S8JFOU: Autark durch Software
Die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und unabhängig zu sein sind die zentralen Gedanken des DIY-, also Do-It-Yourself-Ansatzes. Der Begriff hat seinen Ursprung im Renovierungstrend der 50er Jahre. In den 60er Jahren wurde er von den Hippie-Gegenkulturen aufgegriffen und fand sein Echo schließlich in den Punk- und Indie-Bewegungen der 70er und 80er. Es waren jene späteren kulturellen Wiederverwertungen des DIY-Begriffs, die ihn mit seiner explizit politischen Konnotation aufluden – DIY stand für Authentizität und präsentierte sich als Alternative zu Massenproduktion und Mainstream-Konsumkultur. Künstler:innen, die mit einem DIY-Ansatz arbeiten, experimentieren häufig mit neuen oder alternativen Formen der Produktion, Präsentation und Distribution ihrer Arbeiten. In diesem Zuge entstanden Zines, Mail-Order-Kataloge, unabhängige Plattenlabel, Künstler:innen-Bücher, Pop-Up-Stores, selbstverwaltete Studios, Veranstaltungsorte und sogar Architektur, durch die die Grenzen zwischen Leben und Arbeit unscharf wurden.
Die Welt der elektronischen Musikproduktion bietet heute zahlreiche Möglichkeiten, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Die grundlegenden Tools zum Einstieg ins Musikmachen sind bezahlbar bis kostenlos. Und dank offener Plattformen wie Max/MSP, Pure Data, Reaktor, Touch Designer, Arduino oder Raspberry Pi können nach Unabhängigkeit strebende Kreative heute Software und Hardware nach ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen bauen. Ein klarer Nachteil gegenüber Tools und Instrumenten von der Stange: die nötigen Skills müssen erst einmal in zeit- und mühevoller Arbeit angeeignet werden. Dem steht gegenüber, dass die zum Lernen und Üben notwendigen Materialien heute leichter zugänglich sind als jemals zuvor.
Ein Künstler, der ganz nach dem Prinzip der Autarkie durch DIY arbeitet, ist der französische Produzent S8JFOU. Der Künstlername ist ein Spiel mit dem Ausdruck „Suis-je fou?” (zu deutsch: Bin ich verrückt?) und steht sinnbildlich für S8JFOUs einzigartige musikalische und biographische Laufbahnen, die die Beziehungen zwischen dem Künstler, seinen Tools und dem Musikmachen immer wieder aufs Neue ausgelotet haben. Wir haben uns mit S8JFOU unterhalten, der gerade in seiner selbstgebauten Studio-Hütte in den pyrenäischen Bergen lebt. Im Gespräch ging es um die Ursprünge und Folgen seiner Unabhängigkeit, seine Sichtweisen auf Soft- und Hardware und um sein letztes Album Op•Echo. Der Künstler hat außerdem vier seiner eigens entwickelten Max-for-Live-Anwendungen mit uns geteilt.
Hier geht’s zum Download der kostenlosen Max-for-Live-Anwendungen von S8JFOU
Die Anwendungen erfordern Ableton Live 10 oder höher und Max for Live oder Max 8.
Die Dinge, die du tust, sind stark vom DIY-Gedanken getragen – deine Musik, deine Programmiertätigkeiten mit Max/MSP, die Synths, die du baust, und sogar das Zuhause, das du dir gebaut hast. Warst du schon immer Autodidakt, oder haben in deiner Entwicklung auch Lehrende eine Rolle gespielt?
Seit meiner Kindheit war es immer so, dass ich auf einmal irgendwas spannend finden und dem dann von einem Moment auf den anderen mein komplettes Leben widmen konnte. Wenn dann irgendwas Neues auftauchte, ließ ich dafür wieder alles stehen und liegen. Keine Schule und kein:e Lehrer:in freut sich über ein Kind, das ungefähr 30 Minuten bei der Sache bleibt, bis jemand mit einem selbstgebauten Minibike vorbeifährt und das Kind für den Rest des Jahres in einer Garage verschwindet und sich sein eigenes Minibike baut. Also, obwohl das über Jahre hinweg wirklich mein Wunsch gewesen wäre, ich bin einfach mental nicht in der Lage, in einer eigens dafür eingerichteten Umgebung mit professionellen Lehrenden Dinge zu lernen und zu verstehen. Gottseidank gibt es ja das Internet, und jede:r kann Dinge einfach durch’s Machen lernen. Ich habe meine Schule also zu Hause gefunden, und das auch noch umsonst!
Eines deiner Projekte ist die mit Solarstrom betriebene Hütte, die du vor ein paar Jahren in den Bergen gebaut hast. Wie funktioniert das dort mit dem Musikmachen? Wie sieht ein durchschnittlicher Tag bei dir aus?
Das erste, was ich in meiner Hütte mache, ist ein Feuer im Ofen – ich bin nämlich im Winter meistens hier. Ich habe das allereinfachste Solarkraft-System, dafür habe ich weniger als 500 Euro gezahlt, und ich benutze es nur für zwei extrem leistungsschwache, selbstgebaute USB-Lampen, und um meinen Computer zu laden. Ich hatte nie ein Smartphone und ich arbeite mit handbetriebenen Werkzeugen, wenn ich Dinge baue oder Holz hacke.
Mein Musik-Setup besteht im Wesentlichen aus Ableton Live und Max/MSP auf einem Laptop. Ich arbeite schon immer mit Kopfhörern, also muss ich auch keine Lautsprecher mit Strom versorgen. Ich habe eine Soundkarte mit verschiedenen Mikrofonen, um Sachen aufzunehmen. In den ersten zwei Jahren hatte ich ein altes Klavier in der Hütte, aber der Holzkörper ist gebrochen und das Klavier war dann einfach tot. Ich habe meine Taschentrompete, ein ganz kleines USB-Keyboard und ein einzelnes, selbstgebautes USB-Potentiometer, das ist alles.
Es gibt keine durchschnittlichen Tage, denn wenn es zum Beispiel schneit, gehe ich natürlich Schlittenfahren. Manchmal arbeite ich lieber draußen und baue einen Stuhl, eine neue Handsäge oder eine Feuerstelle für Besuche von Freund:innen. Es gibt immer irgendwas, was ich reparieren oder optimieren kann. An anderen Tagen versinke ich dann komplett in einem Musikprojekt oder in einer neuen Max-for-Life-Anwendung, und verbringe damit dann Tag und Nacht. An solchen Tagen gilt meine größte Angst den Wolken, denn in einer bewölkten Woche kann ich meinen Computer nur alle zwei oder drei Tage laden.
Warum und wie hast du angefangen, deine eigenen Max/MSP- und Max-for-Live-Anwendungen zu bauen?
Ich habe angefangen, mit Max/MSP zu arbeiten, nachdem ich mit der Axolotl-Patcher-Programmierumgebung digitale Hardwaresynths gebaut hatte. Ich war schon durch mit dem Hardware-Zeug – ich habe zu viel Zeit und Geld in modulare Synths gesteckt, nur um dann irgendwann festzustellen, dass ich die meisten dieser Module kostenlos nachbauen kann. Axolotl Patcher ist viel einfacher als Max, aber man kann seine Arbeiten nicht ohne das Hardware-Board anhören. Das war also die perfekte Brücke für mich, um erstmal mit Max for Live einzusteigen, auf meiner jahrelangen Praxis mit Ableton Live aufzubauen und endlich die Tools zu bauen, von denen ich immer geträumt hatte. Von hier aus bin ich dann tiefer in Max eingestiegen und habe es auch außerhalb von Ableton benutzt, um mir meine eigene musikalische Welt aufzubauen.
Auf deiner Webseite beschreibst du eine Art Liebesaffäre, die du zeitweise mit deinen Hardware-Synths hattest – eine Zeitlang hast du dir und anderen sogar Synthesizer gebaut. Dennoch ist dein neues Album komplett softwarebasiert entstanden. Was ist heute deine Beziehung zu Software und Hardware?
Ein paar Jahre lang war ich fasziniert von Synths und Hardware-Instrumenten. So wie viele andere Musiker:innen unseres Jahrhunderts hielt auch ich den Computer erstmal nicht für das beste Musikproduktions-Tool. Es hat einfach mehr Spaß gemacht, Knöpfe zu drehen und mehr das Gefühl zu haben, „professionell” zu sein, so mit einem richtigen Studio. Aber da lag ich falsch. Als ich angefangen habe, Hardware zu sammeln, habe ich alles über Klangsynthese einfach ausgeblendet. Modularsynthese hat mich mit den Basics vertraut gemacht, weil man keine andere Wahl hat, als herauszufinden, was man wie stecken muss, wenn man Musik machen will.
Dann, als ich digitale Hardware-Synths gebaut habe, habe ich verstanden, dass 95 % meiner Eurorack-Module tatsächlich einfach auf einem Computer programmiert und dann auf einen Mikrochip geladen wurden. Dadurch habe ich begriffen, dass mein Rechner das mächtigste Musikinstrument war, das ich hatte, oder jemals haben würde. Ich musste nichts anderes kaufen, weil ich alles schon auf dem Computer hatte – und wenn nicht, dann konnte ich es bauen. Also habe ich fast meine komplette Hardware verkauft, um mich auf Ableton Live, Max MSP und Pure Data zu konzentrieren. Ich lerne jetzt auch Javascript und die Programmiersprache C.
Jetzt ist meine Beziehung zu Hardware: Komm f*** dich. Meine Beziehung zu Software ist: Lass uns als ein Teil einer freien und auf open-source basierender Klangwelt zusammen sein – ich kaufe kein Plastik mehr!
Wenn wir bei Software sind: Für dein neues Album Op•Echo hast du alles mit nur zwei Anwendungen gemacht, Operator und Echo. Warum hast du dich für das Arbeiten mit einer derartigen Einschränkung entschieden?
Das war eine Übung von Cynism, meinem letzten Album von 2020. Der Track „Analog Things” auf Cynism ist nur mit Operator und Echo entstanden. Anfangs war meine Idee eher, nachgebaute analoge perkussive Sounds zu erzeugen, als tief in FM-Synthese und das Potenzial von Operator einzutauchen. Es hat aber so viel Spaß gemacht, so zu arbeiten, dass ich einen neuen Track gebaut habe, und noch einen, und dann hatte ich nach einem Monat das ganze Album – und das hat richtig Spaß gemacht. Spring-Reverb mit Echo zu faken, analoges Summen mit Operator und Echo zu erzeugen – das war, als fände ich Seitenstraßen und geheime Passagen innerhalb meiner Wahrnehmung davon, was ein einfaches Tool leisten kann. Das hat mir einfach ein anderes Mindset vermittelt, als wenn ich ein neues Programm oder Plug-ins ausprobiert hätte, und hat mich außerdem nochmal neu davon überzeugt, 100 % bei meinem Computer zu bleiben.