Will “Quantic” Holland ist nicht nur im musikalischen Sinne ein viel gereister Mann. Bekannt wurde er mit dem Aufkommen der Downbeat-Produktionen in den frühen 2000er Jahren, nur um sich davon schnell wieder zu verabschieden und sich einer breiteren Klangpalette, fernab von staubigen Samples, Beats und Breaks zuzuwenden. Mit dem kaleidoskophaften Bombast seines Quantic Soul Orchestra und der Zusammenarbeit mit der britischen Soul-Schwester Alice Russell zeigte sich Will als Komponist, Arrangeur und Produzent von einer deutlich anspruchsvolleren Seite. Nicht zu vergessen seine weltweiten Ausflüge als Abenteurer, der mit den Klangfarben Lateinamerikas, Afrikas und fernabgelegener exotischer Orte malt.
Nun steht der Welt eine weitere Schöpfung ins Haus und sie ist gleichzeitig sein erstes Solo-Album innerhalb acht Jahren. Magnetica ist auch eine Rückkehr zu wieder mehr elektronischen Produktionsmethoden, ohne etwas von der üppigen exotischen Instrumentierung vermissen zu lassen, auf die sich die Karriere des gefeierten Produzenten stützt. Bei den Vorbereitungen zur neuen Tour traf sich Oli Warwick mit Will, um mit ihm über Praktiken und Prozesse beim Musikmachen zu sprechen, zu fragen, wohin er sich auf der Suche nach seinen Sounds begibt und zu hören, wie er gedenkt, das Ganze auf die Bühne zu bringen.
Dein Album Magnetica ist fertig und wartet auf die Veröffentlichung. Kehrt damit auch wieder der elektronische Ansatz in die Produktion zurück?
Ich denke schon. Elektronische Musik habe ich ja immer im Auge behalten und sie als DJ auch gespielt. Aber eben nicht mehr selbst gemacht. Ich befürchte wenn ich jetzt "Club Sound" sage, hat man gleich wieder die Hymnen für die großen Tanztempel im Kopf, was definitiv nicht der Fall ist. Der elektronische Ansatz ergab sich eher aus einer groovebasierten Musikalität, zu der ich über das Live-Spielen gefunden habe.
In Bezug auf die Instrumentierung mit echten Instrumenten klingt es wirklich sehr nach einer Quantum-Scheibe. Würdest Du mir zustimmen, dass die elektronischen Elemente sehr subtil eingesetzt sind?
Ich glaube mehr und mehr daran, dass es Wege gibt, elektronische Sachen natürlich klingen zu lassen und natürliche elektronisch. Die Dinge lassen sich problemlos überführen, indem ich zum Beispiel auf einem Live-Instrument spiele und es im Nachgang einfach etwas synthetischer mache. Oder eben umgekehrt. Beats zu machen kann sehr umständlich sein und man muss sie erst eine Weile massieren, damit sie wirklich rund laufen.
Wie bist Du denn das Songwriting für das Album angegangen?
Ich nenne Dir gern ein Beispiel: "Spark It" hat Drums, die von einer Platte gesampelt und mit einem Drum-Rack verarbeitet wurden. Dann taucht noch eine Univox Drum-Maschine mit diesen rudimentären "Old School"-Sounds aus den 70ern auf und es gibt ein paar Synthies, unter anderem das PolySix-Plug-In von Korg. Außerdem nahm ich ein bisschen Schmiss mit meiner Gitarre auf und ein bisschen Schmiss mit dem Klavier. Die Gesangselemente habe ich in Los Angeles mit Ableton und Shinehead aufgenommen, das Saxofon wiederum in Bogota. Schließlich fertigte ich auf einer kleinen Konsole und mit externen Sachen wie einem Space Echo, einem Fairchild, einem Moog und anderen Sachen verschiedene Mixe an. Die beiden, die ich am meisten mochte, legte ich in mono jeweils auf den linken und den rechten Kanal und davon haben wir dann ein Vinyl geschnitten, das, mit einem Shure V-15 Stylus System abgespielt, wiederum aufgenommen wurde. Gemacht wurde das Ganze im 'Carvey', dem Cutting-Studio eines Freundes. Du siehst also, der Song war lange auf Reisen und trägt die unterschiedlichsten Medien, Instrumente und Quellen in sich.
Hast Du an allen Tracks zur gleichen Zeit gearbeitet?
Alle Songs waren mehr oder minder gleichzeitig in Bearbeitung. Es gab eigentlich kein Stück, das ich von Anfang bis Ende durchgezogen habe. Ich habe wirklich sehr sehr lange daran rumgefeilt. Wenn ich mit einem Stück fertig war und ein neues angepackt habe, wusste ich schon wieder mehr oder hatte das Gefühl, das irgend etwas fehlt. Also wieder zurück zum vorherigen Track. Diese endlosen Revisionen sind natürlich Fluch und Segen zugleich.
Die Liste der am Album Beteiligten liest sich sehr beeindruckend. War es so, dass Du die Versatzstücke oder Sessions vor Ort schon mit Hinblick darauf aufgenommen hast, sie später einzuarbeiten?
Ja und nein. Es gibt auf der Scheibe einen Track mit Thalma De Freitas, den Song “Águas De Sorongo”, für den es eine Idee aus einem schon aufgenommenen Gitarren-Loop und ein paar Beats aus Ableton gab. Ich traf mich mit Duane, einem echt coolen Perkussionisten, in Rio und dort waren wir dann gemeinsam im Studio, um die Perkussions aufzunehmen. Die Idee hatte ich Thalma schon vorher geschickt und es ging hin und her, ob sie den Song wirklich singen würde. Am Ende haben wir den Gesang in ihrem Wohnzimmer aufgenommen. Ich hatte auf Reisen immer ein kleines AKG-Mikrofon dabei. Um einen Pop-Schutz zu haben, wickelte ich einfach etwas Gaze herum. Danach ging es zurück nach Bogota, wo ich weiter an den Beats arbeitete, um einen Arbeitsstand nach Los Angeles zu Miguel Atwood-Ferguson schicken zu können, der sich dann um das Streicher-Arrangement kümmerte. Ich kann mich nicht einfach mit einem Sänger treffen und fragen: "Kannst Du irgend etwas singen und ich mache später einen Song daraus?". Meistens habe ich einen harmonischen Aufhänger, nehme Gesang oder Bläser auf und entferne den Unterbau wieder, um ihn durch etwas völlig anderes zu ersetzen.
Was die Einflüsse und Inspirationen anbelangt, ist Lateinamerika da immer noch so ein großes Schwerpunktthema für Dich?
Wenn man es so sagen darf, verfügt Lateinamerika über einen perfekt aufgebauten Rhythmuskatalog. Jemand, der sich für Rhythmen interessiert, kommt daran nicht vorbei. Jedes Land und jede Region pflegt seine eigenen Rhythmen. Allein in Kolumbien gibt es schon so viele verschiedene Stile. Ich mag es, wie der Rhythmus den Song bestimmt, ob Rumba, Cumbia oder Tambora. Alle werden als musikalische Stile bezeichnet, aber der Rhythmus macht sie aus.
Einige der traditionellen Perkussions in Tracks wie "Duvido" wirken im Vergleich zu den elektronischen Beats nicht quantisiert. Ist das ganz bewusst geschehen, um die Steifheit programmierter Drums gegenüber dem lockeren organischen Material zu illustrieren?
Auf der Platte gibt es viel 6/8. In solchen Rhythmen steckt einiges, was nicht genau auf dem Punkt sitzt. Das sorgt für den rollenden Effekt. Ich mag die Tatsache, dass nichts wirklich auf der Eins sitzt. Mit Ableton gibt es eine Tendenz, dass sich alles über die Eins definiert und das mag ich nicht besonders.
Wie sehr bestimmen die traditionellen Instrumente den Einsatz der elektronischen Elemente? Diktieren die Stimmungen bestimmter Drums die Stimmung des gesamten Tracks?
Man muss die Stimmungen adaptieren. Für “Duvido" hatte ich bereits eine Hintergrundidee, die ich dem Marimbaspieler zukommen ließ. Ich wusste, dass seine Marimbas in C-Dur gestimmt waren und hatte mich darauf schon vorbereitet. Mit Sängern passiert das auch oft. Bei “La Plata”, einem Stück auf "Nidia" ,hatte ich anfangs etwas Trouble, weil es ein bisschen über der Stimmlage der Sängerin angelegt war. Das musste ich dann korrigieren. Man muss den Sweet Spot eines Sängers finden. Die richtige Lage ist für das Gesamtergebnis enorm wichtig.
Um mit Alice Russell ein Beispiel zu nennen, da Ihr beide seit vielen Jahren zusammenarbeitet: Glaubst Du, dass Du ihre Stimmlage – auf Eure Musik bezogen – mittlerweile intuitiv im Kopf hast?
Alices Stimmumfang ist wohlmöglich der beste, der mir je zur Verfügung stand. Sie hat mich nie darum gebeten, einen Song in seiner Tonhöhe zu verändern. Das macht es so großartig, mit ihr zu arbeiten. Sie kann derart hoch singen, trifft exakt jeden Ton und hat selbst in den höchsten Lagen noch so viel Volumen in ihrer Stimme. Und in den unteren Lagen ist es genauso. Wenn ich ab und an mit mehreren traditionellen Instrumenten arbeite, wird es schon schwerer, alles aufeinander abzustimmen. Ich stimme das Instrument in einer Session dann lieber nach Gehör oder nach dem Keyboard als ganz exakt mit dem Stimmgerät. Wenn alle Elemente minimal verstimmt sind, zahlt sich das in der Summe wieder aus.
Hast Du während der Arbeit an Magnetica bewusst versucht, nicht die ganze Produktion über mit dem Kopf im Rechner zu stecken?
Es kommt oft vor, dass man die technischen Möglichkeiten abfeiert und sich auf den Prozess als solchen konzentriert, obwohl das, was man tatsächlich hört, natürlich viel wichtiger ist. Manchmal liegt der Fokus viel mehr auf der Technik liegt als auf der Musik. Das ist wie mit der Haute Couture Mode; es gibt dort so viele Kleider, die sich gar nicht tragen lassen. Und ein Musiker sollte Musik machen, die die Leute hören wollen.
Aber kannst Du denn im Gegensatz zu den komplexen Prozessen wenigstens mit den einfacheren funktionalen Elementen von Software etwas anfangen?
Ich glaube nicht, dass ich irgendwas mit Ableton mache, das sonderlich kompliziert wäre. Der Grund warum ich mit Ableton arbeite liegt auf der Hand: Es geht schnell, akkurat, effizient und ich kann darauf vertrauen. Selbst wenn ich mich mit komplexeren Sachen wie der Übersetzung eines Grooves beschäftige, ist das mit Ableton eine einfache Sache. Außerdem habe ich gemerkt, dass die Aufbereitung der Musik für eine Live-Show wesentlich leichter funktioniert.
Und wie viel Kontrolle räumst Du Dir bei Deinen Live-Sets ein? Hältst Du Dir einiges offen, um die Richtung Deiner Musik ändern zu können?
Das ist ganz unterschiedlich. Die komplexeren Arrangements behalte ich abgesehen von ein paar Manipulationen lieber bei, während der Drummer schon ein paar Freiheiten hat, weil es für ihn einfacher ist, die Sachen auf die Bühne zu bringen. Manchmal möchte ich, dass es sich richtig live anfühlt und manchmal nehme ich lieber die Unterstützung von Backing-Tracks in Anspruch.
Du hast im Vorfeld erwähnt, dass Du für Dein Live Set teilweise auf Launch Box und Follow Actions setzt. Wie kommen diese Funktionen in Deiner Performance zum Tragen?
Nehmen wir an, ich spiele zu einem Intro und und nach 8 Takten würden die Beats einsetzen, dann fällt es mir schwer, so was zu triggern, wenn ich dabei Keyboards oder Gitarre spiele. Natürlich ginge das auch ganz einfach als Loop, aber ich möchte es frei definieren können. Wenn ich zum Beispiel eine Intro-Sektion habe und danach kommt eine Strophe, dann spiele ich das Intro und anschließend geht es automatisch mit der Strophe weiter. Von dort aus kann ich den nächsten Teil des Songs triggern. Würde ich aber zur Strophe zurückkehren wollen, könnte ich das mit einer Follow Action tun, ohne wieder das Intro zu spielen. Eigentlich eine extrem einfache Sache, aber es erlaubt mir, das Arrangement eines Songs aufzufächern und Teile automatisch zu übergehen.
Denkst Du, dank solcher Funktionen kannst Du mehr selbst übernehmen und auf weiteres Personal verzichten?
Ich denke das ist tatsächlich so. Mit dem Touren ist es heute schon ein bisschen schwieriger, besonders für einen kleinen unabhängigen Produzenten. Aus ökonomischer Sicht natürlich, aber auch aus Platzgründen. Je mehr also drumherum wegfällt, desto mehr Freiraum entsteht für weitere Musiker. Was das Konzept eines kompletten Sets anbelangt, das meinetwegen aus 16 Songs besteht, ist es normalerweise so, dass jeder einzelne Musiker alle Arrangements im Detail kennen muss. Mit diesem Szenario agieren wir eher wie eine Band. Wir können uns verständigen: "OK, lass uns jetzt den Refrain spielen." Und dann rufst du den Refrain auf und zwei Takte später ist er da. So wie es bei einer richtigen Live-Band eben sein sollte.
Als Künstler, der sich eher der traditionellen Instrumentierung verpflichtet fühlt, setzt man sich da gedanklich eine Grenze, was den Anteil elektronischer Musik anbelangt?
Nein, ich glaube nicht. Es dreht sich immer um diese starke Trennung zwischen elektronischer und akustischer Musik. Und viele Leute glauben, die jeweils gegenüberliegende Seite hätte ihnen nichts zu bieten. Ich aber mag beides.
Wenn wir schon über diese Trennung sprechen, meinen wir dann elektro-akustisch oder akustisch? Geht es um E-Gitarren oder Akustikgitarren? Sind das echte Drum-Perkussions oder Samples? Grundsätzlich müssen wir uns wohl vor Augen halten, dass alles, was nicht von einer Live-Band auf Tape gebannt wurde, in der heutigen Zeit digital ist. Wir arbeiten in einer digitalen Welt und da spielt es keine Rolle mehr, ob es sich um ein echtes Instrument handelt oder nicht.