Pachyman: Mit einem Bein in der Zukunft
L.A., ein beliebiger Nachmittag: Der Echopark Lake, durchzogen von schwanenförmigen Tretbooten, glitzert in der Sonne, der Springbrunnen in seiner Mitte schießt das Wasser hoch über die Seerosen. Joggerinnen laufen entlang der Ufer durch die Wiesen, an Ständen werden Maiskolben und Fruchtspieße mit Chili und Limetten verkauft. Das konstante Summen des Verkehrslärms und die sich in naher Ferne in den Horizont erhebenden Wolkenkratzer möchten fast glauben lassen, wir befänden uns hier im Herzen des Geschehens – doch Los Angeles ist für ganz andere Orte bekannt.
Wir fahren eine kurvige, steile Straße hinauf, die entlang abblätternder Wohnhäuser mit Maschendrahtzäunen unter hohen Palmen vom See weg führt und erreichen ein schmiedeeisernes Tor. Nach dem Passieren der Einfahrt und eines Holzhauses steigen wir eine schmale Treppe hinunter, die uns in ein Kellerstudio führt. Der gemütliche Raum ist mit Gitarren, Keyboards, einer Hammond-Orgel von 1960, Amps, Pflanzen, Bandmaschinen, einem Vintage-Mischpult und einem glänzend roten, chinesischen No-Name-Drumkit ausgestattet. Textilien, Kunstdrucke und selbstgebaute, in alte Hemden eingewickelte Schalldämpfer ziehen sich über die Wände. Willkommen in Pachymans Hideout – dem 333 House.
Schon zu Jugendzeiten in Puerto Rico spielte Pachy Garcia in Reggaebands. 2012 zog er nach Los Angeles, wo er bald im Dub Club der Stadt, nicht weit von seinem neuen Zuhause entfernt, ein familiäres Umfeld fand. Pachy wurde schnell zu einem wichtigen Akteur der kreativen Community L.A.’s, verdiente seine Brötchen als Barkeeper und spielte (gemeinsam mit David Orlando, ebenfalls Mitglied des Dub Clubs) in Bands wie den Sex Stains oder der Synthpunkband Prettiest Eyes. 2019 ging Garcia mit einem Soloprojekt namens The Pachyman Moniker an die Öffentlichkeit – sein Ventil für Experimente mit dem Erbe des Roots Dub, den er mit seinem eigenen, einzigartigen Stil anreicherte.
Als die Welt um ihn durch die beginnende Pandemie in eine Starre verfiel, vergrub sich Garcia in seinem Kellerstudio und widmete sich der Aufnahme von Roots-Dub-Rhythmen. Darin hatte er einen Weg gefunden, seine eigenen Geister zum Leben zu erwecken und auch andere durch die Quarantäne gelähmte Menschen mit positiver Stimmung zu versorgen. Anfang 2021 postete er eine Reihe an Aufnahmen von Performances auf YouTube, die bereits all die Sounds enthielten, die später auf The Return of... erschienen. Seit dem Release des Albums erfreut sich seine einzigartige Mischung eines stetig wachsenden Publikums, und Garcia zelebriert weiterhin die unendlichen Möglichkeiten seines Studios. Bei unserem Besuch des 333 House haben wir uns mit Pachymann über die zirkulären Bewegungen unterhalten, in denen er in vertrautem Rahmen immer neue Perspektiven erschließt.
Ist deine Studioausrüstung für dich eine Erweiterung deiner Person als Künstler oder siehst du sie eher als Werkzeuge, die dir einfach bei der Umsetzung deiner Vorstellung helfen?
Das sind definitiv Werkzeuge. Ich wickle mich nicht um die herum. Am Ende geht es einfach um Ideen, die hier frei fließen, man nimmt sie sich und bannt sie auf Tape. Das hängt nicht unbedingt vom Equipment ab, das man hat, abgesehen jetzt natürlich von den wichtigsten Aufnahmegeräten.
In der Gründungszeit des Dub haben viele Bands in Jamaica, zum Beispiel auch die Upsetters, billige Instrumente benutzt – aber es kam eben darauf an, was sie damit angestellt haben. Wann hast du für dich festgestellt, dass die menschliche Kreativität wichtiger ist als die Technik, die man hat?
Ich fing an, mich für den ganzen Aspekt der Produktion zu interessieren, und auf einmal war’s so: Geht es wirklich um die Ausrüstung? Wenn man von neuem Equipment einen bestimmten Sound erwartet und dann enttäuscht wird, dann landet man schnell zurück bei dem Gedanken, dass es eben echt nur darauf ankommt, was man macht. Und ich für meinen Fall habe diese Perspektive entwickelt, nachdem ich irgendwann die Geschichte und die Musik genau studiert habe, die ich nachmachen wollte. Die haben wirklich unglaubliche Kunst gemacht, einfach mit den paar Sachen, die sie halt hatten.
Man kann sehr einzigartige Sounds erzeugen, wenn man die Möglichkeiten von Software mit den Charakteristika von Hardware oder akustischen Instrumenten zusammenbringt. Wann hast du angefangen, für deine Arbeit auch einen Computer zu benutzen, und welche Rolle spielt Software dabei?
Ich hatte immer einen Computer. Ich arbeite schon lange mit Ableton Live, seit über 20 Jahren. Ich habe angefangen, Computer zu benutzen, weil ich einfach was zum Aufnehmen brauchte. Bandmaschinen waren einfach sowas wie ein Speicher für Ideen, und Computer sind das Gleiche. Die haben einfach all diese Funktionen, die man früher nicht hatte. Und dann habe ich angefangen, EQs und Kompressoren und diese ganzen Sachen zu benutzen, die jetzt auch da drin sind. Das hat auf jeden Fall den Unterschied gemacht, weil ich jetzt verstanden habe, was diese ganzen alten Geräte gemacht haben, einfach indem ich vor dem Rechner saß und eine Maus bewegt habe. Ich habe dadurch viel gelernt.
Ich würde sagen, der Computer macht die Hälfte meiner Arbeit, weil ich alles in den Rechner aufnehme, bevor ich in die analoge Aufnahme und das Mixing übergehe. Ich mache einen großen Teil der Bearbeitung, des EQings und der Kompression mit dem Rechner. Wenn ich mir meine Musik ohne diese Bearbeitungen anhöre, klingt sie komplett anders. Die ändern alles, machen das Ganze für mich erst anhörbar.
Im Dub sind Drums und Bass das Fundament. Ist das für dich der Ausgangspunkt?
Ja, auf jeden Fall. Vielleicht nicht musikalisch, wenn ich [Songs] schreibe, aber beim Aufnehmen fange ich mit den Drums und dem Bass an, damit ich auch sicher weiß, dass diese Aufnahmen korrekt sind.
Meistens arbeite ich davor schon an den Harmonien und dem melodischen Teil. Und ich mache dann so kleine Skizzen, die ich quasi einfach in meinem Zimmer loope, und dann setze ich mich an die Drums und entwickle ein Pattern dafür, dasselbe mit dem Bass. Manchmal kommt der Bass zuerst, manchmal die Drums. Ich lege mich nicht wirklich auf ein Drum-Kit fest, außer ich weiß schon genau, mit was für harmonischen und melodischen Elementen ich arbeiten will. Was lustig ist, weil wenn’s dann ums Abmischen geht, nehme ich das komplett raus. Ich arbeite nur mit den Drums und dem Bass, und die Harmonien und Melodien sind eher so nach dem Motto da: Ach ja, hey, ich bin auch hier. Und Dub funktioniert so, dass dein Gehirn plötzlich versteht, dass die Drums und der Bass, die man hört, einfach manchmal komplett vom melodischen Aspekt getrennt sind, so vibemäßig. Das ist mir besonders bei Alben wie Scientist Rids the World of the Evil Curse of the Vampires aufgefallen. Jedesmal, wenn die harmonischen und melodischen Parts reinkommen, sind die so von dem abgetrennt, was man gerade hört.
Wenn du einen Dub machst, mischst du den denn quasi in deinem Kopf schon ab, bevor er entsteht? Existieren Stücke schon vor der Aufnahme in deinem Kopf oder entstehen sie in Echtzeit?
Ich würde sagen, halb-halb. Oft weiß ich wirklich gar nicht, was passiert, und finde das erst im Live-Mix heraus. Es gab so ein paar Songs, bei denen ich nicht so viel darüber nachgedacht habe, was das für ein Song wird, sondern eher über das Arrangement, das ich am Ende beim analogen Mix mache; das ist dann so: Ich weiß, dass ich hiermit anfange, und dann nehme ich die Drums raus und dann ist der Bass eine zeitlang drin.”
Du bist vielseitig musikalisch interessiert und hast in Bands aus verschiedenen Genres gespielt, aber kannst du uns etwas über deine frühen Begegnungen mit Roots-Dub erzählen? Wann hast du dich in diesen Sound verliebt und wie hat er dich bewegt? Du bist ja aus Puerto Rico, nah an der musikalischen Quelle.
Das war wohl zum Ende der High School hin, als ich angefangen habe, Reggaebands auf der Insel zu hören, und jemand mir Platten von Augustus Pablo gezeigt hat. Und ich denke, so richtig gecatcht hat mich dann King Tubbys Meets Rockers Uptown. Im Rückblick klingt das ein bisschen, als hätten die Demos aufgenommen, weil die wirklich nicht so richtig auf den Aufnahmeaspekt des Ganzen geachtet haben. Und ich fand es einfach toll, wie jeder einfach genau auf den Punkt war, als diese Platten gemacht wurden. Die Kombination dieser instrumentalen Songs und dieser ganzen Harmonie und Melodie, abgemischt von King Tubby, der dann all diese Reverbs und Delays im Studio draufgelegt hat. Für mich hat sich das so futuristisch angehört, und ich verstand nicht so richtig, was da passierte. Ich war besessen davon, und so hat alles angefangen.
Und natürlich bin ich dann immer mehr in Richtung experimenteller Musik gegangen und habe herausgefunden, dass Krautrock und Punk in den 70ern auch alle in dem Modus waren in dem sie diese [Dub-Ästhetik] total cool fanden, und dass die versucht haben, diese Einflüsse in ihre Art des Aufnehmens zu integrieren. Für mich war das wirklich wichtig: Reggae ist nicht nur diese Musik aus der Karibik, sondern eine Musikideologie, die so futuristisch ist, dass sie mit komplett verschiedenen Künstler:innen auf der ganzen Welt in Resonanz treten kann.
Deine Musik hat einen authentischen Dubsound, der sich aber nicht anfühlt wie eine Kopie. Du machst sowas wie ein innovatives Throwback, findest einen neuen Ausdruck innerhalb einer existierenden Sprache. Hast du das Gefühl, mit einem Fuß in der Vergangenheit und mit einem in der Zukunft zu stehen?
Das würde ich gern denken, weil ich versuche, ich selbst zu sein. Ich will keine Kopie oder Imitation sein. Ich will einfach den Dialog am Laufen halten und die Dinge wertschätzen, die uns zur Verfügung stehen und daraus was Neues zu bauen, das aus etwas entstanden ist, was mir persönlich sehr wichtig war. Deshalb arbeite ich in dieser hybriden Form. Ich versuche nicht, streng analog zu arbeiten. Ich will einfach dafür sorgen, dass ich Musik mache, die mir gefällt, und manche Aspekte an analogem Arbeiten mag ich, während sich für andere das Digitale besser eignet. Und ich will irgendwie, dass beide Welten für mich gut zusammengehen, ohne dass ich meinen Workflow aufgeben muss.
Da komme ich her. Eigentlich ist der Ursprung des ganzen Projekts, dass ich das alles selbst machen wollte, ohne Druck. Und auf einmal haben Leute das gesehen und fanden es gut. Das erzeugt also den Motivationsfaktor, aber es muss trotzdem immer wieder darauf zurückgehen, dass ich die Sachen gerne mache und Spaß haben will und neue Dinge entdecken will, denn so hat das Projekt ja mal begonnen.
Erzeugt dein bisheriger Erfolg Druck, entweder genauso weiter zu machen, oder Dinge zu ändern, um weiter zu gefallen?
Ja, da ist Druck. Ich habe das Gefühl, da müssen alle durch, wenn sie Dinge machen, die auf einmal Aufmerksamkeit bekommen, und dann wird man auf einmal unsicher damit. Und es gibt auf jeden Fall immer diese Momente, in denen man sich fragt: Werden die Leute das mögen? Davor ging es gar nicht darum, es ging mir nur darum, ob ich das mag. Ich will also eine gewisse Balance halten. Ich muss mit den Sachen zufrieden sein, die ich mache, weil ich mich mit Dingen beschäftigen will, die ich wirklich spannend finde. Wenn Sachen für mich spannend sind, sind sie das auch für andere.
Du hast das Pachyman-Projekt aus dem Studio in ein Live-Setting übersetzt – war das technisch gesehen schwierig?
Das war super schwierig. Ich habe keine Band, und die Leute wollen immer vor allem Bands. Ich habe bisher so um die 80 Liveshows im Jahr gespielt, und ich treffe immer noch auf Leute, die wissen wollen, wie ich auf der Bühne so bin – und ich dann so: Ja, ey, ich auch. Ich frage mich immer noch, was ich wohl anstellen werde. Aber das Projekt von einem Studioding in ein Liveding zu übertragen, das hatte ich eigentlich nie vor. Es ist einfach passiert, und die Leute mochten es, und ich hab einfach damit weitergemacht, weil es mir auch die Möglichkeit gibt, das Studio zu verlassen und die Musik zu den Leuten zu bringen, weißt du?
Und ich mache nichts groß neues. Das, was ich live mache, gibt es seit Dekaden, seit King Tubby und Scientist damit angefangen haben, es gab also schon Leute, die versucht haben, das in ein Live-Setting zu übertragen. Ich mache hier also keine Pionierarbeit, aber es war dennoch eine Herausforderung, weil ich schon 25 Jahre in Bands hinter mir habe und noch nie allein auf der Bühne stand. Und das ist ja auch Instrumentalmusik, und heutzutage warten die Leute irgendwie immer darauf, dass jemand sich ans Mikrofon stellt, damit sie mit dem Vocal-Aspect relaten können. Ich mache sowas aber nicht. Ich bringe zwar ein Mikrofon mit und versuche, mich auf den Raum einzulassen und mit den Leuten zu interagieren, aber der Großteil der Musik ist instrumental. Ich bin da mit dem Mischpult und mache Live-Dubs, was ein Haufen Arbeit ist. Es gibt also so eine Grauzone, wo die Leute nicht wissen, ob ich jetzt ein DJ bin oder nicht. Also erkläre ich manchmal ein bisschen, was ich mache, damit die Menschen verstehen, was ich auf der Bühne mache, und dass ich diese Musik produziere.
Und wie sehen diese Erklärungen genau aus?
Das funktioniert so, dass ich die Menge anspreche und ihnen für ihr Kommen danke. Und ich frage immer, ob es okay ist, wenn ich ein bisschen mehr Kontext zu dem gebe, was ich auf der Bühne mache. Und wenn die Leute darauf eingehen, gehe ich an mein Mischpult und bin so: Okay, so funktioniert das Ganze also. Und ich gehe Kanal für Kanal durch, also, hier sind die Drums, hier ist der Bass, hier sind die Keyboards, hier sind die Melodien. Und ich mache diese Mixe live und in Echtzeit. Und entwickle, produziere und spiele jedes einzelne Instrument. Und natürlich will ich nicht aus dem Nähkästchen plaudern, sondern gebe einfach nur ein bisschen Kontext. Viele Menschen sind danach viel mehr drin, weil sie verstehen, was sie da hören. Sie sehen nicht nur einfach jemanden auf der Bühne, der ein bisschen rumtanzt und an Knöpfen dreht. Was die Leute gleichzeitig ja auch lieben… Ich werde dann super aufgeregt und interagiere auf der Bühne mit Leuten und sie sind so: Oh, das ist cool, das ist coole Tanzmusik, und sie viben damit.
Und ist der Computer das Gehirn, das die Tracks speichert?
Ja. Ich habe eine separate Ableton-Live-Session, die einfach aus Stems besteht. Und die kommen aus meinem Interface und gehen in mein Mischpult in vier verschiedene Kanäle. Ich habe früher meine kleine Bandmaschine mitgebracht und das live gemacht, aber die Maschinen, die ich habe, speichern pro Seite nur 15 Minuten, und ich wollte längere Sets machen als das. Und außerdem habe ich gerade nur eine Bandmaschine, die im Studio verlässlich ist, und die wollte ich nicht mit mir rumschleppen. Dazu kommt, dass es einfacher ist, mit dem Rechner zu reisen. Ich packe den einfach in meinen Rucksack. Und es gibt viele Momente, wo ich zwischen den Shows Zeug im Set herumschiebe, um einfach verschiedene Sets machen zu können, wenn ich das will, und das wäre mit Tape sehr viel schwieriger.
Hier geht’s zum Download eines kostenloses Ableton-Live-Sets eines unreleasten Tracks von Pachyman.
Live 11 Suite oder die kostenlose Testversion erforderlich.
Bitte beachte: Dieses Set und alle enthaltenen Samples sind ausschließlich zu Bildungszwecken vorgesehen und dürfen nicht für kommerzielle Projekte genutzt werden.
Du schickst also Spuren aus Ableton Live durch dein Pult dann auf deine Pedale.
Ja. Ich habe ein Space Echo, das Electro-Harmonix-Holy-Grail-Reverb-Pedal. Und das geht durch einen Highpassfilter von dieser französischen Firma namens Westfinga, das eigentlich ein Klon des originalen King-Tubby-Big-Knob-Sounds ist.
Dieses Gesamtwerk, das du als Pachyman erschaffst, ist wundervoll. Was würdest du sagen: Was ist das Wichtigste, was du damit ausdrücken willst?
Der Erfolg meiner Platten hat mir nochmal deutlich gemacht, dass es echt nicht an der technischen Ausrüstung hängt, die man hat. Am Ende geht es um einen guten Song. Und ich habe das Gefühl, ich habe genug in meinem Arsenal, um gute Musik damit zu machen. Ich will noch mehr Ideen entwickeln, die in mein Genre passen könnten, aber ich will sie auch irgendwie auf eine neue Idee dekonstruieren und rekonstruieren. Ich denke, am Ende will ich einfach meinen eigenen Sound erzeugen, mein eigenes Genre, oder vielleicht auch mein eigenes Anti-Genre. Einfach etwas machen, was den Dialog der Musik vorantreibt, und dabei mehr ich selbst werden als irgendwas anderes.
Text und Interview von Mark McNeill
Fotos von Sam Lee
Mehr zu Pachyman gibt es auf seiner Webseite, Instagram und Bandcamp