Searching for Sound: Zurück nach Palenque Simón Mejía
Durch die musikalischen Einflüsse aus Afrika, Europa, der Karibik und der indigenen Bevölkerung bietet das südamerikanische Kolumbien für die Entwicklung neuer hybrider Musikrichtungen schon seit langem den fruchtbaren Boden. Zu verdanken ist das vor allem dem Strom musikalischer Meme entlang der tropischen Küstenregion, der den Genres Cumbia, Champeta, Vallenato und vielen anderen Auftrieb gab.
Ein kolumbianischer Künstler, der sich direkt auf das reiche Erbe der Zusammenflüsse in seinem Land stützt, ist Simón Mejía. Für sein erfolgreiches Projekt Bomba Estéreo verschmilzt Mejía seit mehr als einem Jahrzehnt basszentrierte elektronische Produktionstechniken mit traditionellen kolumbianischen Rhythmen und Instrumenten. Zwar wurde dieser mutige Gegensatz von einigen Folk-Puristen anfangs skeptisch beäugt. Aber Bomba Estéreos wachsendes kolumbianisches und internationales Publikum, ganz zu schweigen von mehreren Grammy-Nominierungen, hat diese Kritik längst ausgeräumt.
Von Simón Mejía handelt die neue Folge von Red Bulls Doku-Serie Searching for Sound, die Musikschaffenden an die Orte folgt, mit denen sie persönlich verbunden sind. In dieser Ausgabe begleiten Mejía bei seiner Rückkehr nach San Basilio de Palenque, einem Dorf an Kolumbiens Karibikküste, das ganz eigenständige Musik hervorbringt und außerdem der Ort ist, an dem Mejía vor einigen Jahren beim Aufbau eines Studios half.
Sehen Sie unten den Trailer zu Searching for Sound. Sichern Sie sich das kostenlose Sample-Pack und die Remix-Stems, die Mejía in Palenque aufgenommen hat. Lesen Sie außerdem unser Interview, um mehr über die Sounds, die Tracks und ihre Herkunft zu erfahren.
Laden Sie Simón Mejías kostenloses Samples-Pack für Searching for Sound herunter
Mit Bomba Estéreo macht ihr nun schon seit einigen Jahren Elektronische Musik mit einer entschieden kolumbianischen Haltung. Aber „kolumbianisch“ kann vieles heißen. Könntest du uns etwas über die Wurzeln der kolumbianischen Musik erzählen? Und wie wirken sich die kolumbianischen und die anderen Einflüsse konkret auf deine Musik mit Bomba Estéreo aus?
Als ich vor 12 oder 13 Jahren mit dem Musikmachen anfing, machte ich vor allem House, bis mir klar wurde, dass das hier in den Tropen irgendwie unsinnig war: in Kolumbien zu versuchen einem fremden Sound nachzueifern, der nebenbei in Europa oder den Staaten viel besser produziert wurde. Also begann ich, in der kolumbianischen Musik zu suchen, die auch hier vor allem für den Dancefloor ist, aber nicht elektronisch, sondern tropisch. Es ging also nur darum, die Verbindungspunkte zwischen dem tropischen und dem elektronischen Dance-Universum zu finden. Letztlich war der Ursprung derselbe: Afrika und die Idee der Selbstbefreiung durch Tanzen.
Kolumbiens Volksmusik ist sehr vielfältig, aber alles stammt aus derselben Wurzel, nämlich aus einer Vermischung von afrikanischen Trommeln, die von den Sklaven während der Kolonialzeit mitgebracht wurden, mit der Musik der Indios, die die originäre Musik dieses Kontinents darstellt, vor allem widergespiegelt in Flöten und Gesängen. Die Grundlagen waren also da, Trommeln, die in Beats übersetzt und Melodien, die auf Synths übertragen werden mussten. Und das ist seitdem die Stoßrichtung meiner Musik geblieben.
Was die Musikgeschichte Kolumbiens betrifft, ist Cumbia das Populärste, was aus dieser Vermischung entstand. Außerdem war Cumbia das erste Genre bzw. der erste Rhythmus, den ich mit Electronica erforschte. Über die Jahre hat sich das eben weiterentwickelt.
Cumbia ist seiner gröbsten und ältesten Definition nach die Vermischung von Rhythmuspatterns aus Afrika, die zusammen mit Flöten der Indios gespielt werden. Ich vermute, dass darin die musikalische Katharsis für all den Schmerz und das Leid liegt, den die Völker damals durchmachten. Oder ein auditiver Weg, um sich mit der Heimat zu verbinden, mit Afrika. Jedenfalls war es eine längere Entwicklung und es wurden moderne Instrumente einbezogen, z.B. Akkordeon, Bläser, karibische Percussioninstrumente wie Congas und TImbales und Gesang. Cumbia verbreitete sich in seiner größeren orchestrierten Form während der goldenen Jahre der lokalen Plattenindustrie (1960 - 70er Jahre) in ganz Südamerika. Auf dem ganzen Kontinent wurde er populär, besonders in Mexiko, Peru und Argentinien. Inzwischen ist es eine Musik, die uns Lateinamerikaner miteinander verbindet.
Während der 60er und 70er Jahre gab es bei uns Kolumbien ein besonderes musikalisches Phänomen, weil in unseren großen Häfen so viele Schallplatten eintrafen, die dann die DJs der hiesigen Soundsystem (Picós) spielten und die von der traditionellen Musik aufgegriffen wurden. Musik aus den Staaten, aus der Karibik, aus Afrika. Viel Funk, Disco, Salsa, Reggae und afrikanische Musik wie der Soukous, der dann die Basis für den Champeta bildete, auch ein südamerikanisches Genre. Vor allem afrikanische Gitarren und Gesänge aus dem Soukus wurden in der hiesigen Ästhetik und im Trommeln absorbiert. Wunderbar verrückte Musik entstand während dieser Zeit aus der Vermischung der internationalen Musik mit der traditionellen.
Bombas Haupteinflüsse waren alle, die oben erwähnt sind: bei der Elektronischen Musik hauptsächlich House, Techno und Ambient, dazu erdige traditionelle Musik aller Art, Champeta und eine Menge jamaikanischer Dub.
Du hast im Rahmen eines anderen Projektes mit Film und Musik vor einigen Jahren schon einmal Palenque besucht und dort gearbeitet. Was hat sich in der Zwischenzeit in dem Dorf verändert? Was hast sich für dich als Musiker und Produzent dort getan? Hörst du die Musik in Palenque nun mit anderen Ohren als damals?
Palenque ist ein ziemlich statischer Ort, als ob die Zeit stehengeblieben ist, was einer der schönsten Aspekte an ihm ist. Dort gibt es so etwas wie eine Blockade gegen Fortschritt und Modernisierung, was es meiner Meinung nach so einzigartig macht. Die Menschen sind dieselben geblieben, sie machen dasselbe wie jeden Tag, sie haben dieselben Routinen, aber sie sind genau wie ich älter geworden! Was das Studio angeht, ist es sehr erfüllend zu sehen, dass das Equipment und der Standort etwas moderner geworden sind. Das Herausragendste ist, dass einer von den Leuten, die damals bei den Toningenieurkursen dabei waren, die wir vor fast acht Jahren gaben, inzwischen der verantwortliche Tonmann für das Studio ist. Er arbeitet dort jeden Tag. Das ist eben ein tolles Gefühl, wenn man sieht, wie ein kleiner Samen, den man dort gepflanzt hat, zu etwas Reellem wird, wo die einheimischen Musiker zum Aufnehmen hingehen und der von den Einwohnern betreut wird. Das ist wunderbar.
Meine Arbeit bei meinem letzten Besuch brachte mir etwas über traditionelle Musik bei, ich fing an, welche zu schreiben und damit zu experimentieren. Nach den vielen Jahren, in denen ich mit dem dort Gelernten auf Tour war, ist es sehr angenehm zurückzukehren. Natürlich habe ich jetzt einen anderen Blick auf das ganze Universum dort und musikalisch versuche ich nun, das alles sozusagen minimalistischer und konzeptueller anzugehen. Aber ihre Musik ist noch die gleiche, deshalb ist es eine lebendige Tradition.
Laden Sie die Remix-Stems von Simón Mejías „Majaná“ herunter
Als du den Track „Majaná“ geschrieben hast, hattest du da bevor du mit der Arbeit anfingst schon eine Idee, wie du das Arrangement zusammensetzen würdest? Wie hast du die in Palenque aufgenommenen Bestandteile für den Track ausgewählt? Was hielten die Musiker, mit denen du gearbeitet hast, von dem fertigen Stück?
Bei „Majaná“ wusste ich nur, dass ich etwas mit der Marímbula machen wollte. Das Instrument hatte ich zuvor bereits aufgenommen, aber nie richtig damit gearbeitet oder etwas produziert. Für mich als Bassist und Liebhaber von Basslines stand das noch aus. Ich liebe die Farbe des Instruments und vor kurzem hat mich die Musik von Konono no. 1 aus Kinshasa inspiriert. Sie spielen ein Lamellophon, das einen ähnliche Vibe hat wie eine Marímbula. Das war eine große Aufgabe, besonders weil das Instrument ein tiefes und metallisches Register hat, das sich nicht so leicht in den Mix einfügt. Den Rest des Tracks, vor allem die Rhythmusgruppe, wollte ich dem überlassen, was ich vor Ort vorfand. Ich wusste, dass ich keine traditionellen Rhythmusinstrumente verwenden wollte und nahm deshalb ungewöhnliche Klänge, z.B. Stöcker und Müll, aus denen ich versuchte Beats zu machen. Auch mit Umgebungsgeräuschen, wie bei Sonnenaufgang, wollte ich Hi-Hats und hochfrequente Percussionklänge nachbilden. Alles war Teil eines Experiments, das erst im Studio seine endgültige Form annahm. Nichts war wirklich geplant und ich brauchte viele Umwege, bis ich den richtigen Zugang fand.
Die Leute, die am Prozess beteiligt waren, tanzen, wenn ich den Track auflege, also denke ich, dass das eine gute Antwort ist!
Zu deinem Sample-Pack gehören auch rhythmische Loops, die du mit Overdrive und Kompression bearbeitet hast. Kannst du uns einmischen darüber erzählen, wie du diese Effekte anwendest und was sie tun? Welche Rolle spielen sie in den Tracks?
Ja, ich versuche, bei meiner Arbeit nicht übermäßig Plug-ins zu verwenden, nur die Basics, also EQ, Kompressor, Delay und Overdrive. Je einfacher desto besser. Aber in diesem Fall habe ich es mit der Kompression übertrieben, um verschiedene Patterns bei den perkussiven Soundscapes herauszuarbeiten, z.B. Stöcker, Schüsseln, Macheten, Wasserhähne und Bierflaschen. Ich habe das Gefühl, wenn man Kompression freier einsetzt, dann geht der Sound in interessante Texturen über und manchmal ergeben sich beim Loopen andere Muster aus dem Originalmaterial. Das gefällt mir. Overdrive und Delay färben die Loops dann ein bisschen ein und machen sie psychedelischer. Ich liebe es, wie man die Natur in so viele unterschiedliche zufällige und unbekannte Sounds transformieren kann und das alles im Studio, nur mit ein paar Effekten. In dem Track wollte ich beim Hören das Feeling herstellen, das man kriegt, wenn man in Palenque ist und auch, dass man sich in den Sounds und Strukturen verliert. Sprache hilft dabei enorm, weil niemand versteht, was dort gesagt wird! Das ist die Sprache der Einheimischen in Palenque … nur sie wissen, was gesagt wird.
Lesen Sie unbedingt auch Searching for Sound: Mitya erkundet Tatarstan und Searching for Sound: Sandunes hört Mumbai.
Bleiben Sie bei Simón Mejía und Bomba Estéreo über die Website und über Soundcloud auf dem Laufenden.