Travis Stewart berichtet über seine musikalischen Wurzeln, Frust und Freuden elektronischer Musik, seine persönliche Produktionstechniken – und führt uns ins Innere eines seiner Tracks.
Machinedrum: Sacred Frequencies
In den letzten zehn Jahren hat Travis Stewart aka Machinedrum seinen Sound stetig verfeinert: eine meist instrumentale Fusion aus Hip-Hop, Juke, Jungle und House. Dabei machte er sich einen Namen als experimentierfreudiger Produzent, der auch das Kunststück beherrscht, seine komplexen Kompositionen adäquat auf den Dancefloor zu bringen.
2011 erntete er verdiente Lorbeeren für sein auf Planet Mu erschienenes Album Room(s). Seitdem zog er nach Berlin um, spielte beeindruckend viele Konzerte – solo als Machinedrum sowie als eine Hälfte von Sepalcure – und veröffentlichte eine Reihe von Singles, EPs und Mixe, die tiefste Tiefen diverser Bass-starker Genres erforschen.
In unserem Interview spricht Travis unter anderem über Inspiration, Frustration und selbst auferlegte Limitierungen. Zudem teilt er einen Track seines Albums Room(s) mit uns und gewährt uns schließlich Einblicke in seine musikalischen Ansätze und Produktionstechniken.
Was hat dich zum Musik machen gebracht?
Ich fing schon mit fünf oder sechs an, Klavier und Gitarre zu spielen. Ich hatte nie Unterricht, sondern erarbeitete mir fast alles nach Gehör. Oft hörte ich mir meine Lieblingsbands an, um so herauszufinden, wie man spielt. Meine Familie war ebenfalls recht musikalisch. Weil meine Mutter Klavier spielte, hatten wir einen Stutzflügel im Haus. Mein Großvater war Pedal-Steel-Gitarrist in einer Country-Band. (Das ist er übrigens immer noch!) Meine Cousine schrieb Songs, sang und spielte Gitarre, und mein Dad sammelte immer alle möglichen Instrumente. Bei solch einer Familie muss man wohl musikalisch werden.
Mit welchem Equipment hast du angefangen, und womit arbeitest du heute?
Als ich anfing, elektronische Musik zu machen, nutzte ich hauptsächlich Software: Cakewalk, Impulse Tracker, Rebirth und jede Freeware, die ich finden konnte. Meine ersten Geräte waren Yamaha CS1x, Boss Dr. Sample 202 und einige Bodeneffekte. Wir waren nicht gerade reich, ich musste also damit zurechtkommen.
Diese Anfänge hatten sicher auch großen Einfluss darauf, wie ich heute Musik mache. Ich habe immer noch ein relativ einfaches Set-up: ein Macbook Pro, auf dem Ableton Live läuft, und einige MIDI-Controller. Abgesehen von wenigen persönlichen Favoriten wie etwa den SoundMagic-Spectral-Effekten von Michael Norris oder Native Instruments Reaktor und Massive nutze ich nicht viele Plug-ins. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass mir die integrierten Ableton-Plug-ins meistens genügen.
Was kannst du uns zur Inspiration oder auch Frustration durch Musiktechnologie sagen?
Hinsichtlich Musiktechnologie leben wir heute in goldenen Zeiten. Das sehen sicher nicht alle so, aber ich bin fest davon überzeugt, dass es für uns eine unglaubliche Chance ist, Musik so einfach komponieren und aufnehmen zu können. Es ist schon irre, wenn man darüber nachdenkt: Wie viele musikalische Genies hat es wohl gegeben, von denen wir nie hören werden, weil sie schichtweg nie die Möglichkeit hatten, ihre Musik aufzunehmen?
Für alle, die rein nach Gehör spielten und einen avantgardistischen oder abstrakten Ansatz beim Musik machen hatten, war es ohne Kenntnisse der Musiktheorie einfach unmöglich, ihre Musik weiterzugeben – weder an folgende Generationen noch an ihre eigene.
Das einzige Problem, oder sagen wir, die einzige „Frustration“, die Musiktechnologie meiner Meinung nach mit sich bringen kann, sind die unendlichen Möglichkeiten und Optionen, die sich durch Software, Plug-ins, Synthesizer usw. eröffnen. Ich habe das Gefühl, dass sich viele Leute darin verlieren können, immer auf der Suche nach den besten Werkzeugen zu sein, anstatt sich darauf zu konzentrieren, ihre Fähigkeiten und ihren Sound weiter zu entwickeln. Um seinen eigenen kreativen Raum und seine persönliche Arbeitsweise zu entwickeln, halte ich es deshalb für unabdingbar, sich selber bestimmte Grenzen aufzuerlegen. Tut man das nicht, fehlt dem Ergebnis meist eine persönliche Handschrift und es klingt austauschbar. Früher habe ich über Leute gelästert, die jeden Sound mit demselben Synth machen, aber inzwischen ist mir klar geworden, wie falsch ich damit lag! Wie bitte soll man denn als Musiker seinen eigenen, unverwechselbaren Sound entwickeln, wenn man ständig sein Set-up ändert?
Um zu verstehen, wie der Machinedrum-Sound entsteht, baten wir Travis, uns einen Blick hinter seine Produktionskulissen zu gewähren. Freundlicherweise erklärte er sich bereit, den Song Sacred Frequency von seinem jüngsten Album Room(s) mit uns zu teilen.
Im folgenden Teil unseres Interviews sprechen wir mit Travis über die spezifischen Produktionstechniken und zugrundeliegenden Ideen von Sacred Frequency.
Womit hast du bei Sacred Frequency angefangen? Was war das erste Element, und wie ergaben sich daraus die nächsten Schritte?
Ursprünglich war das erste Element dieses Songs ein Sample namens „sacredfreq“,das ich vor langer Zeit aufgenommen hatte: die Rückkopplung einer Gitarre, die durch ein Bandecho und einen Federhall läuft. In der endgültigen Version des Songs gibt es dieses Sample lustigerweise gar nicht mehr, aber trotzdem hat es den Text und den Titel beeinflusst.
Nachdem ich das Sample wieder herausgenommen hatte, sampelte ich eine Militärkapelle von einem Video, das ich auf meinem Rechner hatte. Dann ließ ich einen Grain-Delay-Synth-Sound per Noise-Gate passend zum Drum-Track pulsieren – und der Rest ist Geschichte.
Eine Spur auf Sacred Frequency klingt wie fließendes Wasser und Kinderstimmen. Nutzt du solche Atmos öfter in deiner Musik? Was hast du gemacht, damit das Wasser hier synchron zu den Drums „pumpt“?
Ich nutze Field Recordings gerne als zusätzliche Farbe in meinen Kompositionen. Ich habe das Gefühl, dass sie den Songs einen Platz oder Raum geben, in dem sie existieren können, und dass das Hörerlebnis dadurch visueller wird.
Den Wasser-Sound habe ich mit einem Noise-Gate bearbeitet: Der Sidechain-Eingang wird von den Drums angesteuert, und der Effekt wird gleichzeitig mit diesen eingeblendet. So erhalten die Drums eine neue Textur und der ganze Song wird etwas organischer. Ich halte Dynamik-Effekte generell für sehr wichtig: Für mich sind sie fast schon so etwas wie ein richtiges Instrument.
Das Haupt-Keyboard-Thema besteht aus kurzen Fragmenten eines längeren Audio-Clips. Wie findest du in solchen Fällen die richtigen Segmente, und wie siehst du diese Methode generell im Vergleich zum üblichen Weg, neue Riffs zu entwickeln?
Bevor ich zu Ableton Live wechselte, habe ich fast 12 Jahre lang mit Impulse Tracker gearbeitet: ein Sample-basierter Sequenzer, der ursprünglich unter DOS lief und später für Windows und Mac emuliert wurde. Weil es in Impulse Tracker weder MIDI noch Software-Instrumente gibt, muss man dort Sample-basiert arbeiten. Diese Arbeitsweise, zu sampeln und lange Aufnahmen nach dem perfekten Sound zu durchsuchen, habe ich verinnerlicht und mir bis heute erhalten.
In Live habe ich früher meistens den Play-Marker in Audio-Clips herumgeschoben, bis ich etwas Gutes gefunden hatte – und auch in Sacred Frequency habe ich noch so gearbeitet. Neuerdings lade ich aber so gut wie jeden Sound, den ich finde, einfach in Simpler oder Impulse. Die meisten meiner neueren Tracks bestehen deshalb fast nur noch aus MIDI-Spuren.
In fast jeder Spur ist irgendeine Art von Filter im Einsatz, manchmal auch mehrere (EQ, Auto Filter, die Filtersektion von Reverb). Wie wichtig ist dir EQing und wie viel Zeit verwendest du darauf, damit jedem Sound im Mix „seinen Platz“ zu geben?
Ich arbeite sehr viel mit Filtern, manchmal vielleicht sogar etwas zu viel. Ich gebe den Tracks damit Bewegung und baue Spannung, Dichte oder Pegel auf oder ab. Für mich gehört das Mischen bei elektronischer Musik zum kreativen Prozess. Es ist mir deshalb wichtig, schon während der Arbeit an einem Track einen guten Mix hinzubekommen. Erst dann kann ich fundiert entscheiden, ob noch etwas fehlt oder welche anderen Komponenten ich noch aufnehmen oder hinzufügen soll. Manchmal klingt ein Track schon mit wenigen Spuren perfekt, und dann weiß man, dass er einfach nicht mehr braucht.
Besuchen Sie auch Machinedrums Website. Sie finden dort viele DJ-Mixe von Travis und seine anstehenden Live-Termine.