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Sextile: Synthies rocken
Sextile, die „okkult angehauchte“ Post-Punk-Band aus Los Angeles, wurde 2015 von den Brooklyner:innen Brady Keehn und Melissa Scaduto gegründet und schon bald um Kenny Elkin (Bass) und Eddie Wuebben (Gitarre) erweitert. Ihr rohes und kompromissloses Debütalbum A Thousand Hands brachte Sextile Vergleiche mit den Psychobilly-Surfrockern The Cramps ein. Kein Wunder, denn aus Mangel an finanziellen Mitteln hatte Keehn das Mikro für die Gesangsaufnahmen einfach samt Kabel über einen Dachbalken seiner Scheune geworfen.
Die nachfolgende LP Albeit Living (2017) klang ähnlich bissig, wirkte gleichzeitig aber ausgefeilter, weil Sextiles charakteristischer Punk-Sound um elektronische Elemente erweitert worden war. Nach Weubbens tragischem Tod im Jahr 2019 legte die Band eine Pause ein. Drei Jahre später meldeten sich Sextile zurück – mit dem dritten Album Push und einem neuen Synth-Rock-Sound, bei dem die zuvor nur angedeuteten elektronischen Elemente die Hauptrolle spielen. Ein wilder Mix aus Punk, EBM und Rave – und eine ganz neue Herausforderung für Sextiles treue Fangemeinde.
Scheinbar hat Sextile etwas mit Astrologie zu tun. Wird euer Bandname eigentlich manchmal falsch gedeutet?
Ständig! Viele Leute denken, dass Sextile eine Anspielung auf die Welt der Reptilien ist – oder dass es ganz direkt um Sex auf Fliesen geht. Aber wir heißen jede Interpretation willkommen. Der Name stammt von unserem ehemaligen Bandmitglied Eddie Wuebben, der vor ein paar Jahren an einer Überdosis starb. Das Wort fiel im Gespräch mit der befreundeten Band Warm Drag: „Warum nennt ihr euch nicht einfach Sextile?“ Eddie war ein großer Astrologie-Fan und glaubte an die Kraft eines gemeinsam gefundenen Bandnamens. Aber einen guten zu finden ist eben so eine Sache. Unsere ursprünglichen Ideen behalte ich lieber für mich, sie passten einfach nicht.
Seid ihr von New York nach Los Angeles gezogen, um dem „American Dream“ zu folgen? Oder hatte das eher praktische Gründe?
In New York hat man in seiner Wohnung nicht wirklich genug Platz für das Musikmachen, und Studio- und Proberäume sind teuer. Aber um 100 % ehrlich zu sein: Wir hatten mit unserem Drogenkonsum zu kämpfen und mussten raus aus New York, um uns neu zu erfinden, unseren Träumen zu folgen und das Leben so zu leben, wie wir es wollten, ohne an Substanzen gekettet zu sein.
Würdet ihr sagen, dass eure Band Punk-Wurzeln hat? Oder ist der Sextile-Sound eher mit Industrial und frühen elektronischen Bands aus den 1970er-Jahren verwandt?
Bei unserer ersten Platte drehte sich alles um das Nachahmen unserer Einflüsse. Wir waren immer noch dabei, unseren Sound zu finden – und herauszufinden, wie wir Alben machen wollten. A Thousand Hands haben wir in einem winzigen Schuppen hinter der Wohnung aufgenommen, die wir gerade in Los Angeles bezogen hatten. Damals besaß ich nur einen Mac Pro Tower, eine Kopie von Ableton und ein Mikro, das an einem Dachbalken hing, weil ich kein Geld für einen Mikroständer hatte. Wir nahmen einfach ein Instrument nach dem anderen auf. Am Ende war die LP vom Post-Punk-Sound der späten 1970er geprägt, mit starken Industrial-Einflüssen. Inzwischen bin ich im Mixen und Produzieren besser geworden. Ich denke schon, dass man das hört – und dass wir aus dieser Szene rausgekommen sind.
In Bezug auf eure Lyrics: Wart ihr eine dieser stereotypischen jungen Bands, die ihrem Ärger Luft machen wollten?
Oh ja. Bei den ersten beiden Platten waren wir sehr politisch – jede Menge Weltfrust und Auseinandersetzung mit dem, was wir durchmachten. Inzwischen achten wir meiner Meinung nach viel mehr darauf, wie wir mit dem Leben umgehen und das Gelernte weitergeben. Wir sind einfach nicht mehr so ängstlich, was unsere künstlerischen Bestrebungen angeht. Es ist uns noch nie leicht gefallen, das Lampenfieber zu überwinden. Oder von unserer Musik so richtig überzeugt zu sein. Wir konnten sie nicht richtig wertschätzen – weil sie von uns war. Oder wir waren uns nicht sicher, ob die Leute diesen oder jenen Song mögen.
Hatten diese Ängste mit der Songqualität zu tun? Oder damit, wie man euch als Band wahrnehmen könnte?
Wahrscheinlich beides. Aber ich habe eine Sache gelernt: Bring alles raus, was du machst. Denn selbst wenn du einen Song schlecht findest, kann er bei einer Person, die am anderen Ende der Welt lebt und gerade eine traumatische Zeit durchmacht, durchaus Anklang finden. Klargeworden ist mir das angesichts der Kommentare zu ein paar Ambient-Songs, die wir auf YouTube veröffentlicht haben. Anfangs hielten wir sie für Müll und haben die Lizenzen dann für eine Pauschalgebühr verkauft. Jetzt gehören die Songs für immer YouTube und wir können sie nicht mehr anderweitig veröffentlichen. Beim Lesen der Kommentare waren wir überrascht: Manche sind sehr ernst und emotional. Du weißt einfach nie, wie deine Musik auf die Leute wirkt! Und deswegen ist es ganz wichtig, die Songs einfach loszulassen. Davor kann man schon Angst haben, aber wir haben uns dieser Angst auf unserem neuen Album Push gestellt.
Zwischen dem neuen und dem letzten Album liegen fast sechs Jahre. Hattet ihr Bedenken, dass euer Publikum vielleicht nicht folgen kann – auch weil sich euer Sound inzwischen so verändert hat?
Diese Befürchtung hatten wir definitiv. Sextile hat eine große Goth-Fangemeinde, die uns sehr am Herzen liegt. Uns ist schon klar, dass die unsere neue Musik befremdlich finden könnte. Coolerweise gibt es auf Push aber mehrere Songs, die auf unseren früheren Sound anspielen. Zum Beispiel Plastic: düstere Elemente wie auf unserer ersten Platte, aber mit einer viel besseren Produktion, Abmischung und mehr umgesetzten Ideen. Und Basically Crazy klingt wie ein Update von Albeit Living. Die gitarrenorientierten und tanzbaren Beats mit punkigem Gesang sind noch da, werden aber mit diesen weirden Synthesizer-Elementen kombiniert. Wir hoffen, dass sich unser Publikum von solchen Songs immer noch angesprochen fühlt – während wir einfach weiterforschen, um als Band zu wachsen.
Auf Push gibt es einen klaren Zuwachs an elektronischen Elementen. Stimmt es, dass vor allem der Korg MS-10 dazu beigetragen hat?
Ich sage immer, dass ich nicht wirklich ein Musiker bin. Ich kann nicht beidhändig Keyboard spielen oder ein Gitarrensolo hinlegen. Dafür weiß ich aber, wie man Songs aufnimmt. Dabei bin ich von Brian Eno inspiriert, der sich ebenso wenig als Virtuose bezeichnen würde, sondern das Studio als Instrument benutzt. Auf den ersten beiden Platten habe ich VSTs verwendet, einen Korg Polysix und einen Yamaha DX-7. Der MS-10 hat einen sehr kräftigen und besonderen Sound, der mich wirklich angesprochen hat. Anfangs konnte ich ihn nicht so gut spielen wie erhofft, deswegen habe ich Ableton als Gehirn genutzt, die Sounds an einen Sequenzer gesendet und mit denen dann den MS-10 sequenziert. Damals begann ich, Basslines und andere Sounds im Takt mit anderen Instrumenten zu sequenzieren – das hat mir viele neue Möglichkeiten eröffnet. Und seitdem machen wir Dance Music.
Während die elektronischen Beats und Basslines früher eher Beiwerk waren, spielen sie auf Push die Hauptrolle…
Das war keine bewusste Entscheidung, sondern eher der Einfluss der Musik, die wir gerade hörten. Wir lieben Gitarrenmusik, aber wir wollen uns immer wieder selbst herausfordern und beim Komponieren mit modernen Tools experimentieren. Melissa und ich sind große Underworld-Fans und bestimmt auch von The Prodigy beeinflusst – die wiederum zur Gitarre griffen, um sich von der Rave-Szene abzuheben. Wir sind immer noch auf der Suche nach der perfekten Balance. Genau wie du sagst: Unsere Band hat definitiv Punk-Wurzeln, und die wollen wir auch beibehalten. Ganz egal, ob wir Gitarren- oder Synth-orientiert sind: Die Energie ist die wahre Definition von Punk.
Die Bandbesetzung hat sich im Laufe der Jahre geändert. Seid ihr nur noch zu zweit, weil ihr live auf Bass, Gitarre und Schlagzeug verzichten könnt?
Melissa und ich komponieren den Großteil der Songs, aber Cameron Michel ist ebenfalls festes Mitglied – er spielt Gitarre und Synthesizer. Er war schon 2017 dabei, als wir noch zu viert waren. Nach Eddies Tod haben wir eine Pause eingelegt. Als es danach weiterging, war Cameron wieder mit an Bord. Und was das Schlagzeug angeht: Ich liebe ich es, einen Drummer auf der Bühne zu haben, weil dem Publikum diese Verbindung zwischen Sound und Aktion so gut gefällt. In letzter Zeit haben wir aber so viel an Drum Machines rumgeschraubt, dass sich das mit einem Schlagzeug kaum reproduzieren lässt. Bei den kommenden Gigs werden wir uns vor allem auf Drum Machines konzentrieren – die ermöglichen einfach ganz andere Sounds, Rhythmen und Emotionen als ein normales Drum-Kit.
Im Zusammenspiel mit den Beats ersetzt ein 808-artiger Synth-Bass die Gitarren als treibende Kraft hinter vielen Rhythmen. Nutzt ihr eigentlich Vintage-Sequenzer?
In Los Angeles gibt es diesen coolen Synth-Laden namens Rosen Sound – wir sind schon seit Ewigkeiten mit denen befreundet. In den letzten Jahren haben sich dort viele fantastische Vintage-Synths und Drum Machines angesammelt. Es gibt auch ein wunderschönes Studio, das uns von Zeit zu Zeit zur Verfügung steht. Manchmal gehe ich an einem ruhigen Wochenende dorthin, um die 808 und 909 zu sampeln. Dann zerschneide ich die Aufnahmen und baue Drum-Machine-Racks mit alternierenden Samples in Ableton Live. Obwohl ich also gar keine 808 oder 909 besitze, stehen diese Sounds für unsere Produktionen immer zur Verfügung.
Der Song Crash hat deutliche Ambient-Anklänge, aber auch direkte elektronische Pop-Elemente. Das scheint eine weitere neue Richtung zu sein, die ihr gerade erkundet …
Crash begeistert uns alle – in diese Richtung wollen wir gerne weiterforschen. Ich erinnere mich, wie ich an einem bewölkten Sonntag Morgen aufwachte, zum Synthesizer ging und dieser Sound plötzlich da war. Er hatte allerdings keine bestimmte Tonart. Nachdem ich die Melodie aufgenommen hatte, stellte ich fest, dass die Tonart des Songs nicht dazu passte. Aber anstatt das zu ändern, habe ich einfach die übrigen Instrumente runtergepitcht. Es ist erst das zweite Mal, dass wir Gastsänger:innen haben – Melissa und Izzy Glaudini von der Band Automatic haben das wirklich toll gemacht.
Generell scheint es so, als ob ihr mehr und mehr auf ein Hardware-basiertes Setup umsteigt?
Zurzeit arbeite ich in meinem Heimstudio, in dem sich der Großteil unseres Equipments befindet. Wie bereits erwähnt, war der Korg MS-10 mein erstes Keyboard. Inzwischen besitze ich die komplette Reihe: den MS-50, die Rev 1- und Rev 2-Versionen des MS-20 und die Desktop-Version. Ich habe auch einige schöne Rack-Synths, Polysynths, Patchbays und Effektpedale. Vor Kurzem habe ich mir eine Elektron Analog Rytm MKII Drum Machine gekauft. Melissa hat ihr eigenes Old-School-Setup mit einem Sequential Circuits Pro One, einem MS-20 und weiteren inspirierenden Sachen.
Auf Push teilst du dir das Songwriting mit Melissa, was eine weitere Neuerung darstellt. Wie arbeitet ihr zusammen?
Manchmal bringt eine:r von uns eine Vocal-Idee mit, die als Sprachmemo aufgenommen ist. Oder wir beziehen uns auf Sounds anderer Künstler:innen, die uns gefallen. Am liebsten setzen wir uns aber zusammen und starten einen neuen Song mit einem Beat oder einer Bassline. Die Dinge entwickeln sich selten so wie gedacht, stattdessen entsteht eine spontane Energie, die durch Worte, Gespräche oder unsere Ideen hervorgerufen wird. Diese Energie versuchen wir dann so schnell wie möglich festzuhalten.
Kannst du uns dafür ein Beispiel nennen?
Es geht um ganz einfache Sachen. Bei dem Track No Fun stand Melissa beispielsweise einfach auf und meinte, dass sie dazu Vocals ausprobieren will. Und das bringt den Vibe von Push ganz gut auf den Punkt: Es ging einfach darum, die Energie eines Songs zu spüren und selbstbewusst in Vocals zu packen. In den letzten acht Jahren sind unser musikalisches Wissen, das Mixing, unsere Herangehensweise an das Songwriting und die verwendeten Tools immer besser geworden. Das ist ein endloser Lernprozess. Aber zu denken, dass man schon alles weiß – das wäre schrecklich langweilig.
Unabhängig von eurem Wechsel vom Punk zum Synth-Rock war Ableton Live für euch schon immer ein wichtiges Tool. Wann hat dieser Lernprozess begonnen?
Ich habe Sound Design am College studiert, und die Lehrkräfte waren immer sauer auf mich. Sie wollten mir Pro Tools beibringen, und ich bekam nie gute Noten, weil ich die Software im Grunde altmodisch fand. Weil ich diese ganze Arbeit nicht in einem altmodischen Programm machen wollte, nutzte ich weiterhin Ableton Live. Und bei meinen Präsentationen waren immer nur diese großen, klobigen Wellenformen zu sehen [lacht]. Ich habe mir Ableton Live mit 18 selbst beigebracht und verbrachte acht Stunden am Tag mit der Frage, wie man die EQs, Delays und Reverbs am besten aufnimmt und nutzt. Live kam schon bei A Thousand Hands zum Einsatz. Die MIDI-Tools und -Instrumente habe ich erst später erkundet und für das zweite und dritte Album genutzt. Ich fand heraus, wie man damit verschiedene Arten von Sequenzen und Sounds erreichen kann.
Welche Rolle spielten diese Erkundungen bei dem neuen Album Push?
Live war für die Steuerung und Sequenzierung vieler Instrumente zuständig – von einer Vintage-808 über den Prophet VS und Korg MS-20 bis zur klassischen Linn Drum. Die Feinabstimmung haben wir mit Lives Tool External Instrument vorgenommen – alle Instrumente synchronisiert und dafür gesorgt, dass sie miteinander harmonieren und im Raster bleiben. Das war absolut notwendig, denn wir hatten eine sehr knappe Deadline. Da alles auf dem Raster lag, konnten wir sehr schnell neue Songteile bearbeiten, produzieren und strukturieren. Beim Abmischen verlasse ich mich auf Lives Kompressoren und Audio-Effekte – von Utility zur Steuerung des Stereobilds über EQ Eight zur Frequenz-Bearbeitung bis zu Echo für Vocal-Delays. Früher habe ich zwar viele Gitarrenpedale genutzt, aber ich habe kein Outboard. Denn die Ableton-Effekte werden einfach immer besser. Und sie lassen sich so einfach automatisieren, um die gewünschten Sounds zu bekommen.
Stimmt es, dass du dir vor Kurzem den Push 3 Standalone gekauft hast?
Wir wollten live neue Wege für das Experimentieren finden – mal ohne die Sequenzer, mit denen wir schon seit Jahren vertraut sind. Es kam uns seltsam vor, eine Groovebox anschaffen zu müssen, die uns dazu zwingt, alle MIDI-Parts neu zu machen. Dank Push 3 können wir unsere Tracks auf neue Art und Weise performen und mehr Kontrolle über die Performance haben, indem wir andere Hardware so sequenzieren, dass sie synchron zum Ableton-Workflow ist. Wir haben einfach große Angst vor einem Laptop-Absturz auf der Bühne. Das ist mir nämlich nicht nur einmal passiert und war ziemlich peinlich. Das will ich nie wieder erleben!
Mehr von Sextile findest du auf Bandcamp und ihrer Website
Text und Interview: Danny Turner
Fotos mit freundlicher Genehmigung der Band