Um den japanischen Produzenten Hirofumi Goto aka Rondenion ranken sich Mysterien. Nach einem Jahrzehnt mit diversen Veröffentlichungen gab er 2013 anlässlich seines Debut-Albums Luster Grand Hotel erstmals ein Interview. Seine auf Labels wie Still Music aus Chicago, Rush Hour aus Holland und Yore aus Deutschland erschienenen Platten wurden auf den internationalen Dance-Floors gefeiert und von DJs weltweit gepusht. Und doch weiß ein Großteil von Rondenions Hörerschaft aufgrund der dünnen Informationslage noch nicht einmal, dass er aus Japan stammt.
Rondenions Deep-House-Produktionen zeichnen sich durch rauhe Texturen und gefühlvolle Grooves gleichermaßen aus. Stellenweise lässt uns das an Moodymann und Theo Parrish denken. Und es war überraschend für uns zu hören, dass er nicht nur eine klassische Musikausbildung durchlaufen hat, sondern seine erste Berührung mit Dance Music ausgerechnet über eine japanische Mainstream-Pop-Band zustande kam. Rondenion macht seine Musik derzeit wieder in seiner Heimatstadt in der Mie-Präfektur. Yuko Asanuma hatte die Gelegenheit, ihn in Tokio zu treffen. Die beiden sprachen dort über Produktion und Inspiration.
Du hast eine klassische Musikausbildung genossen, ist das richtig?
Ja. In der Mittelstufe war ich Teil einer Brass-Band. Der betreuende Lehrer sagte zu mir, dass ich musikalisches Talent und viel Feingefühl hätte. Er empfahl mir, Saxofon zu spielen und so landete ich in der Musikschule um Saxofon zu lernen.
Hast du damals Spaß an der Ausbildung gehabt?
Um ehrlich zu sein, es war nicht genau das, wonach ich gesucht habe. Meine erste große musikalische Liebe fand ich in der japanischen Pop-Band TM Network. Durch sie wurde mir klar, dass es sowas wie Synthesizer überhaupt gibt. Sie weckten mein Interesse für elektronische Klänge. Und anstatt ein Soloinstrument zu spielen, war ich viel mehr darauf aus, ein komplettes Musikstück selbst zu machen. In der Brass-Band unserer Schule hatte ich einen Kumpel, der spielte “Electone” (eine Art elektronische Orgel, die von Yamaha entwickelt wurde). Und auch unser betreuender Lehrer spielte Synthesizer. Es gab daher an der Schule einen Yamaha SY 85. Immer wenn ich die Möglichkeit hatte, an dieses Teil zu kommen, dachte ich: "Das ist es! Das ist genau, was ich will." Von da an lernte ich zu spielen und gründete ziemlich kurz darauf eine Band mit einem Freund. Meine Liebe zum Saxofon kühlte sich dadurch mehr und mehr ab. Obwohl ich in Mie, wo ich zu dieser Zeit wohnte, ein sehr geschätzter Saxofonist war, was sicherlich auch ein bisschen an der fehlenden Konkurrenz lag.
Später besuchte ich eine Musikschule in Tokio. Ich war bereits komplett darauf aus, meine eigene Musik zu machen und kümmerte mich kaum noch ums Saxofon spielen. Also habe ich mich dort nach drei Tagen nicht mehr blicken lassen (lacht). Ich konzentrierte mich darauf, Demos zu machen und verschickte diese dann an einige Plattenfirmen. Nach ein paar Monaten kam ich bei einem japanischen Label namens Frogman Records unter Vertrag und veröffentlichte meine erste Scheibe.
Was hast du zur damaligen Zeit verwendet?
Einen Yamaha A3000 Sampler und einen Mehrspur-Recorder, den KORG D8. Meine Tracks basierten auf Samples. Ich mischte meine eigenen Aufnahmen mit gesampeltem Material aus anderen Quellen.
Wie bist du zu den Hip-Hop-Einflüssen gekommen, nachdem du ja ursprünglich von Synthie-Pop à la TM Network inspiriert warst?
Im Herbst ihrer Karriere setzten TM Network vermehrt auf "Four-on-the-floor" Dance-Beats. Das war quasi meine erste Berührung mit Dance Music. Ungefähr zur gleichen Zeit hörte ich Sachen wie 808 State und Remix-Alben von Yellow Magic Orchestra. Dadurch erfuhr ich immer mehr über House und Techno. Ich versuchte mich schon eine Weile lang an der Programmierung von Beat-Sequenzen, als mich der Hip-Hop wie ein Schlag traf und ich mich verwundert fragte, wie die das wohl machen. So entdeckte ich Sampling-Music für mich. Ich begriff, dass es für diese Art von Musik mehr braucht als Beat-Sequenzen und lernte wie es geht. In dieser Zeit fand ich zur Musik, die ich unterschwellig schon immer machen wollte.
Damals hast du deinen Künstlernamen von Hirofumi Goto in Rondenion geändert. Deine erste EP erschien dann auf Still Music aus Chicago. Wie kam es zum Namenswechsel und warum hast du dich dazu entschieden, mit einem so weit weg gelegenen Label zu arbeiten?
Mit Frogman Records ging es in dieser Zeit bergab und in Japan gab es nicht viele andere Optionen. Also musste ich notgedrungen über den Tellerrand sehen. Hinzu kam noch, dass es kaum japanische House-Produzenten gab, die mit einem japanischen Label den Durchbruch schafften. Deshalb entschied ich mich, meine Demos an ein paar internationale Labels zu schicken, die ich toll fand.
Und was den Namenswechsel anbelangt: Wenn deine Musik außerhalb deines Heimatlandes veröffentlicht wird, ist es unheimlich schwer, die Reaktionen darauf mitzubekommen. Ich dachte mir deshalb, dass es Sinn macht, nach dem eigenen Namen im Netz zu suchen. Hirofumi Goto ist aber nicht gerade selten. Um mich selbst finden zu können, brauchte ich einen Namen, der ein bisschen ungewöhnlicher war. Als ich nach Rondenion suchte, bekam ich keinen einzigen Treffer! Das war ungefähr 2003. Nachdem ich mich für Rondenion als Künstlernamen entschieden hatte, landete ich nur noch bei ausländischen Labels.
Dieser Name klingt nicht gerade japanisch. Es scheint so, dass du in Japan erst Aufmerksamkeit erlangt hast, als deine Platten reimportiert wurden.
Niemand in Japan wusste, dass ich selbst Japaner bin. Ich glaube, dass keiner was zu meiner Musik sagen konnte. Irgendwie war das schon lustig. In Japan gibt es unter den Fans eine grundsätzliche Skepsis gegenüber japanischen Produzenten. Deine Platten landen ganz schnell im "Japan"-Fach. Einen Namen zu wählen, der nicht japanisch klingt, war also eine ganz bewusste Entscheidung.
Viele Beatdown- und House-Produzenten aus der Detroit-Szene sind absolute Hardware-Nerds. Du bist ganz klar musikalisch von Ihnen beeinflußt, deine Arbeitsweise scheint jedoch eine andere zu sein.
Ich war ja schon in der Lage, Klavier zu spielen und zu programmieren, bevor ich mich diesem Stil verschrieben hatte. Für mich wäre es tatsächlich viel aufwendiger, nur mit Hardware zu arbeiten. Ich bekomme oft Komplimente wie: "Rondenions Musik hat diese unverwechselbaren Akkorde". Das ist meiner musikalischen Ausbildung geschuldet und ich sehe es als großen Vorteil an. Mein aktuelles Set-Up funktioniert, so wie es ist, bestens für mich. Außerdem wuchs ich mit klassischer und japanischer Pop-Musik auf. Da passiert weit mehr als bei simplen Loops. Also brauchte ich auch mehr, als nur einen Hardware-Sampler.
Wenn Du live spielst, sieht man dich mit einem elektronischen Controller, der an ein Saxofon erinnert.
Ja, das ist ein Blaswandler, der AKAI EWI4000S. Er steuert eine Saxofon-Simulationssoftware namens Mr. Sax. Der Track läuft in Live, ich steuere ihn mit AKAIs APC40 und spiele mit dem EWI4000S drüber. Wie der Name ja schon impliziert – Live ist für Live-Auftritte wirklich großartig. Besonders das Zuweisen von MIDI-Controllern ist super einfach. Es ist zwar Software, aber ich kann Sachen physisch ausführen und wie Hardware behandeln.
Ich verwende seit Neuestem übrigens auch Push bei mir im Studio. Damit kann ich wirklich abgefahrene Beats machen. Eine ganz aktuelle Veröffentlichung meines Labels, No Milks Remix-EP Re:Colors, enthält auch einen Remix von mir, den ich zu 90 % mit Push gemacht habe. Der letzte Schliff passierte in Cubase, aber das waren lediglich 10 % der Arbeit.
No Milk - “Relationshop” (Rondenion Remix)
Deine Musik weist eher rauhe Texturen und gern auch mal dezent verzerrte Sounds auf. Wie entwirfst du diese Sounds?
Das ist etwas, dem ich nur bedingt Aufmerksamkeit schenke. Ich mache eigentlich alles mit Software, aber ich kümmere mich nicht intensiv um das Sound-Design. Meine Musik entsteht nicht nach dem Muster Noten schreiben, Melodien entwickeln, arrangieren und aufnehmen. Der Prozess des Spielens wird aufgenommen und führt letztlich zum Stück. Die Sounds und die Melodien sind zwei Seiten der selben Medaille. Ich fange nie mit der Melodie an und suche dann erst einen passenden Sound. Wenn ich einen Sound habe, der mir gefällt, dann kommt die Melodie von ganz alleine.
Sicherlich eine Klischee-Frage, aber woher kommt die Inspiration oder der Antrieb für einen neuen Song?
Bestimmt eine Klischee-Antwort, aber es kommt aus dem ganz Alltäglichen. Das mag als Antwort langweilig sein, also lass es mich etwas erklären (lacht). Das Musikmachen ist in hohem Maße vergleichbar mit der Konversation zwischen Leuten. Egal was Du eigentlich im Sinn hattest, der Gesprächsfluss ändert sich mit der Reaktion deines Gegenübers. Sind viele Leute an einem Gespräch beteiligt, landest du unter Umständen bei einem völlig anderen Thema. So entscheidet der Sound einer Bass-Drum letztlich darüber, wie sich die Hi-Hat im Kontext äußert. Auch das Interview, das wir gerade führen, wird sich in irgendeiner Art auf meine Zukunft auswirken. Mit der Musik, die ich mache, ist es genauso. Ganz einfach, weil sie meine Erfahrungen reflektiert. Anders gesagt: Man könnte es auch mit dem "Prinzip der Kausalität" beschreiben. Es geht nicht um jedes einzelne Ereignis oder die Konsequenz daraus, aber darum, wie diese Dinge schlussendlich mein Leben beeinflussen. Es geht mir darum, die Veränderungen im Mikrokosmos meines Lebens mit der Musik einzufangen. Dieser Kosmos verändert sich natürlich gleich wieder, sobald ich die Musik mache, sie veröffentliche und Reaktionen darauf erhalte. Mit dem Musikmachen kann ich also beobachten, wie ich mich verändert habe. Es ist eine Möglichkeit, relativ objektiv auf mich selbst zu schauen.
2011 hast du dein eigenes Label Ragrange Records gegründet, um deine Musik unabhängig veröffentlichen zu können und anderen Künstlern einen Vertriebsweg zu eröffnen. In diesem Jahr erschien gerade wieder ein Longplayer des japanischen Produzenten-Teams Ragrange Symphony, deren Teil du bist. Welche anderen Visionen oder Ambitionen treiben dich derzeit an?
Ragrange Symphony “Triple Joker”
Grundsätzlich benötigen alle lebenden Organismen eine gewisse Vielfalt, um überleben zu können. Wir Menschen bilden da keine Ausnahme. Andererseits sind wir so konstruiert, dass wir uns selbst regulieren. Wenn unser Körper überhitzt, startet er Prozesse, die ihn wieder abkühlen. Wenn ein Organismus in unseren Körper eindringt, setzt er sich zur Wehr und versucht ihn wieder los zu werden. Dieses Prinzip lässt sich auf die Dinge übertragen, die wir selbst hervorbringen. Wir neigen von Hause aus dazu, uns mit durchschnittlichen Sachen zufrieden zu geben, es sei denn, wir werden uns unserer bewusst. Wenn du unbewusst durchschnittlich bist, neigst du dazu, Dinge so zu sehen, wie sie "normal" sind, ohne groß darüber nachzudenken. Ich persönlich bemühe mich, spontane Ideen und Melodien, die mir zu einfach in den Sinn kommen, wieder zu verwerfen. Ich wollte deshalb im Team arbeiten, damit ich an Musik arbeiten kann, auf die ich alleine nicht gekommen wäre. Ich wünsche mir, dass Musik Leute denken lässt: "Wow, das hätte ich mir so niemals vorstellen können." und vielleicht sogar die Wahrnehmung ihres eigenen Lebens verändert.
Mehr Informationen zu Rondenion und Ragrange Records finden Sie auf der offiziellenRagrange Records Webseite.