Kiefer: Sei ruhig du selbst
Kiefer liebt es, eigene Prozesse mit anderen zu teilen. „Das ist meine Lebensaufgabe. Es gibt nichts, was ich lieber mache!” Um dabei eins klarzustellen: Es geht dem in Los Angeles lebenden Künstler nicht um eine selbstreflexive, nabelschau-artige Untersuchung seines eigenen Prozesses, sondern darum, zu zeigen, wie Musik für verschiedene Menschen funktioniert. So wie andere Lieblings-YouTuber vielleicht darüber sprechen, wie man ein Experte für Keramik werden kann, möchte er anderen und angehenden Musiker:innen Türen öffnen. In der Tat hat Kiefer das Zeug zum Lieblings-YouTuber und ist darüber hinaus Produzent eines Albums, das zu fast jeder Stimmung passt: Das Album „It's Ok B U", sein fünftes seit 2017, könnte ebenso wie der Titel als Manifest verstanden werden, das sowohl seine ästhetische Mission als auch seine Botschaft an angehende Musiker:innen in die Welt trägt.
Zu lernen, „einfach er selbst zu sein,” hat Kiefer einiges an Arbeit gekostet. Als Teenager plagten ihn Zweifel, ob er als Musiker irgendetwas erreichen könne. Er fing an, Musik zu machen, hörte wieder auf, versuchte es von Neuem und hörte kurz darauf wieder auf. „Ich glaube, einer der Gründe, warum ich aufgehört habe, war dieser Glaubenssatz, der mir eingetrichtert wurde – nicht absichtlich, ich habe das eher irgendwie aufgeschnappt: Entweder du hast es oder du hast es nicht. Das ist ein Satz, der in meiner Kindheit recht normal war, und jetzt sagt man das nicht mehr, und das ist gut so." Jene Fehleinschätzung, die „Talent" zum Maßstab für musikalisches Können erklärte, weckte im jungen Kiefer Zweifel. Nachdem er die Barriere überwunden hat, arbeitet er heute hart daran, sie auch für Menschen aus dem Weg zu schaffen, die seine Musik hören oder auf seinem Youtube-Kanal landen.
Ein Durchbruch, so erzählt er, kam durch eine einfache Einsicht eines Lehrers, der ihn gebeten hatte, sich an einem neuen Skill zu versuchen: „Ich sagte: ‘Nein, das kann ich nicht.’ Er sagte: ‘Das ist doch Quatsch. Dir ist schon klar, dass du das einfach üben kannst?’ Ich sagte: ‘Echt jetzt?’ Er sagte: ‘Ja, Mann, üb’ das einfach.’ Ich brauchte einen Lehrer, der mir erklärt, wie eine Übung aussieht, wie eine Übungsroutine aussieht, wie man eine Übungsroutine organisiert, wie man sich Ziele setzt und versucht, sie zu erreichen. Und auch einen Lehrer, der mir sagen konnte: Du schaffst das.”
Jene Erkenntnis über die Macht des Übens, der Übungen und des Setzens von Zielen legte für Kiefer den Grundstein zu einer Karriere als Solokünstler, Produzent und Kollaborateur, der schon ein paar große Meilensteine erreicht hat. Er hat an Anderson.Paaks Ventura mitgearbeitet, das 2020 einen Grammy für das beste R&B-Album gewann und hat mit Drake, Kaytranada, Mndsgn und Terrace Martin gearbeitet. „It's Ok, B U", sein neues Album auf Stones Throw, ist seit 2018 sein viertes auf dem Label. Das Album kombiniert auf berauschende Weise schwadronierende Beats, gefühlvolle Jazz-Progressionen und spielerisch improvisierte Melodien. Während sich auf Streaming-Dienste eine Flut von "chilligen Lofi-Beats zum Lernen" findet, finden sich auf dem Album hirnverbrannte Piano-Soli, die auf knackigen Drums und tiefen Funk-Bässen reiten. Die Grooves reichen von vibrierenden, sanften Meditationen bis hin zu schrägem Boom-Bap und bewegen sich auf dem Terrain des Jazz, das viele im Genre liebend gerne sampeln. Durch seine breite Stimmungspalette, die weit mehr bietet als nur „Chill", hat das Album eine Stimme, die einzigartig für kalifornische Hip-Hop- und Jazz-Fans ist - das Album lässt sich weder Jazz noch Hip-Hop zuordnen, sondern schafft vielmehr eine persönliche und individuelle Alchemie aus beiden.
Heute hat Kiefer fast 17.000 Abonnenten auf seinem YouTube-Kanal @kiefdaddysupreme. Seine Beiträge bestehen aus den obligatorischen Tour- und Albumankündigungen, vibrierenden Jam-Sessions mit anderen hochkarätigen Musiker:innen und einer Reihe aufschlussreicher, entwaffnender und erhellender Videos, in denen er erklärt, wie er ein besserer Spieler, Komponist und Produzent wurde. Ein Visualisierungsvideo zu seiner neuen Single steht neben einem Video namens „Important Scales to Know - Piano Labs with Kiefer". Die Kombination beider Aspekte des musikalischen Schaffens entspringt sowohl seiner Leidenschaft für Musik als auch der Freude daran, anderen zu helfen, [die Musik] zu entmystifizieren. „Ich würde sagen, ich habe eine Entwicklung durchgemacht – von einem Punkt in meinem Leben, an dem ich überzeugt war, dass das unmöglich ist, bis zu der Erkenntnis: Oh, warte, das geht ja doch. Ein paar Sachen stimmten da wohl doch nicht so ganz. So entstand meine lebenslange Leidenschaft für den Versuch, ein paar dieser Sachen zu widerlegen und den Menschen zu sagen: Du kannst es schaffen. Du musst nur üben und herausfinden, wie dein Gehirn funktioniert, wie du gerne übst, wie dein Prozess aussieht und wie deine Musikalität aussieht, und dann den richtigen Weg finden. Und das macht richtig viel Spaß."
Während sein YouTube-Kanal die Leidenschaft spiegelt, jeden erdenklichen Weg zur großen Musikkarriere zu kartographieren, zeigen seine eigenen Musikproduktionen, wie breit seine Interessen und wie ausgefeilt seine Skills sind. Sein neues Album ist ein Streifzug durch den Katalog der Stilbrüche des 20. Jahrhunderts. Hip-Hop fungiert als Lingua Franca, als klarer Einstiegspunkt, im Kern steht jedoch der Jazz. Das Beatmaking steht seit seinen frühen Teenagerjahren im Mittelpunkt seiner musikalischen Bestrebungen.
„Ich weiß noch, dass meine Schwester eines Sommers einen Freund hatte, der sie vom College aus besuchte, Sam. Er zeigte mir die Musik von Dilla und Madlib und machte mir Mix-CDs, die fantastisch waren – und MF Doom! Ich war hooked."
In „It's Ok B U" finden sich von Dilla beeinflusste Beats und viele kompositorische Ideen des Hip-Hop, die, auch wenn die Hooks keine Samples sind, immer noch auf dieselben Strukturen verweisen. „Ja, ich denke, strukturell ist das ein Hip-Hop-Ding. Das stimmt. Es sind viele viertaktige Loops, viele achttaktige Loops. Ich arbeite mit sehr einfachen Strukturen. Ich kann nicht sagen, dass das von irgendetwas anderem kommt, von dem ich wüsste. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das einfach Hip-Hop ist. Das hat viel mit Dilla zu tun. Das hat viel mit Pete Rock zu tun. Aber dann denke ich, dass die harmonischen oder melodischen Entscheidungen vielleicht ein bisschen eigenartiger sind. Ich habe ein paar jazzigere, vielleicht etwas komischere Phrasierungen und Sachen, die Pete Rock vielleicht nicht verwenden würde, oder vielleicht doch, ich weiß es nicht... Melodisch denke ich oft an Herbie Hancock und Wayne Shorter, das sind wahrscheinlich zwei der wichtigsten. Dann ist da noch Egberto Gismonti, ein brasilianischer Komponist, über den man nicht so viel spricht. Ich liebe seine Musik so sehr. Ich habe das Gefühl, dass ich melodisch von überall her inspiriert wurde. Da ist Chopin. Da ist Brad Mehldau. Da ist alles, Madlib - ich liebe die Sachen, die er sampelt, seinen Sinn für Melodie. Und sein Sampling ist wirklich wahnsinn. Es gibt so viele verschiedene Komponisten, von denen ich im Laufe der Jahre abgeschaut habe. Miles Davis. Ein Pianist namens Mulgrew Miller, der für mich von großer Bedeutung ist. Kenny Kirkland. Kenny Werner ist ein weiterer Pianist, den ich sehr mag."
Viele ausgebildete Jazzmusiker:innen haben Wege gefunden, die fortschrittlichen harmonischen und melodischen Ideen der Kunstform mit zeitgenössischen Genres und Produktionsweisen zu verbinden. Platten, die zwar zeitgenössisch aufbereitet, aber in der Jazztheorie verankert sind, haben jedoch eher gemischten Erfolg. Es ist selten und bemerkenswert, wenn eine Platte wie Kiefers „It's Ok B U" sich so mühelos authentisch anfühlt, weil sie auf natürliche Weise virtuoses Können mit der nötigen Zurückhaltung so kombiniert, dass die Chops dem Vibe nicht in die Quere kommen. Diese geschickte Mischung ist Ergebnis von Kiefers einzigartiger Praxis des Beatmachens und Improvisierens, sowohl im Studio als auch live mit anderen Instrumentalist:innen.
"Die Arbeit im Studio mache ich bis heute zu 95 % alleine. Wenn es um die Zusammenarbeit mit Musikern geht, lerne ich am meisten über das Live-Spielen. Es gibt die Kiefer Band und dann das Kiefer Trio, bestehend aus Pera Krstajic am Bass und Luke Titus. Ich und [der Bassist] Carrtoons spielen gerade Shows mit Nate Smith. Das macht wirklich Spaß. Ich spiele mit vielen wirklich großartigen Musikern zusammen. Ich habe sehr, sehr viel Glück."
Kiefers Youtube-Kanal und seine Twitch-Streams bieten mehr als nur Empowerment. Seine Ratschläge zu Akkord-Voicings, harmonischen Übungen und Grundlagen der Musiktheorie sind sehr detailliert. Manche seiner Ratschläge zielen stark auf Grundlagenwissen: Kenne deine Tonleitern. „Wenn Harmonie als eine Kombination von Klängen definiert werden kann und Tonleitern eine Kombination von Klängen und Tonleitern sind - die Durtonleiter ist die grundlegendste Kombination von Klängen, die es gibt -, dann muss man sich damit beschäftigen. Wovon reden wir sonst überhaupt? Damit sind wir auch schon beim Kern dessen, was das Klavier eigentlich ist. In den letzten paar hundert Jahren war es die meiste Zeit das einzige echte Instrument, das eine visuelle Darstellung unseres harmonischen Systems lieferte, bei dem jede Note mit demselben Namen gleich aussah. Da sind zwölf Noten in der Reihenfolge 12345678 10, 11, 12, von links nach rechts, und dann sieht jede Oktave gleich aus. Die eigentliche Erfindung des Klaviers ist also die Visualisierung von Harmonie. Und das ist der Grund, warum jeder einzelne klassische Komponist Pianist war. Man muss seine Tonleitern kennen, denn genau darum geht es - man visualisiert Harmonie. Und dann werden die Voicings wirklich einfach."
Seine Ratschläge beschränken sich jedoch nicht darauf, Menschen zum Erlernen der Grundlagen zu ermahnen. Oft teilt er auch Ratschläge für spezielle Übungen und erzählt, welche davon ihm am meisten geholfen haben. „Eine der coolsten Sachen, die ich je gemacht habe, war, eine Reihe an Blockakkord-Voicings zu lernen, die mir mein Lehrer durch das Transkribieren einer Oscar-Peterson-Aufnahme beibrachte. Ich habe auch Solos von Chet Baker transkribiert, weil die sehr einfach waren. Und das half mir sehr."
Der Zauber der Musik besteht darin, dass sie beide Seiten unseres Gehirns beschäftigen kann: Einerseits beschäftigt sie den neugierigen, ehrgeizigen und analytischen Verstand, der versucht, sich in der Grammatik der Musik zurechtzufinden. Andererseits ermöglicht sie uns, uns einfach an der kitzelnden Inspiration schön ausgeführter Tänze innerhalb dieser Grammatik zu erfreuen, wenn Musiker:innen sich ihr widmen. Kiefer hat einen Weg gefunden, sich beide Seiten dieser Leidenschaft zu Nutze zu machen und Andere mitzunehmen, mit der Botschaft: „It's ok B U".
Text und Interview: Kevin McHugh
Foto: Preston Groff
Übersetzung: Julia Pustet
Mehr zu Kiefer gibt es auf seiner Webseite, Instagram und YouTube
Der Text wurde in der Übersetzung gekürzt