In der Welt der elektronischen Musik ist Wolfgang Voigt seit gut zwanzig Jahren eine feste Größe. Bekannt nicht nur als Mitgründer des Kölner Kompakt-Labels, hat er als Musiker auch unter den Pseudonymen Mike Ink, Love Inc., Studio 1 oder Gas einige epochale Werke hervorgebracht. Seit neustem widmet sich Voigt, der sich schon immer als interdisziplinärer Künstler verstanden hat, verstärkt der bildenden Kunst, wo er die ästhetische Konzeptionen, die in seiner Musik ihre Vollendung finden, auf die Ebene des Visuellen überträgt.
Anlässlich des 20. Jahrestages von Kompakt sprachen wir ausführlich mit Wolfgang über seine Einflüsse, die Ästhetiken des Samplings, und das Aufstellen und Brechen der eigenen Regeln.
Du hast dich mal als "unverbesserlicher Warholist" und Kompakt als "gelebte Pop Art nach dem Factory-Modell" bezeichnet. Was hast du aus den 20 Jahren Kompakt gelernt, das für die nächsten 20 Jahre gelebter Pop Art dienlich sein könnte? Oder anders gefragt: Wie altert man mit Würde in diesem Geschäft?
Das sieht man ja am lebenden Beispiel. Es gibt zwei Aspekte an Warhol, die mich interessieren. Der eine Aspekt ist der Zusammenhang mit der Firma Kompakt. Der andere hat was mit meinen eigenen künstlerischen Verfahrensweisen und Prinzipien zu tun. Warhol ist einerseits einer der ganz großen Künstler der Wiederholung, des Loops: Wir alle kennen die Marilyn in Variationen. Diese Denke in Kunst und Musik begeistert mich von jeher. Das Prinzip von Wiederholung, das Serielle: Da sehe ich eine Parallele. Der andere Aspekt ist die vielzitierte Idee der Factory. Davon bin ich immer ein wenig beseelt gewesen, weil ich so aufgewachsen bin: Leben und Arbeiten unter einem Dach, mit Freunden. So habe ich die Kunst des Firma-Machens im Familienkontext.
Der wesentliche Unterschied zwischen Warhols Factory und unserer ist der, dass es in Warhols Factory ausschließlich um die Kunst von Warhol geht. Bei der Firma Kompakt geht es mir vor allen Dingen um die Musik von anderen und nur am Rande um meine eigene Musik. Auf dem Label Kompakt findet meine eigene Musik kaum statt. Ich habe meine eigenen Labels, die wiederum im Vertrieb Kompakt sind. Das ist eine andere Schnittstelle. Kompakt ist ein Label, bei dem mein Beitrag in meiner aktiven Zeit vor allem darin bestand, die Musik von anderen zu erkennen, ihr auf den Weg zu helfen, sie zu inszenieren, sie vielleicht auch so zu verpacken wie Warhol – indem ich ihr eine CI gebe, eine visuelle Wiedererkennbarkeit.
Und das ist natürlich ein Unterschied in der Denke. Aber ich bilde mir ein – und lasse mich aber gerne eines Besseren belehren – dass wir ein gutes Beispiel dafür sind, wie man auch in der Technokultur altern und sogar die nächsten zwanzig Jahre als Perspektive sehen kann. Das Ding entwickelt sich weiter – man geht mit der Zeit. Andererseits ist man fest verhaftet in einer Tradition. Ich glaube, dass man auf dieser zweigleisigen Schiene oder Schwingung im Grunde eine unbegrenzte Zukunft hat.
Apropos "zweigleisig": Du hast mal gesagt, dass das, was du machst, bzw. was Kompakt macht, Pop unter den Bedingungen von Techno ist. Was ist für dich die Essenz von Pop? Was ist die Essenz von Techno?
Ich habe das zeitweilig – nicht uneingeschränkt, aber sehr stark als musikalische Kernaussage des Labels Kompakt – immer gerne so formuliert: "Wir verstehen Kompakt als ein Pop-Label unter den Voraussetzungen von Techno". Natürlich sind wir Techno-sozialisiert. Das Zeug hat eine gerade Bass-Drum und funktioniert im Techno-Club. Wenn wir "Pop" sagen, hat das zwei Gründe. Der eine: Die meisten früheren und jetzigen verantwortlichen A&R-Leute – insbesondere Michael Mayer und ich – haben eine Pop-Prägung. Wir wurden beide in den 80ern sehr stark von anglo-amerikanischer Popmusik geprägt. Und es ist nicht schwer, diesen Geist in Kompakt wiederzufinden. Wir haben ein Faible für Harmonien, für Gesang. Wir sagen auch bewusst, "Wir definieren eine Abgrenzung zu rein puristischen Minimal-Techno- Spielarten, wie man sie von anderen Künstlern oder aus anderen Städten kennt". Das weiß jeder: An diesen Klischees – der "Sound of Dieses" und der "Sound of Jenes" – ist schon etwas dran. Aber Pop ist für uns eher eine Haltungssache. Das muss nicht klingen wie Pop. Ich verstehe mich mittlerweile viel mehr als Pop Art denn als Minimal Techno. Oder als Minimal Art. Das ist auch eine Frage der philosophischen Schulung und Prägung, die man hat. Das muss nicht so klingen, um Pop zu sein. Das ist eine Frage der Denke.
Meine eigene Musik betrachte ich zunehmend mehr als Minimal-Art denn als Minimal-Techno.
Das Neue speist sich aus dem Alten. In der elektronischen Musik – in deiner Musik – kommt das Alte in Form von Sampling vor. Alle Musiker, die Sampling-Technik anwenden, befinden sich irgendwo auf einer Skala zwischen Verehrung des Originals und einer gewissen Respektlosigkeit gegenüber dem Material. Sie erlauben sich im Umgang damit Freiheiten. Wo ordnest du dich in diesem Kontinuum ein?
Auf der gesamten Bandbreite – je nachdem. Generell muss man sagen, Sampling ist mein Instrument. Das ist meine Gitarre. Als ich anfing, mich darin zu vertiefen, dachte ich: Dieses Instrument wurde für mich gebaut. Das Zitieren von externen Klangquellen, wie ich das heute vorzugsweise nenne, ist etwas, das in meine künstlerische Denke einfach passt. Da sind wir auch wieder bei Warhol, der eine Marilyn übernimmt und übermalt. Wenn ich ein Sample nehme - von Klassik bis Jazz von A-Z, das kann alles sein – habe ich erst mal eine externe Klangquelle, die ich überzeichne. Ich verdichte sie. Heutzutage ist mein Ziel, das Sample von dem zu befreien, was ursprünglich gemeint war, und es nur als ästhetisches Material zu benutzen, um etwas Neues daraus zu machen. Da hat sich meine Denke, die ungebrochen Sampling-basiert ist, einfach geändert.
In den 90ern, als Sampling das neue Ding war, habe ich wie so viele andere Leute externe Musik bewusst zitiert, z.B. T.Rex / "Hot Love" oder Wagner oder Schönberg in meinem Ambient-Projekt Gas. Das führt aber zu Missverständnissen: Wenn man darauf herumreitet, überbewerten die Leute die Quelle. Mir geht es nicht darum, was gesampelt wurde, sondern was am anderen Ende rauskommt. Teilweise hat man da aus Verehrung gesampelt: Man findet etwas toll, man möchte sich damit verbinden und das weiterspielen, dem etwas hinzufügen – oder vielleicht auch eine Kleinigkeit wegnehmen von dem, was man daran nicht so mag.
Natürlich habe ich ästhetische Vorlieben: Ich mag eine bestimmte Musik, schmeiße sie in meinen Sampler, moduliere, drehe, deformiere, mache und tue. Ich arbeite deshalb mit einem bestimmten ästhetischen Ausgangsmaterial, weil ich will, dass dieser Klangkosmos darin vorkommt. Weil ich mich mit ihm vernetzen will. Ich will aber im Idealfall nicht, dass man erkennt, was das ist. Das kann am Ende sogar komplett verwischt sein im Ergebnis. Ich neige immer mehr zum Abstrakten in der Musik, dass du überhaupt nicht mehr denkst, "Was könnte das sein?". Denn das könnte alles sein. Wichtig ist trotzdem, dass es am Anfang dahinter war. Hinter dem, was ich in den Vordergrund stelle. Das ist eine spirituelle Sache. Ich schmeiße diese Gewürze in diese undurchsichtige Suppe aus Musik, aber du wirst am Ende nicht mehr erkennen, woher das kommt. Du sollst eigentlich auch gar nicht wissen, warum. Die Musik soll für sich sprechen. Eine Essenz bleibt erhalten. Aber genau in diesem unerklärlichen Bereich dessen, was Samples in ihrer Eigendynamik mit sich bringen, liegt für mich auch die Magie, der Zauber von Musik.
Welche Technik nutzt du konkret?
Ich bin seit einigen Jahren begeisterter Ableton-User. Sampling spielt bei mir, wie gesagt eine große Rolle – das Rummachen mit Audio-Files. Es ist ja hinreichend bekannt, dass die Möglichkeiten, Audio-Files schnell in alle Himmelsrichtungen zu verbiegen, in Ableton fantastisch funktionieren. Da bin ich bestimmt nicht der erste, der das sagt. Es wäre zwar gelogen, wenn ich mich als "technischer Laie" bezeichnete, aber ich bin vergleichsweise desinteressiert an "advanced" Wissen über Technik. Ableton hat das gigantisch vereinfacht, indem es meiner strukturellen Denke von Vereinfachung entgegenkommt. Der Sampler ist großartig, weil man die Parameter im Sample genau so bewegen kann, wie ich das in den 90ern schon gemacht habe. Damals arbeitete man mit Hardware-Samplern: Der Roland 750 war meine Waffe. Irgendwann wurde das digital, aber alle anderen Sampler zwischen dem Roland und dem Ableton-Sampler konnten sowas nicht – alternieren, vorwärts, rückwärts, Loop-Points setzen, die in der Regel noch nicht mal knacken, das ist wunderbar.
Ich arbeite live mit dem Zeug. Ich benutze das Ding wie eine Gitarre und einen Jammerhaken. Ich spiele darauf virtuos. Es sind diese beiden Dinge: Dass ich in Real Time, während die Musik weitergroovt – wenn sie denn grooven soll – mit den Audio-Files rummachen kann. Dass ich sie im Audio, im Sampler, schieben, dehnen, transformieren kann. Das ist sensationell. Du pitchst einen Song rauf, aber fährst mit dem Timing runter. So in Musik einzudringen, das ist eine geniale Art von Respektlosigkeit, die ich super kreativitätsfördernd finde. Und das kann ich mit dem Teil super machen.
Man könnte sagen, dass die Kraft deiner Musik aus einer Spannung zwischen einerseits Strenge, andererseits Freiheit entsteht. Das ist einerseits hörbar in deiner Tendenz, strenge rhythmische Gerüste mit freien oder ungewöhnlichen tonalen Elementen zu verbinden. Andererseits führt die Konsequenz, mit der du ein Konzept aufstellst und verfolgst, zu unkonventionellen Ergebnissen. Ist es für dich eine Frage der Selbstdisziplin, diese Spannung aufrechtzuerhalten? Hast du von Anfang an ein Ziel vor Augen? Oder musst du während des Produzierens immer wieder deinen Kurs korrigieren?
Eine schöne Frage. Sie ist mehrteilig, da kann ich viel mit anfangen. Also: Es stimmt. Es gibt einerseits etwas, das man extreme Strenge nennen könnte – eine Stringenz, ein Wille zum Groove in den statischen Sachen, den ich sehr konsequent verfolge und immer wieder "ausminimalisiere". Ich sage, "Techno ist gerade Bass-Drum, und alles andere ist erstmal verhandelbar". Da komme ich immer wieder zurück auf Null. Ich habe vor ein paar Monaten gerade erst eine Platte verbrochen, in der eine Stunde lang nur eine Bass-Drum durch ein verlaufendes Echo läuft. Ich brauche das, um mich sozusagen wieder selbst zu synchronisieren mit meinen eigenen Philosophien. Ich würde nie einfach ins Studio gehen und jammen. Das liegt mir nicht. Ich improvisiere wahnsinnig gerne mit Ableton, weil das dort super funktioniert und ich ein wenig zum Virtuosen zurückkehren kann. Aktuell habe ich mit dem Arpeggiator eine Art Klavier-Scheibe gemacht – "Zukunft ohne Menschen". Ich musste lange überlegen, ob ich mir diese Frechheit erlauben will, habe es dann aber gemacht. Da habe ich nur mit dem Ableton-Arpeggiator, mit nichts anderem – gut, bei zwei Stücken läuft mal eine Bass-Drum, aber eigentlich solo – praktisch gespielt wie auf dem Klavier. Das ist ja ein Sequenzerprogramm – getriggert, mit Vorgaben und einem rhythmischen Korsett. Aber ich breche das, indem ich mit der Hand spiele, improvisiere und damit eigentlich spiele wie Chopin. OK, das ist vielleicht etwas übertrieben. Aber dadurch gibt es ganz andere Ergebnisse.
Konkret zur deiner Frage: Ich gehe mit einem Konzept ins Studio und habe klare Regeln. Es gibt primär Dinge, die ich immer wieder verfolge: Das eine ist das Prinzip "Loop-Pattern" und "Minimalismus". Ich nenne das die Kunst des Weglassens. Minimalste hypnotische Musik mit Beat – Sog, Freiland und solche Projekte. Das andere, was ich zunehmend mehr verfolge, ist Rückverzauberung – mein Nachfolgeprojekt zu Gas: Abstrakte ambiente Musik. Das Modulieren, Deformieren, Eindringen in Welten, in denen ich versuche, in ambienten Klangwelten zwischen Atonalität und Wohlklang abstrakte Räume zu schaffen. Ich krieche praktisch in das Audio-File rein, um es nach allen Seiten ins Abstrakte zu deformieren. Das eigentlich spannende daran ist allerdings das ich das vermeintlich Gesuchte oft nicht da finde wo ich es gerne hätte oder vermute, sondern gewissermassen leicht seitwärts davon, in der Nähe davon. Bei diesen Dingen kann auch der Zufall eine sehr positive Rolle spielen... wenn man sich erlauben kann, den Zufall als Stilelement mit einzubeziehen.
Ich habe strenge Regeln beim Arbeiten mit Kunst und Musik, aber im Moment ihres Entstehens breche ich sie auch immer wieder. Ich bin ein absoluter Mann der Grenzüberschreitung und des Widerspruchs. Ich akzeptiere weder meine eigene Regeln – und schon gar nicht die von anderen. Ich muss mich auch permanent selbst überraschen. Das heißt, das Stück ist dann gut, wenn am Rande etwas passiert, das zwar mit der ästhetischen Wahl meiner Mittel zu tun hat, aber eben nicht genau das ist, was ich wollte. Denn das "Wollen" – im Sinne von Arrangieren in der Musik – versuche ich immer wieder zu überwinden. Das ist kleines Denken aus meiner Sicht: Zu sagen, ich mache jetzt eine Bass-Drum, dann kommt die Hi-Hat. Das habe ich Millionen Mal gemacht. Das muss nicht mehr sein. Ich muss immer wieder legitimieren: Warum darf ich diese Hi-Hat jetzt nochmal ins Off kloppen?
Deshalb muss ich ein Szenario schaffen, das maximale Freiheitlichkeit hat, was ich für jedes Stück neu legitimieren muss, indem ich verbinde und Zufälle schaffe. Und von daher ist es eine Mischung. Ich bin da immer in Bewegung. Man ist auch immer ein bisschen auf der Flucht vor der eigenen Festlegung.