Nosaj Thing: Bild und Musik im Werden
Als sich in Los Angeles die Beat Scene aus dem Untergrund herausschälte, ging es ganz ausschließlich um die Musik. Dabei war eine Vielzahl von Talenten richtungsweisend und sorgte dafür, dass in dieser Musik lauter Rekombinationen stecken würden, darunter frühe Schlüsselfiguren wie Daddy Kev und Ras G, aber auch hochkarätige Künstler wie Flying Lotus, Daedalus und andere. Da kamen Hiphop, Jazz, Eletronik und jede Menge andere Musikstile von den Plattentellern und aus den Laptops. Visuals hatte niemand in dieser Szene auf dem Radar. Noch nicht.
Das änderte sich langsam, als die LA Beat Scene um 2009 herum international Anerkennung erntete. Seitdem haben viele Musikschaffende aus dieser Sparte eine starke visuelle Identität entwickelt. FlyLo ist bekannt für seine cineastischen Musikvideos, bei denen er oft selbst Regie führt, und hat bereits mit holografischen Live-Visuals in 3D gearbeitet. Während The Glitch Mob natürlich mit ihrem futuristischen, multimedialen Bühnenaufbau „The Blade" aufwarten, prägt Daedelus den Markt für Shows in eleganter Dandykleidung.
„Fog" – ein Track von Nosaj Things Debütalbum „Drift"
Schon bei seinem Erstling Drift von 2009 war dem Beat-Produzenten Nosaj Thing (aka Jason Chung) klar, dass er bei seinen Live-Auftritten dynamische Visuals haben wollte. Chung erzählt Ableton, wie er an den Plattentellern groß geworden ist, die DJ-Battles von Disco Mix Club (DMC) und The International Turntablist Federation (ITF) besuchte und ursprünglich Grafikdesigner werden wollte. Da war es nur natürlich, dass es ihn in diejenigen Grenzregionen treiben würde, wo sich Sound und Bild begegnen.
„[Meine ganze Karriere über] habe ich erforscht, wie ein Projekt mit Elektronischer Musik in ein Live-Erlebnis mit Visuals überführt werden kann”, sagt Chung. „Das geht vielen so. Viele aufstrebende Produzent:innen wollen auftreten und Visuals dazu haben, wissen aber nicht, wo sie anfangen sollen. Der Gedankengang ist: Willst du Visuals haben und eine ganz neue Welt erschaffen? Du kannst mit unterschiedlichen Medien arbeiten, mit Licht, Projektionen, Objekten, Gerüchen.
Das Wichtigste sind das Konzept und die Richtung und nicht bloß, etwas interessant aussehen zu lassen."
Drift: Eine visuelle Schöpfung
Als Chung Drift veröffentlicht hatte, stellte sich für ihn und sein Umfeld bald heraus, dass sie Aufmerksamkeit erregt hatten. Aber es handelte sich nicht um ein rein regionales oder nationales Interesse. Konzertorte rund um den Erdball wollten, dass Nosaj Thing, Flying Lotus und andere vor Fans spielen, die nach ihrer Musik in einem Live-Setting lechzten.
Chung, der gerade mit The xx auf Tour gewesen war und sie geremixt hatte, spürte, dass die Zeit reif für eine eigene Show war.
Um das Live-Erlebnis von Nosaj Thing mit visuellen Elementen zu bereichern, recherchierte er Lichtinstallationen und Videoprojektionen von anderen Musikern und Künstlern. Diese hatte sich Chung angeschaut und – ergänzt durch YouTube-Videos – seine ersten Forschungen zu Live-Visuals unternommen.
„Zu der Zeit als ich mit der Recherche anfing, hat mein damaliger Mitbewohner, Adam Guzman, Medienkunst studiert. Er wollte da einfach mitmachen und mir beim Entwickeln helfen", berichtet Chung. „Ich glaube, zum ersten Mal standen wir damit in diesem Kino The Independent auf der Bühne, das war in Downtown-L.A. [2009] und es war so ein einmaliger Abend, den Brainfeeder organisiert hatte. Ich bin vor einer Kinoleinwand aufgetreten, so als Silhouette, wie am Anfang von Disneys Fantasia."
„Diese Visuals haben in mir etwas ausgelöst, denn als Bedroom-Producer ist man das Rampenlicht nicht gerade gewöhnt. Wir spielen ja nicht Gitarre oder singen oder sowas", ergänzt er. „Aber ich fand dann doch, dass die Bewegungen und die Silhouette etwas total Interessantes und Kraftvolles hatten."
Mit Fantasia als Vorbild konzipierten Chung und Guzman eine Projektion aus Bewegtbildern, die als Farbstudie angelegt war. Für jeden Song hatten sie eine Farbe mit einfachen Animationen ausgewählt, um die Performance zum Leben zu erwecken. Chung erinnert sich, dass Guzman damals die Clips mit der Software Modul8 triggerte.
„Eine andere Referenz, die wir uns immer wieder anschauten, war der Film Stop Making Sense von den Talking Heads, wobei das eher Performance-Kunst war", so Chung. Im Vorspann betritt David Byrne bedeutungsvoll die Bühne, drückt auf einem Kassettenrekorder Play, spielt den Beat von ,Psycho Killer' ab und spielt danach Akustikgitarre dazu.
„Adam kannte sich damit schon voll aus", berichtet Chung. „Er hat ja Grafik- und Mediendesign studiert. In der Hinsicht war es eine super Zusammenarbeit, weil ich ursprünglich Grafikdesign lernen wollte und mich stattdessen für Musik entschieden hatte. Deshalb hat es mir eine Menge bedeutet, mir dieses Interessensfeld durch meine Auftritte zurückzuholen."
Andere Realitäten mit Daito Manabe
Nach der Drift-Tour begann für Chung der nächste Karriereabschnitt – eine gleichermaßen hochproduktive wie auch experimentelle Zeit. Musikalisch legte er einen anderen Gang ein und produzierte mehrere Hiphop-Stars, wie Kid Cudi, Kendrick Lamar und Chance the Rapper. Und wieder übertrug sich der Impuls der Zusammenarbeit auf das Visuelle.
Als er 2012 für Home, den Nachfolger von Drift, an neuen Live-Visuals forschte, stieß er auf die Arbeiten des japanischen Künstlers Daito Manabe. Als Programmierer, Interaktionsdesigner und VJ hatte Manabe kürzlich für Electric Stimulus to Face große Aufmerksamkeit von Feuilletons und Social-Media-Kanälen geerntet. Diese Performance machte sich Sound zunutze, um Gesichtsausdrücke zu erzeugen. Das erreichte Manabe, indem er myoelektrische Sensoren an Gesichtsmuskeln anschloss, die abhängig von bestimmten Tonsignalen zu zucken begannen. Von diesen Testreihen hat Manabe mehrere auf seinen YouTube-Kanal hochgeladen und genau dort stieß Chung zum ersten Mal auf seine Arbeiten.
„Ich dachte mir, Mann, das ist so abgefahren, den Typen muss ich unbedingt anschreiben", erinnert sich Chung. „Damals war Twitter noch verdammt neu, das muss so 2010 oder 11 gewesen sein. Dort habe ich ihn gefunden und direkt eine kurze Nachricht geschickt."
Manabe antwortete kurz darauf und sagte, er kenne Nosaj Thing und sei bei der LA Beat Scene grob auf dem Laufenden. Bald entdeckte Chung, dass Manabe musikalisch ähnlich tickte wie er, stolzer Besitzer von allen J-Dilla-Alben war und sogar wusste, wie Scratchen funktioniert. Die beiden vereinbarten eine Kollaboration, die sich zu einer längeren kreativen Partnerschaft entwickelte.
„Ich hatte mich noch nie online mit jemandem zum Arbeiten getroffen. Ich habe ihm ein paar Sachen geschickt, an denen ich gerade saß und er meinte, yo, lass uns ein Musikvideo machen", erinnert sich Chung. Als Basis für das gemeinsame Video diente den beiden „Eclips/Blue", ein Track von Nosaj Things 2013er Album Home, dem Kazu Makino von Blonde Redhead ihre Stimme geliehen hatte.
„Mit dem Creators Project vom VICE-Magazin hatte Daito schon eine Kooperation gehabt und sie sagten zu, bei der Umsetzung des Videos zu helfen", erklärt Chung. „Das machte dann nach der Veröffentlichung die Runde, weil Daito da an einer ganz neuen experimentellen Technologie gefeilt hatte."
Für das Video hatte Daitos Team die choreographierten Bewegungen von zwei Tänzerinnen getrackt – eine vor der Leinwand, eine weitere dahinter. Dazu wurden in Echtzeit von Daito programmierte Animationen auf die tanzenden Körper projiziert. Das Ergebnis ist eine faszinierende und psychedelisch wirkende Fusion aus Körperbewegungen und Computeranimationen.
Nach dem Erfolg von „Eclipse/Blue" wurde Chung und Manabe klar, dass sie mit dieser Technologie tatsächlich auch auftreten konnten. Sie wollten damit auf Tour gehen, aber das Budget und die Logistik hätten ein ganzes Team erfordert und das stellte unmittelbar ein Problem dar. Eine Wiederholung im Liveformat musste also warten.
Im Anschluss an die Veröffentlichung von Home experimentierte Chung mit unterschiedlichen Live-Visualisierungen für seine Shows. Eine der von ihm verfolgten Ideen war es, eine Rückprojektion auf Nebel zu werfen, der sich durch den dreidimensionalen Raum bewegt. Auf diese Weise spiegelte das visuelle Schema bei Home auch dessen Klangpalette wider: Die Landschaften aus Licht passten zu den tiefen Ambientschichten, kontrapunktiert von minimalistischen, programmierten Beats. Doch oftmals gab es bei den Gigs auf der Home-Tour bis auf Standardbeleuchtung nur rudimentäre Visuals.
„Für mich war es an der Zeit, mich auf die musikalische Seite des Livesets zu konzentrieren", sagt Chung. „Meine Ressourcen und mein Budget für die Shows, die ich mir vorgestellt hatte, waren gering."
Nosaj Things Ansatz, die Visuals auf der Bühne lo-fi zu halten und selbst zu bauen setzte sich mit seinem 2015 veröffentlichten Album Fated fort. Als er beim Touren mittendrin war, schlug das Schicksal zu: Diebe brachen in Chungs Tourbus ein und stahlen alles, auch die Festplatten mit den Stems für sein nächstes Projekt, die EP No Reality, deren Release mit einer Tour mit Manabe zusammengefallen wäre.
„Das war ein Riesenschock. Es war das erste Mal, dass ich meine komplette Arbeit verloren habe, weil ich alle Festplatten dabeihatte", berichtet Chung. „Sogar meine Backups waren gestohlen, das war eine echt bittere Pille. Alles was ich tun konnte, war es als Anlass zu nehmen, um neu anzufangen, es zu verfeinern und besser zu arbeiten."
Als die EP No Reality von Grund auf neu geschrieben war, hatten Chung und Manabe schließlich doch die gleichnamige Tour aus der Taufe gehoben. Beim Konzept handelte es sich um eine Weiterentwicklung der audiovisuellen Vorlage, die „Eclipse/Blue" geliefert hatte. Die Premiere fand während des Musikfestivals Taico Club in Japan statt. Das Stück bestand neben drei X-Box-Kinect-Kameras, die im Dreieck um das audiovisuelle Setup der beiden aufgestellt waren, auch aus einer Person, die sich filmend um die Bühne herum bewegte. Das Bilder-Potpourri schuf eine Parallele zwischen den realen Personen Chung und Manabe und ihren virtuellen Avataren, die in Echtzeit mit den programmierten Visuals verschmolzen.
Ein kurzer Blick hinter das Live-Setup der No-Reality-Tour von Nosaj Thing und Daito Manabe
„Wir haben es No Reality genannt, weil man zwar vorn auf der Bühne direkt alles sieht, was mit uns passiert, aber gleichzeitig auch eine alternative Realität über die Kameramonitore", erklärt Chung. „Live passierte das alles parallel, es war also, als könnte man in Echtzeit eine parallele Wirklichkeit erzeugen, bei der man die Kameraperspektive wie in einem Videospiel verändern kann."
„Alles lief perfekt synchronisiert", so Chung weiter. „Daito bekam alle MIDI- und Audioinformationen von meinem Laptop in sein System eingespeist, das 3D-Rendering und Processing passierte live. Außerdem habe ich einen Anzug getragen, der meine Bewegungen erfasst hat und an sein System angeschlossen war, dazu hatte ich eine Kamera auf dem Kopf, um von der ersten zur dritten Person umzuschalten. Es war echt verdammt cool."
Mit No Reality waren Chung und Manabe mehrere Jahre lang intensiv auf Tour und schafften es neben mehreren Sónar-Festivals auch zum Coachella. Doch wie es von den beiden zu erwarten war, handelte es sich um eine ständig weiterwachsende audiovisuelle Verbindung. Mit der Zeit gestaltete Manabe sein Setup schlanker und effizienter, nutzte aber innovativere Technologien für das 3D-Tracking.
„Auf visueller Ebene wurde ich mehr einbezogen", wie Chung sagt. „Ich bin rüber nach Japan geflogen und wir haben allem den Feinschliff verpasst. Ich wurde mehr an der Farbgebung beteiligt und habe zu jedem Clip Feedback gegeben. Anfangs hatte Daito ja alles nur mit seinem Team gemacht."
Licht und Nebel
Als Chung damals beim Festival Taico Club die Premiere von No Reality zeigte, hatte er auch das Vergnügen, Autechre live zu sehen. Obwohl es ja beinahe eine Fehlbezeichnung ist, bei dem Kultduo von sehen zu sprechen. Im Laufe der Jahre haben sich Sean Booth und Rob Brown einen Namen damit gemacht, in absolut pechschwarzen Räumen aufzutreten. Dahinter steckt die Idee, dass die Dunkelheit eine Leere beziehungsweise eine Leinwand bietet, auf der die Sounds für das Publikum eine dreidimensionale Qualität entfalten.
„Diese Show von Autechre hat mich auf jeden Fall inspiriert", erinnert sich Chung. „Was mir daran so gut gefallen hat, war, dass es mich daran erinnerte, dass es bei Visuals keine Regeln gibt. Es geht eher darum, ein Erlebnis zu erschaffen, das dein Publikum hören und sehen soll. Ich finde, für Autechre macht das total Sinn, weil das meiste von ihrer Musik so detailreich und kompliziert programmiert ist."
„Ich habe auch ein Konzert von Dean Blunt als Babyfather gesehen, da hatte er den ganzen Saal mit Nebel ausgefüllt und alles mit gleißenden, weißen Flutlichtern beleuchtet, so dass es wahnsinnig hell war", so Chung weiter. „Man konnte überhaupt nichts sehen. Noch nicht einmal die Hand vor Augen, es war irre. Das war das Gegenteil von Autechre, es hat etwas ganz anderes in mir ausgelöst. Ich hatte das Gefühl, das ist das Leben nach dem Tod oder sowas."
Als es 2017 darum ging, sein Album Parallels live zu spielen, stand Chungs Konzept fest: Das Thema würde Raum und Licht sein. Er wollte auf die atmosphärische Palette aus Licht und Nebel zurückgreifen, die er damals für seine Gigs auf der Home-Tour eingesetzt hatte.
Auf dieser Tour wollte er aber allein auftreten. Deshalb nahm er vorab die Unterstützung von einem befreundeten Lichtdesigner in Anspruch, Matt TK. Mithilfe von MIDI-Daten konnte er sowohl den leistungsstarken Laser Clubman 3000 als auch ein Stroboskop ansteuern und modellierte faszinierende Texturen und Effekte auf den durch den Raum wabernden Nebel.
Nosaj Thing performt Parallels mit seinen Triokollegen Stroboskop und Laser
„Ich habe es geschafft, die Elemente mit Ableton Live zu triggern", berichtet Chung. „Ich habe MIDI-Clips so gezeichnet wie man Drums programmieren würde. Außerdem habe ich mir vorgestellt, dass ich mit einer Band auftrete, ich stand also links auf der Bühne, das Stroboskop stand in der Mitte auf einem 10 Fuß hohen Stativ und der Laser stand rechts. Das Stroboskop war quasi der Sänger, in den die Hauptphrasen der Stücke einprogrammiert waren, während der Laser jede Atmosphäre bestimmt und den ganzen Konzertsaal ausgefüllt hat."
„Ich wollte außerdem die Laserbewegungen verlangsamen, weil ich eigentlich bisher keine Laser kannte, die so programmiert waren", fügt er hinzu. „Ich wollte das wirklich erforschen und dabei so weit wie möglich gehen. Extrem gern würde ich noch einen Schritt weiter gehen und mit mehr Lasern arbeiten und vielleicht sogar Spiegel benutzen."
Eine Überwachungsstudie
Kaum hatte Chung mit Licht und Nebel die Grenzen seines Setups ausgelotet, legte er visuell schon wieder einen neuen Gang ein. Ähnlich wie seine Bekanntschaft mit Manabe nahm auch diese Kollaboration online ihren Lauf, nämlich als Ben Wegscheider, der Mann hinter dem exquisiten Designstudio Bureau Cool, ihm eine E-Mail schickte.
„Bureau Cool sagte mir gar nichts", erinnert sich Chung. „In der Betreffzeile stand ,Deine Website könnte verbessert werden' oder was in der Richtung. [Er lacht.] In der Mail gab es einen Link zu seiner Website und sowas hatte ich noch nie gesehen.
Damals im Sommer [2016] haben wir uns in Deutschland getroffen und wir verstanden uns sofort so gut, als wären wir schon lange Freunde", erzählt Chung. „Er ist Programmierer und mit Skateboardfahren und Graffiti groß geworden. Wir haben ein paar Ideen ausgetauscht und er hat dann die Webauftritte für meine letzten Releases gestaltet."
Beim Design des interaktiven Webauftritts zur EP No Reality griff Wegscheider auf ein browserbasiertes Toolkit zurück, das es den Besucher:innen erlaubt, mit den Visuals, den Bewegungen und der Schriftart der EP zu spielen. Die animierte Tour-Website zu Parallels von Nosaj Thing führte die beiden erneut als Team zueinander. Durch Scrollen auf der Website konnte man das statische Albumcover in Bewegung versetzen und es manipulieren. Nach diesen ersten visuellen Gemeinschaftswerken entwickelten Chung und Wegscheider dann Ideen für die Bühnenshows von Nosaj Thing.
„Bei mir war ja eine Zeit lang alles so hi-fi und clean geworden, dass wir schauen wollten, wie weit wir mit preiswertem Lo-fi-Equipment kommen", meint Chung. Zu diesem Zweck beschafften sich Chung und Wegscheider mehrere billige, WLAN-fähige Nachtsichtkameras und verliehen den Bildern damit eine „Überwachungsästhetik". Sie wollten bei jeder Live-Show den Raum erforschen und experimentierten deshalb mit der Platzierung der Kameras, die für jeden Saal anders ausgerichtet wurden.
„Mit Daito war es sinnvoll, dass wir vorn in der Mitte stehen, aber dieses Mal war es eher eine Überwachungsstudie, bei der es wenig Sinn hatte, dass Ben und ich im Zentrum sind", so Chung. „Stattdessen standen wir uns an den äußersten Bühnenrändern gegenüber, so dass man unsere Sihouetten nur im Profil sehen konnte.
Eigentlich sind wir damit nicht oft genug aufgetreten, um es vollständig umzusetzen", grübelt Chung. „Es kommt mir vor, als ob jede meiner Shows ein ständiges Experimentieren ist und dass deshalb auch keine vernünftig dokumentiert wurde. Und das Experiment läuft immer noch weiter."
Zurück zum Anfang
Mit dem Ende der Parallels-Tour hatte Chung beinahe 10 Jahre an Konzertreisen hinter sich. Rückblickend stellt er fest, dass diese Zeit ein facettenreicher Segen war. Er hat einiges von der Welt gesehen, kam dabei in Kontakt mit vielerlei Publikum und konnte viele seiner Lieblingskünstler live sehen. Aber für Chung war dieses Leben ein zweischneidiges Schwert.
„Diese Energie werde ich mir für den Rest meines Lebens bewahren und sie wird mich bestimmt weiter inspirieren", sagt Chung. „Aber irgendwie konnte ich nicht so richtig meinen Fokus finden und über mein Handeln nachdenken."
All das hat die Covid-19-Pandemie für Chung neu sortiert. Plötzlich hatte er alle Zeit der Welt. Dieses Gefühl hatte er schon seit den Aufnahmen seiner Debüt-Platte Drift nicht mehr.
„Diese Haltung begleitet mich jetzt weiter, diese Ruhe, diese Pause, die sich ganz stark auf meine Arbeitsweise ausgewirkt hat", beschreibt Chung. „Früher habe ich immer den Druck gespürt, dass ich gehetzt werde. Während du noch am Album gesessen hast, hieß es immer, hey, wir müssen jetzt den Tourplan festlegen. Das ist für die Kreativität nicht gesund.
Dazu kommt, dass ich so viel getourt bin, dass sich die Musik im Kontext der Bühnenenergie verändert hat", verrät Chung. „Anstelle von Downtempo-Beats oder fröhlicheren Tracks, die ich immer noch spielte, wollte ich welche mit mehr Energie für den Dancefloor machen. Jetzt schreibe ich das Album, das ich schon immer machen wollte. Es ist eher eine Fortsetzung von meiner ersten Platte, nur weitergedacht."
Chung hofft, dass ihm die Auszeit während der Pandemie dabei hilft, ein weiteres Ziel der ersten Stunde weiter zu verfolgen, nämlich das Produzieren für andere. Für ihn baut das neue Album eine Brücke zu einer solchen Arbeitsweise.
„Als ich in der Highschool mit Beatmaking angefangen habe, wollte ich genau das machen", so Chung. „Ich wollte so sein wie Neptunes, Timbaland oder Dre. Ich wollte eigentlich immer die Produzentenspur fahren. Jetzt will ich eher so produzieren wie Ryuichi Sakamato [Yellow Magic Orchestra] oder Brian Eno das über die Jahre gemacht haben. Vielleicht liegt das einfach an dem Alter, in dem ich gerade bin."
Aber das heißt nicht, dass Chung nie wieder touren will. Das wird er. Aber wenn Chung wieder auf der Bühne steht, dann will er sich sicher sein, dass er alles richtig macht. Und noch ist der richtige Weg eine offene Frage. Er weiß nur, dass die gesamte Bühnenshow durchdachter und idealerweise niemals überstürzt sein wird.
„Festivals schießen wieder hervor und ich will zwar unbedingt sehen, was aus meiner nächsten Show wird, aber ich habe keine Eile", meint Chung. „Man kriegt so mit, oh, wir müssen damit jetzt weitermachen und statt sich die viele Zeit zu nehmen, um sich zu überlegen, wie das ausgestaltet werden könnte, stürzen sich da manche Hals über Kopf hinein."
„Ich finde, ein maßvollerer Ansatz und sich ein paar mehr Gedanken zu machen, ist eine gute Sache. Gerade jetzt... jetzt ist ein guter Zeitpunkt, sich diese Zeit zu nehmen."
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Text und Interview: DJ Pangburn