Es ist uns allen schon so gegangen: Man öffnet ein Live-Set, starrt auf die leeren Slots der Session-Ansicht und fragt sich, wo man bloß anfangen soll. Oder man weiß nicht, wie man vom ersten Funken der Inspiration zu einem fertigen Musikstück gelangt. Trotz aller Tools und all der Technologie, die uns heute zur Verfügung stehen, bleibt das Musikmachen schwierig wie eh und je. Warum das so ist und wie Sie damit umgehen können, ist das Thema des neuen Buches Making Music – 74 Creative Strategies for Electronic Music Producers.
Obwohl der Autor Dennis DeSantis Abletons Head of Documentation ist, handelt sich hier nicht um ein erweitertes Benutzerhandbuch für Live. Stattdessen soll es Sie dabei unterstützen, mit den vorhandenen Mitteln Musik zu machen. Unabhängig von der Software und der Hardware, die Sie nutzen, erhalten Sie konkrete Tipps dazu, wie Sie musikalische Problemstellungen lösen, wie Sie voran kommen und – wohl am wichtigsten – wie Sie zu Ende bringen, was sie anfangen.
Making Music gliedert sich in drei Bereiche. Im ersten Drittel werden Probleme und Lösungen behandelt, die beim Musikmachen in der Anfangsphase auftreten. Weil selbst etablierte Musiker regelmäßig in das Vakuum eines leeren Projektes blicken, haben wir einige unserer Lieblingskünstler gebeten, uns zu verraten, wie sie an ein neues Musikstück herangehen. Im Folgenden können Sie einige dieser Tipps lesen und später weiter ziehen auf die eigene Webseite von Making Music, wo Sie vollständige und ungekürzte Kapitel zu jedem der drei Bereiche lesen können.
King Britt
Mich hat immer fasziniert, wie Cage und Eno Limitierungen und Parameter nutzen, um den kreativen Flow voranzubringen. Bedenkt man, wie viele Möglichkeiten wir haben, ist dieser Prozess heute wichtiger denn je.
Wenn ich ein Projekt beginne, denke ich zuerst an die Klangpalette, mit der ich den Sound realisieren kann, der mir vorschwebt. Manchmal sage ich mir: Für die Sounds nehme ich ausschließlich zwei analoge Keyboards. Das bringt einen dazu, super kreativ zu werden, und beschränkt einen gleichzeitig auf die Klangwelt, die diese Keyboards eröffnen. Das wiederum schafft die Atmosphäre für das Projekt und lenkt den Fokus.
"Ich verlasse mich auf den Zufall, um meine Samples und Loops zu machen."
Sobald ich weiß, welche Sounds und welche Plug-ins ich benutzen will, verlasse ich mich auf den Zufall, um meine Samples und Loops zu machen. Ich entwickle Systeme, in denen die Sounds zufällig getriggert werden, und dann sample oder loope ich sie zu neuen Rhythmen. Die Ergebnisse könnte ich nie genau reproduzieren. Das ist das Besondere daran, und deshalb wüsste auch sonst niemand genau, wie sie sich kopieren ließen: So hebt man sich ab.
Was das Sampling im Hip-Hop angeht, da weiß ich noch, wie ich für BBE das Album Adventures in Lo-Fi gemacht habe. Ich habe jeden Tag blind 20 Platten aus den Regalen gegriffen und dann geschaut, wie viele Beats ich aus diesen 20 willkürlich gewählten Platten machen konnte. Es hat soviel Spaß gemacht, dass ich das bis heute tue. Man bringt damit total abgefahrene Kombinationen zustande!
Mehr zu diesem Thema erfahren Sie im Kapitel Arbitrary Constraints des Buches.
Kindness
Bei Null anzufangen kann schwierig sein. Falls man die Beats nicht gerade minimalistisch halten will, kann man als Ausgangspunkt ein Drum-Sample in die Session ziehen. Es lässt sich später wieder entfernen, ersetzen oder für den Fall, dass es ein fester Bestandteil wird, kann man am Ende versuchen, es zu glätten. Ein Sample von Platte wird jedoch mit seiner Energie und seinem abgerundeten Sound den anderen Elementen unmittelbar Gewicht und Perspektive verleihen.
Doseone
Als Teil meiner Vorbereitung sind sowohl Ableton als auch mein Arbeitsplatz im Studio so organisiert, dass ich sofort festhalten kann, was in meinem Kopf passiert – mit so wenig Unterbrechungen oder Widerstand der Außenwelt wie möglich. Im Grunde meine ich mit „organisiert“: Meine Voreinstellungen sind gewissenhaft eingerichtet und startklar, alle meine Lieblingsinstrumente und Toys sind immer verkabelt und nur einen Knopfdruck davon entfernt, aufgenommen zu werden.
"Man hat später immer noch den größten Teil der Ewigkeit Zeit, um die zündende Idee zu editieren/umzuarrangieren/zu erweitern."
Inspiration ist ungeduldig. Je klarer und schneller man also das rendern/skizzieren/aufnehmen kann, was unter der Schädeldecke pocht, desto besser kann man durch Weiterentwickeln/Resampling/Löschen den Weg zu einer überzeugenden Komposition ebnen. Obwohl Geschwindigkeit nicht unbedingt von jedem schaffenden Musiker geschätzt wird, sorgt es für Klarheit, wenn man Ideen sofort festhalten kann. Außerdem verhindert es, dass das „Problemlöse-Ich“ zu früh in den Prozess involviert wird.
Man hat später immer noch den größten Teil der Ewigkeit Zeit, um die zündende Idee zu editieren/umzuarrangieren/zu erweitern. Warum also sollte man ihren freien Fluss schon gleich zu Beginn unterbrechen? Sich selbst nicht im Weg zu stehen ist im Grunde das beste Mittel, um ausgiebig nach der Musik lauschen, die in einem ist.
Kyoka
Wenn ich nicht weiß, wo ich mit der Musik anfangen soll, mache ich eine Aufnahme von der Torstraße hier in Berlin. Jede Straße bietet sich an, aber die Torstraße ist voller Autos und Bahnen und es ist immer laut genug. Das passt zu mir. Dann lade ich es in Ableton und improvisiere mit meiner Stimme dazu. Normalerweise finde ich dann ein kleines Wunder darin: einen besonderen Beat, eine seltsame Harmonie, ein neues Bewusstsein für Timing. Das kann das Ausgangsmaterial für einen neuen Song sein.
Jan Jelinek
Mein Zugang zu Musik/Sound ist eher visuell. Da ist es hilfreich, mit einer Hypothese zu beginnen: Wie soll die Musik aussehen? Ich versuche zuerst, mir eine Vorstellung vom Artwork/Cover zu machen, und dann fange ich an, die Musik dazu zu produzieren. Ebenfalls hilfreich ist es, die Liner Notes (Album-Anmerkungen) im voraus zu schreiben! Noch besser ist es, die Liner Notes von jemand anderem im voraus schreiben zulassen!
Lesen Sie ausgewählte Kapitel aus Making Music.
Bitte beachten Sie, dass Making Music – 74 Creative Strategies for Electronic Music Producers nur auf Englisch erschienen ist.
Erfahren Sie mehr über King Britt, Kindness, Doseone, Kyoka und Jan Jelinek.