Max Cooper: Wunderbare Daten
Vielleicht haben Sie noch nie vom Begriff der Emergenz gehört, aber sie ist ein fester Bestandteil unserer Realität. Seit dem Beginn aller Zeiten ist Emergenz eine prägende Kraft im Universum und sie lenkt noch immer das, was wir unter Leben verstehen. Allgemein gesagt ist es der Prozess, durch den kleinste Einheiten zusammenspielen, um komplexere Phänomene zu erzeugen: Wassermoleküle formieren sich zu Kristallen und aus Bakterien werden lebende Organismen. Was genau Emergenz bedeutet, hängt davon ab, ob man gerade einen Biologen, einen Philosophen oder einen Chemiker fragt. Für den ehemaligen Genetiker und aktuellen Produzenten Max Cooper hingegen bildet es den konzeptuellen Rahmen für seine neue audiovisuelle Live-Show.
Die Verbindung von Sound Design, musikalischer Struktur und visuellen Motiven mit Emergenz klingt nach einer packenden Kombination. Wie wäre es, wenn sich Ihre Musik aus denselben faszinierenden Symmetrien speisen könnte, die das Universum und das Leben formten? Wir sind mit Cooper in die Tiefe gegangen, um herauszufinden, was hinter dem schwindelerregenden Konzept steckt und wie universelle Gesetze die gesamte Musik beeinflussen.
Wann hast du zum ersten Mal vom Begriff Emergenz gehört?
In den Naturwissenschaften geht es um Reduktionismus und darum, einfache Gesetze und Regeln zu lernen, die man anwenden kann, um Naturphänomene und Vorgänge zu beschreiben. Da lernt man beispielsweise einfache Gleichungen, um das Zusammenwirken von Gasmolekülen zu erfassen, aber die Wirklichkeit ist etwas komplexer. Emergenz ist dort inhärent. Es handelt sich um die Idee, dass sich diese einfachen Gesetzmäßigkeiten in der Außenwelt auf eine Weise manifestieren, die üppiger und facettenreicher ist, als eine naturwissenschaftliche Perspektive jemals erklären kann. Emergenz ist kein Begriff, den man frühzeitig lernt, aber er schimmert immer unter der Oberfläche hervor. Als ich ihn lernte, wann auch immer das war, schien es mir die natürliche Erweiterung von dem zu sein, was ich bereits wusste. Dieses allgemeine Prinzip hat es mir erlaubt, die verschiedensten Ideen in meine Show zu integrieren. Es ist großartig, die natürliche Schönheit aus wissenschaftlichen Daten zu ziehen. Es gibt da draußen so viele wunderbare Daten.
Wo schlägt sich für dich Emergenz in der Musik nieder?
Granularsynthese ist ein tolles Beispiel für musikalische Emergenz, da nimmt man einen infinitesimalen Splitter von einem Klang und verwendet ihn als Ausgangspunkt für ein ganz neues Musikstück. Ich mochte schon immer winzig kleine Details, Klicks und Glitches. Bei der Live-Show verwende ich das Grain Delay oder den Granulator von Monolake zusammen mit einem Tiefpassfilter, was die Parameter der Visuals beeinflusst. Diese Audio-Glitches lassen das Bild nach und nach körnig werden, so dass man Synergieeffekte zwischen Audio und Video hat. Das ist ein möglicher Weg, um die Verbindung zwischen Konzept und Prozess herzustellen. In der Show geht es häufig auch um das Gegenstück dazu: Man beginnt mit etwas Obskurem und später emergiert daraus etwas Handfestes. Da sieht man ein Chaos auf dem Bildschirm und im Verlauf geht es langsam in einen erkennbaren Gegenstand über. Das heißt ich kann sowohl dekonstruieren als auch konstruieren.
Ich suche immer nach Möglichkeiten, einen Sound richtig durch die Mangel zu drehen, so dass man am Ende die Klangquelle nicht mehr feststellen kann - und das mache ich dann auch andersherum. Man erreicht also Emergenz über diesen interessanten Sound oder diese Stimme, die aus dem scheinbaren Durcheinander entsteht. Diesen Übergang von Chaos zu Ordnung liebe ich.
Wie spiegelt sich Emergenz in deiner Show wider?
Emergenz bildet da den roten Faden und das auf einer universellen Zeitleiste. Die Show beginnt vor dem Urknall; wir schauen auf die Verteilung der Primzahlen, auf die Zahlenstruktur in der Mathematik und auf die Idee, dass Naturgesetze bereits existierten bevor es das Universum gab. Dann geht es vom Urknall zur Entstehung von Sternen und Planeten und letztlich zu frühen Lebensformen und Evolution. Später kommen die Menschen hinzu, bei denen die Vermehrung außer Kontrolle gerät, was zur Maschine des Kapitalismus führt und zu der etwas alptraumhaften, instabilen Situation, in der wir uns heute befinden. Dieser Teil der Erzählung ist offensichtlich dunkel und negativ, daher wird die Musik an der Stelle viel aggressiver und bedrohlicher, doch viele der vorangegangenen Passagen sind eher positiv. Der Ablauf zwang mich zu einer bestimmten Entwicklung der Emotionen, die ich sonst vielleicht anders gemacht hätte.
Gibt es für dich universelle Gesetze in der Musik?
Naturgesetze sind bloße Muster. Sie definieren, wie Kräfte vor Milliarden von Jahren aufeinander einwirkten und wie sie es noch heute tun. Es gibt da Symmetrie und damit ein Muster, das sich durch die Zeit zieht. Musik besteht auch aus Mustern in der Zeit, nämlich aus Mustern in Schallwellen, da gibt es also eine sehr tiefe Verbindung zwischen Musik und Naturgesetz.
Wir Menschen haben die Suche nach Gesetzmäßigkeiten in der Umwelt entwickelt und es ist anzunehmen, dass unsere Freude an der Musik die Entsprechung dazu ist. Wenn wir ein Muster entdecken, freut uns das und weil es uns freut, halten wir Ausschau nach mehr davon. Deshalb sind wir als Spezies so erfolgreich. Daher haben wir Kontrolle über unsere Umwelt und verstehen die Dinge. Man kann dieselbe Argumentation anführen, wenn es darum geht, warum wir Musik mögen - weil sie in uns nämlich den essentiellen Drang auslöst, Muster zu finden.
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Foto und Video von Sam Mardon