Matthewdavid: New New Age
Über Los Angeles wird oft gesagt, dass sich die Stadt nicht beschreiben lässt. Sie wohnt in unserer kollektiven Vorstellung, doch die demografische Vielfalt und die Unterschiedlichkeit der Stadtviertel ergeben zusammen mit der schieren Größe des Stadtgebiets ein Bild von parallel existierenden Welten, deren Berührungspunkte von Kreativen oder Institutionen geschaffen werden. In der vielseitigen Underground-Musikszene von L.A. bilden Matthewdavid und sein Label Leaving Records einen dieser Knotenpunkte – hier erscheinen Alben von Beat-Produzenten aus dem Stones’ Throw- und Brainfeeder-Umfeld neben kühnem Avant Pop, Footwork und unklassifizierbarer experimenteller Musik von lokalen und internationalen Künstlern.
In den letzten Jahren dreht sich die Arbeit von Matthewdavid und Leaving Records verstärkt um die Wiederbelebung von New Age: Musik im Langformat, Synthesizer-fokussiert und oft ohne Beats. Die Stilrichtung entstand, als die Tradition des europäischen Ambient – repräsentiert durch Brian Eno oder Klaus Schulze – von Musikern aufgegriffen wurde, die Sound als Vehikel der Entspannung, Heilung, Meditation, außerkörperlichen Erfahrung und anderer Reisen von Geist und Seele nutzen wollten. Überraschenderweise hatte New Age Mitte der 1980er Jahre kommerziellen Erfolg – Alben von Vangelis, Kitaro, Yanni, George Winston, Michael Hedges und anderen Künstlern erreichten beachtliche Chartpositionen, bevor sie wieder in popmusikalische Randbereiche zurückkehrten.
Selbst wenn die Spuren der ersten Blütezeit von New Age in verschiedenen Ecken der heutigen elektronischen Musik noch präsent sind: Wenn es darum geht, sich explizit und gewissenhaft mit dem Sound und der Substanz des Genres auseinanderzusetzen, hat Matthewdavid nur wenige Gleichgesinnte. Wir sprachen mit ihm über die Entstehung seines neuen Albums „Trust The Guide and Glide“ und darüber, wie der neue New-Age-Sound mit Los Angeles und der übrigen Welt in Verbindung steht.
Die langen, meditativen und Synth-lastigen Stücke auf deinem neuen Album haben wenig mit den Beats und Vocals deiner Releases auf Brainfeeder zu tun. Ist dieses Album eine Abkehr von deiner früheren Musik? Oder lenkst du den Fokus eher auf ein anderes musikalisches Interessensgebiet?
Eher letzteres – bei diesem Album geht es um die Verbindung mit dem Zentrum, dem seelischen Ursprungsort meines kreativen Ausdrucks. Das Material hat viel mit einer Zeit zu tun, in der ich Vermittlung durch Sound gesucht und gefunden habe – Texturen und Klangfarben als Stimulanzien, die Partner der harmonischen Resonanz durch Drones aktivieren. Für mich dreht sich diese Musik um das ehrfürchtige Bestreben, Mühelosigkeit auszudrücken. Die Stücke mit Beats und Vocals stellen für mich dagegen gewundene Popsong-Identitäten dar, die rationaler oder Ich-bezogener sind. Zur Zeit kehre ich zu den Beats zurück, aber ich sehe sie aus einer neuen Perspektive.
Wann wurde dein Interesse an New-Age-Musik geweckt – in deiner Jugend? Was bedeutet sie heute für dich?
New-Age-Musik war präsent, als ich jünger war – in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren hatten meine Freunde Kitaro-Tapes und Kassetten mit Naturgeräuschen zur Anti-Stress-Therapie und Entspannung. New Age steht heute für viele Dinge – jede Generation hat andere Vorstellungen von seiner Bedeutung. Hinter Leaving Records steckt die Absicht, New Age neu zu definieren – mit New Age zu experimentieren und den Stil in der Gegenwart zu erweitern.
„Sogar das Low End Theory-Festival ist komplett New Age, genau wie Burning Man.“
Es gibt eine Community, die therapeutische Musik komponiert und kontextualisiert – sie öffnet Türen und zeigt, was sich dahinter befindet. Hier ein paar Tipps für Einsteiger: M Geddes Gengras ist ein meisterhafter Elektronikmusiker, der unglaublich therapeutische Sounds zaubert. Oder Carlos Niño, ein überirdischer Komponist/Produzent/Schamane, der großen Einfluss auf die L.A.-Musikszene hat – für mich ist das 100 % New Age. Sogar das Low End Theory-Festival ist komplett New Age, genau wie Burning Man. Nur so als Einführung...
Laraaji habe ich viel zu verdanken – wir sind seit letztem Jahr befreundet, ich bin gewissermaßen ein Schüler seiner Philosophien. Bei mir ist es noch nicht lange her, dass ich die Soundtherapie entdeckt habe – sie führte zur Selbstfindung. Nach diesen ersten Erfahrungen habe ich mich dem inneren Lehrer zugewendet. Das war zur selben Zeit, als mich mein DJ-Freund Zach Cowie mit „Planetary Unfolding“ von Michael Sterns bekanntmachte. Die Musik hat sich in meiner Psyche festgesetzt – dieses Album war ein großer Einfluss.
Dein Label Leaving Records beherbergt einige Künstler, die auch auf Stones Throw veröffentlichen. In welcher Beziehung stehst du zu ihnen – ist Leaving sowas wie der schräge Cousin?
Leaving ist tatsächlich der schräge Cousin, doch an diesem Punkt sind wir eine enge Familie. Stones Throw interessierte sich dafür, was Leaving der L.A.-Community und der internationalen Musikszene zu bieten hatte. Außerdem gibt es HipHop-verwandte Veröffentlichungen (und meine Musik), die bei Stones Throw sofort Gehör fanden.
Leaving ist zweifellos eine Erweiterung von mir selbst, doch was noch viel wichtiger ist: Ich denke, dass das Label ein Porträt des momentanen und zukünftigen Entwicklungspotenzials der Menschheit ist! Darum dreht sich doch die ganze New-Age-Sache, oder? Einigkeit, Vernetzung / Nicht-Dualismus, Unvoreingenommenheit, Liebe. Über diese Dinge findet man sich selbst, was wiederum zur Heilung führt.
„Mindflight Meditations“, deine zweiwöchentliche Radiosendung auf Dublab, war eine Art Labor für die langen Stücke auf deinem neuen Album. Inwiefern unterscheidet sich dein Setup für diese Sendung von deinem normalen Studio-Setup? Gibt es besondere Herausforderungen / Probleme bei diesen langen improvisierten Sessions?
Die Dublab-Radiosendung ist ein großes Glück für mich. Sie wurde zu einer Plattform, auf der ich mit den langen Improvisationen experimentieren konnte, die ich zuhause in Klausur und als Therapie entwickelte. Das Programm von Dublab hat eine befreiende Qualität – ich fühlte mich auf Sendung immer zum Experimentieren eingeladen. Beide kreativen Prozesse sind äußerst dynamisch, abhängig von meiner Stimmung und den Schwingungen am jeweiligen Tag.
Um mehr ins Detail zu gehen – meine Improvisationen basieren in erster Linie auf dem Looper und ständig wechselnden Software- und Hardware-Instrumenten. Ich nutze beispielsweise das Critter & Guitari Pocket Piano – ein einfacher Hardware-Synth. Wenn ich mich zwei Stunden lang ununterbrochen mit diesem Instrument beschäftige und meine Vertrautheit mit Live und mein Live-Wissen anwende, kann ich einzigartige harmonische Langform-Texturen erreichen.
Matthewdavids Homestudio-Setup
Wie nutzt du Push in deinem Setup? Hängt es vom jeweiligen Ziel ab?
Meist nutze ich Push zum MIDI-Spielen und Triggern von Noten, natürlich auch zur Parameter-Bearbeitung. Push hat meine Arbeitsweise mit Software-Synths erheblich verändert. Wenn ich mich ein wenig mit dem Menü-Layout und der Parameter-Modulation bestimmter Software-Instrumente auseinandergesetzt habe, kann ich mit Push deutlich schneller improvisieren. Zur Zeit nutze ich Push ungefähr mit dieser Signalkette: Software-Synth, Arp, Effekt, Looper, Effekt... Idealerweise kann ich tolle Loops, die im Looper entstehen, jederzeit festhalten, in einen Simpler ziehen und sofort re-sampeln, um sie in die Improvisation einzubauen.
Wirst du das neue Album auch live präsentieren? Falls ja, wie wird das aussehen und klingen?
Ich wünsche mir ein Ensemble von verschiedenen musikalischen Freunden und hoffe, dass ich das Mindflight Astral Ensemble in naher Zukunft realisieren werde. Bislang besteht die Liveshow nur aus mir – und sieht sehr ähnlich aus wie das, was ich in meinem Studio oder bei meiner Dublab-Show nutze. Es ist schwierig, sich festzulegen! Ich denke immer daran, mehr Live-Instrumentarium zu integrieren – mehr Line-Eingänge und mehr mikrofonierte akustische Instrumente, die mit Live bearbeitet werden (Flöten, Glocken etc.).
Weitere empfehlenswerte New Age-Tracks:
Bleiben Sie bei Matthewdavid auf Soundcloud und über Leaving Records auf dem Laufenden.