Texturen vermischen: Flore über fließende Clubmusik
Die Genregrenzen in der Elektronischen Musik lösen sich nach und nach auf, weil immer mehr Producer Abwechslung in ihren Sound bringen. So überraschte Donato Dozzy, der italienische Meister, der bekannt für sein illustres Minimal-Techno-Label ist, seine Fans letztes Jahr mit einem Drum-and-Bass-Remix. Die Hip-hop-Legende J Rocc vollzog eine ähnliche Kehrtwende, als er 2013 sein elektronisches Alter Ego Flaunt Edwards bekannt gab.
In der Arbeit der französischen Producerin Flore bildet stilistische Durchlässigkeit ein zentrales Element. Nach fast zwei Jahrzehnten im Studio und am DJ-Pult hat sich die Lyoner Künstlerin eine rhythmisch diverse Klangpalette erarbeitet, die zwischen Dubstep, Ambient und Slow-Burning-Techno changiert.
“Leute, die gern Bass hören, sagen zu mir, dass ich Techno mache und umgekehrt genauso”, erzählt sie am Telefon und lacht.
In der Folge ihres Debütalbums RAW von 2010, erschienen beim britischen Label Botchit & Scarper, wurde Flore zunächst synonym mit partyanfachenden Breaks gehandelt. Aber zieht man ihre aktuellen Projekte heran – drei EPs und ein neues Album mit dem Titel Rituals , dann wird klar, dass sich ihr Geschmack hin zum Dunkleren und Experimentelleren entwickelt hat.
Rituals, das im April auf ihrem eigenen Label POLAAR herauskam, bildet den Kulminationspunkt dieser großen Klangexpedition. Das Werk liefert mit seinen zehn Tracks atmosphärische Clubmusik, versetzt mit Halftime-Passagen und intelligentem Jungle aus der Mitte der 90er. „Coded Language“ und „Numen“ spielen mit Elementen wie treibenden Bässen und furistischen Synths, während die tribal-lastigen Beats im Track „Evidence“ beim Hören eine tiefe Hypnose auslösen. Dazwischen helfen die weichen Soundscapes und sanften Harmonien in Stücken wie “Rituals“ und “Psykhe Pt. 3“ dabei, die Intensität des Albums auszubalancieren.
„Ich verstehe es ehrlich gesagt nicht so richtig, wenn sich Kunstschaffende an einer BPM-Zahl festhalten”, sagt Flore. “Man muss doch beim Musikmachen neugierig sein, sonst läuft man Gefahr, zu einem Klischee zu verkommen. Es ist doch schön, wenn man ein breites Spektrum an Tools hat, um Spannung und Freude auszuloten.“
“Bleib dir immer selber treu.“
In ihrer frühen Phase konzentrierte sich Flore darauf, einen britischen Sound zu entwickeln, aus dem sie, wie sie sagt, inzwischen herausgewachsen ist. “Manchmal verliert man als Künstlerin die Richtung, aber es geht doch immer darum, die richtige Balance dazwischen zu finden, die Crowd zum Tanzen zu bewegen und den eigenen Sound rüberzubringen. Es gab einen Punkt, an dem mir klar wurde, dass ich Abstand brauchte, um zu überlegen, in welcher Dimenstion ich sein wollte ohne mich zu verstecken.“
Dieser Wendepunkt hat sich dann 2015 materialisiert, als sie mit einem Team von visuellen Künstler:innen eine Liveshow entwarf, die später ihr neues Album inspirieren sollte. Dieser schicksalhafte Gig führte Flore zu Ableton Live und motivierte sie, einige Monate später ihr Label POLAAR zu gründen. Inzwischen ist Flore Ableton Certified Trainer und hat außerdem vor kurzem ihre neue Live-Performance für Rituals vorgestellt.
“An diese erste Liveshow bin ich introspektiv rangegangen“, erklärt sie. “Ich hatte den Wunsch, meine musikalischen Wurzeln neu zu untersuchen. Deshalb sind alle Projekte auf Rituals sehr persönlich, ich klinge dort nach mir selbst.“
Unter anderem waren es Björk und Goldie, die Flore an Elektronische Musik herangeführt haben – da ist es keine Überraschung, dass ihre Stücke ätherische Qualitäten aufweisen, die diesen Schwergewichten ähneln.
“Einer meiner großen Brüder arbeitete damals in Lyons erstem Plattenladen, dadurch bin ich auf Triphop gestoßen. Ein weiterer großer Moment war, als ich Björks ‘Human Behaviour’ entdeckt habe. Sie ist 1996 in Lyon aufgetreten und Goldie war der Support-Act. Ich erinnere mich noch daran, wie er ‘Timeless’ mit Diane Charlemagne gespielt hat, das war wie ein Signal, auf das ich mein ganzes Leben lang gewartet hatte.“
Zwischenspiel
Für Flore sind beim Komponieren die Elemente zentral, die aufeinander reagieren und keine Melodien. Normalerweise beginnt sie ihren Prozess mit Samples, die sie aus verschiedenen Quellen heranzieht, darunter auch ihre Plattensammlung.
“Beim Track ‘Congos’ fing alles mit so einem merkwürdigen dissonanten Flötensample an, das ich in einer französischen Radiosendung namens , L’Afrique Enchantee entdeckt hatte“, wie sie berichtet. “Ich liebe es, irgendwelche Samples zu nehmen und dann zu schauen, wie es klingt, wenn man sie ganz weit runterpitcht oder sie durch eine Kombination von Effekten schickt.“
Wenn sie nicht gerade ein Melodiesample im Kopf hat, beginnt Flore ihren künstlerischen Prozess mit 808-Drums. Für gewöhnlich schreibt sie parallel dazu eine MIDI-Sequenz, während sie ihre eigenen Drumsamples im Drumrack ständig erneuert. Später nimmt sie Audioeffekte hinzu – eines ihrer Lieblingstools ist dabei Guitar Rig.
“Was mir beim Musikmachen wirklich hilft, ist eine Kombination von Effekten zu finden, die mit Lautstärke und Klangfarbe interagieren kann. Man mag ja eine gute Idee für eine Melodie- oder Drumsequenz haben, aber wenn man sie achtmal angehört hat, findet man sie vielleicht ziemlich öde.“ Der Trick bei Effekten besteht darin, subtile Variationen zu schaffen, so dass ein Beat beim Wiederholen nicht so langweilig wird.“
Als sie das Set von Effekt-Racks beschreibt, die sie freundlicherweise für die Ableton-Community zusammengestellt hat, merkt sie an, dass diese einem Sound eher kleine Bewegungen als große Variationen verleihen. Gebaut hat sie ein Modulationsrack mit Frequency Shifter –„prima für kleine Überraschungen,”und besonders für kurze Töne geeignet –sowie einen Basssound mit Wavetable, „bei dem ein Rack mit einem Frequenzmodulator dem Sound ein Grollen verleiht, um ihn abzudunkeln.” Ihre Sammlung von Racks beinhaltet auch ein FX-Pad, bei dem weitere Frequenzmodulatoren für Bewegung und einen mystischen Touch sorgen, wie sie erklärt.
Laden Sie jetzt kostenlos die Effekt-Racks von Flore herunter
Hinweis: Sie benötigen hierfür Ableton Live Suite. Im Livesets finden Sie für jeden Track mehrere Racks. Spielen Sie die Clips einzeln ab, um die Racks hören zu können.
Das Standardsetup besteht bei Flore aus Live, dem analogen Synthesizer Lyra-8 von Soma Laboratory sowie externer Software für Mixdowns, etwa von Universal Audio. Für ihre neue Liveshow hat sie Liebhaberstücke wie den modularen Quad Drum Voice des deutschen Herstellers VPME hinzugenommen.
„Wenn ich Tools außerhalb von Live dazunehme, dann um Überraschungsmomente und Unberechenbarkeit in meinen Workflow einzubinden”, erklärt Flore. „Ich kenne mich mit Live sehr gut aus, deshalb passiert es mir leicht, dass ich in meinen Gewohnheiten stecken bleibe.”
Was steht denn als Nächstes an für eine Musikveteranin, die immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen ist?
„Also, vor Kurzem habe ich einen Housetrack gemacht mit dem Titel ,Ich und Pico', der entstand in drei Takes und nur mit Modulargeräten. Das Stück ist ganz anders als meine Projekte auf Rituals , es ist simpel und minimalistisch, während Rituals vielschichtiger ist. Das zu produzieren hat eine Menge Spaß gemacht, also warum nicht, vielleicht mache ich eines Tages mehr House!”
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Text und Interview: Nyshka Chandran