un ctrl: Tanz, Visuals und Sound vereint
Die Geschichte von un ctrl – bestehend aus der Tänzerin Cat Jimenez, dem Audio-Video-Künstler Martin Retschitzegger und dem Musikproduzenten Daniel Kohlmeigner – stellt eines unter Beweis: Wenn Künstler:innen aus scheinbar unterschiedlichen Welten zusammenkommen, gedeiht die Innovation. Am Anfang der Zusammenarbeit stand eine Einladung zum Ars Electronica-Festival in Linz: Die drei sollten eine Live-Performance mit Bewegungssensoren, Visuals, Musik und einer Tanzchoreografie entwickeln. Der damit begonnene Schaffensprozess zeigte, wie bereichernd interdisziplinäre Performances sowohl für die Künstler:innen als auch für das Publikum sein können.
Aus den anfänglichen Brainstorming-Sessions kristallisierte sich bald ein Kernkonzept heraus: Die Idee, dass Technologie zwar ein Gefühl der Kontrolle vermittelt, aber ebenso überraschende Ergebnisse hervorbringen kann. Die Performer:innen entschieden sich dafür, diese Ungewissheit in Kauf zu nehmen, um eine weit verbreitende Annahme zu hinterfragen: Dass das, was auf einer Bühne gezeigt wird, immer perfekt sein muss.
Der multimediale Veranstaltungsort DeepSpace 8K wurde zur Leinwand für die gemeinsame Vision von un ctrl. Hier taucht das Publikum in hochauflösende Projektionen ein, die sich nahtlos über die Wände und den Boden erstrecken.
„Die multimediale Raumgestaltung war wie eine vierte Akteurin in dem ganzen Stück“, erklärt Kohlmeigner. „Deswegen haben wir unsere Performance komplett auf diesen Raum abgestimmt.“
Daniel Kohlmeigner, ein erfahrener Elektronikmusiker und Pädagoge, ist auch bekannt als eine Hälfte des Duos Ogris Debris. Bei un ctrl war er für die Produktion der Musik zuständig. Das Ergebnis: ein außergewöhnliches interaktives Erlebnis. Kohlmeigner gestaltete ein dynamisches Szenario, in dem die Tänzerin Cat Jimenez die Musik und den Sound in Echtzeit mit den tragbaren MIDI-Controllern SOMI-1 manipulieren konnte. Um Klischees zu vermeiden, versuchte er dabei jedoch, von bewährten Formeln wie der Kontrolle von Filter-Cutoffs wegzukommen, „denn das kennen wir ja schon zur Genüge“.
„Cat hat Control-Change-Parameter über MIDI geschickt und gleichzeitig Noten getriggert“, erklärt er. „Sie konnte die Tonhöhe und Länge der Noten durch die Geschwindigkeit oder den Winkel ihrer Bewegungen beeinflussen. Währenddessen habe ich die Stimmung verändert – zum Beispiel mit dem Wechsel von Dur nach Moll.“
Als Creative Director und Mitbegründer des Berliner Studios m box hat Martin Retschitzegger mehr als 20 Jahre Erfahrung in den Bereichen Bewegtbild und immersive Rauminstallationen. Im Geist der Interaktivität entwickelte er für un ctrl ein generatives visuelles Spektakel. Hinter den Kulissen prägten mehrere Signaleingänge das visuelle Erlebnis, die Performance war auf nahtloses Zusammenspiel ausgelegt: Mit den tragbaren Controllern konnte Jimenez ihre Bewegungen gleichzeitig via MIDI an Kohlmeigner und Retschitzegger übertragen. Dieser direkte Datenaustausch ermöglichte eine stimmige audiovisuelle Erzählung in Echtzeit.
„Für die Visuals haben wir in der Umgebung VVVV eine eigene Software programmiert“, erzählt Retschitzegger, „und viele Features angelegt, die noch nicht komplett fertig waren. Wir haben Audioeingänge und Signale von den SOMI-1-Controllern verwendet, um verschiedene Parameter innerhalb der Software zu steuern, und das mit manuellen Steuerungen kombiniert. Es gab also keine vorgefertigten linearen Sequenzen.“
Für Retschitzegger lag die Herausforderung nicht nur im kreativen und technischen Bereich, sondern auch in der Anpassung an den physischen Raum selbst. „Wenn man in einem Raum mit mehreren Projektionen arbeitet und da zu viele Inhalte reingibt, kann der Zauber verloren gehen – die Intensität ist dann einfach zu hoch“, erklärt er. „Deswegen haben wir den Boden nur manchmal genutzt, mit nur kleinen Momenten der Intensität. Da war nie zu viel Licht im Raum.“
Auf musikalischer Ebene waren zunächst traditionelle, Techno-orientierte Rhythmen angedacht. Inspiriert von der Musik des befreundeten Techno-Produzenten Retschitzegger stellte sich Kohlmeigner eine pulsierende Klanglandschaft vor – geprägt von harten Beats und rasanten Kick-Drums. Bei der Suche nach einem Gleichgewicht kam es dann aber zu einer kleinen Programmänderung: Subtilere Elemente wurden eingebaut, um die Intensität zu mildern. Laut Kohlmeigner blieb die Techno-Essenz trotz des Richtungswechsels erhalten, wenn auch im experimentelleren Gewand.
„Für mich zählt die Stille zu den radikalsten Elementen, mit denen man auf der Soundebene arbeiten kann.“
Mit Instrument-Racks und Makro-Reglern entwickelte Kohlmeigner in Ableton Live ein System, das es Jiminez ermöglichte, durch gezielte Bewegungen generative Musik auszulösen. Sie konnte MIDI-Noten verändern, die dem Makro-Zufalls-Schalter in den Instrument-Racks zugeordnet waren. So ließen sich nicht nur einzelne Klangparameter beeinflussen, sondern ganze Sequenzen, Noten, Rhythmen, Samples und Effekte.
„Cat konnte mit einer einzigen Bewegung die komplette Musik verändern“, so Kohlmeigner. „Diese Veränderungen ließen sich technisch gar nicht reproduzieren, weil Dutzende von Parameter dem Zufallsprinzip unterworfen waren. Manchmal klang es ziemlich cool, aber manchmal war es auch zu viel des Guten. Cat konnte bestimmen, womit wir arbeiten, indem sie ein weiteres Mal auf den Boden schlug – nur um zu hören, was der Computer machen würde. Für mich war das die Kernidee der gesamten Performance.“
„Manchmal war das erzeugte Klangmaterial überwältigend“, fügt Jimenez hinzu, „und ich fragte mich, was ich mit all dem machen soll – vielleicht war das ein Sinnbild für den Überfluss an Konsum, Globalismus und Möglichkeiten. Während der Aufführung dachte ich manchmal: 'OK, hau einfach auf den Boden, wieder und wieder. Damit verursachst du eine Krise, Chaos und vielleicht auch einen Shutdown'.“
Dieser Idee folgend wurde ein simulierter Systemabsturz in die Performance eingebaut. Jiminez übersetzte die Überwältigung in künstlerischen Ausdruck – ein unerwartetes Manöver, das im Publikum für einige Verwirrung sorgte. Sie lief hektisch im Raum umher und befahl dem Publikum, schnell die Plätze einzunehmen. Die Ungewissheit ließ die Spannung im Raum wachsen: War dies ein Teil der Aufführung? Oder hatte die Darstellerin ihre Ungeduld nicht mehr im Griff?
„Die Leute wussten nicht so genau, was los war“, erinnert sich Kohlmeigner. „Wir hatten einen Stromausfall simuliert: Es war dunkel, und die Musik war verstummt. Es dauerte eine Weile, bis dem Publikum klar wurde, dass dies zurück zur Performance führen würde.“
„Ich fluchte und tat so, als wäre alles schief gelaufen“, fügt Jimenez hinzu. „Ich habe zu einer Krise improvisiert. Dann fragte ich das Publikum, ob es vielleicht ein wenig Licht für mich machen kann, damit ich auf den Weg zurückfinde.“
Bei der Vorbereitung von Rohmaterial für die Performance durchlief Jiminez eine Phase des Erforschens ihrer eigenen Körperlichkeit. „Das Stück konnte sich entfalten, weil es so viele Möglichkeiten geboten hat“, sagt sie. „Aber für mich war es genauso wichtig, alles Überflüssige löschen zu können. Gerade weil wir mit der Technologie endlose kreative Möglichkeiten hatten, war es entscheidend, sich auf das subtilste oder minimalste Prinzip zu konzentrieren, mit dem wir spielen konnten.“
Kohlmeigner gibt noch mehr Kontext und weist auf Jimenez' Fähigkeit hin, bestimmte Elemente der Musik zu isolieren.
„Irgendwann wurde mir klar, dass es besser war, sich auf einen bestimmten Aspekt zu konzentrieren, damit sich Cat nicht um mehrere Sounds gleichzeitig kümmern musste. Meine ursprüngliche Vorstellung für die Performance war voller Musik – ich stellte mir vor, dass Cat darin die Akkorde triggert. Doch dann zeigte sie uns ihre Idee: Sie wollte vor dem Hintergrund der Stille mit nur einem Element arbeiten. Und das fand ich dann auch viel cooler. Für mich zählt die Stille zu den radikalsten Elementen, mit denen man auf der Soundebene arbeiten kann.“
Auf der Suche nach anderen innovativen Möglichkeiten zur Klangsteuerung entwickelte Kohlmeigner zusammen mit einem Freund eine Max-for-Live-Anwendung, die es Jimenez ermöglichte, Audio-Samples mit ihren Bewegungen zu „scrubben“. Ein Schlüsselaspekt der Anwendung: Sie musste auf die Bewegungsgeschwindigkeit reagieren können. So wurden langsame Gesten in tiefe Frequenzen und schnelle Bewegungen in höhere Frequenzen umgewandelt.
„Ich war wirklich überrascht, dass es so eine Anwendung noch nicht gab“, sagt Kohlmeigner. „Wie kann es sein, dass das noch niemand programmiert hat? Ich bin zwar Ableton Certified Trainer, aber solche Anwendungen entwickle ich nicht so oft – es würde mich einfach zu viel Zeit kosten. Glücklicherweise habe ich auf maxforlive.com einen uralten Thread gefunden, in dem jemand einen unfertigen Code dafür gepostet hat. Ich hätte das Ganze sogar fast zum Laufen gebracht – ein Freund von mir half mir dann dabei.“
Aufgrund der Zeitbeschränkungen und der Eigenheiten des DeepSpace 8K-Raums stießen un ctrl bei der Entwicklung ihrer Performance manchmal auf unvermeidliche Hürden. Wie elegant und spontan sie diese Hürden gemeistert haben, zeigt: Eine Performance gelingt nicht aufgrund der Abwesenheit von Schwierigkeiten, sondern aufgrund der kreativen Art und Weise, mit diesen umzugehen.
„In dieses Stück haben wir viel Energie gesteckt“, resümiert Kohlmeigner. „Das war kein einfaches Projekt, aber wir haben fantastisches Feedback dafür bekommen. Es wäre schön, wenn un ctrl irgendwann eine Fortsetzung finden würde.“
Mehr über Daniel Kohlmeigner, Martin Retschitzegger und Cat Jimenez gibt es auf Instagram.
Text und Interview: Joseph Joyce
Fotos: Tom Mesic