Sara Landry: High-End Hard Techno
Sara Landry hat Handwerker bei sich zuhause. Als wir mit unserem Zoom-Call anfangen, entschuldigt sie sich sofort für eventuelle Hintergrundgeräusche, dann scherzt sie darüber, dass sie jetzt die Möglichkeit verpasst, das ganze Hämmern und Bohren aufzunehmen. „Ich habe aber schon eine Menge Samples”, versichert mir die Mittzwanzigerin aus Texas. „Normalerweise erschrecke ich sie damit.”
Landrys Musik kann es mit jeder lauten Baustelle aufnehmen. Es war ein schneller Aufstieg für die Künstlerin aus Austin, die jetzt einen festen Platz an der Spitze der internationalen Szene des Hard Techno gefunden hat. Ihren Namen hat sie sich mit umwerfenden Boiler Room-Auftritten und ihrer berüchtigten Warehouse-Eventreihe KLUBHAUS sowie bahnbrechenden Veröffentlichungen und einer breiten Unterstützung von Künstler:innen wie Perc, Amelie Lens, VTSS und I Hate Models gemacht und dabei verspielte und surreale musikalische Schnörkel zwischen hämmernde Four-To-The-Floor-Kickdrums gesetzt. Ihr selbstbewusster Stil ist wie gemacht für die Primetime, produziert mit dem Bild verdunkelter Clubs und nächtlicher Festivalbühnen vor Augen. Daher scheint es auch passend zu sein, dass ihr Gesicht während unseres Gesprächs auf dem Bildschirm aus einem scheinbar verdunkelten Nichts auftaucht.
„Das ist mein Studio”, erklärt sie im grellen Licht ihres Monitors. „Ich habe es mit diesen schwarzen Akustikdecken abgehängt. Ich schaffe mir gerne die Umstände, in denen ich meine beste Arbeit mache, und bringe dadurch die Energie hier in mein Studio.”
Landrys Ansatz und der ihrer Kolleg:innen erinnert an die Härter-Schneller-Ethik der europäischen Hard Dance-Szenen wie dem Hard House, Hard Trance und Hardstyle. Der Unterschied zu Landrys Musik besteht in einer Tendenz hin zu einer aggressiveren, industrielleren Klangpalette. Durch die Intensität und drängende Statur ihrer Musik ist sie jedoch fest in den großen Dancefloors und deren erhöhten Bewusstseinszuständen verortet.
„Ich mache auf jeden Fall Sachen für Leute, die schon zwei Tabs intus haben”, gibt sie mit einem verschmitzten Lächeln zu. „Wenn ich am Produzieren bin, frage ich mich: ‚Wie klingt das für eine Person, die high ist?’ Weil ein Großteil meines Publikums ist das nämlich. Ich versuche nicht, andere davon zu überzeugen, sowas zu machen, aber ich habe es genossen, durch Pflanzenheilung und generell psychoaktive Substanzen für das Leben zu lernen, zu heilen und aktiv zuzuhören.”
Die meisten Varianten des Hard Dance haben sich im Zusammenspiel mit psychedelischen Erfahrungen entwickelt, da die Produzent:innen gerne nach Wegen suchen, um auf die veränderten Bewußtseinszustände ihrer Hörer:innen Einfluß zu nehmen. Landry sucht in ihrem Fall nach subtilen Akzenten zwischen den vordergründigen Elementen ihrer Tracks, sei es ein zum Groove versetztes Element im Hintergrund des Mixes oder eine Reverse-Kick, die die Lead Drum akzentuiert. Auf ihrem Track ‚Queen Of The Banshees’ arbeitet sie mit mit einer polyrhythmischen Acid-Line, die sie alle drei Takte loopt, „was dem Track dieses seltsame, galoppierende Gefühl gibt.”
Viele von Landrys zukünftigen Tracks haben sich in unterschiedliche Live-Streams und Online-Mixes geschlichen. Ihre künstlerische Identität ist darin deutlich hörbar, wenn ihre kreative Entwicklung und ihr technisches Können zu einer randalierenden, pumpenden Einheit verschmelzen. Ihr Sound ist das konsequente Ergebnis der letzten 6 Jahren, in denen sie sich als DJ und Produzentin entwickelt hat, die zuerst von Progressive House, Trance, Dubstep und dem Stadion-Techno von Deadmau5 und anderen beeinflußt war, bevor sie im modernen High-Definition-Stil des Hard Techno ankam. Es ist ein Genre, das zu ihrem reifenden Geschmack, ihrem Schalk und ihrer Liebe für ernsthaftes Studio-Handwerk passt.
„Ich habe wirklich das Gefühl, dass ich meinen klanglichen Fingerabdruck gefunden habe”, sagt Landry. „Ich glaube aber, dass er eine Kombination aus meinen technischen Fähigkeiten und dem Anteil meiner Arbeit ist, die durch meine Persönlichkeit oder einen Insider-Witz bestimmt ist.”
Landrys Sinn für Humor scheint sogar in ihren wuchtigsten Arbeiten durch, von Arch-Edits and Track-Remixen wie Cardi B & Megan Thee Stallions ‚WAP’ bis hin zum Samplen von Mean Girls. Auf dem kommenden Track ‚ADHD’ samplet sie unverfroren die manische Geige aus Nikolai Rimsky-Korsakovs ‚Flight Of The Bumblebee’ und stellt sie in dem gnadenlosen Banger in einen neuen Bezugsrahmen.
„Ich habe lange Zeit damit verbracht, die Regeln zu lernen, damit ich sie auf neue Weise brechen konnte. Ich finde, dass mein Gesamtwerk zeigt, dass das mein Ziel ist. Der Track ‚Flight of the Bumblebee’, der auf meinem Label veröffentlicht wird, bricht viele Regeln.
„Ich nehme Sachen, die unter keinen Umständen auf harten Tracks auftauchen können, und mache sie ultrahart”, lacht sie.
Landry nennt den Track ‚ADHD’ (der als Abschluss-Track in ihrem Hard Dance 102 Boiler Room-Set zu hören ist) eine angemessene Darstellung ihrer Persönlichkeit. Und tatsächlich geht sie blitzschnell durch verschiedene Themen und durch über den Bildschirm geteilte Live-Projekte. Dabei schafft sie es, dass ihr Wissen über die Musikproduktion sowie Physik und Neurowissenschaften mit ihrer Energie Schritt hält. Wenn sie über ihre Herangehensweise an Live spricht, dann passiert das hauptsächlich in technischen Begriffen.
„Ich verwende Live als Musikinstrument, aber nicht aus einer klassischen Sicht”, erklärt sie. „Ich betrachte die Dinge mehr aus einer technischen, codierenden Perspektive. So funktioniert einfach mein Gehirn. Live ermöglicht es mir, meine eigenen Workflow-Prozesse zu erstellen, sie dann zu stapeln und zu automatisieren. Für mein kreatives Schaffen macht es einen großen Unterschied, dass es in Live 11 mehr Raum für Makros, Snapshots und VST-Building gibt. Ich schaffe mir für meine ADHD eine Struktur, und innerhalb dieser Struktur kann ich tun, was auch immer ich möchte.”
Landry betont auch, wie wichtig es ist, sich ausführlich damit zu beschäftigen, wie etwas funktioniert, bevor abgekürzt wird. Sie geht Instrumentenbanken und Effekt-Racks durch und demonstriert ihre selbst erstellten zeitsparenden Devices, wie zum Beispiel eine EQ und Distortion-Kette, die so konfiguriert ist, dass sie direkt auf eine Kick-Drum fällt, oder einige Saturatoren und Resonatoren, um einem Sound etwas “Zhuzh” zu geben.
„Die Art und Weise, wie ich meine Sachen angeordnet habe, funktioniert sehr gut für mich, weil meine neuralen Bahnen schon an der richtigen Stelle sind und ich genug Erfahrung habe, um abkürzen zu können”, hebt sie hervor. „Aber ich würde das nicht machen, ohne die 6000-Stunden-Marke erreicht und die Ohren geübt zu haben, weil Sie sich sich ins eigene Fleisch schneiden, was ihre Ausbildung und das Herausbilden der neuralen Bahnen angeht, wenn Sie zu früh mit Abkürzungen arbeiten.”
Bei Landrys Abkürzungen geht es immer darum, die Zeit zu minimieren, die sie für sich wiederholende technische Aufgaben aufbringt, um ihren kreativen Fluss zu verbessern. Wenn sie in ihren Track einen Trance-Lead einfügen möchte, weiß sie, dass sie ein Rack eingerichtet hat, das ungewollte Frequenzen schneidet und die Klangfarbe und den Charakter hinzufügt, die sie mag, ohne fünf individuelle Devices dafür laden zu müssen. Als Person, die gerne ihre Tracks mischt, während sie sie schreibt, ist es von Vorteil, wenn sie notwendige Effekte schnell aufrufen kann, weil die Abmischung dadurch nicht beim Komponieren stört.
*Erfordert Live 11 Suite
„Die Saturation variiert je nachdem, was ich machen will, deshalb lasse ich sie in der Standardeinstellung ”, erklärt sie, während sie mich durch einige ihrer Effekt-Racks führt. „Aber ich habe individuelle Voreinstellungen auf meinem EQ Eight, deshalb ist es immer startbereit, wenn ich es aufrufe. Ich habe ihm ein Shelf zugeordnet, weil ich die Klangfarbe des Low Cut-Filters meistens nicht mag. Ich habe einen Kompressor, der ungefähr so eingestellt ist, wie ich es für das Side-Chaining mag, den ich dann je nach BPM des Tracks schnell anpassen kann. Individuelle Racks sparen auch bei der parallelen Verarbeitung sehr viel Zeit.”
Getreu ihrem Charakter und der organisierten Struktur ihrer Live-Projekte verfolgt Landry einen methodischen Ansatz, wenn sie Musik macht. Sie fängt immer mit den Drums an und nimmt sie als Grundlage für den Rest des Tracks. Sie stellt sicher, dass sie vollständig programmiert und abgemischt sind, bevor sie sich an die melodische oder strukturelle Arbeit macht.
„Das erste, was bei jedem einzelnen Track passiert, ist das untere Ende”, erklärt sie. „Ich mache das Wichtigste zuerst, ich baue die Kick-Drum. Wenn sie dann fertig ist, kommt die obere Schicht der Kick dran, und dann eine kleine Drum-Roll, wenn ich etwas Platz haben möchte, oder ein kleiner Sublayer oder eine Reverse Groove Kick oder sowas. Ich mache alle diese kleinen Teile fertig. Ich mische sie ab, lade sie hoch und bringe sie zum Abschluss, bevor ich irgendetwas anderes mache. Wenn Sie nämlich Sachen hinzufügen, bevor das untere Ende steht, werden Sie es zum Schluss schwerer haben, alles sauber hinzubekommen.”
Während Landry diesen Teil des Arbeitsprozesses als etwas beschreibt, bei dem es darum geht, den Job zu erledigen, um danach mit dem „fun stuff” weitermachen zu können, produziert sie ihre Drums nicht wie bei einem rein oberflächlichen Engineering-Job. Sogar die Kick-Drum verlangt auf jedem Track nach einem kreativen Ansatz.
„Ich mache jedesmal eine neue Kick-Drum”, betont sie. „Sie haben immer eine sehr spezielle Klangfarbe, weil ich nicht möchte, dass die gleiche Kick-Drum zu hören ist, wenn ich ich zwei Sara Landry-Tracks in einem Track back to back spielen will und sie die gleiche Tonart haben. Weil wenn ich dann mixe, wird dadurch die Phase verstärkt.”
Jenseits der Kicks wird der Sound jedes Elementes in Landrys Projekt durch eine großzügige Anzahl an Geräteketten geformt und verfeinert. Sie benutzt oft Resonator oder Corpus, um einem Pad Harmonien hinzuzufügen oder „um etwas sehr Atonalem einen Ton zu geben.”
„In jedem Track passiert eine Matroschka-Situation mit der Verzerrung”, erklärt sie. „Es gibt in etwa fünf verschiedene Schichten. Wenn Sie Harmonien oder ein wenig ‚zhuzh’ hinzufügen, dann müssen Sie sicher gehen, dass Sie nicht nur lauter drehen, sondern Gain-Staging machen. Deshalb verwende ich viele Safety Limiter.
„Im Frequenzspektrum zwischen 20 und 20.000 Hertz ist nur begrenzt Platz. Nur ein bestimmter Anteil davon kann von den Hörer:innen als Klangvordergrund, Mittelteil und Hintergrund wahrgenommen werden, und im Stereofeld können Dinge nur begrenzt hin und her geschoben werden. Der Schlüssel für eine gute Abmischung ist, darauf zu achten, dass alles an seinem kleinen zugewiesen Platz ist, und dass sich die Dinge dabei nicht in die Quere kommen.”
Landry will nicht nur einen Platz für jedes Element im Frequenzbereich finden, sondern strebt auch nach Klarheit in der Verwendung von Effekten, indem sie ihre Reverbs und Delays parallel laufen lässt, um den Klang nicht zu trüben. Die parallele Verarbeitung bedeutet auch, dass verschiedene Reverbs auf verschiedene Sounds angewendet werden müssen.
Indem Landry viele dieser akribischen Abmischprozesse als Devices, Racks und Makros anlegt, hat sie ein System geschaffen, mit dem sie in kurzer Zeit einen vollständig abgemischten High-End-Sound liefern kann. Und das ist eine gute Sache mit Blick auf ihr konstantes Arbeitspensum an Remixen, Edits und Produktionen. Dabei hilft aber auch, dass sie sich getreu der wilden Energie ihrer Musik nicht gerne zu lange an einem Track aufhält.
„Ich bin eine große Verfechterin von der Philosophie ‚touch it once’”, sagt sie. „Die magischsten, innovativsten und schrägsten Ideen sind am frischesten, wenn sie gerade entstanden sind. Je länger ich mir etwas anhöre, desto weniger cool klingt es. Es ist immer ein Kampf zwischen dem Versuch, die Magie der Anfangsidee zu bewahren… und beim vielen Zuhören nicht zu ermüden.”
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Text und Interview: Oli Warwick.