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Mathew Jonson: Rhythmus, Melodie, Chaos
Manchmal verlĂ€sst Mathew Jonson mit Freude die Welt des Rationalen und lĂ€sst das Chaos in sein Studio einziehen.Die Methode nutzte er auch mit seiner Band Cobblestone hĂ€ufig, um auf neue KlĂ€nge und Ideen zu kommen: âWir haben uns treiben lassen und alles einfach passieren lassen, ohne zu urteilenâ, erzĂ€hlt uns der Musiker. âDann haben wir uns in all dem Chaos die Parts ausgesucht, die gut klangen. Das bedeutet im Grunde, dass man erstmal alles reinkippt und sich das dann subtraktiv vornimmtâ
Mathew Jonsons Name gilt heute als Synonym fĂŒr die elektronische Musik. Sein unverwechselbarer Stil zwischen House mit Electro-EinflĂŒssen und Techno lieĂ ihn zu einem der Pioniere und wichtigsten Innovatoren seines Genres avancieren. Der leidenschaftliche Kollaborator tat sich regelmĂ€Ăig mit Gruppen wie Midnight Operator, Circle of Lice und Modern Deep Left Quartet zusammen und revanchierte sich bei der Musikindustrie sowohl mit seinem Label Wagon Repair, als auch mit Freedom Engine Academy, seiner erst kĂŒrzlich gegrĂŒndeten Plattform fĂŒr die Vermittlung elektronischer Musik.
Popular tracks featuring Mathew Jonson
Von seiner Wahlheimat in Berlin aus, wo Jonson sich 2007 niedergelassen hat, beschreibt der KĂŒnstler einen die bloĂe Musikproduktion transzendierenden Aspekt seiner Arbeit: In seiner Vorstellung können Musik und Klang âfast wie eine Zeitmaschineâ genutzt werden, womit sie einen Zugang zu verschiedenen, simultan existierenden RealitĂ€ten schaffen. âIch spiele immer mit dieser Idee,â erklĂ€rt er. âIch finde das Konzept, die RealitĂ€t mithilfe von Musik zu verĂ€ndern, total faszinierend. Man braucht keine Drogen, man braucht keinen Alkohol, man braucht gar nichts. Man kann die Zeitwahrnehmung von Menschen beeinflussen, einfach indem man beeinflusst, wie verschiedene Frequenzen miteinander interagieren.â
Jonson genoss schon in jungem Alter musikalische Bildung, wuchs umgeben von Instrumenten auf: âMein Vater hatte ein Cembalo und alle möglichen Volksinstrumente. Als ich neun war, haben wir ein Klavier gekriegt und ich habe klassischen Unterricht bekommen. Ich habe nur fĂŒnf Jahre lang klassisch Klavier gelernt, kam also nicht so besonders weit. Heute bin ich auf einem viel höheren Niveau, einfach indem ichâs mir selbst beigebracht habe. Einen GroĂteil meiner klassischen Ausbildung habe ich allerdings als Percussionist bekommenâ
Bedingt durch sein Aufwachsen in Nordamerika wurde Jonson in frĂŒhen Jahren von Michael Jackson, A Tribe Called Quest, Souls of Mischief und The Pharcyde geprĂ€gt. In spĂ€teren Jahren bot ihm Kanadas aufstrebende Rave-Szene den perfekten NĂ€hrboden, um gemeinsam mit Gleichgesinnten eine Leidenschaft fĂŒr elektronische Musik und analoge GerĂ€te zu entwickeln.
âIn meinen spĂ€ten Teenager-Jahren stand ich sehr auf Drum & Bass. Also viel von Metalheadz; KĂŒnstler wie Hidden Agenda, Photek, Goldie, J Magic und Digital hatten damals groĂen Einfluss auf mich. Ich habe auch viel Jazz gehört, und Leute wie Keith Jarrett. Ich liebe wirklich all seine Klavieralben. Und dann habe ich die Welt der Synthesizer entdeckt; mit Leuten wie Vangelis, Tomita oder Yellow Magic Orchestra. Ich stand auch lange sehr auf Gary Numan.â
Jonsons Tracks zeichnen sich hĂ€ufig durch hypnotische, einnehmende Melodien aus, die sich mit dem Puls analoger Drum Machines verweben. Er hat uns eine Auswahl an melodischen Loop zur VerfĂŒgung gestellt â als Material fĂŒr Musikschaffende und um Einblick in ihre Struktur zu ermöglichen.
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*Du benötigst dazu eine Lizenz fĂŒr Live 11 Suite oder die kostenlose Testversion.
Jonsons Hintergrund als Drummer und Percussionist drĂŒckt sich auch in seinen Melodien aus, die immer von Rhythmus und Akzentuierung getragen sind. Er erklĂ€rt uns, wie er rhythmische Akzente in Echtzeit setzt: âIch lasse Melodien und Drumrhythmen durch meine Art, Synths zu programmieren, quasi gleichzeitig entstehen,â erzĂ€hlt er. âManchmal braucht es viele Versuche, bevor mir was gefĂ€llt und ich das verwende. Also gehe ich immer wieder auf Löschen und spiele die Sachen dann neu ein.â
Schon wĂ€hrend seiner frĂŒhen melodischen Experimente und noch bevor ihm musiktheoretisches Wissen sein eigenes Verfahren hĂ€tte erklĂ€ren können, spielte Jonson auf Klaviaturen gerne die schwarzen Tasten; er fand heraus, dass sie in der pentatonischen Tonleiter in Gis-Dur oft besonders gut klangen.
âIch glaube, diese Methode hat sich in vielen frĂŒheren Technoplatten gespiegelt. Ich begriff dann langsam, welche weiĂen Tasten ich um diese schwarzen herum spielen konnte. Das war einfach eine Art des Lernens und Experimentierens mit der Klaviatur, bei der ich nicht einfach rumsaĂ und versuchte, die Töne aus meinem Kopf zu spielen.â
Heute versteht Jonson weitaus mehr von Musiktheorie und erzĂ€hlt uns von seiner Begeisterung fĂŒr den sogenannten Vorhalt, also von Akkorden, bei denen die dritte Note durch eine reine Quarte oder eine groĂe Sekunde ersetzt wird. Er hat sich die Akkorde in jeder Tonart beigebracht und gelernt, die verschiedenen Pattern mit seiner linken Hand zu spielen, die fĂŒr den Bass zustĂ€ndig ist. âIch habe mir diese ganzen Sachen angeeignet, wo die Basshand moduliert, je nachdem wo die obere Hand sitzt,â erklĂ€rt er. âIch stelle mir selber so komische theoretische Challenges, die hilfreich sind, um auf neue Arten des Spielens zu stoĂen.â
Ein solider musiktheoretischer Hintergrund dient oft als verlĂ€ssliche Ausgangsbasis und sorgt fĂŒr kreative FĂŒhrung. Jonson betont jedoch auch die Limitierungen, die im alleinigen Arbeiten mit quantisierten Tonleitern entstehen. âAm Anfang war ich da echt dagegen, wenn ich Leute gesehen habe, die mit quantisierten Skalen auf Pads gearbeitet haben,â erklĂ€rt er. âWenn man diese ZufĂ€lle nicht hat, wo bleibt dann die Spannung? Manchmal braucht man diese anderen Noten, die nicht zur Tonleiter oder Tonart gehörenâ
Hinsichtlich monophoner Melodien konnte Jonson sich auf der Suche nach Inspiration sowohl im Studio als auch auf der BĂŒhne stets auf seinen Roland SH-101-Synthesizer verlassen. Wenn auch die KlĂ€nge des Instruments es nicht immer in den finalen Mix schaffen, so beschreibt er den Synth doch als Katalysator fĂŒr ganze Kompositionen. Und wĂ€hrend die Synthesizer-Technologie sich konstant weiterentwickelt, hilft die Einfachheit des SH-101 ihm dabei, bei seinen Wurzeln zu bleiben.
âMan kann mit dem Sound vom SH-101 nicht so viel machen, weil er limitiert ist. Aber dadurch wird der Blick auf die Basics gelenkt. Manche Leute vergessen, dass so Sachen wie Vibrato, Tremolo und LautstĂ€rke zu den wichtigsten Elementen gehören, die man an einem Sound verĂ€ndern kann. Deshalb habe ich mich auch dafĂŒr entschieden, an einem Pult zu mixen. So kann ich die Automation der LautstĂ€rke konstant auf intuitive Art entwickeln, wĂ€hrend der Mix aufgenommen wird.â
Wir haben Jonson nach Empfehlungen fĂŒr Menschen gefragt, die ausschlieĂlich mit dem Computer arbeiten â die einfache VerfĂŒgbarkeit von MIDI-Controllern macht das Musikmachen mit den HĂ€nden schlieĂlich auch bei vollstĂ€ndig digitalen Setups möglich. Seine Antwort: âDarĂŒber habe ich in letzter Zeit viel nachgedacht. Zum einen, weil ich jetzt ein Kind habe und weiĂ, dass ich viel weniger Zeit fĂŒr mein Studio haben werde als davor. Es ist also schön, dass ich zu Hause oder auf Reisen einfach nur mit dem Computer arbeiten kann. Ich tue mich damit trotzdem noch ein bisschen schwer. FĂŒr mich ist das einfach eine andere Art des Arbeitens. FĂŒr andere Musikstile eignet sich das auch besser. Techno mit dem Computer zu machen ist manchmal schwierig, weil ich das GefĂŒhl habe, dass mir dieses taktile Element fehlt, wo ich alles intuitiv mache. Beim Spielen von Techno gehtâs fĂŒr mich ganz um dieses intuitive Element, subtile VerĂ€nderungen am Synth zu machen, am EQ, der LautstĂ€rke, Buttons zu muten und so weiter. Wenn ich das alles in den Computer stecke, habe ich das GefĂŒhl, ich brauche ein vorprogrammiertes Template, mit dessen Hilfe ich einen Controller mit massenweise Knöpfen bedienen kann. Ich mĂŒsste damit ein MuskelgedĂ€chtnis aufbauen. Das mĂŒsste dann so eingestellt sein, dass die DAW, mit der ich arbeite, zu einem spielbaren Instrument wird. Das ganze MIDI und die Keyboards sind voreingestellt. Aber das ist gerade wirklich nur fĂŒr externe GerĂ€te.â
â...das Gehirn behĂ€lt das Interesse am Sound, weil es kein repetitives Muster ausmachen kann, das ausgeblendet werden kann.â
Jonson ist fĂŒr einen minimalistischen Stil bekannt â was uns zu der Frage bewegte, ob seine Musik jemals einer ĂŒbertriebenen Sparsamkeit bezichtigt wurde. âJa, manche Leute haben mir schon gesagt, dass ich zu minimalistisch bin,â lacht er. âVielleicht, weil es sie nervt, dass ich das einfach durchziehe! Ich mag einfach die Einfachheit der Dinge, die jeder einzelne Synthesizer so macht, und ich mag die Sounds all der unterschiedlichen Filter. Ich liebe den Klang verschiedener Oszillatoren. Ich beschĂ€ftige mich gern in der Tiefe mit den Wellenformen, wenn ich Musik mache. Ich glaube, wenn man zu viel Zeug am Laufen hat, verliert man irgendwann den Blick fĂŒr diese ganzen Details. Ein Aspekt davon ist auch einfach nur technisch: Denn bevor ich die Freedom Engine Academy ins Leben gerufen habe, hatte ich nicht wirklich das GefĂŒhl, beim Mixen zu wissen, was ich tue.â
In der Vergangenheit, so Jonson, habe er die Elemente in seinen Tracks auch deshalb auf ein Minimum reduziert, weil ihm das nötige tontechnische Wissen fehlte. Seine Erfahrungen mit der Freedom Engine Academy unter der Leitung von Beatriz Artola hÀtten seine Beziehung zum Mixing jedoch grundlegend verÀndert.
âIch glaube, je besser man als Sound Engineer wird, desto mehr Instrumente kann man auch abmischen. Weil man Panning und Platzierung versteht, und wie man den Sound behandelt, ob nun mit Verzerrung oder mit was auch immer, um die Dinge voneinander unterscheidbar zu machen. Das ist etwas, was ich jetzt sehr viel besser verstehe, weil ich Beatriz beim Abmischen zugeschaut habe. Ich denke aber, viele andere Produzent:innen machen Musik, die einfach zu vollgestopft ist. Ich habe das GefĂŒhl, ein paar Menschen schichten einfach Tonnen an verschiedenen Samples ĂŒbereinander und packen viele Sounds rein, die ein wenig unnötig sind, vielleicht um Energie reinzubekommen.â
âStatt die melodischen Rhythmen von einem Spielenden vorgeben zu lassen, wurde er von den Triggern aus der Drummachine gesteuert.â
2015 veröffentlichten Mathew Jonson, Danuel Tate und Tyger Dhula unter dem Namen Cobblestone Jazz den elfminĂŒtigen Track âNorthern Lightsâ auf Itiswhatitis Recordings. Die sich langsam entwickelnde Komposition besteht aus eingĂ€ngigen, perkussiven Melodien und synkopierten Akkordmustern. Um diesen speziellen Sound zu erreichen, richteten Jonson und seine Partner in mehrstĂŒndiger Arbeit einen modularen Patch ein, aufbauend auf sechs VCAs mit sechs HĂŒllkurven, die von verschiedenen Triggern durch Drummachines gesteuert wurden.
âFĂŒr die HĂŒllkurven haben wir Zeiten eingestellt. Wir haben die Attack-Zeiten eingestellt, die Decay-Zeiten und die Release-Zeiten, so dass die musikalisch zusammengewirkt haben. Also in Viertelnoten oder halben Noten oder so. Und wir haben auch Augenmerk auf den Raum dazwischen gelegt. Also die Momente der Stille, wenn man die HĂŒllkurven nicht hört. Sobald wir den Patch eingestellt hatten, konnten wir ziemlich schnell so um die fĂŒnf Songs schreiben; weil die einfach dadurch entstanden sind, dass wir Instrumente gespielt haben und sie durch einen dieser einzelnen VCAs zugeordnet haben. Statt also den melodischen Rhythmus von den Spielenden abhĂ€ngig zu machen, haben wir ihn von den Triggern aus den Drummachines abhĂ€ngig gemacht. Danuel hielt Akkorde auf dem Rhodes von Fender, und ich hielt verschiedene Akkorde auf dem Yamaha CS-60 und habe einfach nur Drones gespielt, wĂ€hrend ich mich auf der Klaviatur auf- und abbewegt habe. Das ist deshalb so perkussiv geworden, weil diese VCAs die LautstĂ€rke öffnen.â
Wer weniger erfahren mit Vintage-Equipment ist, mag das Konzept des Triggerns von Synthesizern durch Drum Machines vielleicht verwirrend finden, doch viele eingebauten Sequenzern aus dieser Zeit steuern die letztendlichen Rhythmen nicht. Jonson erklÀrt, dass die integrierten Sequencer in Vintage-Synthesizern wie dem Roland JX-3P und SH-101 etwas brauchen, was sie antreibt.
âDer SH-101 loopt einfach immer weiter, wenn man eine Sequenz von Noten eingibt. Das einzige, was diesen Noten wirklich sagt, wann sie abgespielt werden sollen, ist ein Trigger. Das ist nur ein winziger Puls, wie eine verzerrte Square-Welle. Im Roland 909 hat der Rimshot-Sound einen separaten Trigger-Ausgang. Damit kann man die LautstĂ€rke des Rimshots runterregeln und ihn stattdessen benutzen, um einen Trigger an einen externen Synth zu schicken. Auf dem Roland 606 haben die hohe und die tiefe Tom einen Trigger-Ausgang, der dafĂŒr gedacht ist, den SH-101-Sequencer zu triggern, den JX-3P-Sequencer, den Pro-One-Sequencer, oder welchen auch immer. Man kann den auch benutzen, um modulare Synths zu triggern. Also benutzen wir die. Wir nutzen im Grunde nur sehr kleine Impulse und benutzen dann die HĂŒllkurven als Methode, um zu sagen, was nach dem Eintreffen des Impulses folgt.â
Jonson arbeitet mit LFOs, um bestimmte Noten oder Frequenzen innerhalb seines Synths rauszubringen. Er erzĂ€hlt, dass er sie gerne asynchron laufen lĂ€sst, da hierdurch ĂŒber die Zeit hinweg eine subtile Bewegung in der Modulation entsteht.
âWenn man einen Sinuswellen-LFO auf dem Filter-Cutoff eines Synths hat, und den LFO zum Beispiel auf Viertelnoten gesynct hat und in einer positiven Phase beginnt. Wenn du die Cutoff-Frequenz so einstellst, dass sie den Sound komplett abschneidet, und man dann anfĂ€ngt, mit diesem Sweet Spot zu spielen, wo man ein bisschen was vom Bass kriegt, aber vielleicht nicht so viel von den Höhen â das heiĂt, dass man nur die hohen Frequenzen in diesem Teil der LFO-Wellenform kriegt. Wenn der LFO nicht gesynct ist, dann kann man ihn wegen des LFO-Shifts nutzen, um Melodien zu erzeugen, die sich langsam entwickeln. Denn fĂŒr ungefĂ€hr 30 Sekunden hört man den ersten Schlag eines 4/4-Takts und man hört die hohen Töne, aber im zweiten Schlag dann nicht. Naja, und mit der Zeit kommen all diese hohen Töne durch. Wenn man eine Melodie mit einer sehr groĂen Bandbreite an Noten im oberen und unteren Register des Klaviers hat, kann man diese LFOs fĂŒr alle möglichen spannenden Sachen benutzen. Man kann das auch sehr subtil machen, mit Amplituden-Modulation oder Ringmodulation, wo man nur kleine Nuancen hat, durch LFOs, die nicht im Takt sind.â
âDa passiert was im Gehirn, was das Gehirn einfach liebt.â
Das Thema der LFOs weiter vertiefend beschreibt Jonson, wie er die Modulation seiner Sounds bis zu einem sehr hohen Level treibt, um ihre IntensitĂ€t wirklich zu spĂŒren und zu hören. Im Anschluss reduziert er die Amplitude dann auf ein kaum hörbares Level. âIch könnte einfach aufhören, an einem Punkt, wo man nicht mal mehr hören kann, was ĂŒberhaupt noch passiert,â erklĂ€rt er. âAber da passiert was. Denn selbst, wenn man vielleicht nicht mehr sagen kann, dass irgendwas mit dieser Wellenform passiert, wenn sie in anderen Sounds des Tracks untergeht, erzeugt die Modulation ein organisches und sich entwickelndes Element, das man vielleicht nicht einmal wahrnimmt. Ich kann das gar nicht so genau beschreiben, aber das Gehirn behĂ€lt das Interesse an dem Sound, weil es kein repetitives Pattern findet, das es ausblenden kann.â
Jonson erklĂ€rt, wie das Gehirn Muster sucht â und wie es aufhört, nach Informationen zu suchen, sobald es fĂŒndig wird. Seiner Ansicht nach kann dies zum PhĂ€nomen des Ausblendens fĂŒhren, wenn wir Musik hören, besonders, wenn dasselbe Sample sich immer wieder wiederholt.
âWenn das Gehirn ein Muster findet, das es versteht, muss es nicht weiter darĂŒber nachdenken. Es sucht dann nach chaotischeren Sachen, die irgendwo passieren. Wenn man also dasselbe Sample immer und immer wieder spielt, sagt das Gehirn einfach: Ja okay, ich muss ja jetzt nicht mehr zuhören. Und dann wird es mĂŒde und langweilt sich. Durch Chaos passiert etwas im Gehirn, was das Gehirn einfach liebt. Das aktiviert das Gehirn dann sehr. WeiĂes Rauschen ist zum Beispiel die beste Methode, um im Gehirn Spannung zu erzeugen, weil es nach einem Muster sucht. Es ist also auch irgendwie lustig, dass in dieser ganzen Techno-Musik alle diese Luftsounds mit diesem ganzen weiĂen Rauschen fĂŒr ihre Build-Ups oder Breakdowns nutzen.â
Die Aussagen Jonsons sind wissenschaftlich gestĂŒtzt. Wenn weiĂes Rauschen ohne Rhythmus eingefĂŒhrt wird, wird das Gehirn dazu gebracht, aktiv nach Mustern zu suchen, was den Unterhaltungswert eines dann einsetzenden Rhythmus steigert. Jonson wendet diese âChaostheorieâ auf Sounds an, die er baut, wodurch er eine Art GefĂŒhl subtiler Bewegung schafft.
âDasselbe mache ich mit Flangern und Phasern. Bei einem Phaser zum Beispiel drehe ich die Resonanz so richtig auf, sodass ich höre, wo sie herumschlingert. Dann drehe ich das Ganze wieder bis zu dem Punkt runter, wo man den Phaser gar nicht mehr hört. Aus irgendeinem Grund kann man sich solche Tracks 15 Minuten lang anhören, obwohl sich immer und immer wieder dasselbe Muster wiederholt. TatsĂ€chlich ist aber nichts dasselbe, weil alles sich langsam verĂ€ndert.â
Her Blurry Pictures (Original Mix), von Mathew Jonson
Es sind vielleicht jene subtilen Interventionen, die Jonsons 2005 erschienenen melodischen Technohit âMarionetteâ so einzigartig machen. Trotz seiner scheinbar simplen Erscheinung hat der Track unzweifelhaft etwas Besonderes an sich, das bei vielen Hörenden auf Resonanz stieĂ. Uns interessiert Jonsons Ansicht darĂŒber, wieso das so ist.
âIch habe definitiv irgendwas verarbeitet, als ich diese Platte gemacht habe. Die ist fĂŒr mich komisch. Wegen des Zustands, in dem ich war, als ich sie entwickelt habe. Irgendwie fĂŒhlt es sich nicht so an, als wĂ€re das mein Werk. Das klingt vielleicht komisch, aber fĂŒr mich fĂŒhlt es sich auch nicht unbedingt gut an, dass die Platte ein Erfolg wurde. Ich habe das GefĂŒhl, ich war so in Trance. Und dann denke ich mir, toll, es macht mich froh, dass Menschen diese Verbindung zu mir haben. Dabei ist âMarionetteâ einfach ein fremdes Wesen. Ich glaube, deshalb habe ich den auch âMarionetteâ genannt. Weil es so war, als wĂ€re ich die Marionette, von Geistern gesteuert oder so.â
Musik ist ein facettenreiches Unterfangen fĂŒr Jonson, von verschiedenen Motivationen angetrieben, die sich in seinem kreativen Prozess verweben. Er beschreibt, wie seine spirituellen Ansichten seine Musik mit Tiefe und AuthentizitĂ€t anreichern, die ihm andernfalls fehlen wĂŒrden.
âEs gibt so viele GrĂŒnde, aus denen ich Musik mache. Ich mache Musik, um zu meditieren. Ich mache Musik aus SpaĂ. Ich mache Musik, um Geld zu verdienen. Ich mache Musik als Therapie. Ich mache sie, um zu kommunizieren. Es gibt so viele verschiedene Aspekte davon. Und sie spielen alle zusammen. Und wenn ich diesen tiefergehenden, meditativen, spirituellen Aspekt im Studio nicht hĂ€tte, dann wĂŒrde meine Musik vermutlich ein bisschen mehr nach Plastik klingen.â
Welche Fallstricke im kreativen Prozess können also dazu fĂŒhren, dass Musik nach Plastik oder gekĂŒnstelt klingt? Vielleicht, so Jonson, ein âĂberanalysieren und zu viel Nachdenkenâ. âWenn ich bewusst an etwas rangehe, oder etwas analytisch zusammenschustere, oder Musiktheorie nutze, dann wirft sogar schon die Intention dahinter in mir die Frage auf: Wieso? Manchmal ist es erfĂŒllend, Musiktheorie als Methode des Musikmachens zu nutzen â zum Beispiel, wenn man eine Akkordfolge sucht. Trotzdem tendiere ich persönlich dazu, mich selbst so gut es geht zu bilden, mich aber gleichzeitig durch diese Art der Bildung nicht zu sehr einzuschrĂ€nken. Denn ich höre fĂŒr Melodien und Parts gerne zu. Ich warte gerne darauf, dass solche Sachen im Studio und auf der BĂŒhne natĂŒrlich passieren, statt auf einem Keyboard rumzublödeln, im Versuch, einen Song zu finden. Ich warte lieber darauf, dass das, was in mir drin ist, natĂŒrlich rauskommt, oder aus dem Unterbewussten auftaucht, meine leitenden Geister, oder was fĂŒr eine Art von Energie auch immer im Raum ist â oder im Land.â
Jonson stand auf BĂŒhnen auf der ganzen Welt â und hat eine Theorie darĂŒber, wie die verschiedenen Resonanzen und PolaritĂ€ten unseres Planeten seine Art des Spielens beeinflussen. âIch merke es mehr beim Soundcheck als irgendwo sonst, denn sobald ich in der Crowd performe, kommt mein Ego ins Spiel, und dann gehtâs um Party, und darum, auf dem Dancefloor abzuliefern. Das klingt jetzt vielleicht sehr weit hergeholt, aber ich denke an die Kulturen von Menschen. Also, wenn Menschen eine sehr lange Zeit in einem Gebiet verbracht haben, die bestimmte Frequenzen und Resonanzen haben, die aus der Erde kommen. Ich denke dabei daran, wie sensibel wir als Menschen sind und wie uns das tatsĂ€chlich in Einklang mit diesen verschiedenen Dimensionen und dadurch auch in Kontakt mit unseren verschiedenen Geistern bringen kann. Wir resonieren alle in gewisser Weise miteinander. All das finde ich super interessant. Das sind einfach nur so subtile Dinge, die mir auffallen. Ich will auf keinen Fall sagen, dass ich in diesen Dingen ein Experte bin, oder dass ich glaube, dass ich ĂŒberall zu 100 % richtig liege, aber es ist etwas, was mich umtreibt.â
In Anbetracht der einnehmenden, transzendenten QualitĂ€t seiner Musik erstaunt es nicht, dass Jonson seine Verbindung in spirituelle Welten betont. Er spricht ĂŒber seine unregelmĂ€Ăigen, aber eindrĂŒcklichen Erfahrungen als Medium, ĂŒber eine Erfahrung, die sich an der kanadischen KĂŒste zugetragen hat.
âWir hatten eine Party auf dem First-Nations-Land. Da standen viele Totems herum, das war einfach ein wirklich schöner Ort. Und es fĂŒhlte sich fĂŒr mich ein bisschen komisch an, da zu raven, um es mal so zu sagen. Also habe ich mich fĂŒr einige Zeit hingesetzt, bevor ich auf die BĂŒhne gegangen bin, und habe im Grunde â einfach aus Respekt â die Geister auf diesem Land eingeladen, meine HĂ€nde zu nutzen und Musik zu machen, wenn sie wollen. Und ich weiĂ noch, dass ich dann nach der Meditation auf die BĂŒhne gegangen bin, und als ich den Start-Knopf auf meinem ganzen Equipment gedrĂŒckt habe, entstand da eine Kraftquelle, die von den Generatoren aus durchkam. Die hat tatsĂ€chlich alle Patterns und Sequenzen gelöscht, die ich entwickelt hatte. Ich musste also von Null anfangen und alles improvisieren, um ĂŒberhaupt zu spielen. Und ich dachte mir, okay, interessantâŠâ
Jonsons Arbeit inspiriert auch weiterhin junge Generationen an Musiker:innen und Fans, und sein Einfluss wird ohne Zweifel auch in der Zukunft die Landschaft der elektronischen Musik prĂ€gen. Mitten in der Pandemie schuf er mit der Freedom Engine Academy die Möglichkeit, sein Wissen weiterzugeben; ein Projekt, fĂŒr das er wĂ€hrend seiner Touren keine Zeit gefunden hĂ€tte. Nachdem er anfangs noch geplant hatte, seine Mentorenschaft anzubieten, wurde er sich jedoch bald seiner eigenen Limitationen in Bereichen wie der Klaviertheorie und der Tontechnik bewusst.
âIch habe einfach so ein GlĂŒck, dass ich ein bisschen Unterricht am Klavier und als Percussionist hatte. Ich habe versucht, als Engineer so viel wie möglich aufzunehmen. Aber ich bin bestimmt nicht so weit, das auch zu unterrichten. Ich kann Menschen beibringen, wie ich live auftrete, wie ich mit anderen Musiker:innen interagiere, und ich kann die Methoden zeigen, mit denen ich Remixe mache und Tracks produziere. Und wenn Menschen Fans meiner Musik sind, dann interessieren sie sich auch dafĂŒr, wie ich Sachen mache. Aber es ist mir sehr wichtig, welche Informationen Leute bekommen, also habe ich beschlossen, Mentor:innen mit ins Boot zu holen, zu denen ich selber gehen wĂŒrde. Wir haben zwei Aufnahme- und Mix-Techniker:innen, Beatriz Artola und Erik Breuer, die [âŠ] super erfahren sind. Wir haben auch zwei Klavierlehrer:innen, die Musiktheorie und die Geschichte der Tanztheorie unterrichten. Ich bin echt froh, dass das lĂ€uft, weil es sich einfach so anfĂŒhlt, als wĂŒrden wir der Musikindustrie damit was zurĂŒckgeben.â
Mehr zu Mathew Jonson gibt es auf Facebook, Instagram und SoundCloud
Text und Interview von Joseph JoyceÂ
Fotos von Frank Zerban