PitchLoop89: Wie man in den Wald hineinruft
Ein neues Tool kann den Workflow entscheidend verändern. Wir probieren neue Hardware aus oder nutzen zum ersten Mal einen Audio-Effekt – und schon eröffnen sich neue Möglichkeiten, rhythmische Ideen oder komplett neue Klänge.
PitchLoop89, der neue Audio-Effekt in Live 11, wurde aus plötzlicher Inspiration geboren, deren Ursprung ein neues Tool war: ein 40 Jahre altes Effektgerät. Leider gab es schon bald nach seiner Ankunft den Geist auf. Und so blieb seinem Besitzer Robert Henke nichts anderes übrig, als es in Form eines Max-for-Live-Effekts nachzubauen. Wir haben mit dem multidisziplinären Künstler über das Hardware-Original und die Entwicklung von Pitchloop89 gesprochen – und darüber, wie der Effekt auch ganz einfache Sounds außergewöhnlich klingen lässt.
Eingefroren in der Zeit
In Audio-Kreisen ist Publison ein geheimnisumwitterter Name. Zwar existiert die Firma längst nicht mehr, doch die Erinnerungen an ihre Präsentationen bei Audio-Messen sind noch sehr lebendig. Denn sie waren legendär: Vor dem Publison-Stand bildete sich stets eine Menschentraube, die miterleben wollte, wie ein Franzose exzentrischen Scat-Gesang in komplettes Chaos münden ließ, oder ein futuristisch anmutendes Effektgerät namens „Infernal Machine“ vorstellte. Dieser Mann war der Publison-Gründer Peter Dean. Zusammen mit dem technischen Direktor Philippe Petitdemange entwickelte er Effektgeräte von wirklich eigenwilligem Charakter.
1979 veröffentlichte Publison das DHM 89 – ein früher digitaler Stereo-Pitchshifting-Delay. Er besaß zwei Delay-Sektionen, die kurze Audioschnipsel festhalten konnten. Deren Länge war von der gewählten Bandbreite abhängig. Das Audiosignal ließ sich einfrieren, in Segmente zerteilen und mit einer prä-granularen Methode weiter bearbeiten, um die harmonischen Komponenten zu betonen und neue hinzuzufügen.
Im Lauf der Zeit wurde das DHM 89 zum Kultobjekt und Stammgast in vielen Musikrichtungen – von den phantasmagorischen INA/GRM-Klangexperimenten über die kosmische Elektronik von Kraftwerk und Tangerine Dream bis hin zu den Mainstream-Hits von Madonna, Chris Isaak und Cyndi Lauper.
Eines der berühmtesten Beispiele für den experimentellen Charakter des DHM 89 ist das zwischen 1982 und 84 entstandene Stück La Création du Monde des französischen Elektroakustik-Produzenten Bernard Parmegiani: eine groß angelegte Klangcollage über die Entstehung der Erde. Parmegiani sendete das Ausgangsmaterial durch das DHM 89, um die Luftigkeit gasförmiger Wolken kurz vor dem Urknall zu beschwören – gefolgt von den schimmernden Wirbeln früher Ozeane und flinken Texturen der ersten Lebewesen. Der frühe granulare Charakter des DHM 89 wird vor allem bei den Reflexionen der kristallinen Geologie, schrillen Insektengeräuschen und Wassertropfen deutlich – verblüffend klar und zugleich wunderbar abstrakt.
Der Grammy-prämierte Produzent und Toningenieur William Wittman war 1983 mit Cindy Laupers weltweit erfolgreiche, Debütalbum She’s So Unusual beschäftigt – und ein großer Publison-Fan. Deswegen nutzte er das DHM 89 auf diesem Album für alle Delay-Effekte, inklusive der allgegenwärtigen Delays auf Laupers Gesang. Außerdem erzeugte er damit satte Chorus-Effekte, zum Beispiel für die Gitarren von „Time After Time“. Die Gitarre der Strophen besitzt ein sehr kurzes Delay, bei dem die beiden Seiten ganz leicht gegeneinander verstimmt sind.
Von der Hardware zur Software
Es sollte über drei Jahrzehnte dauern, bis Robert Henke alias Monolake dieses legendäre Effektgerät in die Finger bekam. Der Produzent, Installationskünstler, Software-Designer und Ableton-Mitgründer war schon länger sehr am Publison DHM 89 interessiert. 2019 bot sich dann die Gelegenheit, ein Exemplar zu einem sehr günstigen Preis an Land zu ziehen: „Ich war mir sicher, dass ich damit Spaß haben würde, schon in theoretischer Hinsicht auf die Möglichkeiten“, erzählt uns Henke in seiner Dachwohnung in Berlin. „Dann kam es an und klang absolut wunderbar, noch viel besser als erwartet. Aber das Gerät war 40 Jahre alt – und schon nach einem Tag kaputt.“
Das DHM 89 musste zur Reparatur nach Paris geschickt werden, und schon bald war klar, dass es erst nach mehreren Monaten zurückkehren würde. Da Henke das DHM 89 schnell vermisste, machte er sich umgehend daran, es in Max for Live nachzubilden. Doch dieses Vorhaben erwies sich als weitaus komplexer als erwartet.
Einer der schwierigsten Aspekte der Entwicklung war die Nachbildung der signalgesteuerten Crossfades – der Xing-Modus von PitchLoop89. „Hier wendet man einen Prozess namens Autokorrelation an. Das bedeutet: Man betrachtet das Signal, zu dem übergeblendet werden soll, und verschiebt das aktuelle Signal dann so, dass der am besten passende Crossfade entsteht. 1978 wurde das mit einer ziemlich ausgeklügelten Technik erreicht, die nicht mal einen Mikroprozessor erforderte. Und das Ergebnis klingt unglaublich musikalisch. Nicht immer perfekt – aber selbst wenn Artefakte entstehen, klingt das einfach super. Die Nachbildung des Hardware-Verhaltens war viel schwieriger als gedacht. Und ich würde auch nicht behaupten, dass ich es genau so hinbekommen habe. Der Klang ist definitiv anders. Ich kann aber gar nicht sagen, welche Version besser klingt. Sie klingen einfach unterschiedlich.“
Bei der Entwicklung gab es einige Momente, in denen Henke Entscheidungen treffen musste: dem Original treu bleiben oder ein zeitgemäßes Update durchführen? Aufgrund des kleinen Arbeitsspeichers gibt es beim DHM 89 beispielsweise feste Einstellungen für die globale Bandbreite. Bei PitchLoop89 ebenfalls, allerdings nicht wegen RAM-Mangel. Hier ging es darum, die Klangästhetik beizubehalten. Denn das Umschalten zwischen den Einstellungen erzeugt interessante Oktavsprünge, und in tieferen Samplingraten entstehen schwingende Töne in den hohen Frequenzen: sorgfältig nachgebildet von Henke.
Glänzend und neu
Die technischen Beschränkungen führten auch dazu, dass das DHM 89 nur eine Routing-Option bietet: Bei der maximalen Samplingrate werden die Ausgangssignale der beiden Delays kombiniert und dann wieder in den Eingang geleitet. Nachdem diese Einschränkung aufgehoben war, konnte Henke seiner Kreation zusätzliche Routing-Optionen spendieren, die bei der Hardware nur in Verbindung mit einem Mischpult möglich gewesen wären: „Wenn man das Ausgangssignal des ersten Kanals in den Eingang des zweiten sendet, ist das eine Art Cross-Feedback-Konfiguration – sehr lohnenswert. Und nicht möglich mit dem Hardware-Original. Man kann zum Beispiel den einen Kanal hoch- und den anderen runterpitchen. Sendet man das Signal dann wieder zurück, entsteht eine konstante Oszillation zwischen den beiden Tonhöhen – wirklich schön!”
Die Modulationsmöglichkeiten von Pitchloop89 sind ein weiteres zeitgemäßes Upgrade. „Bei der Hardware muss man für die richtig coolen Sounds ständig an den Reglern drehen. Bei meiner Kreation gibt es dafür zwei LFOs. Das macht das Ganze natürlich sofort zu einer anderen Erfahrung – für mich ist das der wichtigste Unterschied. Die besten Tricks erfordern beim DHM 89 viel Geschraube, das bei meiner Version durch Presets ersetzt wird.“
Obwohl die LFOs die meisten Modulationen übernehmen können, ist PitchLoop89 ein hervorragendes Performance-Tool, das bei Hands-on-Bedienung wirklich glänzen kann. Alle PitchLoop89-Parameter lassen sich mit Push steuern – so kann man tief in seine Klangwelt eintauchen und alles Mögliche ausprobieren: zum Beispiel mit den Feedback-Reglern zwischen minimalistischen Glitch-Sounds und schimmernder Kakophonie wechseln. Oder das Audiosignal einfrieren und langsam die Wiedergabeposition ändern – und auf diese Weise kleinsten Klangschnipseln vielschichtige Texturen und Sounds entlocken.
Sounds verschieben – und zerfetzen
Genau wie das Hardware-Vorbild lässt sich PitchLoop89 nicht nur für abgefahrenes Sound Design, sondern auch für subtilere Effekte nutzen. „Ein fantastischer Chorus für Vocals“, sagt Henke, „oder ein subtiler und seltsam diffuser Hall für Drums. Kurzgesagt: eine tolle Sounddesign-, Soundscape- und Musique concrète-Schreddermaschine.“
Es ist nicht schwer, mit PitchLoop89 einen klassischen Pitchshifting-Effekt zu erreichen. Am besten nutzt man einen monophonen Klang, stellt die Wiedergabeposition auf Null und fügt dann das gewünschte Intervall oberhalb oder unterhalb davon hinzu. Jetzt kann der Spaß beginnen: Durch Drehen am Segment-Regler, An- und Ausschalten des Xing-Modus und kleine Änderungen der Position entstehen fremdartige Variationen normaler Pitchshifting-Intervalle, die mit einer Vielzahl von Klängen funktionieren.
PitchLoop89 ist zwar kein Hall-Effekt, doch über zufallsbasierte Modulationen der Abspielposition und das Experimentieren mit den Feedback-Einstellungen und Routings lassen sich einzigartige Reverb-Klänge erzeugen: „Ähnlich wie ein zerbrochener Spiegel, dann noch einer und noch einer“, beschreibt Henke das klangliche Ergebnis mit einem bildlichen Vergleich. „So etwas ist mit anderen Effekten kaum hinzubekommen. Das ist definitiv ein Highlight für mich – perfekt für Vocals, aber auch für Drums.“
Für Ambient-Produzent:innen ist PitchLoop89 eine echte Fundgrube an neuem Klangmaterial. „Der Effekt passt zu allem, was langsam und spärlich ist: In Sachen Ambient, Drones und Soundscapes der zeitgenössischen Musik gibt es viel zu entdecken. Nimm eine Klaviernote, stell eine lange Segment-Dauer ein, spiel es vorwärts und rückwärts ab, transponiere es und sende es dann in einen Reverb. Solche Experimente lohnen sich.“
Versteckte Funktionen
Unter der Oberfläche des Effekts verbergen sich außerdem einige Bonus-Funktionen. Zum Beispiel die Möglichkeit, die Tonhöhenänderung beider Kanäle mit einem MIDI-Controller oder -Clip zu steuern – in einer leeren MIDI-Spur wird dies dann als MIDI-Routingziel angezeigt. Und mit Push können Sie den MIDI-transponierten Klängen eine Extraportion Wonkyness geben, indem Sie in der letzten Control-Bank die MIDI-Glide-Funktion aufrufen.
Zusätzlich zu dem Trick mit Pushs Glide-Funktion hat Henke noch eine weitere Überraschung eingebaut: „Einen Test-Oszillator, den ich bei der Entwicklung verwendet habe. Ich habe ihn dringelassen, weil sich der Effekt so auch als Stand-alone-Instrument nutzen lässt – im Stil von Drone-Instrumenten. Diese beiden versteckten Funktionen sind für den Effekt nicht wirklich notwendig. Aber sie waren schon an Bord oder ließen sich schnell hinzufügen. Deswegen dachte ich: ‚Probieren wir das doch einfach mal aus.'“
Letztendlich ist PitchLoop89 ein Effekt, der eine spielerische und forschende Herangehensweise reich belohnt. Ein letzter Tipp von Robert Henke: „Mach dir eine Tasse Tee, bring dich in eine entspannte Stimmung, sende ein paar einzelne Noten in den Effekt und experimentiere mit den Ergebnissen.“
PitchLoop89 ist Teil von Live 11 Suite und kann direkt in Lives Browser heruntergeladen werden. Wer Live 11 Standard und Max for Live besitzt, bekommt den Effekt ebenfalls auf diesem Weg.
Weitere Infos finden Sie auf der Packs-Seite.
Text und Interview von Lani Bagley.