Mit den reichen Erfahrungen eines weltbereisenden Musikers, Labelbetreibers, DJs und Sound-Designers gesegnet, ist sich Mark Barrott der Feedback-Schleife zwischen Musik und ihrem Kontext bezogenen (wie physischen) Umfeld hinreichend bewusst. Ursprünglich aus Nordengland stammend, residiert Barrott derzeit auf der spanischen Sonneninsel Ibiza, wo er Dance-Music-Veteranen wie José Padilla und George Evelyn zu seinen Nachbarn zählen darf. In unberührter tropischer Umgebung stellte Barrott sein aktuelles Album fertig, das mit Sketches from an Island vortrefflich betitelt ist. Es ist sein erstes Album seit sechs Jahren und sein Debut unter eigenem Namen.
Wir trafen uns mit Mark während eines kurzen Aufenthaltes in seinem Heimatland Großbritannien und sprachen mit ihm über sein Album, der Arbeit an einem Tafeltisch mit nur einer Kiste und den kometenhaften Aufstieg seines Labels International Feel.
“Baby Come Home” from Sketches from an Island
Dein neues Album ist stark vom dich umgebenden Umfeld beeinflusst – Wie fühlt es sich an, ein elektronisches Album inmitten so wunderbarer Natur aufzunehmen?
Wenn man meine Wohnsituation betrachtet, bin ich tatsächlich nur von Vogelgezwitscher umgeben. Weit und breit keine menschlichen Geräusche, lediglich aus der Ferne hört man ab und an ein kleines bisschen Verkehr. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dieser Flecken Erde, von dem ich umgeben bin, starke Auswirkungen auf meine Musik hat. Das Leben auf dem Land ist so ruhig und wenn ich alle paar Monate meine Eltern in Sheffield besuche, setzt mir der Lärmpegel, der für die Leute dort vollkommen normal ist, wirklich zu. Immer wenn ich in England bin, trage ich eigens angepasste Hörschutz-Stöpsel, weil es mir einfach viel zu laut ist. In Berlin ging mir das genauso. Da habe ich mich vier fünf Jahre lang immer wieder mal aufgehalten und im Vergleich zu meinem jetzigen Zuhause war das ein unglaubliches Getöse. Die Ausgangslage ist also eine ganz andere, wesentlich meditativer als es in der Stadt der Fall wäre.
Und was war in technischer Hinsicht die Basis für die Produktion von Sketches?
Die einzige Hardware, die ich benutzt habe, war der Arturia Microbrute, aber auch nur für einen Song. Auf der Equipmentliste für das Album stehen ein Macbook Pro mit Ableton, ein iRig (dieses winzige 3-oktavige Mini-Keyboard von IK Multimedia), ein Paar Sennheiser-Kopfhörer, ein iLock zur Freischaltung von Software und halt der Arturia Microbrute für eine Passage eines Tracks. Alles andere kam komplett und ausnahmslos direkt aus Ableton. Dieses Album ist also vollständig in einer Kiste entstanden, sieht man von der erwähnten Stelle im letzten Song einmal ab.
Cover art for Sketches from an Island
Du hast das Album auf Kophörern gemischt – eine Frage der Mobilität?
Egal wo ich gerade bin, ich arbeite am liebsten in Wohnzimmern. Studioumgebungen mag ich nicht sonderlich. In Uruguay hatte ich einen separaten Raum, der war akustisch perfekt und mit zwei großen Genelec-Monitoren bestückt. Aber ich finde, die Musik ist bei einem Musiker so stark mit seinem Leben verknüpft, dass man bessere Musik macht, wenn man sich dort aufhält, wo sich das Leben wirklich abspielt. Der Ort etwa, an dem der Großteil des Albums entstand, hatte ein riesiges offenes Wohnzimmer, in dem ich mich eingerichtet habe. Jetzt wohnen wir auf einem ehemaligen Bauernhof mit einem modernen Wintergartenanbau. Der ist unser Dreh- und Angelpunkt. Bis aufs Schlafen findet darin der gesamte Alltag statt. Es gibt eine kleine Küche, eine Sofaecke, einen Arbeitsbereich für meine Frau und meinen Studioplatz. Ich mag es, mich darin aufzuhalten, den Katzen zuzusehen, ins Grüne zu schauen. Das ist doch um einiges besser als in einem kleinen Studio ohne Tageslicht.
Während der Arbeit am Album saß ich mit meinem Laptop die meiste Zeit an einem alten Tafeltisch. Ohne Maus übrigens, weil das Trackpad für mein Empfinden eine engere Bindung an den Rechner ermöglicht. Ich bin dadurch wesentlich fokussierter. Was die Kopfhörer anbelangt: Ich höre eigentlich nur damit Musik. Folglich ist auch alles mit Kopfhörern gemacht. Ich bereite einzelne Strenge vor und die werden dann von einem unglaublich talentierten Typen in Devon in Südengland zusammen gemischt.
Wirst du denn deine Equipment-Liste für die Arbeit an José Padillas Album aufstocken?
Als eine Art Statement habe ich ja schon oft von mir gegeben, dass Musiktechnologie ein großartiges Hobby ist, mit dem man der Musik im Weg stehen kann. Im Moment sieht es danach aus, dass ich mich immer freitags hinsetzen werde und mich an zwei iPods und einem Moog Minitaur zu schaffen mache. Und wer weiss, beim nächsten Mal sind es dann drei andere Synthies… Mal sehen, was genau ich für Josés Album verwende (das auf International Feel erscheinen wird). Möglicherweise gar nicht so viel, aber ich freue mich schon darauf, damit zu arbeiten. So wie mein Vater, der sein ganzes Leben mit alten Autos zu tun hatte. Er werkelte an ihnen herum, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, aber an manchen schraubte er einfach nur zum Spass. Wie gesagt, ich weiss noch nicht, wie viel ich von diesem neuen Synthiezeug tatsächlich einsetze. Das, was ich benutze, wird mir aber mit Sicherheit Freude bereiten.
Als du International Feel gegründet hast, lag dein Wohnsitz in Punta Del Este in Uruguay. Wie bist du eigentlich dahin gekommen?
Meine Frau und ich lebten schon vier Jahre in einem wirklich schönen Haus in Heinersdorf und irgendwann beschlossen wir, den Mietvertrag nicht für weitere fünf Jahre zu verlängern. Wir kündigten also und saßen mit unserer Grundsatzfrage an einem Frühlingsnachmittag im Wintergarten: Was brauchen wir? Ordentliches Internet und einige andere Dinge, wie sichere medizinische Versorgung oder sauberes Wasser. Wir schauten uns diverse Weltkarten im Internet an und dachten uns: In Asien haben wir schon viel Zeit verbracht, aber leben wollen wir dort nicht. Australien? Zu teuer. Neuseeland? Hat die Quaratänebestimmungen für die Katze verschärft. Und so landeten wir bei Südamerika. Brasilien war nur bedingt reizvoll, Chile durchaus vorstellbar. Aber da gibt es an der Pazifischen Küste möglicherweise Erdbeben und Tsunamis. Schließlich kamen wir auf Uruguay. Nur zwei Monate später machten wir für eine Woche rüber. Das Wochenende verbrachten wir in Buenos Aires und in einem Anflug von Wahnsinn kauften wir kurz vor der Rückreise ein Haus.
Ende August waren wir wieder zurück und stellten fest: Oh Gott, wir haben ein Haus in Uruguay (lacht). Lustiger Weise kam ich durch diesen Umzug zu meiner heutigen Arbeitsweise. Ich packte nur ein kleines Set-Up in meinen Rollkoffer, bestehend aus einem Laptop und einem Novation SL-25. Ich schrieb damit die erste Rocha-Single während ich auf den Schiffscontainer wartete. Ich bekam aber nirgendwo einen Deal und irgendwann dachte ich mir: Wisst Ihr was? Ich gründe mein eigenes Label und zeig's Euch! Und dann verkaufte sich die erste Single tatsächlich 2.500 mal. Danach nahm ich Harvey unter Vertrag und seine Single verkaufte sich 3.000 mal. Seitdem sind fünf Jahre vergangen und ich habe 100.000 Vinyls verkauft.
Seit seinen Remixen und Veröffentlichungen auf International Feel feiert DJ Harvey ein beeindruckendes Comeback. Wie bist du mit ihm in Kontakt gekommen?
Das war ganz simpel. Harvey hatte sich für eine Weile aus dem internationalen DJ-Geschäft zurück gezogen, wollte aber wohl wieder etwas produzieren. Die Tatsache, dass ich ihn dazu bewegen konnte, wieder ins Studio zu gehen, hatte – wie die meisten Dinge im Leben – mit Timing zu tun. So, wie ein Haus in Uruguay zu kaufen! Ich meine, ich hatte gerade den Rocha-Track fertig und dachte: Okay, was mache ich jetzt? Richtig, ich mache eine 180g-Vinyl, das war eine einfache Entscheidung. Was kann ich noch machen? Gut, ich mache ein paar richtig schöne Artworks? Aber ist das schon genug?
Ich begann nachzudenken: Sieh' mal, wenn dir die Sache wirklich ernst ist, wenn sich deine Investitionen einmal auszahlen sollen und du wirklich in Erscheinung treten willst, dann brauchst du ein paar Zugpferde. Ich erstellte eine kurze Liste mit Leuten wie Jan Hammer und Thomas Dolby. Manchmal kriege ich Demos, da steht dann auf einem Zettel: „Hey International Feel, hört Euch meinen verdammt geilen neuen Disco-Dub an!” Hm, weisst du was? Werde ich wohl nicht tun. Oder aber man bekommt einen wirklich netten Brief, egal ob mit guter Musik oder schlechter Musik – In solchen Fällen bin ich der Sache gegenüber aufgeschlossen. Also dachte ich mir, wenn ich schon an die Leute mit richtig Potenzial ran will, deren Remixe auch für Furore sorgen, dann muss ich höflich sein, dann muss ich professionell sein. Ich muss ihnen ein seriöses Angebot machen, nicht etwa: „Hey, Lust etwas zu Kumpelpreisen zu machen?” Das funktioniert bei diesen Leuten nicht. Ich habe also ein ernstzunehmendes Angebot gemacht und es an Heidi, Harveys Managerin, geschickt und es dauerte gar nicht lange, bis sie sich zurück meldete und mir sagte, sie beide liebten den Track und Harvey würde es machen wollen. Es war eine Mischung aus Professionalität, Einfühlungsvermögen, Respekt und dem richtigen Timing. Als wir damit fertig waren, sagte ich: „Willst du nicht mal eine Sache für uns machen?” Und seine Antwort war: „Ja, warum nicht?” Und das war's.
Im Moment gibt es ein kleines Revival zu Mid-90's Drum & Bass – eine Richtung, zu deren Originalen du einmal gehört hast.
Alles, was ich bis jetzt gehört habe, würde ich nicht Drum & Bass nennen – Für mich ist das Ambient-Music mit Breakbeats, die Art von Drum & Bass, die ich mag. Es hat eine gewisse zeitlose Komponente. Ich habe noch einige unveröffentlichte Drum & Bass Tracks, die ich am liebsten raushauen würde, mit der Ansage: „Hey, ich bin ein balearisches Plattenlabel und ich veröffentliche, was ich will”, um dann zu sehen, wie die Leute damit umgehen. Lass uns einen Drum & Bass Track auf International Feel veröffentlichen und sehen, was passiert. Vielleicht mache ich das, man weiss ja nie.
Und würdest du das unter deinem Namen veröffentlichen oder dafür Future Loop Foundation wieder auferstehen lassen?
Oh, keine Ahnung. Ich denke Future Loop Foundation ist wirklich Geschichte. Ein Grundsatz von mir lautet: Lerne aus der Vergangenheit, schaue in die Zukunft und lebe im Hier und Jetzt. Mein Blick richtet sich nicht gern zurück. Was immer der individuelle Glaube an Reinkarnation sein mag, ich glaube an die Reinkarnation innerhalb eines Lebens. Es gab mich als Kleinkind, in der Schulzeit, in einem schrecklichen Job mit Anfang 20, als Future Loop Foundation, als International Feel, als unglücklich Verheirateten, als Auswanderer nach Uruguay… Das sind alles Phasen eines Lebens und Future Loop Foundation gehört der Vergangenheit an. Ich habe kein Bedürfnis, dorthin zurück zu kehren. Ich schaue wirklich lieber nach vorn.
Mark Barrott’s custom step sequencer for Max for Live, developed by Bjorn Vayner.
Ganz zum Schluss: Du hast Bjorn Vayner mit der Entwicklung einiger Max for Live Step-Sequenzer beauftragt und dich großzügiger Weise bereit erklärt, sie zur Verfügung zu stellen. Kannst du sie kurz beschreiben?
Es ist ein ganzer Sack voll Sequenzer und du kannst entweder nur einen verwenden oder bis zu vier gleichzeitig für deine Drum-Programmierung oder deine Melodie-Sachen nutzen. Du kannst individuelle Spuren, individuelles Timing oder individuelle Parameter setzen und du kannst alles als Patch in Ableton speichern. Ich habe viel damit auf dem Album gemacht, um die polyrhythmischen afrikanischen Elemente hinzukriegen. Es ist eine sehr inspirierende Sache geworden und ich teile sie gern, da ich nichts von „okkulten" Informationen halte. Für mich steht das Wort „okkult" eher für „vorenthalten". Ich denke, es gibt da draussen alles und alles sollte geteilt werden. Wenn Leute das Maximum aus diesen Sequenzern herausholen wollen, brauchen sie nicht mal eine Bedienungsanleitung, sie sind wirklich absolut idiotensicher. Aber neugierig sollte man unbedingt sein. Drück' einfach auf den Screen und warte ab, was passiert!
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Sketches from an Island - Mark Barrotts Blog