Keith Fullerton Whitman: Durchs modulare Labyrinth
Seit geraumer Zeit steht die modulare Synthese wieder vermehrt im Fokus. Waren Modularsysteme in der Vergangenheit eher etwas für ausgemachte Spezialisten, sind sie heute mehr und mehr auch für den Prosumer-Markt von Interesse. Für diejenigen, die tiefer in diese Materie eintauchen wollen, gilt es vorher jedoch einige Hausaufgaben zu machen. Dabei kann es nicht von Schaden sein, einen Expertenüberblick zum Thema aus erster Hand zu erhalten. Aus diesem Grund trafen wir uns mit Keith Fullerton Whitman, um uns von ihm die Für und Wider des modularen Einstiegs aufzeigen zu lassen.
Whitman hat mit nahezu allen Instrumentengattungen gearbeitet – von alten Hardware-Geräten bis hin zu Software wie Max/MSP. Ihm wurde sogar die Ehre zuteil, das ,Groupe de Recherches Musicales‘ (GRM) Studio aufzusuchen; ein von music concrète Pionier Pierre Schaeffer gegründetes Klangforschungszentrum und eine wahre Schatzkammer, voll von geheimnisvollen Gerätschaften. Ein Ort übrigens, an dem sich schon Persönlichkeiten wie Iannis Xenakis und Bernard Parmegiani die Klinke in die Hand gaben.
Seit den frühen 2000er Jahren steht Whitmans Name als Synonym für modulare Synthese. Er ist derjenige, der von Manufakturen handverlesener Module gebeten wird, ihre jüngsten Entwicklungen zu testen. Mit seinem eigenen Vertrieb Mimaroglu bietet er eine Plattform für neue experimentelle Musik. Zusätzlich fördert er mit den Editionen Mego und PAN echte Audio-Kuriositäten zutage. Zur Modular-Synthese recht spät gekommen, genießt er die Szene bisweilen mit Vorsicht. Hier kommen also seinen Gedanken über ein Feld, auf dem sich der Hype tummelt und das von Foristen inbrünstig beackert wird.
Es gibt das Klischee, dass Leute, die sich ein Modularsystem zulegen, anschließend dermaßen in Patches verloren gehen, dass sie kein einziges Stück Musik mehr fertig kriegen. Was waren deine ersten Amtshandlungen in der modularen Welt und hattest du auch das Gefühl, in einer Sackgasse zu landen?
Mein erstes Rack habe ich zusammengesteckt, nachdem ich 1998 oder 1999 mal in Berlin gewesen bin. Das damalige Apartment befand sich in Mitte, direkt über einem Laden, der ausschließlich Doepfer-Module verkaufte. Ich hatte mir gerade einen Döner geholt, stand nun vor diesem Schaufenster und dachte mir: Könnte es nicht einfacher sein, als sich mit dem Laptop und Max abzuplagen? Ich kaufte also einen Oszillator und einen Filter, beides in einem kleinen Case. Danach kam ich alle sechs Monate wieder, um weitere Module zu kaufen.
Während ich einerseits mehr und mehr über Ein- und Ausgänge lernte, ertappte ich mich andererseits schon dabei, kaum noch Musik im eigentlichen Sinne zu machen. Es fühlt sich erstmal an wie ein ausgebreitetes Puzzlespiel, bei dem sich das fertige Bild noch nicht erahnen lässt. Mein Rack hatte ich ungefähr 2001 oder 2002 fertig. Ab dieser Zeit machte ich damit endlich mehr Musik als mit dem Computer. Du stehst vor diesem System und alles, was es macht, ist Sound. Das ist so wundervoll. Keine Umwege, kein Facebook, keine Mails. Es ist von einer ganz eigenen Aura umgeben und die besteht aus nichts anderem als Sounds. An einem Morgen wie heute, wenn ich mich nicht mit der Welt konfrontiert sehen oder ins Internet gehen will, da schalte ich den Modular ein und am Ende des Tages habe ich fünf Minuten coolster Sounds.
Das ist die Idealvorstellung, aber vorerst gilt es, die Lernkurve zu meistern und, noch mehr, die finanziellen Hürden zu überwinden.
Es ist ein wahnsinnig teures Hobby. Fast so, wie Oldtimer wieder aufzubauen. Es gibt Module, die kosten tausende von Dollar. Und natürlich ist der erste, der so ein sündhaft teures Modul hat, psychologisch im Vorteil.
Auch, was das Fachgesimpel in den Messageboards anbelangt – ich komme da einfach nicht mit. Das ist mir eine Nummer zu fett. Es gibt Tage, an denen ich da etwas reinschreibe. Und später stelle ich dann fest, dass es wohl nicht ausreichend war und ich in der Diskussion übergangen wurde.
Es mag ein bisschen romantisch klingen, aber ich finde, dass die Physis des modularen Synthesizers dafür sorgt, den tatsächlichen Fluss eines Audiosignals zu verstehen. Die Interaktion mit Modulation und Signalverarbeitung vermittelt sich quasi aus erster Hand.
Jede Buchse, jeder Akkord und jeder Regler hat eine maßgebliche Funktion. Es ist alles da. In den meisten Fällen gilt, was du siehst, das bekommst du auch. Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Fehlen von Presets. Du musst wissen, wo ein Audiosignal rauskommt und wo ein Steuersignal reingeht. Solche Sachen halt.
Modulare Synthesizer haben eine ungemein physische Präsenz. Du siehst jemanden mit einem gigantischen System hantieren und weisst um all diese Möglichkeiten. Es gibt so unfassbar viele Wege, Signale rein und raus zu schicken. Die Tatsache, dass alles die selbe Sprache spricht und die selbe Voltzahl hat, ist einfach toll. Du kannst nichts zerwürgen. Wenn du einen Ausgang in einen Ausgang steckst, geht trotzdem nichts kaputt.
Ich komme ja ursprünglich von Max/MSP. Wenn du da mittendrin etwas falsch verbindest, geht das ganze Ding krachen. Mit einem Modularsystem passiert sowas nicht. Natürlich kannst du ein Modul verkehrt rum reinhängen und es grillen. Aber wenn das Setup erstmal steht, geht eigentlich nichts mehr schief. Einige der wohl besten Sounds habe ich ziemlich angetrunken um zwei Uhr nachts gemacht. Ich versuchte gerade, einen bestimmten Sound hinzukriegen und habe irgendwann eine falsche Buchse erwischt. Es gab ein höllisches Kreischen. Aber ich dachte mir: Das ist großartig, was geht denn hier ab!? Und dann wurde mir klar, dass ich zwei Ausgänge miteinander verbunden hatte. Sie kämpften gegeneinander. So wie Spannung das nun einmal tut. Es war tatsächlich die Elektrizität im Kabel und nicht eine beliebige digitale Zahlenreihe. Volt gegen Volt. Also ja, es gibt diese pure physische Energie, die auf einige Leute sehr anziehend wirkt.
In der modularen Welt scheint der Fokus mehr auf dem Instrument selbst zu liegen, als darauf, was für Musik dabei rauskommt.
Absolut. Ein Großteil des ganzen Technik-Geredes ist ja ein Folgeprodukt dieser technikgeprägten Musik. Das muss nicht immer unbedingt gut sein. Gute Musik überwindet die Technik, egal welches System man nutzt. Wenn ich unterwegs bin, kommen etliche Leute auf mich zu und stecken mir ihre Demos zu. Vieles davon klingt wie „Ich hatte halt grad einen Modular zur Hand“. Das ist schon ganz nett, aber ich habe mir fünfzehn Jahre lang den Hintern aufgerieben, bevor ich überhaupt daran gedacht habe, eine Platte aufzunehmen. Es ist schon verrückt, dass sich die Dinge dahingehend entwickelt haben, zu meinen, man könnte innerhalb einer Woche ein Instrument beherrschen und bereits etwas Substanzielles auf die Beine stellen. Es gibt mittlerweile so viele Sachen, die sind einfach nur noch Lärm in eine Richtung. Die Wenigsten beschäftigen sich heute noch mit der zugrunde liegenden Idee, bevor sie anfangen, etwas zu machen.
Ich führe derzeit mehr Gespräche über Gerätschaften als über Musik. Das ist wirklich seltsam. Ich kann mir das nicht anders erklären, als dass diese Instrumente noch relativ neu sind. Sie werden jetzt erst richtig entdeckt. Sie stehen unter besonderer Beobachtung, wirken interessant. Und sie transportieren enorm viel Persönlichkeit.
Erfahren Sie mehr über Keith und seine Arbeit. Hier gehts zur Website.
Wenn Ihre Neugierde für modularer Synthese geweckt wurde, empfehlen wir einen Blick auf OSCiLLOT by Max for Cats – ein komplettes Modularsystem für Ableton Live mit über 100 frei patchbaren Modulen sowie Dutzenden von vorgepatchten Instrumenten und Effekten, ideal für den Einstieg.