Raga und Elektronik: eine kurze Einführung
Die Wirkung von Musik auf die Gefühle der Zuhörer ist für das Konzept des Raga von zentraler Bedeutung. Aus dem Sanskrit-Wort für „Färbung“ abgeleitet, bezeichnet Raga (auch als „Raag“ bekannt) ein jahrtausendealtes Spiel- und Aufführungssystem der klassischen indischen Musiktradition. Ein Raga legt nicht nur die Stimmung einer Komposition fest, sondern auch ihre Struktur, den Zweck und sogar die ideale Tageszeit für ihre Aufführung.
Kurzgesagt ist der Raga ein melodischer Rahmen für die Improvisation. Doch diese Definition kratzt nur an der Oberfläche: „Megh Malhar“ ist zum Beispiel ein Raga, der laut einer Legende Regen bringt, wenn er aufgeführt wird („megh“ = „Wolke“ auf Sanskrit). Es steckt also viel mehr dahinter, weswegen es auch töricht wäre, das gesamte Raga-Konzept in einem Blogbeitrag zusammenfassen zu wollen. Für diejenigen von uns, deren Ohren komplett auf die klassischen europäischen Skalen, Modi, Strukturen und Konzepte von Komposition und Improvisation geeicht sind, gibt es jedenfalls noch viel zu lernen. Das Besondere am Raga ist vielleicht, dass es außerhalb der indischen Musik kein Äquivalent dafür gibt.
Als einzigartige Form in der Welt der Musik beeinflussen Ragas seit Jahrzehnten die experimentelle und elektronische Musik – und sogar die Musiktechnologie an sich. Im Rahmen der Veröffentlichung des Packs Indian Raga von Gravitas Create wollen wir Ihnen einige dieser einflussreichen Entwicklungen vorstellen.
Drone-Instrumente
Ein traditionelles Instrument, mit dem Ragas gespielt werden, ist die Tambura oder Tanpura. Sie ist auf Drones spezialisiert – ihre Saiten werden nach dem Raga eines Stücks gestimmt und sanft angeschlagen. So entstehen Klangflächen, über der sich andere Instrumente – meist Sitar und Gesang – harmonisch ausbreiten können.
Natürlich hat man nicht immer eine Tanpura dabei – oder jemanden, der sie spielen kann. Deswegen gibt es die Shruti Box, eine Adaption des Harmoniums. Das Instrument wird von einem Blasebalg zum Leben erweckt und erzeugt ausschließlich Drones, sehr ähnlich wie die Tanpura.
Selbstverständlich gibt es das Instrument auch als elektronische Version. Sie ist noch portabler und dient zum Üben. Dieses Exemplar liefert auf Knopfdruck Tanpura- und Harmonium-Klänge:
Tabla-Rhythmen
Die Tabla besteht aus einem Paar Fingertrommeln und ist das wohl bekannteste indische Schlaginstrument. Bevor Sie sich ausgiebig mit ihm befassen, sollten Sie aber die einzigartige südindische Solkattu kennenlernen – eine perkussive, durch Handgesten erweiterte Sprache zum Zählen von Rhythmen. In diesem Video wird sie von Ravi Shankar verwendet, während Alla Rakha verschiedene Tabla-Rhythmen spielt:
Sehr sehenswert ist auch das virale Video des Musikers B C Manjunath, das die mathematische Schönheit der Solkattu anhand der Fibonacci-Folge zeigt:
Wie Solkattu beim Tabla-Spielen im Einzelnen funktioniert, zeigte Mayur Narvekar in seiner Präsentation bei Loop 2016:
Auch in Indien gibt es Klopfgeister, die akustische Schlaginstrumente imitieren – in diesem Fall die Tabla. Anders als ihre westlichen Pendants spielen diese Drum Machines aber keine „March“- und „Pop“-Patterns, sondern indische Rhythmen. Dieses Exemplar ist beispielsweise auf nordindische Grooves spezialisiert, sogenannte „Talas“:
Weltweit verbreitet
Man muss nicht unbedingt in Indien aufgewachsen sein, um den Sound dieser Musik zu kennen. Und das ist vor allem der Leidenschaft einiger indischer und internationaler Musiker zu verdanken, die diese Klänge weltweit bekannt gemacht und für eine inspirierende Wechselwirkung gesorgt haben. Dass Drones in der westlichen experimentellen Musik eine solch wichtige Rolle spielen, lässt sich auch auf Pandit Pran Nath zurückführen, der Künstler wie Terry Riley, La Monte Young und Jon Hassell unterrichtete und sie mit Raga und indischen Klangerzeugern bekannt gemacht hat.
Der klassisch ausgebildete Tabla-Spieler Talvin Singh brachte das Instrument in den 1990er Jahren schließlich in die elektronische Musik. Er hat mit Björk, Siouxsie and the Banshees, Massive Attack und anderen zusammengearbeitet und gewann mit seinem 1999 erschienenen Album OK den renommierten britischen Mercury Prize.
Auch die synthetische Tabla ist in der elektronischen Musik sehr beliebt – siehe Matmos oder Panda Bear.
Die Wiederentdeckung des frühen Acid
In einem Artikel über den Einfluss von Raga und Instrumenten der klassischen indischen Musik auf die elektronische Musik, darf der Verweis auf Charanjit Singhs 1982 erschienenes Album Synthesizing: Ten Ragas To A Disco Beat nicht fehlen. Der Bollywood-Komponist nutzte dort Roland-Instrumente, die seinerzeit brandneu waren – den Bassline-Synth TB-303, die Drum Machine TR-808 und den Polysynth Jupiter-8 – zur Interpretation von zehn Ragas:
Auch wenn klar ist, dass Singhs Album zwar zur selben Zeit, aber komplett unabhängig von den ersten Acid-House-Tracks entstand, gibt es eine unglaubliche Ähnlichkeit zwischen den repetitiven Ragas seiner Kompositionen und den energiegeladenen Tracks des frühen Acid House.
Jetzt sind Sie dran
Wir haben gesehen, wie die betörenden Klänge der klassischen Musik Indiens um die Welt gereist sind. Machen sie bald auch in Ihrer Musik Station? Das Pack Indian Raga von Gravitas Create liefert Ihnen ein komplettes Starter-Kit für eigene Raga-infizierte Kompositionen: Saiteninstrumente, Drones, Percussion und Vocals. Der Dialog mit einer jahrtausendealten Musiktradition ist die Basis dieses faszinierenden Packs.