Neue Effekte in Live 10: Ein Blick hinter die Kulissen
„Es war ein Glückstreffer“, gesteht Softwareentwickler Marc Résibois über das Zustandekommen des neuen Effekts Drum Buss in Live 10. „Ich hatte mit dem Code für ein Filter gespielt, dessen Klang ich so mochte. Als ich beim Herumbasteln das Filter von High- nach Low-Pass invertiert hab, fing es plötzlich richtig schön an zu wummern. Ich ahnte, dass das ausbaufähig ist.“
Der glückliche Zufall, der zum Prototypen von Drum Buss führte, erinnert an den kreativen Funken, der Musikern manchmal zu einem neuen Stück verhilft. Aber hinter Lives neuen Kreativtools steckt doch wohl mehr als reine Geistesblitze, oder? Gespannt darauf, mehr zu erfahren, sprachen wir mit Softwareentwicklern über Inspiration und Transpiration, die in die charaktervollen Effekte von Live 10 geflossen sind. Das Team verriet dabei auch einige Insidertipps, wie Sie diese Effekte in Ihrer Musik einsetzen können.
Geistesblitze und Sprints
Schon bald nach der überraschenden Geburtsstunde von Drum Buss wurde dem Entwicklerteam eine frühe Version des Effekts präsentiert. Während eines „Hack Sprint“, einer Art internes Forum für Experimente mit Live, das das Developer-Team regelmäßig abhält, erntete der Hack viel Bewunderung von den Kollegen. „Die Leute werden dazu ermutigt, sich mit dem zu beschäftigen, was sie am meisten interessiert“, sagt Softwaredesigner Matt Jackson, der seine Hand sowohl bei Drum Buss als auch bei Wavetable (dem neuen Synth in Live 10) und Pedal im Spiel hatte. Auch Pedal startete auf der Hackerplattform durch. „Bei Pedal gab es keinen Projektleiter, der offiziell vorgab, wie programmiert wird. Der Effekt war in seiner frühen Form, die wir während des Sprints gesehen hatten, schon so überzeugend, dass alle die Idee schnell begriffen.“
Echo, Lives dritter neuer Audioeffekt, war dagegen schon früh beschlossene Sache. „Wir spürten eine leichte Unzufriedenheit darüber, dass es in Live keine modulierbaren Delays gab“, verrät Christian Kleine vom Sound-Team. „Unsere Delay-Effekte sind recht klinisch. Wir wollten lieber etwas, das sich ein bisschen verschieben kann. Delays an sich sind ja total mächtig. Viele Effekte beruhen darauf: Flanger, Chorus und in gewisser Weise auch Reverb.“ Christian nahm die Chance wahr, Lives Palette mit dem neuen Effekt zu erweitern: „Die neuen Delays verzerren den Sound so, wie man es eigentlich nur von analogen Geräten kennt. Präzise programmierte Effekte haben ihren eigenen Charme, aber mit Lives neuen Tools macht man einfach mehr Sounds, die nicht bloß nach Computermusik klingen.“
Inspiration vor Emulation
Christian leitete die Produktforschung zu den klassischen analogen Delay-Geräten, die in den Prototypen von Echo flossen. „Wir erstellten eine Playlist mit lauter Songs, deren Delay-Sounds wir interessant fanden und die mit dem vorhandenen Live nicht so leicht zu erzeugen waren. Dann nahmen wir eine Menge alter Delay- und Echogeräte auf, z.B. den Roland Space Echo, WEM Copicat und Morley Oil Can, und fragten uns: Was ist an ihnen charakteristisch? Welche Ecken und Kanten machen sie interessant und wie könnte man sie emulieren?
Mit den Eigenarten dieser Geräte im Hinterkopf, arbeitete Marco Fink sowohl bei Echo als auch bei Pedal am Code mit: „Um beispielsweise das Repitch-Verhalten zu emulieren [das beim Ändern der Delayzeit entsteht], wie es bei vielen Hardware-Delays der Fall ist, muss man beachten, was physikalisch in der Hardware vorgeht. Und das reproduziert man dann digital, mithilfe eines mathematischen Modells.“ Aber abgesehen von Echos virtuell-analogen Filtern, die wie Marco sagt „verzerren, komprimieren und sättigen“, ist der Effekt keine simple Nachahmung. „Es war nie unsere Absicht, etwas Existierendes nachzumodellieren“, erklärt Christian. “Es ging eher darum, die Seele dieser Geräte einzufangen und einen ähnlichen klanglichen Raum einzunehmen.“
Drum Buss ist zwar nicht direkt von bestimmter Hardware beeinflusst, aber sein Erfinder Marc stellte sich den Effekt vor als „ein Gerät, das es nie gab“ und meint damit die direkte und übersichtliche Steuerung. Echo und Pedal dagegen sind von ganz konkreter Hardware inspiriert. Matt stimmt in Christians Worte über Charakter und Seele ein: „Das Interessante ist für mich, dass wir kein spezifisches Pedal emuliert haben. Wir hörten uns mehrere klassische Bodeneffekte an und versuchten, die verschiedenen Charakteristika und Elemente auf harmonische Weise miteinander zu kombinieren. Wir wollten die Essenz der Pedale herausholen.“
Aber wie geht man vor, wenn man so eine Hardware-Seele einfangen will? Wie kommt der Geist in die Maschine? Christian erklärt es am Beispiel von Echo: „Der LFO verhält sich perfekt, digital betrachtet. Aber sobald du einen Makel einschleust, der mit Zufällen operiert und beim Hören nicht stört, nimmst du ihn lebendiger wahr, eher analog. Manchmal geht es ziemlich leicht, Zufall künstlich zu erzeugen, aber in anderen Fällen ist das eine große Herausforderung. Wir experimentierten lange herum, bis zum Beispiel Noise und Wobble gut klangen.“
Die Balance finden
Auch Pedal ist von der Klangverarbeitung charakteristischer Hardware inspiriert. „Aber wir wollten es auch effizient haben“, stellt Marco klar. Hierin besteht eine weitere Herausforderung. Programmierer stehen oft vor der Frage, wie realistisch sie analoges Verhalten emulieren sollen. Besonders wenn es um die Signalverarbeitung in Echtzeit geht, erfordert das Nachprogrammieren der feineren Details mehr und mehr CPU-Power. „Du musst dich bei jedem einzelnen Geräteteil zwischen simplen und elaborierten [mathematischen] Modellen entscheiden“, ergänzt Marco.
Bei der Entwicklung von Echo lag eine Schwierigkeit darin, dass das technische Design ursprünglich für einen einfacheren Effekt gedacht war, erklärt Christian: „Anfangs wollten wir etwas mit ganz wenigen Parametern programmieren. In der Regel versuchen wir zu vermeiden, dass zu viele neue Funktionen dazukommen. Aber viele Test-User wünschten sich Zugriff auf das, was hinter diesen Reglern ist. Deshalb beschlossen wir, ziemlich viele davon freizulegen, zum Beispiel die Noise-Elemente.
Echo ist dadurch beim ersten Gebrauch etwas komplizierter, aber es lassen sich damit viel besser eigenständige Sounds erzeugen. Es ist immer ein Balanceakt zwischen Usability und Optionenvielfalt. Wir haben noch tonnenweise Ideen, was wir bei Echo ergänzen könnten. Aber wenn wir die alle hineinstecken, würde das Ding explodieren! Um bei den Funktionen die richtigen Prioritäten setzen zu können, braucht es Userfeedback und jede Menge Praxiserfahrung.”
Auch bei anderen Fragen ging es um die richtige Balance. Die Handvoll Parameter im Drum-Buss-Effekt musste genauestens aufeinander abgestimmt werden, wie Marc erklärt: „Wir hatten den Boom zurecht gerückt und nach den ersten User-Tests ergänzten wir nach Crunch auch Transientenumformung, Kompression und andere Elemente. Wir wollten ein Device mit wenigen Parametern, die alle richtig gut zusammenwirken, damit sie gewollt klingen – ganz egal, was man mit ihnen anstellt. Deshalb haben wir sehr lange feinjustiert. Schätzungsweise 75 Prozent der Zeit ging es darum, die richtige Balance zwischen allen Komponenten zu finden.“
Testphase und Teamwork
Das Feedback von Usern spielen oft eine entscheidende Rolle. Marc unterstreicht, wie wichtig es bei der Entwicklung von Drum Buss war: „Die Tests waren supernützlich, sie halfen uns zu entscheiden, was als nächstes dran ist. Das gab bei uns sehr oft die Richtung an.“ Der Pedal-Effekt ging durch viele Feinabstimmungen. „Letztlich sollte er extremer klingen, besonders nachdem das User-Feedback darauf hindeutete, der Fuzz klinge etwas zu gefällig.”
Der Mid/Side-Modus von Echo entstand in einer relativ späten Entwicklungsphase, auf das Feedback einiger Musikproduzenten hin. „Wir dachten darüber nach, probierten es aus und es war so interessant, dass wir es umsetzen mussten“, schwärmt Christian.
Aber was ist Mid/Side (dt. Mitte-Seite) eigentlich? „Statt nur den linken und den rechten Kanal eines Stereosignals zu bearbeiten, verzögert Echo getrennt voneinander die Summe und die Differenz der Kanäle“, erklärt Marco. „Mono- und Stereoanteil eines Signals lassen sich mit unterschiedlichen Delayzeiten wiederholen, damit ein zeitvariables Stereobild entsteht. Das heißt du kannst z.B. schnelle Wiederholungen in der Mitte haben, aber langsame an den Seiten. Klanglich hat es definitiv einen ganz eigenen Charakter.“
Obwohl die Teams hinter den drei Effekten klein waren, gab es häufig unterschiedliche Ansichten. „Typischerweise gibt es eine Person, die mit ihrer Idee oder Vision vorangeht und dann ein paar andere, die an Programmierung und Design arbeiten“, sagt Christian. „Was ich an Echo interessant fand, waren die unterschiedlichen Perspektiven. Durch meinen Background als Musiker hatte ich eine klare Vorstellung davon, wie es klingen sollte. Ein Programmierer hat vielleicht nicht dieselbe Vision, aber ein besseres technisches Verständnis. Wenn etwas technisch Müll ist, aber trotzdem gut klingt, finde ich das wunderbar! Aber nicht der Programmierer. Es muss ja bedienbar bleiben. Daraus entstehen interessante Diskussionen.“
Dieselbe Haltung zum Sound und das Vertrauen zum restlichen Team hatte auch Marc, als er an Drum Buss arbeitete: „Ich gehe meistens sehr experimentell heran. Ich versuche einfach, etwas zu finden, was cool klingt, statt dafür zu sorgen, dass ich es optimal umsetze. Normalerweise habe ich am Ende einen Code mit viel ,Seele’, der nicht unbedingt elegant ist. Ich mache viele Fehler. Zum Glück habe ich ein paar Teamkollegen mit deutlich mehr Ahnung von komplexen DSP-Fragen.“
Marc meint, dass die Arbeit in solch kleinen Teams hilfreich sein kann, damit ein Tool seinen echten und einzigartigen Charakter entfaltet: „Ich finde es gut, wenn so etwas von einem kleinen Team entwickelt wird, es spiegelt dann eher die Persönlichkeit von jemandem wider. Drum Buss ist kein neutrales Device. Es bekennt Farbe und steht für eine Arbeitsweise. Es macht Sound, wie ich ihn mag!“
Angewandte Tools
Wie aber klingen die neuen Effekte? Was macht sie besonders und wie können Sie damit Musik machen? Die Erbauer der neuen Tools gaben uns einige Tipps mit und lieferten dazu mehrere Klangbeispiele.
Pedal
Pedal schließt den Kreis der Gitarreneffekte in Live. Es holt volleren Sound aus Amp und Cabinet heraus und sorgt für jene extreme Sättigung, wie sie unter zahllosen Gitarristen seit den 60ern populär ist, allen voran Jimi Hendrix und Led Zeppelin. Jimmy Page, der Gitarrist der letzteren Band, beschrieb diesen Sound schlichtweg als " brutal“.
Aber auch auf Synths angewendet, entstehen brachiale Ergebnisse. Denken Sie nur an die sirenenartige Verzerrung, die Daft Punk an einem frühen, rauen Punkt in ihrem Werk einsetzten:
„Eine unkonventionelle Anwendung ist“, ergänzt Matt, „vor dem Pedal-Effekt mit den EQ-Spitzen durchs Spektrum zu fahren. Die Ergebnisse sind wirklich überraschend. Das klingt eher nach anderen Verzerrertypen als nach Filter-Sweep. Und keine Angst wegen der Resonanzen, mach einfach was ganz Wildes!”
„Er kann auf jeden Fall auch hammerharte Verzerrersounds machen“, ergänzt Marco, „aber durch die Wet/Dry-Steuerung kann man auch subtil werden. Manche nutzen diesen Effekttyp sogar für Vocals, um ein bisschen Brillanz zu erzeugen, wie bei einem Exciter. Sie schieben dann eine verzerrte Stimme über eine unbearbeitete.“
Echo
Welche Sounds sind mit Echo eigentlich noch möglich, mal abgesehen vom psychedelischen Stereopanorama des Mid/Side-Modus? Hier können Sie die Presets herunterladen, mit denen die Audioclips unten entstanden sind.
„Du kannst halt auf sinnvolle Weise eher transparenten Digitalsound mit Analogsound kombinieren“, erklärt Marco. „Du machst dann vielleicht etwas, das die Schwankungen und das Rauschen eines Tape-Delays hat, aber nicht das Dunkle und die Kompression. Oder du hast eine tonbandartige Verzerrung ohne die Noise-Artefakte. In der analogen Welt könntest du diese Eigenschaften nicht voneinander trennen.“
„Wie du damit modulieren kannst, geht weit über das hinaus, was du mit diesen Hardware-Geräten machen kannst [deren Sound Echo beeinflusste]“, sagt Christian. „Es ist ziemlich leicht, einen richtig schönen Flanger, Chorus und andere schräge Sounds zu erzeugen. Das Device macht einfach Spaß. Wenn du magst, kannst du 10 Minuten lang glücklich am Feedback herumspielen”, ergänzt Marco. „Mir gefallen die abgefahrenen Robotersounds, die man mit kurzen Delayzeiten erzeugt, wenn man viel Feedback dazu gibt und die Zeit mit dem Random LFO moduliert.
Den Effekt kann man auch sehr gut für Gitarren nutzen, vor allem, wenn man auf Ambient oder Drones steht. Die entsprechenden, miteinander verbundenen Delay- und Reverbkombinationen sind bei Echo eingebaut. Du brauchst nur beim Reverb den Feedback-Modus mit langer Decayzeit einzustellen. Shoegazing leicht gemacht!“, meint Christian dazu.
„Es gibt auch den Envelope-Follower, der auf die Amplitude des Eingangssignals reagiert. Wenn man eine Gitarre nimmt, kann die Amplitude des Tons die Delay-Line modulieren. Das ist ein sehr organisches Feature. Du kannst hüllkurvenmoduliertes Flanging oder Delay-Lines und sowas machen. Leute wie Frank Zappa haben das ziemlich oft so eingesetzt.“
Drum Buss
„Am meisten gefällt mir an Drum Buss, dass er eine schöne Balance findet zwischen unmittelbarer Belohnung und Kontrolle“, sagt Marc. „Wenn du das Device für deine Drums benutzt, klingen sie einfach sofort größer. Danach kannst du alles für dich maßschneidern, wummernde Tiefen, prasselnde Höhen, knallige Attackzeiten. Der Effekt ist auf jeden Fall in den verzerrten Beats von Drum-Machines im modernen Hip-hop verwurzelt und im Schlagzeugsound von eher rauem Rock-Elektronik-Crossover.”
„Aber du kannst den Sound auch ganz subtil werden lassen, er muss nicht in die Vollen gehen. Manche fingen an, es für Kickdrums, Snares und einzelne Percussionsounds oder sogar für Synths zu verwenden – das alles mit sehr überzeugenden Ergebnissen, die nicht unbedingt eine Klangsignatur von Drum Buss tragen. Für mich spiegelt das seine Vielseitigkeit wider.“
„Na klar wurde der Effekt für Busse entwickelt, aber wie auch für gute Hardware gilt: Man sollte sich frei fühlen, ihn für alles andere zu missbrauchen.“
Drum Buss ist Bestandteil von Live 10 Standard und Suite. Pedal und Echo sind bei Live 10 Suite inbegriffen. Vergleichen Sie die Editionen von Live 10.
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