Marysia Osu: Jazz, Beats und engelsgleiche Klänge
Harfen sind im Kommen: Die Musikerin Nala Sinephro unterschrieb mit ihrer Fusion aus Harfen- und Modularsounds kürzlich bei Warp, die in Chicago ansässige Harfenistin Brandee Younger kollaboriert mit Beat-Produzent und Drummer Makaya McCraven, und auch die Londoner Künstlerin Marysia Osu erforscht in verschiedenen Kontexten die Klangtiefe und Vielseitigkeit ihres Instruments.
Die Beat-Produzentin und Harfenistin ist fest in der von elektronisch produzierter Musik beeinflussten Jazz-Szene ihrer Stadt verankert: Mit der aufstrebenden Dichterin Belinda Zhawi, auch als Ma.Moyo bekannt, trat Osu bei „Reunion” auf, einem regelmäßig stattfindenden Event der Jazz-Musikerin Nubya Garcia. Sie spielte gemeinsam mit dem Levitation Orchestra, mit Sawa Manga und mit Calabashed, einem Projekt mit Alabaster dePlume und dem „Sons of Kemet”-Vokalisten Joshua Idehen. Gemeinsam mit der Vokalistin Plumm entstand ein Release, für den Osu auch das Mastering übernahm. Die kürzlich erschienene Loop Collection1schließlich besteht aus verträumten, meditativen Stücken, in denen die Künstlerin elektronisch bearbeitete Harfenklänge mit elektronisch produzierten, dubbigen und granularen Texturen verwebt.
Marysia Osu wuchs in der polnischen Stadt Radom auf. Sie besuchte eine musische Grundschule, lernte klassisches Klavier. „Das war das, was ich am allerliebsten gemacht habe. Ich war zufrieden und so fokussiert, wenn ich Musik gemacht habe”, erzählt sie. „Als meine Familie nach England gezogen ist, haben mir die Musikstunden sehr gefehlt. Ein großer Teil meines Lebens wurde einfach abgeschnitten.”
Zu ihrem Glück entdeckte die Mutter der damals 11-Jährigen Musikerin die „Saturday school for talented young musicians”, ein Angebot des Trinity Laban Conservatoire im Süden Londons, und reichte für ihre Tochter eine Bewerbung ein. Als die junge Musikerin beim Bewerbungsgespräch gefragt wurde, ob sie noch ein weiteres Instrument spielen wolle, kam ihr die Harfe als erstes in den Sinn – und sie verließ den Raum mit einem Instrument, das sie den Sommer über behalten durfte. „Ich war so richtig fasziniert”, erzählt sie, „Ich wollte einfach nur lernen, wie man [die Harfe] spielt”.
Osu besuchte die Saturday School acht Jahre lang, von 2016 und 2020 nahm sie dann an einem Programm für noch nicht graduierte Musiker:innen teil. Dadurch landete sie ganz automatisch in Bands mit Zeitgenoss:innen, viele davon Teil des Levitation Orchestra. Ihren Weg in die Musikproduktion fand Osu schließlich, nachdem sie die New Yorker Sängerin und Produzentin duendita entdeckt hatte. „Ich war so inspiriert, sie da alleine auf der Bühne zu sehen, das wollte ich auch machen”, erinnert sich Osu. „Ich sprach also danach mit Maxwell Owin [Produzent und Kollaborationspartner von Joe-Armon Jones, Anm.] und er meinte: „Komm bei mir zu Hause vorbei, ich zeig dir Ableton, wir machen ein paar Beats.”
Osu hatte zuvor bereits mehr oder weniger erfolgreich mit anderen DAWs gearbeitet, sich damit aber nie wirklich aufgehoben gefühlt. Mit Owin in Live Beats zu machen, änderte das: „Ich merkte, dass ich wirklich gern produzierte.” Die beiden borgten sich den Push von Owins Mitbewohner, und Osu begann, alleine zu Hause Beats zu produzieren. „Es war für mich ein Riesending, zu entdecken, dass ich in der Session-Ansicht mit elektronischer Musik improvisieren konnte. In den ersten paar Monaten arbeitete ich ausschließlich in der Session-Ansicht, und nahm gar nichts in die Arrangement-Ansicht auf. Ich habe mit verschiedenen Ebenen experimentiert, unterschiedliche Drum-Patterns ausprobiert, habe sie unterschiedlich kombiniert und getriggert.”
Natürlich brachte Osu dabei auch die Harfe ins Spiel und entdeckte verschiedene Effekte. Sie spielte mit rückwärts abgespielten Harfen-Sounds, verwandelte die Harfe durch Effekte in ein anderes Instrument, spielte mit „massenweise Reverb”, bis die Harfe fast wie ein Pad oder ein Synth klang. Mit ihrem Kontakt-Disc-Mikrofon nahm sie Basslines in mittlerer Tonlage auf und stimmte sie dann nach unten, bis sie klangen wie ein E-Bass.
Osu nutzt Live als ein Tool für Kompositionen: Sie schafft Elemente, die sie live spielen kann und performt sie dann mit dem Push. „Ich überlege immer, wie ich die Musik, die ich mache, live spielen kann,” erklärt sie, „wobei ich manchmal auch den Punkt verpasse, ab dem ich die Harfe so weit zerschnitten habe, dass daraus ein produziertes, unspielbares Stück wird.”
Wichtig war ihr dabei, die Harfe mit den Beats live spielen zu können. „In der Session-Ansicht konnte ich jede Sektion so lang machen wie ich wollte, und jedes mal, wenn ich das Stück spielte, war es anders. Ich konnte an einem bestimmten Punkt reingehen und es war total einfach, den Beat zu verändern oder ein bestimmtes Instrument reinzubringen,” erklärt sie. Alles, was ich mit der Harfe mache, baut sehr auf Improvisation auf, diese Freiheit zu haben war also großartig.”
„Als ich anfing, Musik zu produzieren, wusste ich nicht, wie meine Musik klingen würde. Ich habe begriffen, dass alles, was ich mache, eine Reflektion von allem ist, was ich in meinem Alltagsleben erlebe und wahrnehme.” Etwas, was die Musikerin in großen Mengen aufgenommen hatte, war Dubstep. „Ich liebe jede Art von UK-Bassmusik,” erzählt sie. „Ich habe das Gefühl, das hat meine Musik beeinflusst, obwohl meine Musik viel langsamer und weicher ist und viel Harfe beinhaltet. Ich fühle mich vom Bass und den Beats und den tiefen Frequenzen angezogen.”
Ganz besonders viel Inspiration bezog die Musikerin von Digital Mystikz. „Ich liebe Mala,” erzählt sie. „Ich versuche, immer da zu sein wenn er spielt.” 2019 besuchte sie seine Performance auf dem „We Out Here”-Festival, wo er mit Outlook Orchestra spielte. „Es fiel der strömendste, biblischste Regen. Ich bin Brillenträgerin und konnte nichts sehen. Er spielte Eyez, ich hörte den Track zum ersten Mal, und als der Beat droppte, musste ich mich eine Minute lang auf dem Boden zusammenrollen.” Der Gig hatte auf sie, hält sie fest, „ziemlich viel Einfluss.”
Ein weiterer wichtiger Teil ihres Setups sind Pedale: Osu arbeitet mit dem ‘Big Sky’-Reverb-Pedal von Strymon, einem Boss DD7 („Ich liebe den für den Rückwärts-Delay”, der so toll zur Harfe passt”), einem Line 6 DL4-Delay, der ebenfalls mit einem Reverser ausgestattet ist, sowie dem ‘Micro POG’-Oktaven-Pedal von Electro-Harmonix. „Dadurch klingt die Harfe wie eine Orgel, und die Attack ist damit richtig hart. Das ist ziemlich hilfreich, wenn ich in einer Band spiele und will, dass die Harfe durchkommt.”
In jüngerer Zeit kombinierte Osu ihre Effektpedale mit Live. „Ich habe meine Pedale immer auf dem Boden benutzt, mittlerweile habe ich sie aber in Reichweite meiner Hände, damit ich während des Spielens die Parameter ändern kann, um verschiedenste spacige Sounds zu erzeugen.” Bei Solo-Performances schickt sie ihre Harfe durch verschiedene Effektpedale in Live. Als wir fragen, welche Sounds sie damit erzeugt, denkt sie einen Moment nach. „Ziemlich gigantisch und großartig,” sagt sie dann, „die Harfe hat ja schon von Natur aus so viel Reverb, wenn man eine Saite anschlägt, klingt sie einfach weiter. Das mit Effektpedalen zu kombinieren heißt, Ebene um Ebene Texturen zu schaffen.”
Live-Kollaborationen mit der Dichterin Belinda Zhawi machen deutlich, wie gut die Kombination aus Harfe und Produktion funktioniert. „Was wir zusammen machen, ist sehr tiefgehend”, erzählt Osu. Die Musikerin und die Dichterin begegneten sich vor fünf Jahren: Beide waren damals eingeladen, als Gast-Performerinnen mit dem Londoner Duo Sawa Manga bei einer frühen Ausgabe des Brainchild-Festivals aufzutreten, einer Institution der Londoner Untergrund-Musikszene. Zhaw nutzte eine SP404, um Ambient-Samples und Field-Recordings einzuspielen; diese verwoben sich zu einer Einheit mit Beschwörungen des zeitgenössische Londons sowie ihrer Kindheit in Zimbabwe. Osus Teil der Performance bestand aus ihrer mit Effekten bearbeiteten Harfe, sowie in Live produzierten Beats. Die Kombination aus Zhawis minimalistischen, deepen Sounds und der extrem sensiblen Klangwelt Osus bildete eine berührende Einheit.
Wir fragen Osu: Kann die Harfe klanglich mehr als das, was man „engelsgleiche Töne” nennt? „Ja, auf jeden Fall”, antwortet sie. „Ich habe eine Schwäche für engelsgleiche Sounds, auch in der Kombination mit elektronischer Musik. Viele Harfenspieler:innen arbeiten mittlerweile mit Effekt-Pedalen, und beschäftigen sich mit neuen klanglichen Potenzialen ihres Instruments. Es gibt so viele Techniken, Klangfarben und Texturen, die die Harfe erzeugen kann – auch wenn sie nur akustisch ist –, sie mit elektronischen Techniken zu kombinieren kann also enorm bereichernd sein.”
Durch Freundschaft und Kollaboration begann Osu mit dem Beat-Produzieren, und beides bleibt für sie von zentraler Bedeutung: „Ich habe so viel von Freund:innen gelernt. Das macht es wirklich zu etwas Kollektivem, einfach zu experimentieren und einander Dinge beizubringen.”
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