Seekersinternational: Abstraktion und Soundsystem
Die Mitglieder von Seekersinternational wollen ihre genauen Identitäten geheim halten. Trotzdem sind ein paar Rahmendaten bekannt: Sie wohnen in Richmond in der kanadischen Provinz British Columbia, sind Kinder von philippinischen Einwanderern und haben enge Verbindungen zu Metro Manila, dem Ballungsraum der Hauptstadt. Beim Sound der Musik, die das Kollektiv seit ungefähr sechs Jahren unter dem Namen Seekersinternational (oder SKRSINTL bzw. SKRS) veröffentlicht, denkt man allerdings an eine ganz andere Gegend. Denn die Musik von SKRS steht für eine frische, Sample-basierte Herangehensweise an Dub.
Die Wurzeln des Dub reichen in die 1970er Jahre zurück: zur Soundsystem-Kultur und Studio-Raffinesse jamaikanischer Musiker. Seit dieser Zeit haben sich viele Dub-Spielarten entwickelt. Manche bleiben den etablierten (Reggae-)Formen treu, andere setzen den experimentellen Kurs fort, um neue Klanggefilde zu erschließen. Was SKRS in diesem Zusammenhang einzigartig macht: Es gelingt ihnen, beide Entwicklungslinien zu würdigen. Sie fügen Samples zu mehr oder weniger verdichteten Collagen zusammen, ohne dabei die amtlichen Zutaten zu vergessen: Hooklines und Flow. In eigenen Worten: „SKRS crucial selections take us to a dance from another dimension.“
Im folgenden Interview gibt Daddy Coolbreeze, das Sprachrohr des Kollektivs, Auskunft über die gemeinsamen Wurzeln im Turntablism und der bildenden Kunst der 1990er Jahre. Erfahren Sie, wie die Musiker Samples finden und in Live verfeinern, Dichotomien durch Dub auflösen und vieles mehr. Freundlicherweise haben SKRS ein kostenloses Sound-Pack mit wirkungsvollen Laser-Soundeffekten und Dub-Sirenen zur Verfügung gestellt.
Wo und wann ging es los mit Seekersinternational?
Unser Kollektiv ist ein Ableger der DJ- und Turntablist-Kultur der mittleren bis späten 1990er Jahre. Damals gab es zwar auch andere inspirierende Kunstformen, aber diese beiden Entwicklungen brachten uns wirklich neue Möglichkeiten. Die Idee, aus Samples von Schallplatten neue und eigenständige Tracks zu bauen, war eine Offenbarung. Denn niemand von uns hatte eine musikalische Vorbildung, geschweige denn Zugang zu Instrumenten und anderem Studio-Equipment.
Was fast noch wichtiger war: Die Protagonisten der Turntablism-Bewegung – DJ Q-bert, Mixmaster Mike, Shortkut, DJ Disk und DJ Apollo – waren allesamt philippinische Amerikaner aus der Bay Area. Sie gaben den Einwanderern und Minderheiten ein Gesicht und eine Stimme. Die Turntablism-Bewegung gab uns Mut, Energie und eine Perspektive. Sie brachte uns dazu, eigene künstlerische Ausdrucksformen zu entwickeln.
Gleichzeitig entdeckten wir das zweite Schlüsselelement für SKRSINTL: die jamaikanische Dub- und Soundsystem-Kultur. Sie hat mehr mit Turntablism gemeinsam, als man vielleicht denken könnte. Ich denke da vor allem an die DIY-Haltung – mit den gegebenen Fähigkeiten kreativ zu sein und das Beste aus dem zu machen, was man hat. Auch die ganze Atmosphäre der jamaikanischen Musik hat uns sofort angesprochen. Sie klingt unprätentiös, nicht elitär und kann deshalb verdammt gute Vibes verbreiten.
Mit unserer Musik wollen wir das landläufige Dogma hinterfragen, dass es "bei Dub nur um die Drums und Bässe geht".
Frühere SKRS-Releases wie das Album The Call from Below und das Video TheWhereBetweenYou&Me scheinen direkt von Basic Channel / Rhythm & Sound inspiriert zu sein. Ihr habt dort weitgehend auf Drum-Sounds verzichtet und den Klangraum mit Akkorden und Bässen gefüllt. Rauschen, Knistern, Kompression-Artefakte und andere Nebengeräusche erzeugen eine verschwommene Atmosphäre. Siehst du SKRS als Teil dieser Schule von Dub?
Die Musik von Burial Mix / Rhythm & Sound / Basic Channel hat uns schwer beeindruckt. Sie zeigte uns, dass sich Dub nicht mehr um sich selbst drehen muss. Bis dahin schien Dub in einem bestimmten Format stecken geblieben zu sein: Versionen von Reggae-Songs, etwas anderes gab es nicht. Natürlich gab es in anderen Genres den einen oder anderen Dub-Exkurs, etwa Dub-Remixe von Disco- und Pop-Maxi-Singles. Aber das war alles andere als eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Ethos und Ansatz des Dub. Die Jungs von Basic Channel haben das Spiel nachhaltig verändert.
Auf den üblichen Drum-Beat zu verzichten – das spielt bei unseren Klangforschungen tatsächlich eine wichtige Rolle. Wir hörten den Sound von Basic Channel zum ersten Mal bei einem Open-Air-Rave (sehr beliebt im pazifischen Nordwesten). Es war ein Track, der auf Burial Mix erschienen ist, und in voller Lautstärke aus den Boxen schallte. Wir standen weiter weg in der Dunkelheit und waren völlig verzaubert von diesem Riddim. Aus der Entfernung waren die höheren Frequenzen wie die Hi-Hats und Snares nicht zu hören – nur dieser mächtige, bedrohliche und trotzdem einladende Puls, der aus der Natur selbst zu kommen schien. Der Sound war einfach Ehrfurcht gebietend. Wahrscheinlich war diese Erfahrung auch drogeninduziert, aber die Wirkung dieser Musik ist seitdem in unserer kreativen DNA gespeichert.
Diese Erfahrung bestärkte uns auch in der Überzeugung, dass jede Musik einen grundlegenden Puls hat, der sie antreibt. Und dieser Puls ist entgegen der allgemeinen Vorstellung nicht zwingend von den Drums, Bässen oder anderen Elementen abhängig. Die Drums „verbalisieren“ oder betonen diesen sprachlosen Puls, aber sie erzeugen ihn nicht unbedingt. Wenn wir sie herausnehmen, ist das für uns ein Weg, diese pulsierende Unterströmung zu finden und zu feiern. Bei Dub sprechen wir immer über den Moment und das Gefühl der Ehrfurcht, wenn die Vocals und anderen Elemente plötzlich verzögert werden und die Drums und Bässe alleine den Groove weiterführen. Dabei vergessen wir gerne, dass wir ja das gleiche Gefühl haben, wenn die Drums und/oder die Bassline gestoppt werden und die Musik zu schweben beginnt, obwohl sie noch im Groove verankert ist. Mit unserer Musik wollen wir das landläufige Dogma hinterfragen, dass es bei Dub nur um die Drums und Bässe geht.
Heutzutage wird Musik ja auch gerne schnell eingegrenzt, beschriftet und kategorisiert. Man hört nur den ersten Takt des Beats oder Drum-Patterns und denkt gleich: „OK, das ist ein Reggae-Rimshot“, „Das ist ein 4/4-House-Beat mit Kicks und Hi-Hats“, „Eine 808? Dann ist das Trap“ oder, was noch schlimmer ist: „Congas? Weltmusik“. „Oh, keine Drums? Ambient!“. Natürlich sind Drums sehr wirkungsvoll, aber wir wollen einfach herausfinden, ob wir die Klangempfindung, die wir im Kopf haben, auch ohne das Monopol der Drums realisieren können. Du kannst dir also sicher sein: Wenn wir in manchen Tracks dann doch Drums einsetzen, geschieht das ganz bewusst.
Wenn man die Entwicklung eurer Releases betrachtet, scheint ihr euch mehr und mehr mit der Manipulation von Samples zu beschäftigen – von Vocal-Samples, genauer gesagt. Ihr nutzt sie inzwischen kaum noch als One-Shots oder Satzzeichen, sondern als zentrale Motive. War das eine bewusste Entscheidung? Woher stammen eure Samples? Und nach welchen Kriterien sucht ihr sie aus?
Weil wir aus der Welt des Turntablism kommen, steht das Sampling bei uns im Mittelpunkt. Im goldenen Zeitalter der Scratch-DJ-Mixtapes und DJ-Battles war es üblich, ganze Phrasen, Takte und Gesangslinien zu scratchen, zu manipulieren und zu loopen. Am Ende wurden neue und eigenständige Kompositionen daraus. Zum Beispiel „Mixmasterpiece“ oder „Explosive Box Cassette“ von Mixmaster Mike: wahnwitzige Klangcollagen aus unzähligen Cuts und Samples (würde so die Audio-Version eines Murakami-Romans klingen?). Im Vergleich dazu ist unser Einsatz von Vocal-Samples fast schon zurückhaltend und minimal. Es war definitiv eine bewusste Entscheidung, sich verstärkt dem Sampling zuzuwenden. Gleichzeitig ist es aber auch eine Rückbesinnung auf unsere musikalischen Wurzeln.
Genau wie unsere frühen Helden sampeln wir alle möglichen Quellen: Schallplatten, Kassetten, Field Recordings, Smartphone-Aufnahmen, TV, VHS, YouTube, Live-Konzerte, analog, digital... für uns ist alles erlaubt. Wenn wir in manchen Tracks Keyboards, Synthesizer und andere Instrumente einsetzen, verstehen wir das auch als Sampling. Diesen Unterschied hört man vermutlich kaum, aber das zeigt unsere Denkweise beim Komponieren: Wir spielen nicht – wir sampeln.
Bei der Sample-Auswahl achten wir vor allem auf das Feeling – und auf den Kontext. Das für uns viel wichtiger als die reine Phonetik oder Semantik von Vocal-Samples. Ein gutes Beispiel ist das Wort „Murder“. Wenn es in den Nachrichten erklingt, ist das ein komplett anderes Sample als der Shout eines Soundsystem-DJs, der „Musical murda!“ ins Mikro toastet. Das Feeling und die vermittelte Stimmung hat nichts mit dem Wort des Nachrichtensprechers zu tun.
Wenn wir Vocal-Samples arrangieren und übereinander schichten, geht es anfangs hauptsächlich darum, die Haupt- und Nebenrollen zu verteilen – genau wie bei den Instrumenten einer Band/eines Orchesters, bei den Farben eines Gemäldes oder bei Schauspielern in einem Theaterstück. Bei unserem Track „Undercover Lovers“ haben wir die Vocals eines R&B-Song aus den frühen 1990ern auseinandergenommen. Wir haben die Worte „undercover“, „lovers“ und „girl“ aus der ersten oder zweiten Strophe gesampelt und daraus den Haupt-Loop geformt, auf dem die anderen Samples basieren.
In eurer Musik sind die Samples oft als solche erkennbar, selbst wenn sie gepitcht, zerlegt, Stutter-mäßig zerhackt und gedehnt werden. Nutzt ihr Live für diese Manipulationen?
Es macht uns Spaß, manche Samples zu verfremden und andere erkennbar zu gestalten. Oder so, dass die Hörer sich nicht sicher sind (oder gar nicht sicher sein wollen), ob ein Sound gesampelt oder „gespielt“ ist. Trotzdem: Wenn wir ein Sample deutlich als Sample herausstellen, ist das eine Hommage – ein Verweis auf die Kunst und die Praxis des Samplings. Und auf Erinnerungen und Assoziationen, die unsere Hörer vielleicht mit bestimmten Sounds verbinden.
Ich denke, es ist wichtig zu erwähnen, dass die Kernmitglieder unserer Crew aus der bildenden Kunst kommen und das DJing erst später entdeckt haben. Das erklärt vielleicht die Art und Weise, wie wir mit Musik und dem Komponieren vorgehen. Keiner von uns hat eine musikalische Ausbildung. Für uns steht das Verwenden von Samples beim Komponieren von Tracks in direktem Zusammenhang mit der Verwendung von Bildfragmenten für eine Collage. Wir betrachten Ableton Live als ein Zeichenbrett, auf dem wir Bausteine entwickeln und zu einer Komposition zusammenfügen. Das Layout und Design spricht irgendwie unsere visuelle Ader an und erinnert uns sogar an Anwendungen wie Photoshop. Das macht es für uns einfacher, das Layout zu verstehen und uns darin zurechtzufinden.
Alle SKRS-Mitglieder können mit beliebigen Skizzen und Ideen beginnen – sei es ein Sample, ein Bass-Riff oder ein Drum-Pattern. Aber am Ende werden die Tracks in Live zum Abschluss gebracht. Wir nutzen gerne klassische Synthesizer und Sampler, genießen aber auch die besonderen Eigenschaften und Qualitäten (ganz zu schweigen von der Effizienz) digitaler Mittel. Deswegen nutzen wir Live, um alles zusammen zu bringen – vom ersten Entwurf bis zur Feinabstimmung des fertigen Tracks.
Ich hoffe, dass das nicht wie eine Produktplatzierung wirkt, aber für Typen wie uns, die keine „richtigen“ Musiker sind, ist Live ziemlich gut geeignet. Weil das Programm einen Zugang über die visuelle Ebene bietet. Wir weisen gerne darauf hin und ermutigen hoffentlich auch andere Nicht-Musiker, sich mit Live auseinanderzusetzen.
Wie gebt ihr euren Tracks und Alben eine Struktur?
Technisch gesehen arbeiten wir fast nur im Arrangement-Modus. Er eignet sich einfach am besten für unsere visuelle Herangehensweise. Alles, was wir live spielen, befindet sich außerhalb des Computers: unsere Synths, Drum Machines, Sampler etc. Wir nehmen sie in Live als Bausteine auf, die wir dann in der Arrangement-Ansicht schneiden, bearbeiten und formen. In vielen Fällen nehmen wir die Tracks schon mit den externen Effekten auf, damit wir bereits an einen bestimmten Sound gebunden sind. Aber genauso oft nutzen wir Send-Kanäle für Reverbs, Delays oder andere Effekte.
Wir verstehen uns nicht als Hardware-Nerds oder Technik-Experten. Wir haben zwar eine schöne Sammlung analoger Synths, Effekte und Bandmaschinen, aber nichts Extravagantes oder Obsessives. Unsere Effekte sind die üblichen Verdächtigen: das Roland Space Echo und verschiedene Moogerfoogers. Wir nutzen auch häufig analoge Monosynths. Die Spuren von „Dancehall Showdown“ sind zum Beispiel fast komplett mit unserem Korg MS-20 entstanden.
Da unsere Samples und aufgenommenen Sounds of nicht synchronisiert oder MIDI-getaktet sind, nutzen wir Lives Time-Stretching-Funktionen recht häufig. Der Hauptteil unserer Arbeit besteht eigentlich darin, die Dinge zusammenzufügen. Es wird also viel geschoben und gezogen, ausprobiert und passend gemacht. So können wir unseren Tracks eine gewisse Lockerheit, Unbeschwertheit und Funkyness geben.
Eigentlich bleiben wir bis zum finalen Mixdown in der Arrangement-Ansicht. Vor allem dann, wenn wir lange Kompositionen für unsere Alben und „Mixes“ formen (Dancehall Showdown, Gunman Cult Classixx Mix, Black Mazda Soundclash etc.). Dort sind alle Tracks zu einem großen Ganzen verwoben und es kommen unglaublich viele Samples zum Einsatz. Das in der Session-Ansicht zu versuchen, wäre komplett wahnsinnig.
Vielen Dank, dass ihr uns ein Sample-Pack zur Verfügung stellt! Könnt ihr uns ein wenig darüber erzählen?
Es heißt SKRS SHØCKOUT PΔCK und enthält 15 frische Laser-Soundeffekte für eure Produktionen und Soundboy-Burial-Rituale. Wir haben alle Sounds mit unserem Sequential Circuits Pro-One gemacht – kantige monophone Sounds, die wir teilweise übereinander geschichtet und für komplexere Wellenformen mit Lives internen Effekten bearbeitet haben. Ihr könnt damit eure Tracks verstärken – und die Soundboys unter die Erde bringen.
Alle verwendeten Bilder mit freundlicher Genehmigung von Mysteryforms
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