Peder Mannerfelt: The Swedish Congo Record
„The Swedish Congo Record“ von Peder Mannerfelt, das im Mai 2015 auf Yves De Meys und Peter Van Hoesens Label Archives Intérieures erschien, zählt zu den faszinierendsten Alben des vergangenen Jahres. Es basiert auf einer geheimnisvollen 78-RPM-Schallplatte des belgischen Filmemachers Armand Denis, der in den 1930er Jahren als einer der ersten Europäer die Klänge des Zentralkongo aufgenommen hatte. Seine Aufnahmen entstanden im Rahmen einer Äquatorialwald-Expedition und erschienen 1950 unter dem Namen „The Belgian Congo Records“. Peder Mannerfelt nutzte das Klangmaterial als Ausgangspunkt für eine ambitionierte elektronische Neuinterpretation.
Mannerfelt hat in den letzten Jahren unter verschiedenen Pseudonymen Musik veröffentlicht – The Subliminal Kid und Roll The Dice – und mit Fever Ray zusammengearbeitet. „The Swedish Congo Record“ ist seinem wachsenden Interesse an der Musiktradition afrikanischer Kulturen zu verdanken, das ihn Denis’ ethnographische Aufnahmen entdecken ließ. Für seine Interaktion mit dem Material entwickelte Mannerfelt ein Konzept, das über reines Sampling hinausgeht, um die Gefahr der kulturellen Aneignung / Ausbeutung zu umschiffen. Er nahm sich vor, die Musik in neue Formen zu gießen und sich dabei von der rhythmischen und strukturellen Komplexität des ursprünglichen Materials inspirieren zu lassen. Auf diese Weise gelang ihm ein spannendes, vielschichtiges und eigenständiges musikalisches Werk.
Das Projekt lädt dazu ein, Fragen zum westeuropäischen Kolonialismus zu stellen. Gleichzeitig erinnert es an die brutale Ausbeutung des Kongo und die tiefen Spuren, die sie in Zentralafrika hinterlassen hat. Zur Zeit bereitet sich Peder Mannerfelt auf die Live-Präsentation des Albums im Rahmen des CTM in Berlin vor. Wir trafen uns mit ihm, um mehr über die Entstehung von „The Swedish Congo Record“ zu erfahren.
Liegt deinem Album eine langjährige Faszination für nicht-westliche Musik / „ethnografische“ Aufnahmen zugrunde? Was hat dich an dieser Schallplatte auf musikalischer Ebene und auf anderen Ebenen besonders interessiert?
Es begann vor ein paar Jahren, als ich auf der Suche nach neuer Musik war – ich geriet in den Strudel von „Weltmusik“ und kaufte mir viele Platten mit traditioneller afrikanischer Musik. Zuerst wollte ich sie als Sampling-Material verwenden, doch je mehr ich von Platten dieser Art begeistert war, desto stärker wurde das Gefühl, dass diese Musik abgeschlossen ist – dass es respektlos wäre, sie mir anzueignen und mit einer 808-Kick-Drum zu unterlegen.
Ich dachte, dass es aufrichtiger wäre, eine dieser Platten komplett nachzubilden – mit meinen Arbeitsmethoden und meinem Wissen als Musikproduzent. Aus meiner Sicht habe ich Coverversionen der Musik auf dieser Platte gemacht. Ich wählte sie aus, weil sie eine der ersten Aufnahmen afrikanischer Musik darstellt – aufgenommen an einem Ort, der in den 1930er Jahren als Belgisch-Kongo betrachtet wurde. Die Lo-Fi-Qualität der Aufnahmen machte es schwierig, ihre Quellen genau zu bestimmen und führte zu einer musikalischen Ambiguität, die für mich zuerst eine große Hürde darstellte. Doch dann konnte ich diese Mehrdeutigkeit zum eigenen Vorteil nutzen: Sie gab mir die Möglichkeit, ein wenig von meiner Persönlichkeit einzubringen.
Dieses Album ist mit mehreren brisanten Themen verknüpft – Ethnien, Ausbeutung, Kolonialismus und kulturelle Aneignung. Bis zu welchem Grad ist das Album ein politisches Statement? Welche Reaktionen erwartest du von den Hörern?
Das Album ist sehr politisch und ich bin ein wenig darüber erstaunt, dass ich damit nicht mehr Kritik geerntet habe. Es war meine Absicht, diese Themen an die Oberfläche zu bringen – das Sampling ist ein wesentlicher Teil der modernen Musikproduktion, und es macht schon Sinn, sich zu fragen, warum man diese oder jene Platte sampeln will. Und was das für die Musik bedeutet, die daraus entsteht.
Ich liebe das Sampling und Musik, die mit Samples gemacht wird – ich denke, es ist eine der inspiriendsten Formen des Produzierens. Doch manchmal ist es auch gut, vom anderen Ende aus zu arbeiten. Diesen Gedanken wollte ich mit meinem Projekt unterstreichen.
Der Diskurs über Aneignung und Kolonialismus ist ein weiterer Aspekt, den ich mit dem Album anschneiden wollte. Es liegt mir nämlich fern zu behaupten, dass es kein Beispiel für kulturelle Aneignung ist – und deshalb wäre ich froh, an einer weiteren Diskussion über diese Themen teilzunehmen!
„...das Sampling ist ein wesentlicher Teil der modernen Musikproduktion, und es macht schon Sinn, sich zu fragen, warum man diese oder jene Platte sampeln will. Und was das für die Musik bedeutet, die daraus entsteht.“
Wie bist du beim Umwandeln dieser Aufnahmen technisch vorgegangen? Hast du für die Tracks, die das Album ausmachen, nur eine „Methode“ entwickelt oder gab es mehrere?
Zuerst war es ein reines Forschungsprojekt – ich wollte durch das Nachbilden dieser Musikstücke mehr über Polyrhythmen und Drum-Synthese lernen. Dafür hatte ich drei bis vier Wochen einkalkuliert. Doch dann verbrachte ich fast das gesamte Jahr 2012 mit der Musik und wurde immer mehr davon eingenommen.
Mit jeder Sound-Textur, die ich entschlüsseln konnte, tauchten zwei neue auf. Bei diesem Prozess gab es überhaupt keine festgelegte Formel. Ich probierte viele verschiedene Programme und Algorithmen aus, um die Rhythmen und Harmonien automatisch zu generieren, doch angesichts der Komplexität und der nicht-westlichen Natur der Musik klangen die Ergebnisse richtig schlecht. Ich musste jede einzelne Note von Grund auf nachbilden und hörte mir die Tracks dazu immer wieder an.
Mein Mangel an musikalischem Können machte das Projekt bestimmt noch schwieriger, doch auf diese Weise konnte es eine Eigendynamik entwickeln. Es begann sehr trocken und akademisch und wurde dann zu einer kleinen Klangwelt – vermutlich finden die Leute das Album auch deswegen so ansprechend. Die Musik entstand ja eigentlich auf bequeme Weise: Ich drehte an ein paar Knöpfen, um ein Album zusammenzuschrauben, das Konsens-orientiert und einladend ist.
Für die Vocals nutzte ich formante Filter – eine Technik, die EQs und festgelegte Frequenzen zur Synthese von Vokalen einsetzt. Das ist der Grund dafür, dass ständig nur „AAAEEIIIOOUUU“ zu hören ist. Für mich ist es vor allem der Gesang, der diese Aufnahmen so besonders macht – ich habe sehr viel Zeit damit verbracht, sie zu hören, und finde diesen Aspekt immer noch am spannendsten.
Auf welche Weise wirst du dein Projekt beim CTM-Festival präsentieren?
Anfangs war ich ja sehr skeptisch, ob sich das Projekt in eine Performance umwandeln lässt – es ist sehr persönlich geworden, ich habe so viel Zeit damit verbracht. Ich war mir nicht mal sicher, ob ich die Musik überhaupt veröffentlichen will. Das Album befand sich länger als ein Jahr auf meiner Festplatte, bevor ich es Peter und Yves vorspielte.
Trotz alledem eröffnet mir das CTM-Festival eine tolle Möglichkeit, das Wagnis einzugehen und die Musik einem Live-Publikum zu präsentieren. Ich wollte kein Solokonzert daraus machen, weil die ursprüngliche Musik so gemeinschaftlich gedacht und entstanden ist. Deshalb fragte ich Liliana Zavala (die ebenfalls bei Fever Ray mitgespielt hat), ob sie dabei sein will. Das lag nahe, denn sie hatte mir bereits beim Umsetzen der rhythmischen Patterns für das Album geholfen.
Neben Liliana werden bei der Performance noch zwei weitere Perkussionistinnen dabei sein – Maria Olsson und Diva Cruz. Sie werden die Rhythmen live spielen, doch anstatt der akustischen Sounds ihrer Drums werden wir Piezo-Mikros einsetzen, um einige Synths zu triggern, die von mir gesteuert werden. Malcolm (mein Partner bei Roll The Dice) wird die Vocal-Elemente auf einem Synthesizer spielen. Ehrlich gesagt weiß ich noch nicht, wie die Performance werden wird, da wir noch keine Zeit für ausgiebige Proben hatten. Doch ich vertraue auf das musikalische Können der Leute, mit denen ich die Musik präsentiere. Und ich bin mir sicher, dass die Performance völlig anders verlaufen wird, als ich sie mir gerade vorstelle. Das gilt ja auch für das gesamte Projekt – es fühlt sich wirklich nicht so an, als ob ich die Kontrolle hätte. Es hat sich von Anfang an einen eigenen Weg gesucht und ich kann lediglich versuchen, im Sattel zu bleiben.
Bleiben Sie mit Peder Mannerfelt über Soundcloud auf dem Laufenden.
Foto von Erik Wahlstrom