Jon Hopkins: Kein Behagen ohne Unbehagen
Die Musik von Jon Hopkins scheint ein Eigenleben zu haben. Selbst wenn man einen seiner Tracks schon dutzende Male gehört hat, fällt einem beim nächsten Mal garantiert noch was Neues auf. Die Komplexität seiner Stücke, die oft aus Hunderten von Schichten bestehen, sorgt bei jedem Abspielen für ein ganz einzigartiges Erlebnis.
Und auch fast 25 Jahre nachdem er sein Debütalbum veröffentlicht hat, entwickeln sich seine Vorgehensweise und seine Musik immer noch weiter. Auf Insides [2009], Immunity [2013] und Singularity [2018] präsentierte Hopkins den Aufprall zweier immenser Kräfte – die wilde, abrasive Energie von Tracks wie „Colour Eye“ und „Open Eye Signal“ traf auf die sanfte, heilsame Wirkung von Stücken wie „Abandon Window“ und „Recovery“.
In den Jahren nach Singularity hat Hopkins' wachsendes Interesse an psychedelischen Erfahrungen und anderen bewusstseinsverändernden Zuständen dazu geführt, dass er sich stärker auf das therapeutische Potenzial seiner Arbeit konzentrierte, insbesondere mit Music for Psychedelic Therapy aus dem Jahr 2021. Seine neueste LP, Ritual, ist eine 41-minütige musikalische Zeremonie, die als durchgängiges Stück gehört werden soll.
Ich habe Hopkins in seinem Studio in Hackney besucht, um über das Album, seine jüngsten Kollaborationen, seine bevorzugte Software und Hardware sowie die Art und Weise zu sprechen, wie er Ableton Live nutzt.
Könntest du ein bisschen was über das Konzept hinter Ritual, erzählen und wie das Album entstanden ist?
Der Ursprung dieser Arbeit liegt in einer Installation namens Dreamachine aus dem Jahr 2022, bei der etwa 30 Personen auf dem Boden lagen und von vollständig immersivem Audio umgeben waren – 50 oder 60 Kanäle, glaube ich. Über jeder Person waren Strobo-Lichter angebracht, die in unterschiedlicher Geschwindigkeit blinkten. Damit hat man sich den sogenannten Flimmereffekt zunutze gemacht, der einen Alphawellenzustand im Gehirn auslöst. Das ist wie Tagträumen oder Meditation. Er kann zu ziemlich abgefahrenen Visionen führen, fast wie psychedelische Erlebnisse. Aber ganz ohne, dass man dafür irgendwas nehmen muss. Ich habe mich sehr gefreut, als man mich dazu eingeladen hat.
Ein davon inspiriertes Musikstück musste zwangsläufig sehr warm und zugänglich sein. Ich hatte bereits ein echt schönes Ambient-Stück, aber im Jahr danach hatte ich einfach das Bedürfnis, die Session noch einmal aufzumachen. Ich wollte schauen, ob nicht etwas darin war, das man erweitern und zu einem Album machen könnte. Ich habe meinen Freund Dan [Nijowski] angerufen, der unter dem Namen 7RAYS maßgeblich an dem Album mitgearbeitet hat. Er kam vorbei, wir haben uns zusammengesetzt und uns Ausschnitte angehört. Er hat mir geholfen, darin Ansätze für neue Ideen zu finden und auch, was nicht funktionieren würde. Ich habe bestimmte Elemente rausgenommen, weil das Ganze natürlich für sich allein und ohne visuelle Elemente funktionieren musste.
Eigentlich haben wir einfach angefangen, damit zu jammen. Ich habe ihm ein paar Stems gegeben und er hat sich mit Ishq [Matt Hillier] daran gemacht. Sie haben einfach alle möglichen analogen Synthesizer aufgebaut und jede Menge unglaubliches Zeug gemacht – stundenlanges Material – und dann haben sie es mir wieder geschickt.
Eins, was ich ziemlich gut hinkriege, ist, schnell zu erkennen, ob in diesen Parts Ansätze versteckt sind oder nicht. Entsprechend bin ich alles schnell durchgegangen und wir konnten uns auf die Seeds konzentrieren, die sinnvoll erschienen. Ich habe ihnen Vorschläge geschickt oder um genaueren Input gebeten. Dabei wurden wir immer präziser, bis das entstand, was du jetzt hörst.
Und steckte von Anfang an ein Konzept hinter dem Album?
Nun, das weiß ich nie, bevor ich etwas mache. Ich folge einem roten Faden einfach intuitiv, bis er zu Ende ist. Mir ist es erst dann wirklich klar, wenn ich plötzlich auf eine bestimmte Weise darüber sprechen muss und nicht auf eine andere – am Anfang möchte ich das immer gern vermeiden. Aber später beschäftige ich mich mehr damit.
Diese Gespräche sind interessant, denn wenn man solche Musik schreibt, bekommt man in der Regel eher keine oberflächlichen Interviews angeboten. Es ist halt schon recht nischige Musik. Und es ist nicht so, als hätte ich da richtige Banger. Es ist keine Popmusik, sondern eher tiefgründiges Zeug. Mir gefällt der Gedanke, dass meine Botschaften da draußen sind, aber nur für diejenigen, die wirklich neugierig sind. Wenn Leute unser heutiges Interview lesen, erfahren sie natürlich etwas über mein Zeug, aber die meisten werden es tatsächlich einfach nur hören und es auf einer empfundenen Ebene aufnehmen. Und das ist großartig. Ich habe also angefangen, viel darüber zu sprechen und dabei wurde Dan und mir klar, dass es sich wie eine Art Ritual anhört. Und gegen Ende unseres Arbeitsprozesses haben wir sogar noch rituelle Sounds eingebaut, etwa das Anzünden von Kerzen.
Natürlich ist das Hörerlebnis hauptsächlich subjektiv. Die Leute wissen einerseits nicht genau, um was für Sounds es sich handelt. Aber dazu verändern sich auch die Sounds, die in den Vordergrund treten, je nach Zeitpunkt des Hörens und der Gemütsverfassung sehr stark. Das fällt mir bei all deinen Alben auf – jedes Mal, wenn man sie hört, klingen sie ein bisschen anders und man entdeckt etwas Neues.
Ja, es stecken wirklich viele Details in jedem von ihnen. Ich habe nie wirklich vor, es in diese Richtung zu lenken, aber so kommen mir die Ideen einfach und sie klingen richtig. Es wird auch einiges gemuted, und ich bin tatsächlich viel besser darin geworden, Sachen herauszunehmen, um Platz zu machen. Aber ich liebe es, an Details zu arbeiten und Dinge einzubauen, die für aufmerksame Zuhörende da sind. So erschafft man musikalische Langlebigkeit.
Manchmal, wenn ich mir etwas anhöre, das ich vor Jahren gemacht habe, habe ich Sachen wieder vergessen und frage mich plötzlich: „Was zur Hölle ist das für ein Sound?“ Ich vergesse es, weil ich wirklich nicht geradlinig und logisch arbeite. Ich arbeite auf einer sehr intuitiven Ebene, füge häufig Sounds zusammen und presse Sachen, sodass ich anschließend die Original-Version nicht mal mehr habe. Daher kann ich bei den meisten kaum erklären, wie sie überhaupt existieren können. Ich finde das ja ehrlich gesagt schon ziemlich lustig.
Du hast vor Kurzem Hör-Erlebnisse veranstaltet, bei denen du Menschen auf eine Reise von einem Geisteszustand in einen anderen geschickt hast. Wie würdest du den Verlauf dieser Reise innerhalb des Stücks beschreiben? Soll sie wie die vorherigen Alben eine Art psychedelische Erfahrung widerspiegeln?
Dias Narrativ steht bei mir für etwas Besonderes, aber ich habe mich entschlossen, nicht zu sagen, was das ist. Das könnte die Art und Weise beeinflussen, wie die Leute das Stück hören. Aber es verläuft definitiv nach dem Schema der klassischen „Heldenreise“. Der erste Teil ist illusorisch und wiegt uns in falscher Sicherheit. Dann wird es allmählich ernster und schließlich kommt man an einen Punkt, an dem man das Gefühl hat, am Rande des Wahnsinns und des Zusammenbruchs zu stehen, bis die Spannung einfach mehr nicht mehr größer werden kann. Darauf folgt der Triumph, dann Ernüchterung und Integration und schließlich die Wiedergeburt. Das ist der Bogen, um den es geht. Das ist nicht besonders bewusst entstanden, aber ich glaube, ich mache das seit Jahre schon auf vielen Alben auf unterschiedliche Arten. Sogar schon auf meinem zweiten Album gab's zum Ende hin so ein Element.
Es ist auf jeden Fall spannend, sich diese Session jetzt wieder anzuschauen, weil ich glaube, da sind die nicht einmal die Trackmarker drin. Ich glaube sogar, wir haben in dieser Session alles erstellt, sie gepresst und anschließend erst entschieden, wo die Trackmarker sein sollten. Das Ganze wurde also gar nicht als acht Tracks geschrieben. Es wurde die ganze Zeit wie ein Stück behandelt und dann aus vertraglichen Gründen einfach in acht Teile geschnitten. Ansonsten ist es laut den Plattenlabels technisch gesehen kein Album.
Es ist schon besser, dass es unterteilt wurde, denn realistisch gesehen hören viele Leute sich nicht alles an. Außerdem haben sie so die Möglichkeit, den Kapiteln Namen zu geben und das Ganze hat eine schöne Struktur. Leute, die es ernst meinen, werden sich eh alles anhören. Und natürlich gibt es unterbrechungsfreie Wiedergaben auf allen großen Streaming-Plattformen.
Welche Reaktionen kriegst du während dieser Hör-Sessions so mit?
Nun, ich bin nicht wirklich dabei, weil ich denke, wenn die Leute mich dort sehen, könnte das Auswirkungen haben und eine seltsame Dynamik erzeugen. Im Grunde ähneln sie eher einer Film-Vorführung als einer Performance, obwohl es das auch nicht wirklich trifft, weil die Audioqualität außergewöhnlich und immersiv ist und es nichts zu sehen gibt. Wir haben sie so gestaltet, dass es eine recht sanfte Beleuchtung und etwas Dunst, aber nichts zu sehen gibt. So werden die Leute dazu angeregt, die Augen zu schließen.
Für mich ist Ritual ein sehr kinetisches Stück. Mein Traum ist es, auch Outdoor-Versionen mit Stapeln von PAs und Menschen in einem Kreis zu veranstalten. Vielleicht wären die Leute da noch eher geneigt, sich zu bewegen, zu tanzen und auszurasten. Aber bei den aktuellen Sessions sitzen und liegen alle oder nehmen Yoga-Posen ein. Und es wird viel geweint und Atemübungen gemacht. Wir haben mittlerweile schon einige veranstaltet: in Berlin, in Amsterdam und die in London, letztere im ICA. Wir haben dort ziemlich viele gemacht, bestimmt sieben oder acht. Bei einem der Events am Samstagabend waren definitiv ein paar Leute auf einem Trip. Danach war viel mehr Energie im Raum als nach allen anderen Sessions. Da herrschte so eine Lockerheit und Offenheit. Ich glaube, wenn man in einem veränderten Bewusstseins-Zustand zuhört, offenbart sich nochmal eine ganz andere Ebene. Entsprechend ist es schade, dass der nächste Termin auf einen Montagabend fällt!
Sprechen wir ein bisschen über die technischen Aspekte des Stücks. Wie viele verschiedene Spuren hast du letztendlich verwendet?
Es sind 383. Auf dem Höhepunkt gab es 440, aber wir haben das Ganze vereinfacht. Es gibt Gruppen für alle Instrumentenarten, nicht für einzelne Tracks. Das Intro besteht jedoch komplett aus einer Gruppe. Intern gibt es noch viele weitere Gruppierungsebenen.
Über das ganze Zeug, das Matt [Ishq] gemacht hat, könnte er nicht einmal selbst sagen, woher es kommt. Er hat im Laufe der Jahre extrem viele Samples gesammelt, ohne wirklich zu wissen, warum. Dadurch verfügt er jetzt über eine riesige Sample-Bibliothek. Irgendwann in seinem Leben hat er praktisch jeden Synthesizer besessen, der erhältlich war. Er hat sich einen gekauft, jede Menge Sachen aufgenommen und ihn dann weiterverkauft. Und dieser Sound ist ein Beispiel dafür.
Er mag die weniger bekannten Korg-Synthesizer, etwa den Kronos. Und auch mit dem Z1 kann man allerhand weirdes Zeug machen.
Und hören wir hier nur das Sample oder hast du auch etwas daran bearbeitet?
Oh, da ist echt eine verdammte jede Menge Bearbeitung drauf, aber das habe ich reingepresst. Jetzt ist nur ein Equalizer drauf. Dadurch wird die Sache irgendwie rationaler.
Dann habe ich wohl den Pitch um eine Oktave gesenkt und wahrscheinlich in Altiverb den Great Pyramid Reverb eingefügt, weil ich beim Aufnehmen dieses Albums aus irgendeinem Grund oft an Ägypten gedacht habe.
Es ist außergewöhnlich. Man kann sich auch nur diese zwei Spuren anhören und sie wären für sich genommen schon ein komplettes Stück.
Ja, diese Stems sind schon für sich genommen interessant. Ich benutze Altiverb seit Immunity. Und hier verwende ich den Golgumbaz-Hall, der auf ein Mausoleum in Indien zurückgeht. Diese Sounds von Matt haben direkt eine seltsame, stimmungsverändernde Wirkung. Das trifft zu einem gewissen Grad auf alles zu.
Wenn man den Sound von Matt auf diese Glocken legt, sieht man wie sie zu einer Einheit werden. Obwohl es sich bei allen um Stems handelt, bilden sie zusammen ein Klangbild, einen Ort, in dessen Mitte wir uns befinden. Alle diese Altiverb-Reverbs sind so immersiv. Ich höre den Sound zwar aus meinen Speakern, aber könnte schwören, dass der von sehr weit weg kommt.
Wann weißt du, dass du eine ausreichend große Klanglandschaft geschaffen hast? Weißt du instinktiv, wann du nichts weiter hinzufügen musst?
Sobald sie gut ist! Das ist buchstäblich so. "So lange herumfummeln, bis es sich gut anhört", lautet die allgemeine Devise. Das ist eine intuitive Sache.
Woher kommt der Bass-Sound hier?
Von meinem Klavier. Organischer Bass ist wirklich wichtig. Manchmal finde ich, dass Synthesizer kaum etwas zu bieten haben, wenn es um die tiefen Töne geht.
Du benutzt in deinen Stücken oft dein Klavier, vor allem am Ende deiner Alben. Als ob du deine Hörer nach einer komplizierten Reise wieder zuhause willkommen heißt.
Ja, genau das ist es. Für mich ist mein Yamaha-Klavier wirklich ein Zuhause, und das schon seit 1989. Es stand in meinem anderen Studio in Bow. Und jetzt ist es hier, wo es wahrscheinlich für immer bleiben wird. Interessant ist, dass sich die Saiten im Laufe der Jahre auf charmante Art und Weise abgenutzt haben, so dass die tiefen Töne nicht mehr so gut klingen. Das letzte Mal, dass die tiefen Töne echt gut klangen, war bei Sit Around the Fire [von Music for Psychedelic Therapy]. Das war fast wie ein Abgesang auf die unteren Saiten. Jetzt klingt nur noch der mittlere Teil der Tastatur wirklich gut. Der obere Bereich wird ein bisschen schief und mein Klavierstimmer meinte, dass man da nicht viel machen kann. Man muss entweder alle Saiten austauschen oder einfach damit leben und sich vielleicht darüber freuen, wie sich der Verschleiß positiv auf den Klang auswirkt. Wenn ich also einen sauberen Sound brauche, hol ich mir den woanders.
Diese Feuerzeug-Sounds machen Spaß. Die Idee ist, dass Vylana Sachen anzündet. Und es könnte sein, dass sie die ersten paar Male eine Kerze auf jeder Seite anzündet, aber dann beim dritten Mal etwas mehr auslöst, als sie erwartet hat. Die Sachen sind alle an verschiedenen Orten. Und beim letzten Mal wird dann das ganze Zeug ausgelöst.
Hier muss ich Abletons Reverb verwendet haben. Ich benutze das ständig - er ist sehr kosmisch. Ich benutze es nicht, wenn ich einen echt klingenden Hall will, sondern wenn ich einen massiven Raumklang haben möchte. Und ich mag die Art und Weise, wie es einige ungewöhnliche Resonanzen erzeugt. Also presse ich den Hall rein und lege den Pitch eine Oktave tiefer. Dann lege ich vielleicht noch eins darauf und presse es erneut. Complex ist der [Warping-]Algorithmus, den ich am häufigsten verwende. Ich benutze Complex Pro nur, wenn ich Formanten ausfüllen muss. Im Allgemeinen versuche ich beim Sounddesign, wie hier, Dehnungen so gut es geht zu vermeiden. Warp nehme ich einfach raus, wenn es nicht nötig ist.
Die meisten Leute machen sich diese Mühe nicht, aber die anderen Kollaborateure aus England und ich, wir haben uns in einem Raum mit ein paar Surround-Mikrofonen aufgenommen. Wir haben uns darin einfach bewegt und sind herumgeschlurft, um das Leben und die Energie der Leute einzufangen, die dieses Ding gemacht haben.
Es fühlt sich an, als ob man gerade einschläft oder ein Nickerchen macht, aber im Nebenzimmer stellt jemand irgendwelche Sachen um. Das ist sehr beruhigend.
Ja, es ist schön. Ich weiß nicht, wo diese Idee herkommt, aber ich mache so etwas schon seit Jahren. Für den Track "Heron", ein nischiges James Yorke-Cover aus dem Jahr 2009, war ich in einem alten Studio, und in der Küche neben meinem Zimmer wusch Cherif gerade ab. Und man hört ihn auf dem Track den Abwasch machen. Ich habe eigentlich das Klavier aufgenommen, aber es klang so beruhigend, weil das Geräusche sind, mit denen wir aufwachsen. Ich habe angefangen, nicht nur zu versuchen, sie nicht zu drauf haben, sondern sie zu feiern und sie zu einem Feature zu machen. Deshalb mache ich das jetzt ganz bewusst die ganze Zeit.
Nach dem Intro geht es in den "normalen" Teil über, sozusagen in den Ablenkungs-Teil.
Ablenkungs-Teil?
Ja, denn er lässt uns denken, dass wir vielleicht ein normales Ambient-Album vor uns haben. Man muss das Normale vor dem Extremen zeigen. Wenn man mit dem Extremen einsteigt, wird es nicht extrem. Es gibt kein Behagen ohne Unbehagen und umgekehrt. Um ehrlich zu sein, ist das mein Lieblingsteil, denn ich mag das einfache Leben. Und dieser Track besteht fast ausschließlich aus dem Moog One.
All diese Elemente sind im Stereofeld verteilt, richtig?
Genau, und als wir Atmos reingemischt haben, wurde es echt krass. Man kann buchstäblich alles machen, was man sich vorstellen kann. Ich mache Atmos ganz am Ende. Und mir ist es wirklich wichtig, sie erst dann zu machen. Für mich ist es zentral, nicht über Stereo hinaus zu denken, denn eine immersive Sache produziert man ohnehin in Stereo. Und wenn sie dann einmal fertig ist, geht es nur noch darum, sie in Atmos zu übersetzen. So funktioniert das. Wenn ich schreibe, brauche ich keine Dinge hinter mich zu schicken. Davon ist hier jede Menge zu spüren – viele, viele Klangschichten verbinden sich zu einem einzigen Klangbild.
Die weibliche Energie der Vocals hat etwas Wunderschönes an sich.
Interessant, dass du das erwähnst, denn genau das hat davor echt gefehlt. An dem Album haben viele Frauen mitgewirkt, aber die maschinenartigen Komponenten, die einen großen Teil des Albums ausmachen, haben eine starke "männliche" Energie. Die Streicher und der Gesang haben diese weibliche Energie, während der Synthesizerteil eher "männlich" ist Die Luft, die Liebe und das Leben, die besonders Vylana, aber auch Emma und Daisy, mit in das Projekt gebracht haben, sind essenziell dafür, dass es funktioniert. Ich würde sagen, es war unausgewogen, solange alles nur elektronisch war.
Wie du siehst, ist das Ganze schon recht fraktal. Man kann Schicht um Schicht hineingehen, aber alle gehören zusammen. Es ist einfach schön, ihm zu lauschen.
Was ist das hier für ein Clip namens „Badalamenti Bridge“?
In der Filmmusik zu „Twin Peaks“ und vielen anderen David-Lynch-Partituren von Angelo Badalamenti lässt er seine Streicher in der Bridge spielen, oft auf einem Kontrabass. Und ich liebe diesen Sound einfach.
Und ich füge diesen Sound in diese Combo ein, die ich oft verwende. Ich benutze das [Lives Delay-Plugin] als Pre-Delay, das ich separat steuern kann. 100% nass und ohne Rückkopplung, denn die 250 ms in Abletons Reverb sind nicht viel, wenn man 60 Sekunden Hall hat. Reverb sorgt also für den kosmischen Raum und die Tiefe, und Altiverb für die organische Seite. Für die Altiverb-Seite nehme ich die King's Chamber der Great Pyramid, normalerweise mit einem nicht so langen Reverb. Sie vermittelt so ein frisches und ungewöhnliches Gefühl.
Das hier ist ein Sound, den ich kurz hervorheben möchte, weil er sehr interessant ist. Wir haben sie Portale genannt, weil sie auf dem Album so funktionieren. Dieser Sound hier ist irgendwie scheiße, was ist das? Man weiß es nicht. Matt hat ihn geschickt - eine Art zufälliger Synthesizer. Also ich meine, er ist nicht wirklich Scheiße. Er ist interessant, aber was macht er dort? Das Ding ist, dass man beim ersten Hören denkt: "Was zur Hölle ist das?"
Die Portale tauchen, glaube ich, drei oder vier Mal auf. Und beim zweiten Mal passiert ein bisschen mehr.Es ist ein bisschen wie die Sache mit dem Feuerzeug am Anfang, wo etwas total Unerwartetes den Ton auslöst.
Es ist ein ziemlich beunruhigendes Geräusch.
Ja, und das soll es auch sein. Und darunter liegen diese ganzen verschiedenen Delays. Ich versuche immer, das Gefühl zu erzeugen, dass man einen Sound hört, weil vorher etwas anderes passiert ist, dass es eine unentwirrbare Logik gibt, weil es wie eine Geschichte ist.
Das ist ein Prophecy, ein ganz klassischer Synthesizer aus den 90er Jahren, und dieses Cello oder diese Geige, die in Viertelgeschwindigkeit spielen.
Das letzte Mal setzt das Portal genau auf dem Höhepunkt des Stücks ein.
Es kommt wie ein ziemlicher Schock rein. Denn wie du schon sagst, hat man sich in dem Glauben wiegen lassen, dass das hier ein nettes, sanftes Album werden würde, aber plötzlich haut es dir das um die Ohren.
Genau.
Dan hat den Cirklon-Sequenzer benutzt, der es möglich macht oder dazu anregt, ganz einfach diverse Loops mit unterschiedlichen Längen zu bauen. Wir haben also dieses polyrhythmische Ding, das sich aufbaut. Er ist ein ziemlicher Hardware-Typ. Und wenn man Cirklon nutzt, passieren viele einzigartige Dinge. Wenn er damit also solche Drums gebaut hat, haben wir einfach zu vermeiden versucht, dass irgendwas Normales oder Vorhersehbares passiert. Das bringt eine Menge chaotischer Elemente mit sich, aber sie ergeben einen Sinn. Sie kreisen umeinander, aber mit verschiedenen Geschwindigkeiten.
Benutzt du überhaupt Software-Instrumente?
Nein, ich benutze keine Software-Sachen. Also, ja. Bei Sampler-Sachen. Nils Frahms Una-Corda-Instrument kommt auf Singularity stark zum Einsatz und auf Music for Psychedelic Therapy in sehr, sehr verarbeiteter Form. Auf diesem Album ist es nicht, glaube ich.
Dann gibt es noch Abletons Sampler und Simpler, die natürlich fantastisch sind. Ich mache schon Racks und so weiter, aber ich benutze keine anderen Quell-Sounds als echte Synthesizer, das Klavier und andere echte Instrumente. Es ist kein Gesetz und kein Gebot oder sowas, ich habe nichts gegen solche Dinge. Sie inspirieren mich einfach nicht auf die gleiche Weise. Ich liebe es, mit Hardware zu spielen sowie die Sachen auszurichten und mich später um das Sounddesign zu kümmern.
Wie gehst du mit Frust und kreativen Blockaden um? Wie schaffst du dir da normalerweise Abhilfe?
Meistens gehe ich aus dem Studio. Ich sitze hier nicht frustriert herum. So hab ich das immer gehandhabt. Ich würde sagen, dass ich heute durchschnittlich drei bis vier Stunden am Tag arbeite. In der restlichen Zeit ist es nicht so, als würde ich nicht arbeiten. Mein Gehirn arbeitet vermutlich weiter, aber ich ziehe los und mache etwas anderes.
Manchmal geht es mitten in der Nacht los, was ein bisschen unangenehm sein kann. Aber im Allgemeinen finde ich, dass es am besten ist, den halben Tag mit anderen Dingen zu verbringen. Für mich ist Fitness super-wichtig, denn es ist nicht wirklich gesund, die ganze Zeit in diesem Stuhl zu sitzen und auf diesen verdammten Riesenbildschirm zu starren. Mit diesem Problem muss man irgendwie umgehen. Oben ist ein Fitnessstudio, also gehe ich rauf und mache dort ein bisschen was. Ich meditiere viel, springe gern in eiskaltes Wasser, gehe in die Sauna und andere Dinge, die dich deinem Körper näher bringen. Dann kann das Gehirn die kreative Blockade lösen, so wie es das immer tut. Manchmal muss man eben mit diesem Teil der Musik leben.
Entschuldige das furchtbare Namedropping, aber etwas, das ich von Brian Eno gelernt habe, ist, dass es halt Spaß machen muss, weißt du? Idealerweise verzettelt man sich nicht mit Kleinigkeiten, es sei denn, man hat wirklich Spaß daran. Und wenn sollte das gegen Ende passieren, nicht am Anfang, verstehst du? Am besten skizziert man zuallererst das Große-Ganze, arbeitet so schnell wie möglich und fügt Sachen ein. Deine Session kann ein totales Chaos sein, aber wie der Anblick dieser Session hier beweist, kann man sie auch später noch arrangieren und schön aufräumen. Und ganz besonders hilft ein guter Engineer, wie ich ihn habe, die Struktur zu behalten
Hast du das Bedürfnis, mehr in Richtung Rhythmus und Techno zu gehen? Oder fühlst du dich mittlerweile wohler mit der eher meditativen und weniger rhythmischen Seite?
Nun, dieses Stück ist sehr rhythmisch. Es dauert nur sehr lange, bis man dort ankommt. Der 15-Minuten-Block in der Mitte ist gnadenlos rhythmisch. Ehrlich gesagt werde ich immer beides machen. Das hier war in vielerlei Hinsicht echt harte Arbeit. Danach hatte ich das Bedürfnis, etwas Leichtes und Lustiges zu machen. Also ein paar Vier-Minuten-Banger und Remixe, wir werden sehen, was passiert. Ich würde gerne mit einigen Sängerinnen und Sängern zusammenarbeiten und mehr Pop-Sachen machen. Aber ich würde sagen, dass ich nicht unbedingt scharf darauf bin, wieder Techno zu schreiben. Ich möchte gerne eher positive Dinge schreiben.
Ich möchte mich nicht rückwärts bewegen. Es ist schon witzig, dass ich mein erstes Album veröffentlicht habe und niemand hat es wirklich gehört. Ich habe mein zweites Album herausgebracht, und die Leute, die das erste mochten, waren enttäuscht, dass es nicht wie das erste klang. Aber wo waren sie, als das erste herauskam? Und dann habe ich Insides gemacht und mein vorheriges Publikum hat sich geärgert. Ich habe Immunity gemacht, und die Leute, die Insides mochten, waren total enttäuscht. Ich habe Singularity gemacht, und dann waren sie enttäuscht, dass es zu sehr nach Immunity klang. Und bei den letzten beiden war es mir einfach scheißegal, verstehst du? Ich mache nur noch Sachen, bei denen ich das Gefühl habe, dass sie gemacht werden müssen. Es gibt keinen anderen Grund.
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Text und Interview: Hal Churchman
Fotos: Imogene Barron