MidiVolve von Coldcut: Evolution und Revolution
Für die britischen Elektro-Pioniere Coldcut, Gründer des legendären Labels Ninja Tune und angesehene Technikexperten – aka Matt Black und Jonathan More – ist 2017 ein großes Jahr. Nicht nur, dass es das 30-jährige Bestehen ihrer Formation markiert und die Veröffentlichung der damaligen Single „Beats + Pieces“ (woraufhin alsbald ihr bahnbrechender Remix von Eric B und Rakims „Paid In Full“ folgte), nein, in diesem Jahr erscheint auch MidiVolve, ihr neues Pack für Max for Live.
Als Pattern-Sequencer, Arpeggiator und auf neuronalen Netzwerken beruhender Riff-Generator transformiert MidiVolve eingespielte oder importierte MIDI-Clips. Notenweise werden mehrere Parameter „weiterentwickelt“ (Anschlagsstärke, Tonhöhe, Notenlänge etc. sowie zwei frei zuweisbare Pfade), wobei die Anwender jeweils den Grad und die Wahrscheinlichkeit bestimmen können. Eingespeiste MIDI-Daten werden als Arpeggio oder automatisiertes Riff angeordnet, bereit für die Transformation, ausgelöst durch einen einzigen Klick auf die Schaltfläche Evolve oder automatisch nach 1 bis 32 Loops, wenn der Auto-Modus aktiviert ist. Das Endergebnis ist entweder ein neues Pattern, das auf den ursprünglichen MIDI-Noten beruht und sich bei Bedarf ändern lässt oder es entsteht ein sich kontinuierlich ändernder Melodielauf. Auf diese Weise können mit MidiVolve originelle Melodielinien effizient geschaffen und verfeinert werden, um sie dann mit einem Klick in Lives Session-Ansicht zu exportieren.
„Ich finde es toll, die Konventionen der Elektronischen Musik auszuloten“, erklärt Matt auf die Frage hin, wie MidiVolve entstanden ist. „Es war schon lange mein Traum, ein Stück zu machen, das so brilliant ist wie Steve Reichs Music for 18 Musicians, wo einfache Parts subtil variiert werden, um komplexe organische Ergebnisse zu erzielen. Da mir im herkömmlichen Sinne jegliches musikalisches Handwerkszeug fehlt, dachte ich, ich könnte eine Software entwickeln, die mir beim Komponieren hilft. Das Ergebnis ist MidiVolve. Es kommt auf interessante musikalische Ideen, die ich niemals spielen könnte und lässt mich vorhandene Ideen weiterentwickeln und sie mit großartigen Sounds spielen.“
Diese großartigen Sounds bestehen aus über 1 GB an mitgelieferten Instrumenten und Audio-Effekt-Racks, die aus Coldcuts eigenen Arbeiten und vom Johannesburger Sampling-Experten (und Ableton-Trainer) Behr stammen. Die erstklassig aufgenommenen Instrumente bilden das perfekte Klangmaterial für das Mahlwerk von MidiVolve.
„Uns faszinierten seine akribisch gesampleten afrikanischen Instrumente, z.B. die Zeze und die Mbira“, erinnert sich Matt. „Indem wir die Racks aus diesen akustischen Samples zusammensetzten, ihnen aber einige Freiheit zugestanden, konnten wir in den interessanten Grenzbereich zwischen synthetisch und akustisch vordringen. Man kann einen akustischen Instrumentalklang nehmen und so viele Effekte einsetzen, dass von ihm keine Spur mehr auszumachen ist.
Auch in anderen Racks wie Stabcussion und Brake Machine stecken die Vintage-Klänge von Coldcut im Gewand zeitgemäßer Instrumente. Bei Coldcut geht es um dem Mix von analog und digital, Mensch und Maschine, alt und neu.“
Wie Matt erklärt, manifestiert sich der Einfluss von Steve Reich in der wirkungsvollen Auto-Evolve-Funktion. „Bei Music for 18 Musicians geht es um die Komplexität, die entsteht, wenn einfache Parts mithilfe von Systemtheorie und Phasenverschiebung miteinander kombiniert werden. Das ist organische Variabilität verbunden mit Regeln, wobei die individuellen Bestandteile nicht so wichtig sind wie ihre Gestaltbildung miteinander. Durch die Auto-Evolve-Funktion in MidiVolve können User damit experimentieren, wie bei mehrfacher Anwendung ähnliche komplexe Interaktionsmuster entstehen. Wenn bei Auto-Evolve mehrmals die gleiche Zahl der Loops bzw. ein Teiler davon gewählt wird, koordiniert sich die Evolution wie ein Ensemble im Zusammenspiel.
Die vorläufigen Tests belegen, dass MidiVolve musikalisch komplexe und zufriedenstellende Ergebnisse erzeugen kann. Ich persönlich würde gern mehr zusammenhängende Elektronik-Werke in Albumlänge hören. Ob sich Steve Reich deshalb Sorgen machen sollte, das wird sich zeigen…“
Da Matt vor Coldcut als Programmierer gearbeitet hat, ist es kein Wunder, dass technische Neuerungen für die künstlerischen Bestrebungen des Duos schon immer eine wichtige Rolle spielten. Die 90er Jahre über setzten ihre spektakulären Multimediashows den Livestandard für Elektronische Musik. Die bei ihrem 1997 veröffentlichten Album Let Us Play enthaltene CD-ROM verfügte über interaktive Funktionen und führte letztlich zur Realisierung der viel beachteten App Ninja Jamm für iOS und Android. Nach 30 Jahren der Reise bieten Coldcut mit MidiVolve eindeutig ihre bisher professionellste Software an, sowohl in technischer als auch in konzeptueller Hinsicht. Die automatisch ausgeführten Kompositionsaufgaben reichen von tiefgründig und vergeistigt am einen Ende der Skala bis niederschwellig und hochproduktiv am anderen Ende.
„MidiVolve ist für Leute wie mich, die es lieben, Elektronische Musik zu machen, aber keine musikalische Ausbildung haben“, sagt Matt. „Du brauchst zum Loslegen nur einen Knopf zu drücken, die Grundfunktion ist also ganz einfach anzuwenden. Daneben gibt es die erweiterte Funktionsweise mit umfassenden Kontrollmöglichkeiten für die User. [MidiVolve] soll Musikern eine einfach zu bedienende Quelle für musikalische Ideen liefern und die Möglichkeit bieten, ein einfaches Riff mit Variationen zu entwickeln, damit es interessant bleibt. Man könnte es als Buffer Shuffler für MIDI bezeichnen, kombiniert mit einem gepimpten Arpeggiator.
Selbstverständlich“, so resümiert er, „ist es auch für die Leute da, die gern Coldcut, Hiphop, Techno, Acid und afrikanische Sounds miteinander mixen.“
Besuchen Sie die Packs-Seite, um mehr über MidiVolve zu erfahren.
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