und fast aus Zufall seine Musikkarriere begonnen hat, legt er den Fokus auf Sounds aus den unmittelbarsten Quellen – und vermeidet unnötigen kreativen Überfluss.
„Ich bin nicht unter den schwierigsten Umständen aufgewachsen, musste aber immer mit den Sachen auskommen, die ich halt hatte,” erzählt Tharpa, mit echtem Namen Michael Aniekwe, im Videogespräch mit uns. „Und ich glaube, das hört man meiner Musik auch an. Ich arbeite in drei verschiedenen Tracks mit demselben Sample, aber Leute hören das durch die Bearbeitung nicht mehr.”
Aniekwes überschaubare Diskographie mag den Eindruck erwecken, seine Karriere stünde noch ganz am Anfang, hinter der veröffentlichten Musik stehen jedoch viele Jahre der Entwicklung eines eigenen Sounds. Seit der Musiker erstmals mit seiner Musik an die Öffentlichkeit ging, konzentriert er sich entschieden auf die Gründe, aus denen er einst mit dem Musikmachen anfing. Dem Druck der heutigen Zeit, die auf stetige Produktivität und Sichtbarkeit drängt, verweigert Aniewke sich; seine Musik hat das Interesse renommierter Labels und DJs geweckt, ohne dabei die branchenüblichen Wege der PR- und Networking-Strukturen einzuschlagen. Damit fungiert Aniewke als inspirierender Reminder, dass Talent sich am Ende immer durchsetzt.
Sein Debüt hatte Aniewke mit seinem 12-Inch-Release Decode / Sea Mojo auf Future Times, einem Washingtoner Label von Max D. Schon hier ist der sowohl neugierige als auch einzigartige Charakter der Musikszene Washingtons spürbar. Jener findet sich auch auf der Evolution EP, die auf dem ebenfalls renommierten und innovativen Label 1432 R erschienen ist.
Um das kreative Umfeld von Aniewke greifbarer zu machen, sollte an dieser Stelle der Einfluss von Max D auf die Musikszene der Stadt erwähnt werden: „Max D hat sehr zur Schaffung eines diversen Raums beigetragen, in dem Künstler:innen sich entfalten können,” betont Aniekwe. „Wenn man mit Max D geredet hat und in seinem [mittlerweile geschlossenen] Laden ‘Future Times’ war, hat man da jede:n aus der Szene getroffen, egal ob man eher auf Techno stand, Hip-Hop gehört hat oder Bass Music, und ich glaube, sowas hatte Einfluss auf viele von uns, und so sind die Grenzlinien verschwommen – alles wurde diverser.”
Auf ‘Decode’ und ‘Sea Mojo’ zeigt Aniekwe, wie instinktsicher und innovativ er klassischen Techno und Electro zu einem stimmigen Sound weiterentwickelt. Authentizität ist ein schwieriges Konzept für Tanzmusik – in Anbetracht der etablierten Rezepte für derlei Genres unterscheiden sich die gesichtslosen Copycat-Produzent:innen nur durch subtile Qualitäten von denjenigen Musiker:innen, die einem Vier-Viertel-Clubtrack neues Leben einhauchen. Die Einzel-Elemente von ‘Decode’ sind vertraut, durch Aniekwe sind sie jedoch voller Leben.
„Auf ‘Decode’ habe ich auf jeden Fall mit ein bisschen Saturation und Glue-Kompression gearbeitet,” erzählt Aniekwe über den Ausnahme-Track im Meer der 90er-US-Techno-Releases. „Ich weiß noch, wie ich einen Track namens ‘Chic’ gehört habe – ich weiß nicht mehr, von wem – und der so ein super lebendiges Hat-Pattern hatte, aber was mir aufgefallen ist, ist dass die hohen Frequenzen der Hats nicht besonders prononciert waren. Bei ein paar Songs im Stil von ‘Decode’ springen einem die Claps und Hats direkt ins Ohr. Ich wollte das ein bisschen dämpfen und die ganzen anderen Synths und atmosphärischen Elemente für sich sprechen lassen.”
“Der Bass ist sehr besonders,” ergänzt Aniekwe. „Ich wollte was total einfaches bauen, weil der Synth und die Drum-Patterns so präsent waren, also habe ich einfach einen Square-Wellen-Synth genommen und ein paar einfache Pattern gemacht, die das Momentum des Tracks mit antreiben.”
‘Decode’ und ‘Sea Mojo’ zeichnet ein klassisches US-Flair aus. Die Sounds, die Aniekwe in seiner Musik sucht, sind jedoch auch von Einflüssen aus anderen Weltregionen geprägt. Zu Schulzeiten schon hatte er sich für Hip-Hop, Grunge und Punk interessiert und war stets auf der Suche nach Musik jenseits der Top 40. Die Zeit, die er bei Future Times verbrachte, vertiefte sein Verständnis für musikalische Offenheit, die L.E.N.G.-Partys und D.C.-DJs wie Djoser eröffneten ihm Perspektiven auf Dubstep- und Post-Dubstep-Sounds aus UK. All jene Einflüsse flossen in Aniekwes Musik zusammen – ein perfektes Beispiel dafür ist seine Evolution EP.
„Ich schaue zu Leuten wie Objekt oder Batu auf, weil ich mich immer gefragt habe: Wie haben die das geschafft, sechs Minuten lang diesen weirden Synth abzuspielen, ohne dass mich das langweilt?,” erklärt er. „Etwas, worauf ich echt stolz bin, ist mein Arrangement. Ich will gar nicht schlecht über andere Produzent:innen reden, aber ich habe das Gefühl, das Arrangement geht verloren, weil sehr einfache Tracks im Kommen sind. Einen Track zu machen und jeden Part anders zu gestalten ist mittlerweile echt eine Zerreißprobe.”
Auch noch die eher linearen Layouts von ‘Evolution’ und ‘Ruminating on Blue’ sind Beispiele für Aniewkes zunehmendes Selbstvertrauen mit dem Arrangement: Die Tracks bewegen sich durch progressive Salven aus Synth Hooks und legen lebendige Klanglandschaften um eindringliche Akkorde. Den Übergang in eher experimentelle und dramatische Gebiete schaffen schließlich ‘Action’ und ‘Hajj’; die großartig ausgefallene B-Seite der EP ist voller Momente ausgesetzter Lebhaftigkeit, angetäuschter Drops und unerwarteter Verschränkungen. Besonders der Track ‘Hajj’, der auf Percussion und Rhythmen des Mittleren Ostens referenziert, markiert eine neue Facette seiner Klangpalette.
„Ich habe viel arabische Musik gehört, als ich ‘Hajj’ gemacht habe, und ich fand die Bedeutung des Wortes schön: nach Mecca reisen,” erklärt Aniekwe. „Die Drums sind auf jeden Fall von arabischer Musik inspiriert und ich habe für den Track Monate gebraucht. Ich war zufrieden damit, was ich mit dem Sample von dem rufenden Typen gemacht habe. Manchmal kriegt man Samples, und das Sample selbst ist gut, aber wenn man das dann in den Track einfließen lässt, an dem man gerade arbeitet, dann dominiert es einfach den kompletten Mix. Ich dachte mir: Wie kriege ich das hin, dass der Typ in diesem ganzen Chaos schreit? Also habe ich es in einen Sampler importiert und den Typen einfach reingetappt – ich hab’s super einfach gehalten. Dann habe ich ein bisschen was außenrum gebaut wie den Flötenpart, sodass ich nicht mehr das Gefühl hatte, dass der Typ sich in einem Vakuum befindet. Der [Track] war wie ein Puzzle.”
„In Nigeria gibt es einen Musikstil namens Ogene, der sehr tribal ist,” fügt er hinzu. „Diese Typen machen super komplexe Rhythmen, einfach mit einem Stock und einem Stück Metall. Ich glaube, es gibt eine MIT-Vorlesung, in der gezeigt wird, dass diesen Beats komplexe mathematische Charakteristiken zugrunde liegen. Ich glaube, dieser Teil meiner Kultur hat auf jeden Fall auch ‘Haji’ beeinflusst, wo man vielleicht nicht viel hat, womit man arbeiten kann, aber man kann etwas machen, was gleichzeitig sehr komplex und rhythmisch ist. Das bewundere ich sehr an Künstler:innen auf dem Timedance-Label oder auf Hessle Audio, wo sie Sachen haben, die komplex klingen, aber trotzdem rhythmisch sind. Das ist die Balance, die ich gerade auch erreichen will.”
So wie auch durch das Sequencing und Arranging sucht Aniekwe eine tiefere Komplexität auch durch wiederholtes Re-Sampling seiner nicht allzu ausufernden Sample-Bibliothek. Als wir uns erstmals trafen, um über die Prozesse hinter seinem einzigartigen Sound zu sprechen,verglich er seine Sichtweise auf Audio mit der auf Altmetall: Parts, die einem erstmal nutzlos vorkommen, können durch genug Arbeit zu wichtigen Komponenten von etwas Neuem werden. Unsere Frage nach Lieblings-Signalketten für experimentelles Sounddesign beantwortet er mit einem Lachen.
„Um einen Sound zu kriegen, packe ich 10 verschiedene Effekte auf denselben Kanal,” erzählt er. „Ich weiß, dass das nicht die CPU-effizienteste Herangehensweise ist, aber hey, so bekomme ich diesen Sound. In letzter Zeit habe ich viel mit den Presets von Multiband Dynamics gearbeitet, die sind wirklich super. Ich nehme irgendein Sample, werfe den Speech Enhancer drauf, nehme eine andere Anwendung, die auf Vocal Control gestellt ist, schmeiße die auch drauf, spiele dann mit den Tiefen, den Mitten, den Höhen, sample das runter und verändere es einfach immer weiter. Dasselbe mit dem Vocoder. Ich weiß einfach, immer wenn ich mich hinsetze und mich beim Sounddesign treiben lasse, komme ich in einen Flow-Zustand. Das ist fast meditativ.”
Der Prozess leidenschaftlicher Experimente zeigt sich auf Aniekwes neuestem Release Into The Flood EP noch deutlicher. Nachdem er sich von Future Times und 1432 gelöst hatte, entschied er, die vier Tracks selbst zu veröffentlichen. Statt die langsam mahlende Prozesse des Pressens und Vertriebs einer Platte abzuwarten, wollte er die Musik schnell und nach seinen eigenen Bedingungen veröffentlichen. Auch ohne offizielle PR-Kampagne erfuhr die EP, die nur auf Bandcamp veröffentlicht wurde, viel Unterstützung und Anerkennung – obwohl sich Aniekwe gegen den Druck wehrte, produktiv zu sein und innerhalb der Szene sichtbar zu bleiben.
„Ich hatte irgendwie aus den Augen verloren, warum ich eigentlich Musik mache,” erzählt er über die Zeit vor Into The Flood. „Ich hatte nicht mehr so viel Spaß dran, war frustriert und fragte mich: Warum klingt dieser eine Track nicht so, wie ich will? Ich musste nochmal einen Schritt zurückgehen und mir andere Bereiche meines Lebens anschauen, die mir Spaß machen, um dann auf eine gesunde Art zur Musik zurückzukehren. Mir diesen Raum zu nehmen – und das trotz des Tempos, in dem andere Leute Musik herausbringen – half mir dabei, diese vier Tracks zusammenzukriegen.”
Die vier Tracks auf Into the Flood bestechen durch die komplexesten Rhythmen und die detaillierteste Produktion, die die Diskographie von Soso Tharpa derzeit zu bieten hat, und auch die Klangqualität der Tracks ist beeindruckend. Dass fast alle Musik heute irgendeine Art des Masteringprozesses durchläuft, ist nichts Neues. Aniewke hat seine EP jedoch selbst released – wie hat der Musiker es also geschafft, die darauf enthaltenen Tracks derart für die Öffentlichkeit aufzupolieren?
„Ich glaube, ich habe in der Beschreibung gelogen,” lacht er. „Ich habe sowas geschrieben wie: Mix und Mastering von Soso Tharpa,” aber ich habe die nicht selbst gemastert. Man kann ohne Mastering tatsächlich relativ weit kommen, indem man beim Mix einfach effizient mit Kompression arbeitet. Das ist etwas, was ich vor kurzem herausgefunden habe und wodurch ich mich jetzt wie Hercules fühle. Endlich habe ich Kompression verstanden. Ich habe online was gelesen, wo so ein Typ das erklärt hat, als würde er mit Fünfjährigen sprechen.”
Aniekwe wird heute von Labels angefragt und genießt den Support bekannter DJs aus verschiedenen Techno- und Bass-Music-Subgenres. Daraus zieht der Produzent das Selbstvertrauen, in seinem eigenen Tempo zu arbeiten und sichergehen zu können, dass er noch aus den richtigen Gründen Musik macht. Man könnte also sagen, er trägt eine Musiktradition weiter, die sich mit Stolz auf D.C. bezieht und auf einen der einzigartigsten Exportschlager der Stadt zurückgeht: go-go.
„TOB, TCB, Backyard Band, all diese go-go-Bands wurden von Leuten gegründet, die in der Hood aufgewachsen sind, nicht wirklich die Mittel hatten, sich Schlagzeuge zu kaufen und dann angefangen haben, auf Mülltonnen zu trommeln,” erklärt Aniekwe. „Die musikalische Identität dieses Ortes hat viel damit zu tun, dass wir einfach nur wir selbst sind.”
Text und Interview: Oli Warwick
Photos: Madeleine Sargent
Übersetzung: Julia Pustet