Ein Comedian muss etwas aus der hohlen Hand zaubern können, sich auf Situationen einlassen und auch das zum Leuchten bringen, was peinlich sein könnte oder von Angst getrieben ist. Da für improvisierte Musik dasselbe gilt, überrascht es nicht sonderlich, wenn wir erfahren, dass Juana Molina als Comedian erfolgreich war, bevor sie sich einen Namen als elektronisch versierte Singer-Songwriterin mit einfallsreicher Formensprache machte. Als Titelfigur der Comedyshow Juana y Sus Hermanas (dt. Juana und ihre Schwestern) stellte sie verschiedene Charaktere dar, unter anderem die bierernste Sängerin Judith.
Durch ihre Fähigkeit, das Publikum mitzureißen und aus dem Stegreif zu arbeiten, kommen Juana Molinas Improvisationskünste auf ihren Livekonzerten voll zum Tragen. Für ihre Show letztes Jahr bei Loop in Los Angeles hatte sie gemeinsam mit dem Multi-Instrumentalisten Odin Schwartz ihre Gitarre, Keyboard, Sampler und Stimme geloopt. Jeder Song klang spontan, facettenreich und bis ins Letzte ausgefeilt, obwohl etwa die Hälfte des Sets improvisiert war, während die andere Hälfte aus einstudierten Studioversionen bestand.
Freuen Sie sich im folgenden Beitrag auf die Clips von Juana Molinas Konzert, eingebettet in das Interview, das David Abravanel mit ihr führte.
Auf der Bühne loopst du sehr viel. Machst du das im Studio auch?
Nein.
Also spielst du die Phrasen alle live ein?
Ja, das liebe ich, weil (a) ich es liebe und (b) der Loop live klingt, weil er live ist. Es gibt Nuancen und winzige Abweichungen, die man nicht so richtig in Worte fassen kann, aber da geschieht etwas, wenn man etwas immer und und immer wieder spielt, außer bei ein paar Ausnahmen.
Zum Beispiel der Loop von „Cosoco“. Das ist ein Song, den ich bei einem Soundcheck in Japan geschrieben habe. Wir haben versucht, ihn zu reproduzieren, um einen besseren Sound hinzukriegen, aber das hat nicht geklappt. Also habe ich gesagt, wir bleiben einfach bei diesem Loop. Und selbst wenn Du es genauso nochmal spielst, dann gibt es da so ein Ding, das unwiederbringlich zum Moment gehört. Auch der zweite Track auf Segundo, der Song „¿Quién?“, ist so miserabel aufgenommen. Das Signal auf der Spur war total stark. Aber trotz des ganzen Dynamikumfangs lag überall ein Rauschen drüber, der Raumklang stimmte einfach nicht, gar nichts stimmte. Als mir klar wurde, dass alles was ich aufnehme auf dem Album zu hören sein könnte, sagte ich mir: Oh mein Gott, die Qualität ist ja furchtbar. Da habe ich den Track nochmal aufgenommen, aber es kam nichts rüber. Also habe ich mich für die Aura entschieden und nicht für die bessere Qualität der Produktion. Darum geht es ja bei Segundo. Ein sehr dürftig aufgenommenes Album, aber da steckt etwas drin, was es für mich zu meinem Lieblingsalbum macht.
Eigenartig, dass du es „dürftig aufgenommen“ nennst. Ich höre das Album seit längerem und das wäre mir nie in den Sinn gekommen. Ich fand einfach immer, dass es einen sehr intimen Sound hat. Und zu der Zeit gab es noch andere Musik, die ähnlich funktionierte: Björks Album Vespertine, To Rococo Rot und diese ganze Szene.
Stimmt. Nur wenn du dir die Sachen von anderen anhörst, dann gefällt es dir oder es gefällt dir nicht, aber das liegt nicht an der Produktion. Deshalb glaube ich, ich habe mich richtig entschieden, ein dürftig aufgenommenes Album rauszubringen, weil es etwas anderes hat, was wichtiger ist als die Produktion selber.
Deswegen glaube ich nicht an Produktion. Ich meine, was du tust, wird davon durchaus besser, aber auch wieder nicht… Es hatte mal jemand an einem Album von mir gearbeitet, der fing an, auf jede Spur einen EQ zu legen, um bei jedem Instrument den Großteil der Frequenzen loszuwerden. Und anstelle eines Kuchens, bei dem Mehl, Eier, Äpfel und Zucker alle so miteinander vermengt sind, dass man einen wunderbaren Kuchen kriegt, habe ich die Eier auf der einen Seite und die Äpfel, das Mehl und den Zucker einzeln. Das war kein Kuchen mehr, das waren nur die Zutaten. Nach dieser Erfahrung habe ich verstanden, dass es sowas wie Geisterharmonien gibt, die ein gespielter Ton nebenbei erzeugt, die du nicht wahrnimmst, die aber in Kombination mit den Teiltönen der anderen gespielten Instrumente da sind. Das alles zusammen wird dann der Kuchen.
Dein Setup bei Loop war anders als dein normales, denn gewöhnlich hast du auch einen Drummer und einen Bassisten dabei, oder?
Nein, nur einen Drummer. Odin spielt Keyboard, Gitarre, Bass, haut manchmal auf den Sampler und er singt. Der Drummer hat auch eine elektronische Drum-Machine. Im Song „Paraguaya“ spielt er damit das [macht es vor] tum-tum-tum-taka-tum-tum, das ist der Drumpart. Er spielt das also ab und drückt dazu die Keyboardtasten. Für das Set haben wir diesen Part nur als Sample abgespielt, weil es so repetitiv ist, dass ich es auch mit dem Keyboard hätte loopen können.
Mir ist aufgefallen, dass die Drums manchmal auch von deinem Keyboard kamen und dann geloopt wurden.
Stimmt. Der Großteil der Drums kommt, wenn nicht vom Drummer selber, dann von meinem Keyboard. Mit Odin habe ich auch das Projekt ImproviSet, wo er mit demselben Set wie letzten Freitag spielt. Das haben wir erst einmal gemacht, wir improvisieren und haben nur wenige Cues, nur für den Fall, dass uns gar nichts einfällt. Dann sprechen wir z.B. ab, dass wir einfach mit einem kleinen Loop anfangen und darüber improvisieren. Da beginnt die ganze Improvisation wirklich bei Null. Wenn wir dann richtig inspiriert sind, können die Stücke auch mal 15 bis 30 Minuten dauern. Und wenn wir es nicht sind, dann nur 3 bis 4 Minuten. Es kommt darauf an, wie ich mich fühle, wenn wir die Stücke spielen. Wir haben sechs Tage lang sehr hart gearbeitet, um diese Show zusammenzustellen, von der ich nicht wusste, wie man sie spielt und das machte mich ein bisschen nervös. Aber Odin ist ein sehr optimistischer Mensch, er glaubt, dass alles gut wird. Er hat diese Haltung auf der Bühne, die mir total hilft.
Du hast gesagt, dass „Cosoco“ bloß perkussive Silben sind, korrekt?
Stimmt genau.
Ist das dann quasi ein Scat?
Ich glaube schon. Als meine Mutter mich zum ersten Mal spielen sah, meinte sie: „Juana, was du machst, ist Jazz.“ Und ich sagte: „Wie bitte?“ Und sie: „Ja, du machst Jazz, das ist Jazz.“ Da dachte ich, was könnte Jazz dann heißen, wenn sie als Jazzfan findet, dass ich Jazz mache? Ich weiß nicht, vielleicht sind es all die Teile, die auf die Gesangsparts folgen, wo ich in eher improvisierte Momente hineingehe und die kommen ihr wie Jazz vor. Oder weil ich so viele Parts ganz ohne Text singe. Ich habe sie nie gefragt, warum sie das gesagt hat. Obwohl, ich habe sie gefragt und sie meinte: „Naja, es ist eben Jazz.“ Ich hatte es sowieso als Kompliment aufgefasst, ich war überrascht, dass sie sowas sagte.
Dein Vater ist Tangomusiker, richtig? Und deine Mutter Schauspielerin?
Ja. Und Musikliebhaberin.
Wenn sie also die Ersten waren, durch die du mit Musik in Berührung kamst, waren sie auch die Ersten, die dich zum Musikmachen brachten?
Ja, mein Papa brachte mir mit fünf das Gitarrespielen bei, da bekam ich eine kleine spanische Gitarre mit Nylonsaiten geschenkt. Damals hatte ich keinen Lehrer. Er zeigte mir ein paar Sachen und es dauerte eine Weile, bis ich etwas spielen konnte. Dann stellte ich fest, dass ich auch singen konnte, aber es dauerte eine Weile, bis ich beides gleichzeitig konnte. Entweder ich öffnete meinen Mund und traf den Ton oder ich spielte eine Note auf der Gitarre. Ich erinnere mich ziemlich gut an diese Zeit.
Und wie alt warst du, als du angefangen hast, eigene Musik oder eigene Songs zu schreiben?
Meine Schwester hat mit etwa zwölf Jahren Harfe gespielt, also muss ich 13 gewesen sein. Wir haben viel zusammen geschrieben, was natürlich komplett verloren gegangen ist. Ich wünschte, wir hätten das irgendwie aufgenommen, aber wir spielten, weil wir einfach den ganzen Tag lang spielten, wir liebten, was dabei herauskam. Sie spielte Harfe und ich Gitarre, gesungen haben wir beide. Aber ich habe wirklich keine Ahnung mehr, wie das geklungen hat. Wir haben immer kleine Songs gespielt und Sachen erfunden, wir nahmen bloß überhaupt nichts auf.
Hast du auch Musik gemacht, als du damals in die Comedy eingestiegen bist?
Ja, ich machte damals Musik. Ich hatte ein paar Songs geschrieben, alle Songs für mein Debütalbum Rara waren ursprünglich für meine Fernsehshow. Die Stücke waren also zwischen sieben und zehn Jahre alt, als ich sie aufnahm.
Wenn du performst oder einen Vortrag wie bei Loop hältst, wird deutlich, dass du einen Background als Comedian und Performerin hast, das berichtest du sehr lebhaft. Mir ist aufgefallen, dass du in den sozialen Medien z.B. als der Charakter Gladys erscheinst und dich damit auf die Figuren aus Juana y Sus Hermanas beziehst. Greifst du gern darauf zurück?
Das liegt so in meiner Natur und ich glaube, ich mache das seit meiner Geburt. Also nicht bloß, weil ich Comedian bin, im Gegenteil: Ich bin Comedian geworden, weil ich diese Fähigkeit besitze. Nicht nur ich, die ganze Familie. Und wir machen das alle. Ich bin die Einzige, die aus diesem Talent etwas gemacht hat und in einen Job, eine Karriere verwandelt hat. Wenn ich mich mit jemanden unterhalte und dann über die Person spreche, dann kann ich diese Person imitieren. Das kommt dann einfach so über mich.
Du hast zuvor erwähnt, dass du dein erstes Album für ein prima Album gehalten hast. Aber es drückte nicht so recht aus, was du wolltest, im Vergleich zu Segundo. Was ist bei Segundo anders?
Der große Unterschied sind eben die vielen Spuren als Ausgangspunkt, aber auch die Tatsache, dass ich diesen Typen getroffen hatte, der mir die Keyboardwelt eröffnete. Dass sie existiert, wusste ich ja, aber ich hatte sie nie in Betracht gezogen, obwohl jede Musik, die mir gefiel, mit Synths gemacht war. Wie gesagt, weil ich beim Musikhören so im Moment lebe, habe ich nie analysiert, woraus sie besteht. Mir war also nicht klar, was da auf allen Alben, die mir vor zehn oder fünfzehn Jahren gefielen, mit den ganzen Synths und Keyboards los war.
Welche Alben waren das, mit denen du dich dann noch einmal beschäftigt hattest?
Na ja, der ganze Progressive Rock nahm ja tausende Einflüsse von überallher, aber wie gesagt, ich hatte nicht aufgepasst, wie es gemacht wurde. Ich weiß nicht, vielleicht aus mangelnder Neugier oder es kam mir einfach nicht in den Sinn, mich zu fragen, wo denn dieser Sound herkommt.
Suchst du jetzt eher danach? Es ist interessant, darüber nachzudenken. Das ganze Event wird ja von Ableton gesponsert und da geht es auch darum, hinter die Kulissen der Analyse zu schauen, so wie du bei deiner Studio-Session.
Die Sache ist die: Wenn ich etwas analysiere, dann nur weil die Musik nicht den Effekt hat, den ich mir wünsche.
Das passiert jetzt nur noch selten, aber wenn es passiert, dann erfüllt es mich total und macht mich glücklich: Für mich ist es eine ganz wertvolle Erfahrung, eine so unschuldige Art des Musikhörens, die einfach der jenseitige Zustand der Musik ist und damit die Musik selbst. Als ob sie mich an einen anderen Ort führt, wo ich nicht einmal wahrnehme, dass dort Instrumente spielen. Das ist einfach eine ganz andere Erfahrung.
Bei anderen Sachen, frage ich mich natürlich, wie sie gemacht sind, wenn ich sie cool finde oder ich mich an sie halten könnte, um meine eigenen Sachen zu ändern. Aber wie schon gesagt, ich glaube, obwohl ich andere Wege einschlagen könnte oder es mit anderen Instrumenten und Ansätzen probieren könnte, werde ich mehr oder weniger immer am selben Punkt landen.
Du hast bei deinem Workshop gesagt, wenn man live Fehler macht, lieben die Leute einen mehr. Du hast eine sehr fröhliche und entspannte Haltung zur Bühne, wo so viele andere Performer mit den Nerven am Ende sind. Hast du das von Natur aus oder hast du über die Jahre daran gearbeitet, um mit allem irgendwie klarzukommen, egal was live passiert?
Am Anfang war ich echt total angespannt. Ich habe jahrelang gelitten und dachte, dass alles was ich mache, Mist ist und dass ich nicht gut genug bin und es den Leuten nicht gefällt. Es war mir übermäßig bewusst, wenn sich jemand im Saal bewegte oder die Leute miteinander redeten. Oder wenn ich in bestuhlten Sälen spielte und ein Sitzplatz leer war, fragte ich mich, wer denn da fehlt und solche Sachen. Weil ich ja immer von Schüchternheit und Eitelkeit redete, gibt es eine Sache, die in den letzten Jahren ständig präsent war. Wir sind so eitel, dass es allem was wir tun und auch dem Ergebnis echt in die Quere kommt.
Ich muss vielleicht zugeben, dass ich angefangen habe, einen Drink zu mir zu nehmen, bevor ich auf die Bühne gehe. Normalerweise trinke ich nicht, nur bevor ich auf die Bühne gehe. Vor sechs oder sieben Jahren habe ich dienstags bei dieser Impro-Band [in Buenos Aires] zu singen angefangen. Ich bin ein bisschen wie deren Haustier, ihr geladener Lieblingsgast. Immer wenn ich da hingehen will, rufe ich einfach an: „Am Dienstag bin ich der Gast!“ Dann sagen sie, „okay, okay“, organisieren alles um und ich gehe an dem Dienstag hin, den ich mir aussuche. Dort habe ich gelernt, einfach zu das machen, was ich will, weil ich nicht den Druck hatte, dass es mein Projekt ist oder dass ich für eine schlechte Show verantwortlich bin. Niemand würde die Schuld auf mich schieben. Niemand.
Ab dem Punkt bin ich viel entspannter geworden und habe diese Stimmung, diese Haltung auf meine Shows übertragen. Gerade weil ich getrunken habe, als ich mit ihnen auftrat, gerade weil ich dachte, dass Trinken oder Rauchen etwas ist [kreischt] WAS ICH VOR EINER SHOW NIEMALS TUN SOLLTE, weil ich dann alles verpassen würde. Aber da nahm ich nur einen Zug von einem Joint oder trank einen Schluck Whisky oder zwei oder drei oder einfach ein Glas oder zwei und fand dann alles viel entspannter. Es gab keine Zensur, die über mich urteilte oder mich fragte, was ich da mache und all sowas.
Aktuelles über Juana Molina finden Sie auf ihrer Website