Das Orchester der Dinge: Die Welt sampeln
Dass ein Beat aus einem Pappkarton und Field-Recordings von einem Frosch zusammengebastelt wurde, überrascht heute kaum jemanden mehr. Bis spät in die 80er Jahre hinein galten Aufnahmen von Hausmüll jedoch als Sache experimentierfreudiger Komponist:innen; für Field-Recordings waren Menschen mit Klemmbrettern und Stipendien zuständig. Club-Musik, Hip-Hop und Pop entstanden mit Drum-Machines oder, sofern man wirklich am Zahn der Zeit war, mit Breakbeats von alten Platten.
Seither hat Sampling alles verändert. Sobald Sampler erschwinglich genug waren, konnten auch Amateur:innen Beats aus verschiedensten Aufnahmen produzieren. Ein nächster Schritt war der Laptop, und spätestens mit der Erfindung des Smartphones standen Musiker:innen alle Möglichkeiten offen. Jede:r mit einem Smartphone konnte Field-Recordings (also Aufnahmen außerhalb des Studios) machen, und alles, was man aufnahm, konnte gesampelt werden. Von da an war es möglich, auf Tracks neben den Sounds von High-End-Equipment auch Samples der Schiebetür des Ladens zu finden, in dem dieses verkauft wurde.
Diese Verschiebung hat nicht nur die Zukunft der Musikproduktion verändert, sondern auch deren Vergangenheit. In der Wiege des Samplings in Heimstudios wurden alle Komponist:innen der Musique Concrète und alle Produzent:innen von Field-Recordings aus der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts in den Bereich der Vorgeschichte des Samplings verbannt. Ihre Mühen, den Lärm der Welt einzufangen und zu orchestrieren, schienen im Lichte der neuen Erkenntnisse wie frühe Ausdrucksformen eines Wunsches, den der Sampler später erfüllen sollte. In anderen Worten: Sie gerieten zu Pionieren von Genres, die sie sich niemals hätten vorstellen können.
Heute können wir uns die gemeinsame Geschichte der Field-Recordings und des Samplings ansehen und von ihr als Ganzes lernen. Wir können reflektieren, warum Künstler:innen – Pioniere der Musique Concrète, Rave-Legenden, komische Pop-Ikonen und Amateur-Produzent:innen – sich zum Sampling ihrer Umgebungen entschieden haben und können uns individuell der Frage nähern, wie wir unserer Musik Texturen, erzählerische Tiefe und eine persönliche Note verleihen, indem wir Sounds um uns herum aufnehmen. Im Folgenden finden sich Beispiele von Musikschaffenden, die sich durch die Geschichte hindurch dem Kontinuum von Sampling und Field-Recordings genähert haben, neben einigen Möglichkeiten, deren Workflows in Abletons iOS-App Note nachzubauen.
Dinge persönlich nehmen
In der Musik der jamaikanischen Gruppe Equiknoxx entstehen Rhythmen aus winzigen Ausschnitten des Lebens. „Kleine Sounds”, so Gavin ‘Gavsborg’ Blair, „man hört einen Sound und fragt sich, ob das jemand ist der eine Tasse oder einen Joint ablegt, oder ob da eine Tür geschlossen wurde.” Was er meint, wird auf ‘Enter a Raffle… Win a Falafel’ vom 2017 erschienenen Release Colon Man deutlich. Der Track beginnt mit klickenden und wackelnden Geräuschen, Scharnieren und Riegeln, aus denen ein Beat entsteht. Nach ein paar Takten beginnt eine zweite Schicht aus etwas, was wie ein nahmikrofonierter Laserdrucker klingt, gefolgt von klackernden Rohren und singenden Vögeln. Für diese Effekte hat Gav viel Zeit damit verbracht, auf Leitern zu klettern und Vögel aufzunehmen oder mit einem Aufnahmegerät an den Rohren in seiner Küche entlang zu kriechen. Dabei lief er vielleicht Gefahr, sich auch mal den Kopf zu stoßen – die Samples aus der echten Welt waren ihm das jedoch wert, weil sie ihm die eine Sache boten, die kein Samplepack und keine Drummachine der Welt ihm liefern konnte: Einen ganz eigenen Sound. „Ich wollte kein Sample-Pack benutzen, das irgendwie so heißt wie ‘Timbaland Drums’ oder ‘Neptune Drums’,”, erzählt er.
Wenn Gavsborg den Klang eines Rohres in seinem jamaikanischen Zuhause sampelt, nimmt er damit ein unwiederholbares Ereignis eines singulären Ortes auf, das ganz für sich steht. Dasselbe gilt auch für jeden Sound, den man mithilfe eines Smartphone-Mikrofons in Note aufnimmt. Die Luft, die in genau diesem Moment am eigenen Ohr vorbeistreicht, der Klang von Schuhen auf der Treppe, ein rasselndes Fenster, die Rohre im eigenen Haus. Was ist der ‘eigene’ Sound, wenn nicht diese einzigartige Perspektive? Jeder Sound, den wir aus unserer Umgebung sampeln, trägt einen einzigartigen klanglichen Fingerabdruck des Ortes, an dem wir uns befinden. In anderen Worten: Wir können ihn persönlich nehmen.
Readymade-Sounds
„Ich mag akustische Spielräume”, sagte der Komponist Alvin Lucier 1990 in einem Interview. „Ich meine, wenn man einen Bandpass-Filter benutzt, muss man sich entscheiden, was man als Hauptfrequenz einstellt, und ich habe kein Standardrezept für solche Entscheidungen.” Auch, wer weniger Entscheidungsschwierigkeiten hat als Lucier, kann diese Aussage bis zu einem gewissen Punkt nachvollziehen: Uns stehen erschreckend viele Möglichkeiten offen, Sounds zu bearbeiten.
So betrachtet liegt auch eine gewisse Schönheit in der ‘gegebenen’ Natur akustischer Sounds. Man muss sie nicht gestalten, sie sind einfach da, in all ihrer chaotischen Komplexität. Die Effektverarbeitung hat die Architektur für uns übernommen, das Wetter, die Bewegungen von Menschen und Objekten in genau diesem Moment. Es ist schön, nicht für alles zuständig zu sein.
Es sind die unerwarteten und unkontrollierbaren Eigenheiten einer Feldaufnahme, die einen Track in eine neue Richtung lenken oder eine komplett neue Arbeit inspirieren können. Die magischen Soundscapes des aus Manchester stammenden Duos Space Afrika entstehen oft aus Fragmenten von Field-Recordings. ‘bly’ vom Album Somewhere Decent to Live beginnt mit dem Sample eines stark rauschenden Raumklangs. Während dieses geloopt wird, kommt ein weiteres Sample dazu, die Stimme einer Frau, hörbar über etwas, was wie die Lautsprecheranlage eines Bahnhofs klingt, mit Verwischungen im mittleren Frequenzbereich und einem großräumigen Delay.
Wenn es nach der Band Joshua Inyang geht, sind es die ureigenen Qualitäten derartiger Aufnahmen, die jene überhaupt zu ihrer Arbeit inspirieren. „Eine Feldaufnahme kann eine Energie oder eine Geschichte in sich tragen, mit der wir direkt arbeiten können, und in der wir Aspekte finden, die eine tolle Atmosphäre schaffen,” erklärt Inyang, „und das kann eine Produktion anleiten.”
Viele der Samples, mit denen Space Africa arbeitet, stammen aus Aufnahmen dessen, was man Stille nennen könnte – der Klang leergefegter urbaner Orte, an denen nicht viel passiert. Vielleicht möchtest auch du rausgehen und sechzig Sekunden des Klangs eines ruhigen Ortes in deiner Nachbarschaft aufnehmen. Lade die Aufnahmen in Note und importiere dieselbe Aufnahme auf einige Pads im Drum-Sampler. Schneide die Aufnahme auf jedem Pad anders zu und zoome in verschiedene Fragmente der Aufnahme rein. Spiele die Pads. Welche Harmonien oder Melodien legen die aufgenommenen Sounds nahe? Welche Stimmungen lassen sie entstehen?
Geschichten durch Sounds erzählen
Im Jahre 1980 leitete Richard Burgess die Entwicklung des Fairlight CMI – eines frühen Hardware-Samplers und Produktionstools – für Kate Bushs selbstproduziertes Album Never for Ever. Der Fairlight wurde mit einer ganzen Sammlung an Sounds ausgeliefert, für die Kate jedoch keine Verwendung hatte – die Sounds waren nicht schlecht, aber eben auch nicht die ihren. „Sie wollte den Klang eines Gewehrs, das geladen wird, als Teil der Percussionspur für ‘Army Dreamers’,” erinnert sich Burgess. „Ihr großer Bruder John hat eine riesige Gewehrsammlung vorbeigebracht, die wir gesampelt und zusammengestellt haben.” Im letztlichen Track übernimmt das geloopte Laden des Gewehrs die Aufgabe der Drums, die einen geisterhaft anmutender Todeswalzer entstehen lassen, sobald die anderen Instrumente dazukommen.
‘Army Dreamers’ markiert einen großen Schritt im Vergleich zum früheren Gebrauch von Field-Recordings in der Popmusik, wie etwa dem Klang eines Staus in ‘Summer in the City’ von the Lovin’ Spoonful, wo das Sample die Aufgabe hat, uns etwas zu zeigen, was auf narrativer Ebene bereits eingeführt wurde, ähnlich einer Illustration in einem Buch. Bei Bushs Song ist das anders: Hier ist das Sample sowohl Gegenstand als auch Material der Musik, bewegt sich in seiner Aufgabe zwischen dem Auslöser eines Bildes und einem Musikinstrument.
Das Komponist:innen-Produzent:innen-Duo aus Hildur Gudnadottir und Sam Slater hat diesen Ansatz jüngst in ganz neue Gefilde gebracht – durch gesprochene Klangwelten, in der Subjekt und Objekt eins werden. Die beiden komponierten die Musik für das Videospiel ‘Battlefield 2042’, indem sie Materialien aus der Spiel-Welt sampelten und so einen Planeten entstehen ließen, verwüstet vom Zusammenbruch der Natur. Dafür bauten die beiden Instrumente aus Samples von Glas, Holz, Sand und Stahl. „Es ist chaotisch, es ist durcheinander, es fällt auseinander,” erzählt Gudnadottir in MusicTech, „man kriegt nichts, was sauber und rein ist, die Musik muss in derselben Welt leben wie das Spiel. Also muss sie hässlich, durcheinander und sehr nahbar sein.”
Als Gudnadottir und Slater die Arbeit an der Musik zum Spiel aufnahmen, oder als Kate Bush sich dem Schreiben eines Songs über Militarismus widmete, legte die jeweils erzählte Geschichte eine Klangwelt nahe, und damit eine Vorstellung, was man dafür sampeln könnte. Du kannst dir auch selbst ein Briefing dieser Art schreiben, oder eine:n Freund:in bitten, das für dich zu übernehmen. Wenn du Musik über die Zubereitung eines Frühstücks machen würdest, was würdest du dafür sampeln, und was würde diese Geschichte aus Klängen erzählen? Nimm die Klänge des Summens deines Kühlschranks, von klappernden Tassen und Gläsern, deinem Wasserkessel direkt in Notes melodischen Sampler auf und schneide sie nach deinem Geschmack zurecht. Mit den Pads kannst du Melodien und Kontra-Melodien und Basslines aus deinem neuen Instrument spielen und auch deine Geschichte mit Klang erzählen.
Der Klang des Raums
Gudnadottirs Vorliebe für das Chaotische und Greifbare wird von vielen Menschen geteilt, die mit Sampling arbeiten. Als der Hip-Hop-Produzent Marley Marl beschrieb, wie bahnbrechend der Effekt der ersten Produktion mit einem Sampler in den 1980ern war, bediente er sich ähnlicher Begriffe. „Ich könnte irgendeinen Schlagzeug-Sound von irgendeiner alten Platte nehmen, sie da reinstecken [in den Sampler] und dafür sorgen, dass der alte Drummer darauf wieder zum Klingen kommt,” erklärte er. „Nichts mehr von diesem dämlichen DMX-Scheiß.” Was hat der Klang eines alten Schlagzeugers, was eine Drum-Machine nicht hat? Den Sound der Luft, die sich im Raum bewegt. Wenn die Drums reinkommen, ist der Raum aktiviert und die Aufnahme transportiert uns in ebendiesen Raum, und wenn auch nur für den Bruchteil eines Moments.
Hip-Hop-Produzent:innen aus dem Golden Age präferierten Breaks aus den 70ern. Es gibt jedoch keinen Grund, bei klassischen Drums zu bleiben – oder überhaupt bei Drums. Wenn es der Sound von Luft in Bewegung ist, der einen Beat spannend macht, funktioniert wahrscheinlich auch der Inhalt deines Recycling-Mülls oder das Spielzeug im Park an der Ecke. (Unbelebte Objekte wie diese laufen auch weniger Gefahr, sich an ihre Anwält:innen zu wenden, wenn aus deinem Jam ein Hit wird.)
Wenn die australische Produzentin Ninajirachi Steine in den nahegelegenen Fluss wirft und dann Mikrosamples der Aufnahmen dessen auf ihre Beats layert, gleicht der Effekt ein wenig dem, was passiert, wenn klassische Breakbeats mit synthetischen Rhythmen kombiniert werden – ein bisschen was vom Chaos und dem Lärm der echten Welt wird in einen digitalen Raum gespült. Bei einer Marley-Marl-Produktion wie ‘Go on Girl’ können wir den Sound des Schlagzeugs als Schlagzeug lesen, während die Samples in Ninajirarchis Fall zu winzig und zu weit weg von ihrem eigentlichen Kontext sind, um uns wissen zu lassen, woher sie stammen (es sei denn, wir haben ihr One-Thing-Video gesehen). Wir lesen die Klangsamples nicht als die Objekte, die sie hervorgebracht haben, und das sollen wir auch nicht. Bedeutend werden die gesampelten Field-Recordings durch die Erfahrung des Gegenwärtigen und der Textur der echten Welt, das, was der Komponist Daniel Terruggi den “deutlichen räumlichen Fingerabdruck” des Ortes nennt, wo sie aufgenommen wurden.
Note macht es einfach, mit diesem Ansatz zu arbeiten und zu entdecken, wie weit man damit gehen kann. Sample die Geräusche vom Aufprall, der Berührung oder des Fallens von Objekten in deiner Umgebung, baue ein Drum-Sampler-Kit daraus und schichte sie über Kicks und Snares, die bereits in Note enthalten sind. Wenn der Sound abstrakt wird, verschwindet das Objekt. Bleibt der räumliche Fingerabdruck bestehen?
Die Zeit aus den Fugen
Samples aus unserer Umwelt fangen nicht nur den Raum ein, sondern auch die Zeit: Deine gesampelten Atmosphären enthalten Spuren des Jahres, des Tages, der Sekunde ihrer Aufnahme. Für Jordan ‘Time Cow’ Chung von Equiknoxx ist es genau das, was die Verfügbarkeit von Field-Recordings in unseren Zeiten so besonders macht; er findet Gefallen an der Vorstellung, dass Menschen mit dem Sampeln urbaner Klänge die Geschichte der Stadt bewahren. „Künftige Generationen haben diese Dinge dann als Referenzen,” erklärt er. „Wie eine besondere Straße in Jamaica heute klingt, kann sich in 10 Jahren komplett verändert haben.”
Sampling durchbricht das Zeit-Kontinuum jedoch auch, bringt Vergangenheit und Gegenwart durcheinander, als wäre es nichts. Pierre Schaeffer beschrieb die Samples in seiner frühen Musique Concrète als „Bruchstücke der Zeit, die dem Kosmos entrissen wurden”. Der aus Manchester stammende Musikpionier A Guy Called Gerald ging noch einen Schritt weiter: „Mit einem Sample,” schrieb er in seinem Sleevenote-Manifest für Black Secret Technology, „hat man sich die Zeit genommen… man fühlt sich, als hätte man die Zeit umgedreht.”
Eine Aufnahme eines Schlagzeugers, der acht Takte spielt, oder einer Handvoll Steine, die ins Wasser geworfen werden, bewahrt eine Folge von Ereignissen in etwas, was wir uns als lineare Zeit vorstellen. Wenn man die Sequenz jedoch nimmt und schneidet, geht die lineare Zeit verloren, da Ereignisse aus der Zukunft der Aufnahme früher auftauchen als solche aus deren Vergangenheit. Du kannst diese Billigversion der Zeitreise auch selbst ausprobieren, indem du ein Objekt aufnimmst, das du gegen den Boden klopfst. Importiere die Aufnahme in zwei Pads des Drum-Samplers. Schneide eine auf die ‘Ursache’ zu (das Klopfen) und die andere auf den ‘Effekt’ (Das Geräusch, wenn [der Gegenstand] den Boden berührt). Baue einen Beat, in dem der Aufprall die Kick ist und das Klopfen die Snare. „Die Zeit”, so sagte es ein verdammter dänischer Prinz einmal, „ist aus den Fugen.”
This is Not a Pipe
Sean Galloway macht Musik als Ave Grave. Sein 2022 erschienener Release Field Notes ist – wie der Name schon suggeriert – ein Album voller manipulierter Field-Recordings und spektraler Melodien, die komplett in Ableton Note entstanden sind. Eigener Aussage nach sah Galloway dies nicht kommen: Sein musikalischer Hintergrund lag eher im Band-Bereich, weshalb Field-Recordings für ihn nicht gerade nahe lagen. „Bei mir kamen da auf jeden Fall Bilder von einer einsamen Person hoch, die mit einem teuren Aufnahme-Setup und eins von diesen großen fluffigen Dingern – was ist das eigentlich? – draußen sehr spezielle Naturklänge aufnimmt.”
Mit Galloways erstem Smartphone wurden die Einstiegshilfen auf einmal überwindbar – sowohl technisch als auch finanziell. Er begann mit Aufnahmen von Orten, die er in Erinnerung behalten wollte. Einige Zeit später fing er an, sein immer umfangreicheres Soundarchiv zu sampeln und zu manipulieren, erst mit Tape, dann mit Note. Sein Umgang mit der App mag unorthodox erscheinen, ist aber innovativ: Nach der Aufnahme langer Clips seiner gesampelten Sounds und deren Weiterbearbeitung mit den Effekten aus Note „spielte” Galloway seine Kompositionen mit Notes Mixer-Reglern live und nahm dabei den Output seines Telefons auf.
Galloways zeitbasierte Fragmente begannen sich in seiner Musik zu vermischen und zu kombinieren, und er entdeckte, dass ihre Bedeutungen anfingen, sich von ihren eigentlichen Quellen zu lösen. Im Moment ihrer Aufnahme und in den darauffolgenden Monaten hatte er noch mit Sicherheit sagen können, dass eine Aufnahme einer U-Bahn-Station in Berlin ebenjene auch repräsentierte. Je mehr er sie jedoch als musikalisches Material begriff, desto weniger schien das noch zuzutreffen. „Wenn man dieses Ding von vor acht Jahren nimmt, das mit diesem anderen Ding nichts zu tun hat – weil das wann anders woanders auf der Welt aufgenommen ist – und die dann zusammenwirft,” erklärt er, „ist es quasi unmöglich, die Beziehung zwischen Signifikant und Signifikat noch aufrechtzuerhalten.”
Damit trifft Galloway einen wesentlichen Punkt: Sampling löst aufgenommene Klänge von der linearen Zeit, befreit sie aber auch von den Objekten, aus denen sie stammen. Sie werden abstrakt oder fangen an, nach etwas völlig anderem zu klingen. Wenn wir Gegenstände sampeln, wird uns bewusst, dass ein Klang seine Bedeutung nicht aus seiner Quelle zieht, sondern aus seiner Stellung innerhalb einer Sequenz – nicht aus dem Inhalt, sondern dem Kontext. Wenn jemand mit einem Stock gegen ein Rohr schlägt und wir die Person dabei beobachten, können wir sagen: Der Klang ist ein Rohr. Wenn jemand den Sound mit einem Smartphone aufnimmt und ihn uns vorspielt, ohne uns seine Quelle zu verraten, erkennen wir ihn vielleicht nicht mehr, können aber sagen, dass es sich dabei um einen klingenden Schlag mit ein bisschen Nachhall handelt. Wenn wir ihn dann in Note sampeln, den Decay trimmen und ihn in der Sekunde nach einer Kick reinkommen lassen, ist unser Kopf komplett frei: Wir hören eine Snare. Der Klang ist kein Rohr mehr – und in einem gewissen Sinne war er das auch nie.
Darin liegt letztlich der Grund dafür, dass wir keine Aufnahmen von Drums mehr brauchen, um Drums zu bauen, und warum Beatmaker genauso gut Papier zerknüllen wie Steine von einem Steg werfen oder eben Felle mit Sticks spielen können. Sampling ist der Zaubertrick, der Feldaufnahmen in Beats oder Drones verwandelt – oder was auch immer sie werden sollen. Jede:r mit einem Smartphone, der Note-App und einem wachen Bewusstsein kann komponieren – für das, was Galloway “das Orchester der Dinge” nennt.
Text von Craig Schuftan
Übersetzung von Julia Pustet