Recondite
Aus dem Süden Deutschlands tauchte Recondite im Jahr 2011 urplötzlich mit seinem ausbalancierten, eleganten und ganz eigenen Techno auf. Ausgehend von einem ausgesprochen emotionalen Kern, verbinden seine Produktionen organische und synthetische Prozesse zu einer Melange, die weit über den eingefahrenen, impulsiven und harten Techno hinaus reicht. Seine Veröffentlichungen auf Dystopian, Absurd Recordings und dem eigenen Plangent Label zeichnen sich durch ein selbstsicheres melodisches Gespür und Detailgenauigkeit aus, die im Ergebnis für eine frische, intime und weitläufige Musik sorgen.
Recondite arbeitet mit einer Soundpalette, die er ruhigen Gewissens sein Eigen nennen kann. Er kümmert sich weniger um das 'Spielen' von Musik im Sinne der Performance, als vielmehr um die Konstruktion von Klangwelten aus einzelnen Elementen und Tönen. Mit einem Fokus auf Field-Recordings und einer Aversion gegen jedwede „Verfärbung” im Produktionsprozess, besitzt seine Musik eine Ästhetik, die gleichermaßen identifizierbar und einzigartig ist. Wir sprachen mit Recondite übr die anhaltende Bedeutung von Melodien, das vollkommene Verschwinden in Technologie und warum die Verwendung von Grundsounds immanent wichtig für die Entwicklung eines eigenen musikalischen Charakters ist.
Wenn ich deine Musik höre, ertappe ich mich ständig bei dem Versuch, herauszufinden, was nun auf Field Recordings und was auf synthetischen Sounds basiert. Es gelingt mir aber fast nie. Besonders bei den Soundquellen am unteren Ende scheinst du viele subtile Änderungen an den Hüllkurven vorzunehmen. Wie genau gehst du dabei vor?
Viel davon mache ich manuell. Ich versuche Variationen in bestimmten Sounds über die Velocity zu erzielen. Da ich die Möglichkeit habe, sie bei jeder einzelnen Note zu ändern, können sich diese Variationen über eine ziemlich lange Sequenz erstrecken. Es verändert sich wirklich einiges dadurch, besonders im Attackverhalten des Bass-Sound. Das sorgt für eine schöne Abwechslung im Groove.
Dieses Variieren nimmt man in all deinen Sounds wahr. Die Abänderung von Parametern zieht sich recht konstant durch.
Das ist etwas, das sich ziemlich leicht während des Spielens erledigen lässt. Aber ich bin nicht der spielende Typ, sondern vom Verständnis her eher der Designer oder Architekt. Ich spiele eigentlich nichts außer Melodien.
Es ist schon witzig, dass diese Methode für Leute wie dich funktioniert, wo sich doch sonst eher alles darauf konzentriert, diese „Lebendigkeit” über Hardware zu realisieren. Dabei kann man das ohne Probleme selbst bewerkstelligen, vorausgesetzt man ist der Typ, der sich dafür tatsächlich an den Rechner setzt.
Das hat schon seine Gründe. Für mich spielt vor allem eins eine Rolle. Ich genieße es, beim Musikmachen nichts Physisches tun zu müssen. Ich liebe das wirklich, mich körperlich völlig zurück nehmen zu können. Es ist ein mentales Ding. Aber nicht im Sinne von Esoterik. Ich möchte in einen Bereich vordringen, in dem ich meinen Körper eigentlich gar nicht bräuchte. Ich wäre gern in der Lage, mein Gehirn komplett in den Computer zu verfrachten. Das würde ich wirklich großartig finden. Alles selber zu spielen, finde ich nicht ansatzweise prickelnd. Es interessiert mich nicht wirklich. Ich bin viel mehr darauf aus, meine Musik mit meinen persönlichen Gedanken, meinen Stimmungen und meinem Wesen zu infiltrieren. Um ganz ehrlich zu sein, wenn ich spielen will, greife ich zur Game-Konsole.
Das ist das Schöne an elektronischer Musik, an Software und den damit verbundenen Möglichkeiten. Man kann fast immer davon umgeben sein. Selbst im Flieger. Du sitzt für zehn Stunden auf deinem engen Sitz, weisst nichts mit dir anzufangen und dann stöpselst du dich in Ableton ein. Man hat da oben an Bord ja nichts weiter dabei, kein MIDI-Keyboard, gar nichts. Aber du kannst trotzdem einen richtig guten Beat machen oder eine Idee finden und daran arbeiten und brauchst nichts weiter als ein Laptop. Darin liegt für mich die wahre Zukunft des Musikmachens – Google Glasses aufsetzen, die Augen bewegen und dadurch Musik erzeugen, dieser Kram halt. Das wird in absehbarer Zeit wirklich spannend sein.
Du hast ein sehr ausgeprägtes und feines Gespür für Melodien. Wie wichtig sind deiner Meinung nach Melodien für Techno? Sind sie nötig, um einen Track durchstehen zu können?
Für mich persönlich ist die Melodie das Qualitätsmerkmal, das einen Track erst interessant macht. Es verleiht ihm einen Charakter, der leicht zu lesen ist. Eine bestimmte Programmierung der Drums oder eine bestimmte perkussive Art, Bongo zu spielen, kann auch Charakter verleihen, aber nicht so offensichtlich wie eine Melodie. Wenn ich etwas mitteilen oder ein Gefühl ausdrücken möchte, dann soll es schnell zugänglich sein, selbst wenn die Melodie mal ein bisschen versteckter oder obskurer ist. Ein eher abstraktes Gefühl, das zum Beispiel in Popmusik so nicht vorkommt. Ein Gefühl, das ein anderes ist, als bei den Sachen, mit denen wir ständig beschallt werden. Vielleicht etwas melancholischer, atmosphärisch einzigartig. Um diesem Gefühl gerecht zu werden, verwende ich Melodien in meiner Musik. Ich möchte meine Emotionen auf eine gute Art ausdrücken und den Leuten zugänglich machen, aber auch aufzeigen, dass es neben den gewohnten noch weitere Gefühlslagen gibt.
Recondite’s Hinterland album from 2013 on Ghostly International.
Gerade beim Techno scheint es so zu ein, dass die Macher vor ungenierter Schönheit zurück schrecken. Selbst ein kleiner, gut konstruierter Melodiebogen, der mit einem sich aufbauenden Synthie-Ton gepaart ist, fällt immer noch auf. Viele Produzenten scheinen immer noch sehr konservativ zu sein, wenn es um die Verwendung von Melodien geht.
Ich glaube, das liegt an vielen Dingen. Beim Techno empfinden die Leute meiner Ansicht nach Melodien grundsätzlich sehr schnell als 'cheesy'. Deshalb haben die meisten Angst davor, sie einzusetzen. Ein anderer Punkt ist, dass Techno-Künstler oft sehr geradlinig unterwegs sind, sehr strukturiert arbeiten und manchmal auch etwas gefühlskalt sind. Sie spüren es einfach nicht in sich. Ich sage das so frei heraus, weil ich diese Erfahrungen häufiger gemacht habe. Sie konzentrieren sich auf andere Sachen, wie komplexe Rhythmen und fette Sequenzen, die dir den Kopf wegblasen. Aber mit Melodien haben sie nicht wirklich was am Hut. Daran liegt es, dass nicht jeder darauf setzt. Alle haben ihren eigenen Weg.
In Bezug auf das, was du vorhin mit dem völligen Eintauchen in Software beschrieben hast, und du ja weniger im traditionellen Sinne agierst: wie fühlt sich das bei deinen Gigs an und wie gehst du mit den Erwartungen an einen Live-Performer um? Hast du diese Welt gern betreten?
Ja. Ich habe mich jedoch nie nach den Erwartungshaltungen irgendwelcher Leute gerichtet. Weder nach denen des Publikums noch nach denen der Veranstalter. Ich war mir immer sicher: Wenn ich mich wohlfühle, dann funktioniert es auch. Wenn ich von dieser Überzeugung zu weit abgekehrt wäre, hätte das zum Scheitern beigetragen. Ich habe mich entschlossen, mir es so einfach wie möglich, so authentisch wie möglich zu machen. Es ging mir nie um Protzerei. Würde ich mit einer Drum-Maschine oder einem Synthesizer und externer Hardware auf die Bühne gehen, wäre es nur eine Zurschaustellung. Wenn ich es nicht Zuhause benutze, warum sollte ich es dann auf der Bühne tun? Das wäre in meinen Augen verrückt und würde nicht funktionieren.
Recondite
Ich bewege mich zu meiner Musik, ich schließe meine Augen, zeige, dass ich es mag, weil ich es mag. Da ich viel produziere, spiele ich oft neues Material und kann somit immer etwas variieren. Dadurch bleibt das Ganze interessant für mich und es sorgt für eine Menge Spaß. Das spüren auch die Leute im Publikum. Hin und wieder fühle ich mich sogar wie ein DJ; aber völlig entspannt, ohne Stress. Ich habe keinen riesigen Hardware-Turm mit komplizierten Routingkabeln vor mir. Ich muss mir keine Notizen zur Trackreihenfolge machen, weil ich schon komplett damit zu tun habe, mit meinen zehn Fingern permanent an 56 Knöpfen zu drehen. Sowas kann mir einfach nicht passieren.
Womit machst du deine Synthesizer-Sounds hauptsächlich?
Ich nehme ausschließlich die Ableton-Sachen. Nichts anderes. Für mein On Acid-Album und eine demnächst erscheinde EP für Acid Test nutze ich den Acid Lab Bassline, weil er schlichtweg eine perfekte Emulation der 303 ist. Eigentlich ist er sogar besser, dank der zusätzlichen Funktionen. Aber ansonsten dreht sich alles um Operator. Es ist der einzige Synthie, den ich wirklich brauche. Ich nutze nicht einmal Analog oder Tension.
Operator ist gigantisch. Ein Synthesizer ist ein so vielschichtiges Instrument. Wenn du weißt, wie du es zu bedienen hast, kannst du aus ein und dem selben Gerät einen Streichersound oder eine Bassdrum holen. Es gibt so viele Möglichkeiten. Die Leute denken immer, sie bräuchten immer einen ganz bestimmten Sound oder einen ganz bestimmten Synthesizer für einen ganz bestimmten Zweck. Sie kaufen diesen oder jenen Synthie, weil sie zum Beispiel fette Pads haben wollen. Natürlich hat jeder Synthie seine gewisse Charakteristik. Aber genau danach, einem Synthie mit Charakter, suche ich nicht. Ich brauche das genaue Gegenteil. Ich versuche, das Neutralste überhaupt zu kriegen, weil ich erst dann meine eigene Persönlichkeit ausformen kann. Wenn ich schon etwas mit Charakter habe, wird es ungleich schwerer, mich selbst damit auszudrücken.
Deswegen liebe ich Ableton Live. Es ist die elementarste Software, die es gibt. Die EQs sind nichts anderes als EQs. Du kannst dir natürlich auch all die sündhaft teuren Waves EQs kaufen, die einen ganz eigenen Klang haben. Man kann fast darauf wetten, es herauszuhören, wenn Leute mit ihnen arbeiten. Und sie klingen auch sehr gut. Aber sie haben eben einen bestimmte Klangfarbe. Und ich möchte keine Klangfarbe. Ich möchte meine eigene Färbung haben. Also brauche ich einen elementaren Synthesizer oder einen elementaren EQ oder einen elementaren Filter. Alles soll einfach nur seinen Job machen, nichts weiter. Das ist auch der Grund, warum manche Leute sagen, dass Live nicht klingt – eben weil es keine eigene Klangfarbe hinein bringt. Im Vergleich dazu bringt Logic meiner Meinung nach eine Menge Klangfarbe mit und das ist dann auch der Grund, warum einige Leute das wohl besser finden. Es klart alles ein bisschen auf. In Ableton musst du selbst dafür sorgen, dass es gut klingt. Wenn du das nicht hinkriegst, dann klingt es eben nicht. Live bedeutet eine Menge Arbeit, aber es bietet dir die Möglichkeit, deinen ganz eigenen Sound zu entwickeln. Sobald die Sachen schon gut klingen, bevor ich überhaupt angfangen habe, sehe ich persönlich darin ein Problem.
Damit scheinst du genau das Gegenteil der meisten Leute im Moment zu denken. Alle sind gerade auf der Suche nach Klangfarben und etwas Extra-Vibe.
Es ist wie mit allem anderen auch – die Leute wollen Dinge schnell haben. Sie wollen sofortigen Zugriff. Von jetzt auf gleich soll es funktionieren. Doch das klappt nicht, wenn man etwas Eigenständiges machen will.
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