Für die Generation, die in den 1980er Jahren mit VHS-Filmen und Synth-lastigen Soundtracks aufgewachsen ist, besitzt Los Angeles eine bemerkenswerte Anziehungskraft. Von Palmen gesäumte Boulevards, zwielichtige Bars, schnelle Autos und voluminöse Frisuren – die nostalgische Sehnsucht nach dieser extravaganten, optimistischen Zeit kennt jeder, der diese besondere Form der amerikanischen Kultur miterlebt hat. Dem Pariser Produzenten Krikor Kouchian geht es nicht anders, und genau diese Nostalgie hat er auf seinem neuen Album Pacific Alley erforscht.
Krikor Kouchian: Kostenlose LinnDrums für Live
In der Vergangenheit veröffentlichte Krikor seine Musik größtenteils unter seinem Vornamen. Seine Diskographie reicht bis in die späten 1990er Jahre zurück und bewegt sich in sehr unterschiedlichen Stilrichtungen – von Club-Tracks mit französischer Note über fragmentierten Microsampling-House bis hin zum Indie-Elektronik-Crossover auf Labels wie Tigersushi. Ruhelosigkeit und eine mutige Klangpalette waren über all die Jahre konstante Faktoren in Krikors Werk – wenn ein Track vom ihm läuft, spitzt man einfach die Ohren.
Celluloid-Referenzen
Pacific Alley wirkt reflektierter als Krikors frühere Arbeiten – für jeden schwungvollen Dancefloor-Track gibt es einen Moment der Melancholie. Diese Dualität passt zu den Gefühlen, die der Künstler der Stadt, die er als Muse für dieses Projekt ausgewählt hat, entgegenbringt.
„Ich wollte schon immer einmal etwas über Los Angeles machen, weil das eine Stadt ist, die ich liebe und hasse“, sagt Krikor. „Als ich die Platte aufnahm, dachte ich an klassischen Westcoast-HipHop und Funk. Aber ich wollte nicht bloß eine Retro-Platte machen. Meine Vision war viel visueller: L.A. im Regen. Filme von Regisseuren wie Michael Mann hatten am Ende einen größeren Einfluss auf das Album als Musik.“
Das Album könnte ohne Weiteres als Soundtrack durchgehen. Es besteht aus markanten Miniaturen, die wie einzelne Szenen wirken, doch die 1980er und 90er Jahre sind unüberhörbar: Gate-bearbeitete Snare-Drums, verspielte Synth-Lines und Slap-Bass-Licks. Der rückwärts gerichtete Blick findet sich auch in den Videos, die Krikor und Nathalie Gasdoué für das Album produziert haben.
„Im Video zu ‘Niños Matadores’ ist eine Menge Filmmaterial von sogenannten Ditch-Parties enthalten, die in den 1990er Jahren in Hinterhöfen in L.A. stattfanden, und auch von 1990er-Talkshows“, erklärt Krikor. „Die Hauptidee war, eine bestimmte Zeit in Los Angeles zu zeigen. Wir haben das dann mit Material gemischt, das wir mit einer grünen Leinwand und einem analogen modularen Videosynthesizer namens 3TrinsRGB aufgenommen haben.“
Der schöpferische Funke
Obwohl Krikor für die Videos modulares Equipment verwendet hat, wurden die Hauptbestandteile der Musik auf Pacific Alley mit einer mit Bedacht zusammengestellten Auswahl alter Drum-Maschinen, Synthesizer und Effektgeräte aufgenommen. Für einen stimmigen Gesamtsound kamen sie in jedem Track zum Einsatz. Um die Musik so schnell wie möglich zu vollenden, setzte Krikor sich selbst die eine oder andere Beschränkung.
„Ich habe das Album sehr schnell komponiert,” sagt Krikor. „Für die meisten Tracks brauchte ich 10 bis 15 Minuten, die Musik habe ich in zwei oder drei Stunden gemischt. Manchmal kann man sich beim Editieren verlieren – je schneller man es nach dem Komponieren macht, desto kleiner ist die Gefahr, dass das Wesentliche verlorengeht.”
Sein Credo der kreativen Selbstbeschränkung führt Krikor darauf zurück, dass er jahrelang nur mit einem Computer produziert hat. 2001 nutzte er eine frühe Programmversion von Live und erforschte später als Teil seines Studiums an der Pariser Musikhochschule Max/MSP.
„Dass ich mir für dieses Projekt musikalische Beschränkungen auferlegt habe, hat weniger damit zu tun, dass ich den Sound einer bestimmten Epoche zwanghaft reproduzieren wollte. Es sollte mich eher daran hindern, den roten Faden zu verlieren”, begründet Krikor seine Entscheidung. „Ich habe meine DAW oft so eingestellt, dass sie wie ein Mischpult beladen ist – mit maximal acht Spuren und zwei Effekten. Ich denke, das ist eine gute Nutzungsweise des Computers – so wachsen einem die Möglichkeiten nicht über den Kopf. Ich habe früher viele Tracks dadurch ruiniert, dass ich sie überladen habe.”
Handwerkszeug
Selbst wenn Krikor nicht vorhatte, ein explizites „Retro”-Album zu machen, hat er ältere Geräte an den Anfang der Signalkette gesetzt. Dies hatte unweigerlich Musik zur Folge, die einen bestimmten Zeitabschnitt fokussiert. Im Mittelpunkt der Drum-Auswahl stand sein modifizierter Casio RZ-1 Drumcomputer, in den Soundbänke mit klassischen LinnDrum-, TR-808- und CR-78-Samples geladen wurden. Der 8-Bit-Prozessor des RZ-1 gab diesen bekannten Sounds eine zusätzliche digitale Verzerrung.
„Ich habe alles in Live aufgenommen”, antwortet Krikor auf die Frage nach dem Entstehungsprozess des Albums. „Meist begann ich mit ein paar Drum-Sounds, nahm dann die Synth-Parts auf und modulierte sie in Echtzeit. Bei diesem Album habe ich wenig editiert. Nur die Drum-Sounds des RZ-1 klangen ein wenig zu schmutzig, weil sie nur aus einem Mono-Ausgang kamen. Deshalb habe ich nach dem ersten Jam alle Parts auf dem RZ-1 separat aufgenommen und das rekonstruiert, was ich in Live gemacht hatte. So konnte ich es etwas sauberer mixen.”
Neben dem RZ-1 kamen auch die Synthesizer Roland Juno 2 und Yamaha DX100 zum Einsatz. Das vielleicht kultigste Gerät auf der Liste ist allerdings der Fairlight CMI. Als bekanntermaßen teurer, seltener und komplexer Synthesizer brachte der Fairlight einige charakteristische Sounds der 1980er Jahre hervor, siehe Herbie Hancock, Art of Noise, Jan Hammer und andere. Allerdings räumt Krikor schnell ein, dass ihm sowohl das Budget als auch die Verbindungen fehlten, um einen Original-Fairlight zu organisieren.
Stattdessen nutzte er eine „Fairlight-Emulation auf dem Smartphone, sie macht einen großen Teil des Albums aus. Die App wurde von einem Fairlight-Gründer entwickelt und hat den gleichen Sequenzer und die gleichen Standard-Sounds. Ich habe den internen Sequenzer verwendet und ihn über eine digitale MIDI-Box, die für mein Smartphone besitze, in Live geholt. Das ist effizient, hat keine Latenz und klingt wirklich gut.”
Teil des Schaffensprozesses
Während Krikor beim Komponieren auf schnelle, spontane Ergebnisse erpicht war, legte er sehr viel Wert auf die Klangbearbeitung und das Mischen, um den gewünschten Sound zu erreichen. Alle Tracks wurden nach ihrer Fertigstellung auf eine besonders staubige Audio-Kassette überspielt, um ihnen eine finale Schmutzschicht zu verpassen. Dem gingen allerdings viele Stufen in der Signalkette voraus. Hardwareseitig spielte das AMS S-DMX die entscheidende Rolle – ein Pitch-Shifter, Delay, Harmonizer und Sampler, der sehr viele Sounds des Albums geprägt hat.
„Bei einem Track beruht der gesamte Mix darauf”, sagt Krikor über sein Vintage-Effektgerät. „Ich liebe diese Maschine. Sie ist unstabil, aber toll.”
Nach der anfänglichen Aufnahmephase wurde der Großteil der Klangbearbeitung in Live durchgeführt – mithilfe vieler Plug-ins und Patches. Den markanten Pitch-Bending-Wobble auf dem Lead-Synth im Ambient-Track „Armas Y Heroinas” erreichte Krikor beispielsweise über einen Reaktor-Patch. Zusätzlich entwickelte Krikor in Live Rack-Effekte für seine eigenen Instrumente (mehr dazu später) und nutzte das UAD-Plug-in Ampex ATR-102 Mastering Tape Recorder, bevor er den Master-Mix auf besagter Audio-Kassette festhielt.
„Ich nutze den Computer inzwischen hauptsächlich als Werkzeug für das Mixing und die Klangbearbeitung”, sagt Krikor. „Zum Komponieren nutze ich ihn kaum noch. Mit den UAD-Plugins arbeite ich seit vielen Jahren, und ich habe auch einige Plug-ins von Sound Toys benutzt, weil viele davon auf legendären Delays basieren. Für mich klingen sie wie die Originale, ich konnte keinen Unterschied feststellen.”
Obwohl Krikor den Klanggehalt des Albums künstlich gealtert und verzerrt hat, folgt er hinsichtlich des Mixings keinem bestimmten „Old-School”-Ansatz oder einer Methode, die sich von seiner üblichen Herangehensweise unterscheidet.
„Pacific Alley hat zwar dieses 1980er-/1990er-Jahre-Feeling, doch der Produktionsprozess war größtenteils derselbe, den ich auch bei Techno- oder House-Tracks anwende", so Krikor. „Den Umgang mit Kompressoren und EQs habe ich in den 1990er Jahren gelernt. Doch als ich zum Computer wechselte, habe ich sie genauso genutzt. Es ist eine modernere Art des Mixings als bei 1980er-Soundtracks."
Krikors Instrument-Racks
Um klassisches Equipment in einen modernen Produktionsprozess einzubinden, hat Krikor einige Instrument- und Effekt-Racks für Live entwickelt, die seine Studio-Herangehensweise an Drumcomputer widerspiegeln. Die ersten drei Racks bilden die ikonischen Roland-Drummaschinen TR-808, TR-606 und DR-110 nach und stehen zum Gratis-Download bereit. Anstatt ein weiteres Interface zu entwickeln, das altbekannte Drumcomputer-Sounds abspielt, hat Krikor die Klänge raffiniert bearbeitet und Regler eingebaut, die die Racks in spannende Gefilde lenken.
„Ich hatte großen Spaß mit meiner 808 und dem BIM-Delay von OTO Machines und wollte das einfach mit anderen teilen” erzählt Krikor. „Die Sounds habe ich durch das 12-bit-Delay des BIM aufgenommen – mit einem 100%-Wet-Signal, aber ohne Delay. Die 808 wird also schlicht in 12-bit übersetzt.”
„Als ich anfing, das Rack zu entwickeln, sollte es keine Soundbank werden, die nur Samples abspielt. Ich wollte dieselben Regler wie auf der 808, also habe ich die 808 mit verschiedenen Attack- und Decay-Tönen multi-gesampelt, damit sich das Drum-Rack wie eine richtige Drum Machine nutzen lässt. Dreht man an den Reglern, reagiert es anders. Es gibt Plug-ins, die den puren 808-Sound sehr gut reproduzieren, aber ich wollte etwas anderes machen und Nuancen hinzufügen, die ich mag.”
Zusätzlich zu den 12-bit-Drum-Sounds hat Krikor für jeden Drumcomputer ein eigenes Effekt-Rack entwickelt, das viele Möglichkeiten bietet, die Sounds zu manipulieren. Das Rack „OTO BIM TR-606” wird etwa vom passend benannten TR-606 Destroyer begleitet – einem zusätzlichen Effekt-Rack, das sich mit jedem Instrument nutzen lässt und besonders für Distortion, Low-Res Reverb und andere kunstvolle Wege der Demontage von Drum-Sounds geeignet ist. Das Rack „Mr. T-DR-110” enthält ein Filter, eine Pitch-Shift-Funktion sowie „Mr. T FX” und' „MS20-izer”, die in Kombination miteinander trockene, vertraut klingende Beats zu spannenden Drum-Patterns verzerren können. Beim TR-808-Rack sind die Auswirkungen der Effekte am deutlichsten – die cleanen Drums klingen für sich alleine schon gut, doch durch das „Old School Spank”-Effekt-Rack gewinnen sie sofort an Wildheit. Besonders effektiv ist der Parameter „Phazing Tape”, der Tonhöhenschwankungen in den Mix schiebt und wunderbare musikalische Ergebnisse liefert. Getreu dem Punk-Style, den Krikor seit seinen frühesten Veröffentlichungen pflegt, sind dies perfekte Effekte für Produzenten, die ihre Beats gerne mit Schmutz und Charakter aufladen.
Eine Pforte zum Paisley Park
Das wichtigste Drum-Set beim Produzieren von Pacific Alley war die LinnDrum, und wie schon bei seinen früheren Kreationen hat Krikor ein Instrument-Rack entworfen, das Roger Linns legendäre 1980er-Drumbox feiert und dabei einige kleine Wendungen parat hat. Ähnlich wie bei seinen anderen Instrumenten hat Krikor seine individuelle Signalkette auf die legendären Sounds angewendet: Die LinnDrum-Samples wurden auf das RZ-1 geladen und über den OTO Machines BAM Reverb-Effekt aufgenommen. Dann sampelte er auch hier die Drum-Hits mit unterschiedlichen Decays und Anteilen von düsterem 12-Bit-Reverb, um möglichst viele unterschiedliche Ergebnisse zu erzielen. Das zugehörige Effekt-Rack „Purpleizer” ist natürlich von einem ganz bestimmten LinnDrum-Anwender inspiriert.
„Ich habe das Multi-FX-Rack speziell für diesen Effekt entwickelt, der alles ein bisschen nach Prince klingen lässt", sagt Krikor. „Für mich ist er der größte User der LinnDrum, wobei ‘Mama’ von Genesis für mich als Jugendlicher sehr wichtig war – bei diesem Track drehte sich alles um die LinnDrum und den LM1."
Zeitgleich mit der Veröffentlichung von Pacific Alley und diesem Interview stellt Krikor sein Instrument Pacific Alley LinnDrum samt Effekt-Racks freundlicherweise als kostenlosen Download bereit. Sie können das komplette Paket per Klick auf den angegebenen Link herunterladen, aber schauen Sie sich zuerst den Trailer für das Instrument an – er fängt die Stimmung von Pacific Alley perfekt ein.
Bleiben Sie mit Krikor über seine Website und SoundCloud in Verbindung.