Maxime Dangles: Unwahrscheinliche Verbindungen
Für Maxime Dangles ist die Welt ein endloser Raum faszinierender klanglicher Begegnungen – egal, ob er mit Wissenschaftler:innen kollaboriert, um den Einfluss von Klängen auf die Ökosysteme der Meere zu erforschen, oder Anwendungen für Multikanal-Performances baut und sie der Allgemeinheit zur Verfügung stellt.
In der Ableton-Community ist Dangles bekannt für vielschichtiges Sounddesign, eine große Bandbreite an Produktionen und nicht zuletzt seine Max-for-Live-Sequencer. Hinter minimalistischen und intuitiven Benutzungsoberflächen in charakteristischem Orange, Blau und Grün verbergen seine Anwendungen komplexe technische Vorgänge für Musikschaffende jeder Coleur.
Niedrigschwelligkeit ist Dangles ein besonderes Anliegen: Für ihn „liegt die Kraft einer Anwendung in ihrer Einfachheit und ihrem Potenzial, schnell spannende Ideen zu generieren.” Mit Randomisierung sorgt er dafür, dass selbst aus einfachen Ideen unvorhersehbare und dynamische musikalische Ausdrucksformen entstehen.
Die Tools von Maxime Dangles schaffen nicht nur Chaos, sondern auch die Möglichkeit, Ordnung zu schaffen: Um Lücken im Groove präzise zu schließen, können Noten verschoben, die Randomisierung gesteuert und Gate-Längen verändert werden. Auch in seiner eigenen Praxis wechselt Dangles – je nach Tagesform – zwischen kreativen Praxen, die auf Zufall und die auf Ordnung aufbauen.
Wir haben uns mit Dangles auf Zoom unterhalten. Dabei wollten wir wissen, wie er sich von kreativen Hindernissen inspirieren lässt und wie eine künstlerische Residency in außergewöhnlicher Umgebung seine neue Sammlung an Multichannel-Tools beeinflusste. Dangles teilte dabei einige Shortcuts für effektive Patches und gab uns Tipps für Musiker:innen mit, die in Max for Live einsteigen wollen.
Unsere erste Frage galt MDD SnAkE, einem Shapeshifting-Synthesizer, der auf dem „René” von Make Noise aufbaut. Das Tool ist ein gutes Beispiel für Dangles Arbeitsweise und gehört zu den erfolgreichsten, die Dangles je entwickelt hat.
„Ich würde sagen, erstmal ist der so erfolgreich, weil er umsonst ist,” scherzt Dangles, dessen Bescheidenheit für eine tiefe Anerkennung der Arbeit seiner Community zeugt. Im Zuge unseres Gesprächs erwähnt er Dillon Bastan, Monome und das Team von Make Noise und erzählt, dass er die Max-for-Live-Webseite regelmäßig besucht, um sich einen Überblick über die Arbeit anderer Entwickler:innen zu verschaffen.
Er gesteht: „Der [SnAkE] ist auch nicht schwer zu verstehen, und macht außerdem ziemlich viel Spaß. Ich komme auch heute noch immer wieder darauf zurück, wenn ich neue Tracks anfange.”
Dangles hat noch weitere kostenlose Sequencer gebaut:
MDD Marionnette – ein 16-Step-Sequencer, inspiriert von den MIDI-Optionen des Eurorack-Moduls „White Whale” von Monome.
MDD ARPOoO 2 – ein flexibler Arpeggiator, der auf den wichtigsten Funktionen des Jupiter 6 und SH-101 von Roland aufbaut.
Eins und eins zusammenzählen
Sein Interesse für Max/MSP entwickelte Dangles zu einer Zeit, als er auch begann, modulare Synthese zu lernen. Er entwickelte ein Verständnis der Grundlagen von Inputs, Outputs und Signalflüssen sowie für die Gemeinsamkeiten von Max/MSP und der Hardware, mit der er experimentierte.
„Den Monome habe ich mir so vor zehn Jahren gekauft, und ich weiß noch, dass ich ein paar der Patches geöffnet habe und von der Komplexität des Ganzen einfach begeistert war. Da ich ein neugieriger Mensch bin, wollte ich verstehen, was eigentlich für was verantwortlich war und wie das alles zusammenpasste.”
Eines Tages entschloss sich Dangles auf einer langen Zugfahrt, einige Max/MSP-Tutorials anzusehen, und verstand zu seiner eigenen Freude mehr, als er gedacht hatte. Ein Freund hatte ihm empfohlen, Elemente aus Anwendungen, die er mochte, zu copy-and-pasten. Nachdem Dangles Bruchstücke aus bestehenden Patches gesammelt und die Help-Seite entdeckt hatte, fing er an, erste kreative Collagen zu bauen.
Einen Anfang finden
Dangles hat auch heute noch einen zentralen Patch, der all seine Lieblingselemente enthält, und beschreibt seine Max-for-Live-Lernkurve als exponentiell: Wer erstmal einen Sequencer oder Synthesizer gebaut hat, kann Teile alter Patches wiederverwenden, wodurch schnell viele neue entstehen.
Er empfiehlt seinen Ansatz allen, die sich für Max for Live interessieren: „Anderen Tools unter die Haube zu schauen half mir zu verstehen, wie das alles funktioniert, und sorgte am Ende auch für handfeste Ergebnisse… Manche der Gratispacks in Live sind hilfreich, wenn man die Patches öffnet. Building Tools ist auf jeden Fall ein hilfreiches Beispiel, aus dem man Dinge kopieren kann.”
Auch die Max-for-Live-Community hat sich für Dangles als hilfreich erwiesen, wenn es um das Lösen von Problemen jeder Art geht – und er erzählt, dass der kreative Austausch in Foren und auf der Webseite von Max for Live erfrischend positiv bleibt.
Das Persönliche verbinden
Dangles hat mit Max for Live zweifellos einen Raum gefunden, um sich künstlerisch auszudrücken. Die Tools, die er veröffentlicht, folgen einem sorgfältigen Farbcode und eignen sich auch für Einsteiger:innen. Er gesteht uns jedoch, dass sie stets einer persönlichen Herausforderung oder einem eigenen Bedürfnis entspringen – und dass die ersten Versionen seiner Patches meist ein Urwald sind, in dem nur er sich zurechtfindet.
Im generellen Umgang mit Max for Live liegt, so Dangles, auch immer etwas Idiosynkratisches. „Wenn man sich einen Patch von einem Freund anschaut – auch wenn man ein gutes Verständnis für die Tools hat –, dann sieht man nicht unbedingt, warum sie dieses und jenes miteinander verbunden haben, oder Sachen auf eine bestimmte Weise angegangen sind… Ich glaube, wenn ich mir heute die Monome-Patches anschauen würde, die damals mein Interesse an all dem geweckt haben, hätte ich weniger Angst davor – würde sie aber auch nicht unbedingt verstehen.”
Neue Umgebungen
Ein Szenenwechsel bringt häufig neue kreative Möglichkeiten. Und so, wie sich auch die ersten Verbindungen in Dangles Gedankenwelt während einer Zugfahrt ergaben, wurzelt sein letztes Tool „MDD Multichannel Tools” in einer Artist-Residency am SAT in Montreal. Bei der Vertonung eines immersiven Film-Ökosystems arbeitete er mit Unterwasser-Aufnahmen maritimen Lebens, Booten und dem Meer selbst, um das Publikum mit komplexen Fragen der Klimakrise zu konfrontieren.
Die Satosphere des SAT, eine Kuppel mit 157 Lautsprechern und 8 Projektoren, die 360-Grad-Visuals ausstrahlen, bietet Platz für 150 Personen. „Als ich angefangen habe, hier mit Raumklang zu experimentieren, habe ich schnell festgestellt, dass ich meine Sounds nicht irgendwie präzise oder logisch anordnen will, sondern einfach mit dem Konzept von Raum im Allgemeinen spielen will.” Maxime „fand den Effekt unglaublich cool, das Gehirn kann damit einfach nicht umgehen.”
Mit seinen Experimenten mit Raumklang mag Dangles sich auf neuem Territorium bewegt haben, in seinen Multikanal-Anwendungen fand er jedoch, so wie auch in seinen Sequencern, die Freiheit im Verzicht auf kreative Kontrolle. Und gemessen an aller Zeit und Mühe, die in die Entwicklung der Tools geflossen ist, sind diese bemerkenswert unmittelbar: „Ich wollte Sachen, die ich mit meinem Stereo-Setup zu Hause gemacht habe, mitnehmen und mit ein paar Klicks einfach auf ein Multikanal-Soundsystem übertragen.”
Zu den vielen kreativen Tools, die in MDD Multichannel Tools enthalten sind, gehören:
MDD Grain Reverb + MDD Multi Comb Filter to Reverb – zwei hochexperimentelle Raumklang-Reverbs
MDD GrainFlux – ein granularer Synth in dem jedes Partikel auf einen anderen Lautsprecher geroutet werden kann
MDD Supergrains SPAT – ein Synth mit integriertem Sequencer, der jeden Step auf einen anderen Lautsprecher schickt
Der Download zum Pack mit den Max-for-Live-Anwendung findet sich neben einem Spendenlink auf Maxime Dangles Gumroad.
Die Regelmäßigkeit, mit der Dangles in früheren Jahren auf Kompakt und dessen Sub-Label Speicher veröffentlicht hat, gab noch keinen Hinweis auf die verschlungenen Pfade von Kollaborationen, Live-Performances und experimentellen Patchings, die folgen würden – und so ist es auch kaum vorhersehbar, womit der Künstler als nächstes an die Öffentlichkeit gehen wird. Ohne Zweifel ist jedoch, dass Dangles sich auch weiterhin von seiner Neugier antreiben lässt.
In Gesprächen mit Dangles wird sehr deutlich, was ihn antreibt: seine Neigung, die Dinge verstehen zu wollen. Eine Offenheit für all die Dinge, die er noch nicht ausprobiert hat, für neue Arten, sich auszudrücken. Darin liegt etwas Ansteckendes, eine Inspiration für alle, die Max for Live schon lange einmal ausprobieren wollten. Er erinnert uns daran, wie wichtig es sein kann, unsere kreativen Prozesse mehr nach dem Unbekannten und Zufälligen auszurichten, und ein bisschen weniger an dem, was sicher ist.
Mehr zu Maxime Dangles gibt es auf YouTube, Instagram und SoundCloud
Text und Interview von Henry Hodson