quickly, quickly: Wie man Roughness und Raffiniertes in Einklang bringt

Graham Jonson ist ein Meister darin, die Richtung zu ändern. Dies zeigt sich nicht nur im Songwriting auf dem neuen Album von quickly, quickly, sondern auch daran, wie er in seinem Leben mehrfach die Richtung gewechselt hat, um neue Stufen auf der Musikleiter zu erklimmen.
Wenn man sich Jonsons neue LP „I Heard That Noise“ auf Ghostly Intl anhört, denkt man nicht sofort, dass sie von einem Produzenten ist, der seine ersten Erfolge mit Lo-Fi-Beats auf Soundcloud gefeiert hat. Und das ist nur einer von Jonsons vielen Wendepunkten – immer, wenn er den Code von etwas, an dem er gearbeitet hat, knackt, zieht es ihn zur nächsten Herausforderung. Was bisher geschah: Seit seiner Kindheit spielte er Klavier und schrieb gleichzeitig Songs auf der Gitarre, um sich immer wieder selbst zu überraschen. Seine professionelle Reise wiederum startete bei Lo-Fi-Beats, während sein neues Album auf massiven Drumsounds aufbaut. Und auch wenn seine Songs zuckersüße Pop-Hooks enthalten, versteht er es, sie mit erschreckender Souveränität in musikalische Schocker zu verwandeln.
Jonson beschreibt das, was er selbst als musikalische „Jump Scares“ bezeichnet so, dass er seine im Grunde fertigen Tracks nimmt und dann dem Drang nachgibt, sie irgendwie noch weiter zu pushen. Er erklärt: „Normalerweise weiß ich, dass das Lied geschrieben ist, und ich weiß, dass ich es auf das Album bringen möchte, aber das tue ich nicht.“ Diese Ambivalenz gegenüber seiner Arbeit rührt von dem Gefühl her, dass aus Ideen immer noch etwas mehr herausgepresst werden kann. „Diese Momente sind zum Ethos des Albums geworden. Oft habe ich mich nach ein paar Monaten wieder mit den Songs beschäftigt und gedacht: „Okay, was kann ich tun, um sie undurchsichtiger zu machen oder sie in eine verrückte Richtung zu lenken?“
Das ist für Jonson mittlerweile zum grundsätzlichen Vorgehen geworden: Er baut etwas auf, um dann große Teile davon niederzubrennen und das Ganze von Grund auf neu zu bewerten. „Wenn der Gesang fertig ist, muss ich mir darum keine Gedanken mehr machen. Dann kann ich den Song formen. Ich lösche dann einfach alle Instrumente in diesem Part und behalte die Vocals. Anschließend fange ich wieder von vorne an und füge beispielsweise eine verzerrte Gitarre hinzu. Oder wie am Ende von „Take It From Me“, wo sich das Lied einfach wie in der Originalversion in nichts auflöst. Es geht dabei um den Aufbau – man braucht die Bausteine des Songs.“
Jonson liebt die Kombination des Raffiniert-Kristallinem mit dem Rauen und Rohen. Songs, in denen intime Schlafzimmer-Recordings mit akustischen Instrumenten vorkommen, werden in ein druckvolles elektronisches Sounddesign oder spacige, verzerrte Gitarrenangriffs verpackt. Solche massiven Wogen können sich in der Tat anfühlen wie Blitze aus heiterem Himmel. Doch sobald seine Songs wieder auf festem Boden landen, empfindet man als Hörer eine regelrechte Erleichterung. Ganz als wären Spannung und Entspannung keine Berg- und Talfahrt, sondern eine notwendige Katharsis, die die anschließende Freude über die poppigen Hooks noch stärker werden lässt. Als Beispiel vom neuen Album nennt Jonson den Track „Raven“.
„Für die Vocals von Raven habe ich Gitarre und Gesang getrennt recordet. Meine Stimme habe ich einfach mit einem Mikro direkt vor mir auf dem Tisch aufgenommen und dazu meine Drum-Mikros angelassen, die 1,5 Meter von mir entfernt standen. Dabei kommt ein crazy Stereo-Effekt zustande, als ob man mit im Raum steht. Das ist völlig beabsichtigt. Ich liebe Rauheit in der Musik. Ich glaube, das liegt daran, dass meine Stimme im konventionellen Sinn nicht "gut" ist. Sie klingt einfach so, wie wenn ich spreche – rau eben. Ich habe gelernt, damit zu spielen, statt zu versuchen, ein richtig guter Sänger zu sein und perfekte Vocal-Performances abzuliefern. So fühlt es sich für mich echter an. Beim Produzieren trifft man dann bewusst Entscheidungen, um das zu begünstigen.“
Diesen durchaus komplexen Produktionsansatz kann man auf die vielen Kursänderungen auf seiner bisherigen musikalischen Reise zurückführen. Seine Liebe zum Sounddesign rührt zu Teilen aus Jonsons frühen Leidenschaft fürs Bauen von Beats und aus den entsprechenden Versuchen, dieses Kapitel hinter sich zu lassen. „Diese Momente zu schaffen und Sounds gestalten – das ist der Teil am Musikmachen, am meisten liebe. Eine wichtige Sache war es für mich, bei vielen Songs das Schlagzeug wegzulassen und stattdessen allerhand akustische Instrumente hinzuzufügen. Ich kann das einfach nicht lassen. Ich muss quasi verrückte Sounds oder ähnliches einbauen.“
Jonsons Drang, teilweise unbewusst neue Wege einzuschlagen, wird auch durch seine Songwriting-Methoden deutlich. Die Gitarre ist auf verschiedene Weisen zum Hauptsound dieses neuen Albums geworden, obwohl sie als Instrument nicht seine erste Wahl ist. Er erklärt, dass er schon als Zweijähriger Klavier gespielt hat. „Das war über weite Teile meiner Kindheit mein Hauptding. Meine Tante ist Musiklehrerin und hat ein Album mit klassischer Flötenmusik rausgebracht. Dadurch habe ich mit zwei angefangen, Musik zu machen. Ich saß einfach am Klavier. Ich habe von meinem fünften bis zum 18. Lebensjahr Klavierunterricht gehabt.“ Trotz der tiefen Verbundenheit mit dem Klavier entschied er sich, bei diesem Album woanders anzusetzen.
„‚I Heard That Noise‘ habe ich auf der Gitarre geschrieben. Jeden einzelnen Song. Auf der Gitarre schreibe ich einfach andere Musik. Ich liebe das Klavier über alles und es bleibt mein Baby. Aber ich finde irgendwie, dass die Musik, die ich machen möchte, auf der Gitarre meistens am besten mit gelingt. Ich hatte die Idee, ein Folk-Album zu machen. Ich habe viel Nick Drake oder Beverly Glenn Copeland gehört, Sachen, bei denen es einfach keine Drums gibt. Also habe ich auch wie selbstverständlich angefangen, Songs zu schreiben, die kein Schlagzeug brauchten. Ich versuche immer, das Lo-Fi-Zeug hinter mir zu lassen.“
Bei seiner Arbeit als quickly, quickly steht das Songwriting im Mittelpunkt. Doch innerhalb der Songs und auch als Bindegewebe zwischen den Titeln sind jede Menge sanft und intim verflochtene Sounds untergebracht, die dem Album seinen Flow verleihen. „In dem Album stecken richtig viele Found-Sound-Sachen. Ich war total darauf aus, Sounds zu sammeln und habe haufenweise random Zeug aufgenommen. Wenn ich also Texturen einfügen will, ziehe ich mir einen weirden kleinen Audioclip aus dem Ableton-Browser rüber. Ich habe einen ganzen Ordner nur mit random Clips. Ich glaube, das offensichtlichste Found-Sound-Ding des Albums ist der Anfang von „This Room“. Darin ist irgendwas, das knarrend klingt. Ich meine, ich habe das mal beim Spazierengehen bei mir in der Nachbarschaft aufgenommen.
Manchmal sind diese gefundenen Sounds nicht nur Verbindungselemente zwischen den Tracks, sondern werden zum Sprungbrett für ganze Kompositionen. Jonson berichtet von der Entstehungsgeschichte eines der einzigartigsten und fesselndsten Stücke auf dem Album „Beginning Band Day One“.
„Meine Tante hat Anfänger-Bands unterrichtet, also Fünftklässler. Sie hatte mir irgendwann mal einen Audioclip, den sie 2012 oder so aufgenommen hat, als Sprachnotiz zugeschickt. Der ist etwa eine Minute lang. Im Wesentlichen hört man ein Orchester aus Fünftklässlern, die keine Ahnung von ihren Instrumenten haben. Ich fand den Clip schon immer lustig, weil er so kakophonisch ist. Ich habe drüber nachgedacht, wie ich diesen Clip verwenden und etwas Schönes daraus machen könnte. Ich habe also mit richtig viel Resynthesizing gearbeitet. Ich glaube, ich habe es durch Melodyne laufen lassen und dann einen Übergang in den Akkord gemacht. Das war möglicherweise mein stolzester Sounddesign-Moment. Ich habe allen Credit auf der Vinyl gegeben. Da steht Nancy Teske und die 5. Klasse-Band der OES.“
Während Jonsons Stimme und Songwriting-Skills die Essenz von „quickly quickly“ ausmachen, treiben ihn auf der Klangebene seine Neugier und Verspieltheit dazu, ständig an den Stellschrauben seiner eigenen Songs zu drehen, bis sie neue Formen annehmen. Die Tools, die er nutzt, sind oft einfach, werden aber auf ungewohnte Weisen eingesetzt. „Ich verwende zu 90 % Standard-Sachen von Ableton. EQ 8 & Glue Compressor. Die Sachen, die ich richtig gern benutze, habe ich im Grunde schon entdeckt, als ich mit dem Beatsmachen angefangen habe. Und dann bin einfach dabei geblieben. Vieles davon ist Drum Rack und Simpler. Es gibt ein paar Max for Live-Plugins, die man echt gut für Resynthese benutzen kann – Grain Reverser und ein weiteres namens Grain Freeze. Ein Großteil davon ist Audiobearbeitung mit Warp Modes – man nimmt einen 15-Sekunden-Clip, dehnt ihn so lange wie möglich, bringt ihn in den Texturmodus und friert die Spur ein. Oder man merged den Audioclip und wiederholt das, merged ihn wieder, macht das noch einmal und dann immer und immer wieder.“
„getsomerest/sleepwell“ – ein Beispiel für quickly, quickly’s frühe Lo-Fi-Beats-Produktionen
Diese Verwandlung von Sound-Material in Textur passt zu Jonsons angeborenem Bedürfnis, immer weiter an Sachen zu schrauben, durchzudrehen und dann die nächste mögliche Iteration seiner Musik in die Tat umzusetzen. Sogar sein persönlicher Prozess der Neuerfindung wird immer wieder neu erfunden. Eines der epischsten und aufwendigsten Stücke des Albums ist zugleich das intimste und aussagekräftigste. „You Are“ kommt gegen Ende des Albums und ist das Ergebnis eines völlig anderen Prozesses.
„Ich habe die Vocals zuerst in einem Take aufgenommen. Ich habe den gesamten Text aufgeschrieben und ihn dann einfach aufgenommen, ohne eine Melodie im Kopf zu haben. Ich habe nicht nach einer bestimmten Tonart oder auf ein Metronom gesungen. Dann habe ich das ganze Lied darum herumgebaut. Das habe ich vorher noch nie so gemacht und es war ein cooler neuer Ansatz. Die ganze zweite Hälfte ist wie ein völlig anderes Lied, das ich einfach am Ende drangetackert habe, was aber wirklich gut funktioniert. Ehrlich gesagt mache ich sowas sonst nicht, aber manchmal probiert man eben etwas und es funktioniert einfach. Es hat jedenfalls definitiv die wackeligste Vocal-Performance von allen, weil ich dabei buchstäblich nur gemurmelt habe. Ich wusste nicht, ob das am Ende funktionieren würde. Drum gibt es darin viele Stellen mit Ausreißern oder welche, wo ich die Töne nicht richtig treffe. Aber ich glaube ja, das trägt zur Roughness des Albums bei. Ich hatte einfach richtig Spaß mit diesem Experiment.“
Nachdem er nun unzählige Winkel der Musiklandschaft erkundet und dabei sowohl seine Persönlichkeit als auch sein Schaffen immer wieder verändert hat, bleibt der Kern von Jonsons kreativer Arbeit seine rastlose Neugier, neue Texturen, neue Techniken und neue Versionen seiner selbst zu finden.
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Text und Interview: Kevin McHugh
Künstlerfoto: Alec Marchant