SG Lewis: Die Brücke in den Untergrund
Eigentlich macht Sam Lewis nicht gern alleine Musik. „Das ist wie alleine in eine Kneipe zu gehen,” sagt er. „Es kann wahrscheinlich schon Spaß machen. Aber mit anderen Leuten zu arbeiten ist einfach viel aufregender.”
Das ist keine Überraschung von jemandem, auf dessen langer Liste der Kollaborationspartner:innen neben Elton John und Nile Rodgers auch Jessie Ware, Robyn und Dua Lipa stehen, an deren herausragenden Track „Hallucinate” Lewis sowohl bei Produktion als auch Komposition beteiligt war. Mit neuen Künstler:innen zu arbeiten bedeutet für Lewis, neue Studiotools kennenzulernen; jede:r davon bringt eine ganz neue Sammlung an Perspektiven und musikalischen Ideen mit.
Dua Lipas Track „Hallucinate”, co-komponiert und - produziert von SG Lewis
„Ich fühle mich wie ein Kind im Süßwarenladen,” lacht er. „Ich kann einfach nach meinen Wünschen kollaborieren und beschäftige mich mit Fragen wie: Wie würde Robyn auf einem klobigen Eurodance-Beat klingen? Ich habe einfach Spaß. Ich kann mit großartigen Künstler:innen arbeiten und fühle mich dabei in allererster Linie immer wie ein Fan.”
Darin liegt auch die Chance, die mit der Solo-Arbeit einhergehenden Ängste und Selbstzweifel abzulegen. „Anders als bei meinen anderen Projekten, bei denen ich mich frage: ‘Wie repräsentiert diese Musik mich und meine Kunst?’ kann ich hier die Verantwortung abgeben und einfach sagen: ‘Okay, was braucht diese Person und was ist das Ziel?’ Und das macht Spaß.”
Sogar Lewis’ Soloalbums haben ihre Ursprünge in diversen Kollaborationen. Für AudioLust & HigherLove, seine jüngste EP, verbrachte er mit drei befreundeten Musikschaffenden insgesamt mehrere Wochen in verschiedenen Studios in Großbritannien. „Wir haben quasi in diesen Studios gelebt, und alles, worum wir uns kümmern mussten, war Musik zu machen. Um Essen wurde sich gekümmert, um alles wurde sich gekümmert, die Welt war in der Zeit einfach auf Pause. Sonst ist nichts passiert. Ich bin richtig froh, dass ich die Gelegenheit zu sowas hatte, und ich habe dabei viel gelernt.”
SG Lewis – “Fever Dreamer (feat. Charlotte Day Wilson & Channel Tres)”
Egal, ob er alleine arbeitet oder sich von anderen inspirieren lässt: Schnell zu arbeiten ist Lewis wichtiger als technische Präzision. Dieser Ansatz unterschied den Musiker von seinen Kommiliton:innen, als er noch Musiktechnik studierte – ein Studiengang, in dem der akribische Umgang mit der Hardware über allem stand. „Da gab es Leute, die konnten einen Kompressor neu verdrahten oder so gut wie jede technische Aufgabe lösen,” erzählt Lewis, „und alles, was ich da lernte, waren Musiktools, viel mehr als Musik an sich. Ich selbst fand es nie so spannend, wie ein Kompressor funktioniert. Ich fand es interessanter, was er mit der Musik gemacht hat und wie ich damit den Sound oder Effekt bekam, den ich wollte. Ich habe also echt nur das absolute Minimum gemacht und war dann so: ‘cool’, habe das mit in mein Zimmer genommen und angefangen, damit Musik zu machen.”
Das soll nicht heißen, dass Lewis die Produktion von Musik nicht schwer findet – ganz im Gegenteil. „Ich bin ein Fan von dieser alten Weisheit, diesem Rock’n’Roll-Ding, dass große Kunst das Ergebnis von Zeit und Qual ist. Aber manchmal stimmt das in Bezug auf Produktion einfach gar nicht. Wenn ich eine harte Nacht hinter mir habe oder mich überhaupt nicht um mich selbst gekümmert habe, finde ich Produktion und Kreativität definitiv schwieriger.”
Manchmal ist auch ein bisschen Hilfe nötig. „In letzter Zeit habe ich Microdosing mit Psilocybin in diesen winzigen Gummis gemacht. Nur winzigen Mengen. Ich sage jetzt nicht, dass man sowas unbedingt machen sollte, aber manchmal hatte ich das Gefühl, das schaltet die Stimmen in meinem Kopf aus. Normalerweise arbeite ich an irgendwas und mein Gehirn ist einfach so: ‘Das ist scheiße, gib lieber gleich auf.’ Und alles, was Psilocybin meiner Meinung nach tut, ist diese Stimme in meinem Kopf auszuschalten, wodurch ich ein bisschen tiefer ins Rabbithole eintauchen und fragen kann: ‘Okay, was ist hier so?’ Und manchmal ist da dann etwas.”
Der Schlüssel ist jedoch offensichtlich Lewis’ Arbeitstempo. „Mein TikTok ist voll von Leuten, die richtig gut in Sounddesign sind, die in Serum diese irren Sounds bauen,” erzählt er. „Aber ich habe einfach noch nie mehr als, sagen wir, zehn Minuten für einen Sound gebraucht. Weil ich die Idee lieber aus dem Kopf kriegen will als zum Beispiel komplett an einem LFO oder sowas hängenzubleiben. Ich committe mich auch gern zu Audio. Ich würde mich Audio lieber komplett widmen und es dann kaputtmachen, als zu versuchen, alles von Anfang an perfekt hinzukriegen.”
Wo die Methoden roh und direkt sind, sind die Ergebnisse es keineswegs. Von seinem Debütalbum Times bis hin zu seinen vielen Kollaborationen und seinem jüngsten Release sind alle Tracks von Lewis messerklingenscharf produziert. Jeder Release findet auf seine ganz eigene und stets scheinbar unangestrengte Art neue Fusionen zwischen Disco, Funk oder R’n’B mit zeitgenössischem Pop.
SG Lewis – “One More (feat. Nile Rodgers)”
„Das ist nichts, was ich irgendwie bewusst mache. Oft versuche ich einfach, mich an Sachen zu bedienen, die ich aus der Vergangenheit kenne, und ich beschäftige mich auf jeden Fall mit älterer Musik. Aber durch die Software und diese Prozesse ist es möglich, die Musik futuristisch klingen zu lassen. Wir haben heute einfach Tools, die es in den 80ern nicht gab, also klingt es auch anders, wenn man klassische 80er-Sachen macht, einfach wegen der Bearbeitung und dem Mixdown.”
Lewis’ Vertrautheit mit Disco und der clubbigeren Seite des Pop ist es, was ihn für so viele Kollaborationspartner:innen so wertvoll macht – und dessen ist er sich sehr bewusst: „Ich glaube, ich stehe in den Augen vieler Künstler:innen für eine Brücke zwischen Pop und elektronischer Untergrundmusik. Und ich denke, das liegt daran, dass ich ein Fan von beidem bin. Ich weiß, wo sie auseinanderfallen, und wie man Brücken baut. So viel Pop funktioniert super mit Untergrund-Tanzmusik, und Untergrund-Tanzmusik funktioniert gut im Pop. Das sind zwei Welten, die für mich einfach sehr gut zusammengehen.”
„Letzte Nacht,” erzählt er, „wurde in der Panorama Bar dieser Housetrack gespielt. Und alle Hände gehen hoch, die Jalousien werden geöffnet, und – es ist Pop! Dieselben Akkordfolgen, dieselbe Kadenz, dieselben Melodien. Einfach nur in einem anderen Kontext.”
Trotz der Leichtfüßigkeit, mit der Lewis gemeinsam mit anderen Künstler:innen in den kreativen Fluss kommt, hat es ein bisschen gebraucht, bevor er auch vor Menschen spielen konnte. „Das ist definitiv kein super natürlicher Ort für mich. Ziemlich lange war mein erster Reflex dieses Fight-or-Flight-Gefühl. Die Stimme in meinem Kopf sagte: ‘Geh von der Bühne, so viele Menschen starren dich an!”
Was ist die Lösung dafür? „Mit der Zeit fühlt man sich in der Position einfach ein bisschen wohler,” erzählt er. „In den Anfangsstadien schmeißt man echt einfach nur Sachen gegen die Wand und schaut, was hängenbleibt. Es gab so ein paar anfängliche Shows, die einfach objektiv richtig, richtig schlecht waren, weil es eine Hürde darstellt, elektronische Musik live zu spielen. Und ich wollte immer ein Live-Projekt sein, viel mehr als so ein DJ-zentriertes Ding, aber naja, elektronische Musik ist intuitiv erstmal nicht dafür gemacht, live gespielt zu werden. Die Herausforderung bestand also darin, eine Performance zu entwickeln, die das Publikum mit einbezieht.”
Lewis ist – aus verständlichen Gründen – zurückhaltend, wenn es um seine kommenden Soloprojekte geht. Aber wo sieht er die Zukunft von häufigen Kollaborationspartner:innen wie Dua Lipa? „Ich habe schon so eine Ahnung, was sie als nächstes macht, aber mich interessiert einfach zu sehen, was große Popstars so denken. In den letzten fünf Jahren oder so war es Disco, jetzt feiert Trance sein Comeback. Wie bei Calvin [Harris] und Ellie [Goulding]. Ich habe in Interviews schon gesagt, dass bald jemand einen großen Trancehit landen wird. Das ist lustig, weil ich diesen Trancehit machen wollte, aber Calvin wird der erste sein,” lacht er.
Später am Tag unseres Interviews tritt Lewis im Kesselhaus Berlin auf, die Performance ist mitreißend und voller Lebensfreude. Als er vor einigen Jahren zum ersten mal in Berlin auftrat, so erzählt er dem Publikum, kamen nur eine Handvoll Leute. Diesmal sind es hunderte. Noch ein paar Jahre, und es werden vermutlich tausende sein.
Text und Interview von Hal Churchman
Übersetzung von Julia Pustet
Mehr zu SG Lewis gibt es auf Instagram, Soundcloud, Spotify und seiner Webseite